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Kapitel 12

Es sind Nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern unsere Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.

Epiktet

DAS KANN JA HEITER WERDEN

Inzwischen ist es mitten in der Nacht.

„Die haben mich hier eingesperrt!“, sagt sie entrüstet zu sich selbst. ‚Ich weiß wirklich gar nicht mehr, wo ich hier bin! Als wir ankamen, war es so duster. Da waren lauter Männer vor dem Haus, richtig gruselig, und Bäume und Schatten! Und jetzt haben die mich eingesperrt. Nicht einmal ein Bett oder einen Stuhl habe ich, muss auf dem Boden sitzen, es ist eiskalt und alle Türen sind zugesperrt. Und draußen stehen sie wieder, diese Männer. Wenn ich hinschaue, drohen sie mir sofort. Die beobachten mich. Ich schau jetzt nicht mehr hoch. Wo ist bloß die Almut?‘

„Hilfe! Hallo, Haaallo, Hiiiiilfe!“

Verzweifelt donnert sie mit einer Holzlatte gegen die Wand.

Müde drehe ich mich um und wundere mich: ‚Ruft da wer? Komisch! Ganz leise. Aber irgendwer ruft doch da! Was poltert denn da so? Da ruft doch jemand!’, langsam werde ich wach und lausche jetzt angestrengt.

„Hallo, Haaaaaaaaallo, Hilfe, HILFE!“

‚Oh Gott! Das ist Mama!‘

Schnell bin ich auf den Beinen und torkele, müde zwar, doch nun hellwach in ihr Zimmer gleich nebenan.

‚Wo ist die denn? Oh Gott, warum so leise, warum höre ich sie nur so leise?‘

„Mama? Wo bist du denn? Maama!“

„Hilfe, Hilfe lasst mich hier raus. Hallo! Haaaaaallo!“

‚Oh Gott, vielleicht sitzt sie im Bad und hat sich eingeschlossen? Nein, da ist sie auch nicht.‘

„Mama, wo bist du denn?“

„Hier! Ich bin hier!“

„Ich komme, Mama, ich komme!“

Der Vorraum, in dem ich sie finde, war früher ein separater Eingang, der inzwischen eher selten benutzt wird. Derzeit ist er sehr unwirtlich. Axel ist gerade dabei, sein Bad zu renovieren, und lagert hier sein Baumaterial.

„Mann, Mama, wie kommst du denn dahin?“

„Ja, weiß ich auch nicht, die halten mich hier fest. Die lassen mich nicht raus. Mir ist kalt, richtig kalt. Darf ich jetzt wieder raus?“

Sie sitzt in ihrem Nachthemd bibbernd auf dem kalten Steinboden zwischen Mörtel und Fliesen, hat eine Holzlatte in der Hand und schaut krampfhaft zu Boden.

‚Wie gefangen in ihrem Film‘, denke ich und frage mich, was da wohl abgeht.

„Mama, schau, ich bin’s, Almut. Du bist hier in Frankreich bei Bernie und mir und du hast dich in der Tür geirrt. Alles ist gut. Ich zeige dir jetzt, wo dein Bett ist.“

„Die haben mich hier so lange eingesperrt, warum?“

„Mama, du bist gar nicht eingesperrt, du hast dich nur verirrt. Tut mir leid, ich habe wohl fest geschlafen und habe dich erst jetzt gehört. Jetzt bin ich aber da und zeige dir den Weg zurück. Okay?“

„Ja bitte, hier ist nicht schön.“

„Warst du denn auf dem Klo?“

„Warum?“

„Ja, ich denke halt, dass du aufs Klo wolltest.“

„Weiß ich nicht.“

„Dann geh doch jetzt erst noch aufs Klo, bevor ich dich dann wieder in dein Bett bringe.“

Während sie auf dem Klo sitzt, schließe ich die Tür zum Vorraum ab, damit das nicht noch einmal passieren kann.

‚Daran muss ich jetzt jeden Abend denken. Unbedingt! Oh, ist das ein Horror, die Arme! Wie ein Häufchen Elend saß sie da in dem Chaos, völlig verängstigt, sie muss durch einen absoluten Horrorfilm gewandert sein. Was war wohl der Sack Mörtel in ihrem Film, hat der sie etwa bedroht? Oh Gott, diese Hilflosigkeit ist nur schwer vorstellbar. Gott sei Dank war die Haustür abgeschlossen! Ich möchte gar nicht daran denken, was alles hätte passieren können, wenn sie da hinausgegangen wäre, in den Wald. Oh ja, ich muss unbedingt daran denken, diese Verbindungstür abzuschließen! Jeden Abend! Unbedingt!‘

„Ich bin fertig“, höre ich sie.

„Gut, dann komm. Schau, hier musst du rechts und dann kommst du automatisch wieder in dein Schlafzimmer.“

„Euer Schlafzimmer“, sagt sie plötzlich ganz klar und aufgeräumt. „Ja, stimmt“, antworte ich erstaunt. „Aber jetzt, solange du Urlaub bei uns machst, ist es deins.“

„Urlaub? Ja, das ist gut.“

Sie legt sich ins Bett und ich decke sie zu.

„Schlaf gut, Mama, ich lass die Türe jetzt ein wenig auf, damit ich besser hören kann, wenn du mich rufst.“

„Ja, Kind, danke. Schlaf du auch gut. Und wo gehst du jetzt hin?“ Ich streichle ihr über den Kopf, wie sie es früher bei mir tat.

„Ich gehe nur in das Zimmer nebenan, schau, nur durch diese Türe da. Da schlafen Bernie und ich.“

„Bernie und du, schlafen da“, sagt sie nachdenklich und dann: „Du auch, schlaf du auch gut!“

Ihre Worte umhüllen mich und ich kann spüren, dass sie so gerne für mich da wäre und es ihr noch immer unerklärlich ist, dass die Welt nun so verkehrt herum läuft.

„Ja, Mama, mach ich!“

‚Was für eine Nacht – und das nach dem Tag!‘, denke ich. ‚Wie wohl die nächsten Tage und Nächte werden? Das kann ja heiter werden.‘

Perlen der Demenz

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