Читать книгу Perlen der Demenz - Almut Pfriem - Страница 7

Оглавление

Vorwort

Wahr ist, was dich berührt. Was dich berührt, verwandelt dich. Schreiben aus deiner Mitte heraus, spontan, intuitiv und unzensiert, ist klärend und erlösend. Was auf dem Papier in Fluss gerät, wirkt sich nicht nur auf deinen Alltag aus. Es wird dich tief greifend verändern.

So stand es in der Ausschreibung für meinen Kurs im Intuitiven Schreiben, den Almut und ihr Mann Bernhard im Februar 2016 bei mir in Berlin besucht haben. Es war ein magisches Wochenende mit weitreichenden Folgen. Letzten Herbst eröffnete mir Almut in einer E-Mail, dass das Schreiben sie seither nicht mehr losgelassen habe. Die Worte strömten nur so aus ihr heraus und verdichteten sich zu ihrem ersten Buch –zu einem Thema, das sie selbst tief bewegt und verwandelt hat. Es handelt von den letzten gemeinsamen Jahren mit ihrer an Demenz erkrankten Mutter – von der verstörenden Achterbahnfahrt der Gefühle und den praktischen Mühsalen, die die Unberechenbarkeit einer solchen Krankheit für alle Beteiligten mit sich bringen, und schließlich von Almuts persönlichem Ablöseprozess, während die Mutter im Sterben liegt. Im Laufe dieser Entwicklung erfahren wir von den Segnungen wahrer Intimität jenseits des rational organisierten Verstandes und erleben eine erlösende Geburt in die Unendlichkeit.

Wie brillant Almut das Motto meines Kurses umgesetzt hat, davon zeugt die leergeheulte Tissuebox auf meinem Nachttisch. Ich wollte die Lektüre eigentlich ganz professionell und sachlich angehen, um Almuts Wunsch zu entsprechen, ein Vorwort für sie zu schreiben, zumal ich gerade knietief über eigenen kreativen Projekten brüte. Doch nichts geschieht ohne etwas dahinter, wie Almuts Mutter als Heldin dieses Buches uns offenbart.

So hat mich Almuts offenherzige Erzählung nicht nur mit gnadenloser Gnade in sich aufgesogen und unverhofft mein eigenes „Mutter-Thema“ der töchterlichen Pflichtschuldigkeit getriggert, sondern schließlich auch jenen Befreiungsprozess in mir befördert, der gerade ein wenig klamm in der Kurve hing und mit meinem Schaffen durchaus zu tun hat. Wie hätte es auch anders sein sollen? Wenn eine Autorin beim Schreiben eine bedeutsame Transformation durchlebt und schließlich über die Schwelle ihrer mentalen Selbstbegrenzung in erhabene Dimensionen aufsteigt, dann geschieht beim Lesen ihres Textes selbstverständlich das Entsprechende!

Dieses Werk ist ein Manifest der Liebe. Es berührt nicht nur mit seinen aufrichtigen, tief empfundenen Worten, sondern vor allem mit seiner feinen, liebevollen, von ehrfürchtigem Staunen getragenen Schwingung. Es zeugt von der beeindruckenden Offenheit und Verletzbarkeit, mit der seine Autorin das Leben lebt, bereit, dessen Herausforderungen nicht nur an sich heranzulassen, sondern diese auch trotz ihrer Ängste und Zweifel mit jeder Pore in sich aufzunehmen, um sie schließlich hingabevoll zu meistern.

Und zu meistern gibt es einiges. Ein ganzer Clan ist jahrelang um eine Frau bemüht, deren Geist in den Unergründlichkeiten der Demenz versinkt und die um ihre Würde und Selbstbestimmung kämpft, gegen die Einsamkeit und Isolation des Nichtverstehens und Nicht-verstanden-Werdens. Fünf erwachsene Kinder reiben sich mit beeindruckendem Zusammenhalt und einer außerordentlichen Opferbereitschaft daran auf, für diese Frau da zu sein, hin- und hergerissen zwischen Mitgefühl und Besorgnis, Pflichtschuldigkeit und Überforderung, Verlustangst und der eigenen Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit und heiler Kindheitswelt. Fünf erwachsene Kinder und ein Stab von Pflegebeauftragten können trotz allem das Leid nicht aufhalten, welches diese Krankheit mit sich bringt. Allein die Mühlen des bürokratischen Systems, der Pflegenotstand in den Altenheimen und die Profitgier der Pharmaindustrie verlangen unserem Empfinden dessen, was menschlich ist, harte Tribute ab.

Doch das Buch ruht sich nicht darauf aus, dramatische Zustände zu schildern und gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen. Sein eigentliches Geschenk liegt in der allmählich sich einstellenden Erkenntnis, dass hinter unseren dualistischen Vorstellungen und Bewertungen, hinter der scheinbaren Trennung von Ich und Welt, die unser persönliches Erleben so leidvoll erscheinen lassen, ein Königreich verborgen liegt – jener Urgrund unseres Bewusstseins, der innerste Raum aller Schöpfung, von dem alles ausgeht und zu dem alles hinführt. Dieser Raum ist pure Liebe. In dieser Dimension unseres Bewusstseins herrscht ein grenzenloser Frieden. Sein Zauber entfaltet sich beim Lesen in uns, wie er sich in Almut entfaltet hat, während sie ihre Mutter in den Tod begleitete.

Um die Unvollkommenheiten unserer Existenz wahrzunehmen, braucht es Kriterien der Bewertung, die wir bereits vor dem Akt des Wahrnehmens verinnerlicht haben. Sie entsprechen unserer sozialen und kulturellen Prägung, welche die Illusion in uns erschaffen hat, von unserem Ursprung getrennt zu sein. Um Unvollkommenheit wahrzunehmen, braucht es also einiges. Um die Vollkommenheit des Lebens wahrzunehmen, braucht es dagegen nichts als ein reines Herz.

Almut hat die Gabe, Momente in ihrer durchscheinenden Ganzheit zu erfassen und Perle für Perle aneinanderzureihen. Zwischen all den Zumutungen scheinbarer Dysfunktionalität und systembedingter Opfer, die unser aller Lebenswege durchziehen, ploppen in ihrer Erzählung allerhand wundersame Liebenswürdigkeiten auf wie ein Reigen bunter Seifenblasen, der sich dem staunenden Kinderauge präsentiert: Unter jedem Plopp offenbart sich das Erhabene – die Liebe selbst.

Möge die Lektüre viele Menschen stärken, denen sich ähnliche Herausforderungen stellen. Möge sich ihre Sicht auf das Phänomen der Demenz lichten. Vielleicht sind wir eines Tages in der Lage, frei von Abwehr und Verdrängung in tiefer Verbundenheit mit uns selbst und anderen gegenwärtig zu sein – sodass sich niemand mehr isoliert fühlen und niemand mehr aufopfern muss, um dieses Gefühl zu beschwichtigen. Wäre das nicht das Ende allen Leidens?

Möge sich die ewige Vollkommenheit des Lebens als Gewissheit in unser Bewusstsein senken und der Tod als ein heiliger Übergang in eine neue Dimension des Daseins gefeiert werden. Es lebe die Liebe, welche eine gemeinsame Sprache in uns zum Schwingen bringt – wie dieses Buch!

Esther Kochte Märkische Heide, 14. Juni 2018

Perlen der Demenz

Подняться наверх