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Die Erleuchtung – das Satori

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Der Begriff Erleuchtung, der überwiegend in buddhistischen Texten Verwendung findet, hat die gleiche Bedeutung wie der Begriff Satori, der im Zen-Buddhismus gebräuchlich ist und im Prinzip denselben Zustand, eine Erleuchtung, beschreibt. Nur sind die Wege dorthin recht unterschiedlich.

Weil Erleuchtung – im buddhistischen Sinn – viel mehr ist als der Begriff an sich vermuten lässt, bevorzuge ich persönlich zur Benennung dieses Phänomens persönlich lieber den Begriff Satori. Schon weil es diesen Begriff im deutschen Sprachgebrauch nicht gibt, erscheint er mir zweckmäßiger und lässt für die Umschreibung bzw. Beschreibung des Phänomens Erleuchtung/Satori eine umfänglichere Interpretation zu. Der Begriff Satori verleitet weniger zu Assoziationen und somit auch weniger zu Missverständnissen oder gar Fehlinterpretationen als Erleuchtung. Ich werde aber abwechselnd beide Begriffe verwenden, abhängig davon, wie die Begriffe den angedachten Sinn des Textes unterstützen können.

Wenn Sie vorrangig nach der Erleuchtung, beziehungsweise dem wesensgleichen Satori-Erlebnis streben und glauben, sich nunmehr notgedrungen mit dem buddhistischen Gedankengut auseinandersetzen und mit speziellen Übungen beginnen zu müssen, dann werden Sie mit dieser Vorgehensweise nur sehr, sehr schwer das ultimative Ziel erreichen.

Die Vorgehensweise wäre vergleichbar mit dem Wunsch, ein Schriftsteller zu werden und dann mit dem Schreiben zu beginnen. Die umgekehrte Reihenfolge wäre Erfolg versprechender, nämlich erst einmal mit dem Schreiben zu beginnen und daran Spaß und Freude zu haben. Nur so hätten Sie auch eine Chance, eines Tages als Schriftsteller zu gelten.

Sie sollten also zuallererst die buddhistischen Grundgedanken verinnerlichen und mit einigen Übungen dazu beginnen und in Folge praktizieren lernen. Wenn Sie daran Spaß und Freude empfinden und die buddhistischen Grundgedanken erkannt und verinnerlicht haben, dann haben Sie auch die Chance, eines Tages Ihre ganz persönliche Erleuchtung zu erfahren. Aber den Akt der Erleuchtung kann man nicht erzwingen, egal wie stark Sie sich darum bemühen, egal wie viel Sie lesen, studieren oder üben – schlussendlich muss die Erleuchtung zu Ihnen kommen. Wenn es soweit ist, wenn dies erfolgt, dann werden Sie es auch sofort verspüren. Sie werden dann, zu einem für niemanden vorhersehbaren Zeitpunkt, von einem außergewöhnlichen Gefühl ergriffen. Sie werden dabei sehr große Freude und unendliche Erleichterung und ein einzigartiges Freiheitsgefühl empfinden, auch wenn Sie selbst nicht so recht wissen, was eigentlich mit Ihnen gerade passiert ist. Sie werden dann unumstößlich verspüren, dass Sie endlich einen Weg gefunden haben, sich an jedem Ort dieser Welt – und mag er noch so unwirtlich sein – allzeit in den Zustand des Glücklich- und Zufriedenseins versetzen zu können. Egal ob neben dem Teufel in der Hölle, im Angesicht des Todes, auf dem Sterbebett, in absoluter Armut oder mit einem Lottogewinn, Sie werden in jeder Situation den Weg zum Glücklich- und Zufriedensein finden.

Diese Gabe wird Ihnen niemand ansehen. Ansehen wird man Ihnen ausschließlich Ihr überaus freundliches Wesen, Ihre Ausgeglichenheit, Ihre Gelassenheit – das Lächeln in Ihrem Gesicht. Von Ihnen wird dann eine spürbar angenehme Ausstrahlung auf Ihre Mitmenschen ausgehen.

Wem ein Erleuchtungs-/Satori-Erlebnis widerfahren ist, wird dadurch nicht automatisch glücklich und zufrieden, auch wird er dadurch nicht automatisch zu einem besseren Menschen. Vielmehr vollzieht sich im Kopf desjenigen eine Art geistiger Durchbruch, eine Erhellung des Geistes, auch gern als ein Erwachen beschrieben. Fortan meint man, den Sinn des Lebens bei jeder erdenklichen Konstellation ergründen und verstehen zu können. Man glaubt, die Wahrheit über das Wesen aller Dinge erkennen zu können, auch den Sinn seines eigenen Daseins. Dabei bekommt die Erkenntnis über Sinn und Sinnlosigkeit des eigenen Lebens eine völlig neue Wertigkeit.

Das Erleuchtungs-/Satori-Erlebnis erlebt man auch nur einmal in seinem Leben. Sie können es nicht z.B. wie einen Orgasmus nach Belieben immer wieder aufs Neue wiederholen. Das Erleuchtungserlebnis bleibt ein einmaliges Aha-Erlebnis.

Nach Ihrer Erleuchtung werden Sie auch am darauffolgenden Tag zur Arbeit gehen, Ihren Haushalt machen, sich um Ihre Kinder kümmern wie jeden Tag zuvor, und vielleicht auch sonntags in die Kirche oder die Moschee gehen, als wäre nichts geschehen. Der Zustand der Erleuchtung macht Sie nicht heilig, nicht unfehlbar. Sie bleiben, wer Sie sind. Aber fortan werden Sie vor nichts mehr Angst haben, werden jeden Schicksalsschlag – und möge er noch so extrem erscheinen – nur als eine buddhistische Übung ansehen, eine von vielen. Ihre Fähigkeit, sich an jedem Ort, allzeit in den Zustand des Glücklich- und Zufriedenseins versetzen zu können, werden Sie dann nie mehr verlieren.

Je mehr Sie bereits vorher vom Erleuchtungs-/Satori-Erlebnis wissen wollen, desto eher laufen Sie Gefahr, sich schon jetzt eine derart feste Vorstellung von diesem Phänomen anzueignen, dass Sie eine völlig falsche Erwartungshaltung bekommen, sich damit selbst blockieren und sich viel zu sehr unter Erfolgsdruck setzen. Seien Sie trotz dieser Einführung freimütig und ergebnisoffen. Machen Sie sich im Anschluss an dieses Kapitel keine weiteren Gedanken über dieses Phänomen. Sie werden schon merken, wenn es Ihnen zuteilwird.

Haben Sie das Ziel erreicht, wird genau dieses Ziel nicht mehr die höchste Priorität haben. Sie haben das Gefühl, alles kehrt sich zum Gegenteil, alles bisher Wichtige wird völlig sinnlos. Für den Erleuchteten gilt die ursprüngliche Zielsetzung von einem Moment auf den anderen nicht mehr. Diejenigen, die zwar glauben, am Ziel angekommen zu sein, aber Glück und Zufriedenheit noch immer als oberstes Ziel verfolgen, haben noch nicht wirklich loslassen können und sind noch nicht erleuchtet.

Der Erleuchtete trachtet nicht mehr nach Glück und Zufriedenheit im ursprünglichen Sinne. An das anfängliche Ziel verschwendet er keinen Gedanken mehr. Wenn er – unter anderem – auch von diesem anfänglichen Wunsch losgelassen hat, erst dann kann er zu den Erleuchteten gehören und kann glücklich und zufrieden sein.

Verstehen müssen Sie das jetzt am Anfang des Weges noch nicht.

Die Erkenntnis kommt später – in der letzten Phase auf dem Weg zur Erleuchtung. Rein hypothetisch: Würde man in die Lage versetzt, durch eine einfache Anweisung, nach dem Lesen einer kurzen Beschreibung, sofort das Satori zu erfahren, bestünde mit Sicherheit die Gefahr, dass man mit dem schlagartigen Erwachen, mit den derart unvorbereitet erlangten Erkenntnissen und Fähigkeiten, umgehend suizidgefährdet wäre. Loslassen bedeutet, auch vom Leben loslassen zu können; der Gedanke kommt.

Dieser Hinweis soll Sie davon abhalten, mal fix eines der späteren Kapitel vorzuziehen, um den Weg zur Erleuchtung abzukürzen. Das funktioniert nicht. Sie müssen erst die großen Zusammenhänge aller Faktoren erkennen, einen Prozess durchlaufen, und folglich das Buch von Anfang bis Ende lesen.

Ein Satori-Erlebnis und den Zustand der Erleuchtung kann man nicht ohne Weiteres in Worte fassen. Wenn Sie von Ihrem Satori-Erlebnis und Ihrem neu gewonnenen Wissen berichten, werden Ihre Freunde und Kollegen Sie vermutlich etwas verwundert betrachten. Vielleicht wird man Sie fragen, welche Art von Drogen Sie gerade genommen haben. Vielleicht vermutet man auch nur, dass Sie zu lange in der Sonne saßen.

Das einmal erfahrene Satori manifestiert sich aber nicht in einem dauerhaft anhaltenden Zustand. Es ist vielmehr eine Option, auf die Sie jederzeit zugreifen können.

Nach dem einmal erlebten Satori empfinde ich persönlich den Einfluss des Erleuchtet-Seins wie eine sinusartige Schwingung, die mein Empfinden für diesen Zustand regelmäßig abflachen lässt, und die ich nach eigenem Wunsch selbst auf einen Zustand maximaler Amplitude bewegen kann. Ich muss mich darauf nur kurz konzentrieren und habe dann die Auswirkungen des Satoris wieder präsent. Meditation z. B. ist eine Methode, in diesen Zustand zurückzuschwingen. Insbesondere wenn ich beginne, das bunte Prospektmaterial – die Beilagen in meiner Tageszeitung – intensiv zu studieren, damit liebäugle, mir vielleicht doch einen schnelleren Computer zu kaufen, obwohl ich keinen schnelleren zum Schreiben meiner Texte brauche, oder an dem so preisgünstig wirkenden Backformen-Sortiment Gefallen finde, mit dem ich jedoch nicht mehr oder besser als mit meinen alten Formen backen kann. Oder ich beginne, mich über dies oder das zu ärgern; oder lästere mit einem Freund über einen dritten; oder überlege, bei einem geschäftlichen Transfer mir durch meine Erfahrung, mein besseres Wissen, oder gar mit einer List, einen zusätzlichen Vorteil zu verschaffen, und sei er noch so klein. Dann ist es Zeit, mich in einer Meditationssitzung der Erleuchtung zu erinnern und mir ein paar Gedanken über Tugenden und Moral zu machen – einem Themenbereich, dem ich an späterer Stelle noch Raum geben werde. Auch Sie können sich, an diesem Punkt einmal angelangt, dann jederzeit eines Besseren besinnen.

Das Satori-Erlebnis birgt aber auch eine Gefahr. Der hier beschriebene Erleuchtungszustand beinhaltet die Fähigkeit, ohne jegliche Anhaftung zu sein, also von allem loslassen zu können. Durch den Verlust der Ängste einerseits, durch die gewonnenen Erkenntnisse über die ultimative Wahrheit, den Sinn des Lebens anderseits, wären Sie – derart erleuchtet – in der Lage, vom Rand einer Klippe zu springen. Sie wären dann in der Lage, innerhalb von Sekunden tatsächlich von allem loszulassen – sogar von Ihrem Leben. Das wird Ihnen bei einer Satori-Erfahrung und im Anschluss daran auch später regelmäßig bewusst sein, insbesondere wenn Sie den wahren Sinn des Lebens erkannt haben und sich Ihrer eigenen Position in diesem Gefüge bewusst geworden sind. Da das eine echte Gefahr für Ihr Leben sein kann, müssen Sie schon vorab lernen, nach einem Satori-Erlebnis mit der neu gewonnenen Erfahrung und Lebensanschauung intelligent und weise umzugehen. Tun Sie das nicht, wird einiges in Ihrem Leben schieflaufen und Sie werden nur kurze Zeit Freude an Ihrem neu gewonnenen Zustand haben.

Vor Jahren las ich in einer Tageszeitung einen Artikel über einen Mönch, der ganz allein einem kleinen Kloster vorstand. Nachdem er eines Tages in seinem Kloster wohl das Satori-Erlebnis hatte und sich fortan erleuchtet fühlte, betrank er sich tagelang völlig hemmungslos, ging seiner Arbeit nicht mehr nach und ließ alles verwahrlosen. Der weiblichen Reinigungskraft, die regelmäßig zum Putzen ins Kloster kam, machte er unmissverständlich eindeutige Angebote und warf regelmäßig Besucher des Klosters einfach hinaus. Dies verstand er wohl unter frei sein, von allem loslassen können, unter Glücklich- und Zufriedensein. Er geriet völlig außer Kontrolle und wurde seines Amtes enthoben.

Damit Vergleichbares nicht geschieht, müssen gleich am Anfang des Weges, bevor man sich auf den Pfad der Erleuchtung begibt, ein paar Grundvoraussetzungen erfüllt sein, mit denen ich Sie nun vertraut machen möchte.

Buddhismus für Anfänger, Fortgeschrittene und Gottverlassene

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