Читать книгу Buddhismus für Anfänger, Fortgeschrittene und Gottverlassene - Andreas D. Werner - Страница 13
ОглавлениеGrundvoraussetzungen
Die grundlegenden Fähigkeiten
Jeder – ohne Ausnahme – der sich mit der buddhistischen Lehre Erfolg bringend beschäftigen möchte, wer Buddhismus begreifen und sich auf das Gedankenkonstrukt und die Art zu denken einlassen will, muss sich der buddhistischen Grundgedanken bewusst werden, muss sich bewusst werden, was der historische Buddha den Menschen vermitteln wollte und muss sich dementsprechend einige Fähigkeiten aneignen.
Zu diesen Fähigkeiten zählen:
1 Sammlungsfähigkeit - Die Fähigkeit zur Konzentration und Sammlung. Sie müssen meditieren können.
2 Tugend und Moral - Sie müssen über gewisse Tugenden und über eine buddhistisch orientierte Moral verfügen und
3 Wissen und Weisheit - Sie brauchen Weisheit, gepaart mit Wissen.
Diese drei grundlegenden Fähigkeiten werde ich Ihnen später in Verbindung mit den Vier edlen Wahrheiten noch ausführlicher erläutern. Sie sollen Sie davor bewahren, trotz oder gerade wegen des Satori-Erlebnisses vom Weg abzukommen.
Bodhisattva
Diejenigen, die begriffen haben, was den Buddhismus ausmacht, und die folglich die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden haben, leben meist sehr zurückgezogen, sehr bescheiden und drängen sich mit ihrem Wissen niemandem auf. Sie verhalten sich, als wären sie unsichtbar. Sie schreiben in der Regel keine Bücher und geben keine Kurse. Und sie missionieren nicht. Das ist eine Konsequenz, die sich unter anderem aus der Erleuchtungserfahrung und der fortgeschrittenen, buddhistisch geprägten Kultivierung des Geistes einstellt. Nur die spirituellen Meister und buddhistischen Autoritäten, die Erleuchtung erfahren haben, und gewollt eine Sonderrolle als Bodhisattva einnehmen wollen, dürfen davon abweichen. Bei einem Bodhisattva ist jeglicher karmische Impuls, der zu einer Reinkarnation führen könnte, erloschen – ein Zustand, den ich im Kapitel Reinkarnation noch ausführlich erläutern werde. Ein Gelübde erlaubt ihnen, die buddhistische Lehre zu verbreiten, so wie Buddha es auch schon tat, und es erlaubt ihnen, anderen Lebewesen aufzuzeigen, wie sie Leid vermeiden und glücklich und zufrieden leben können.
Am Anbeginn des Weges
Jetzt sind Sie schon ganz tief eingetaucht in das Hauptthema: Ganz beiläufig haben wir erläutert, was man unter einem Erleuchteten versteht, was man sich unter dem Satori, der Erleuchtung, vorstellen kann, und dass es verschiedene Schultraditionen gibt, die auf ganz unterschiedlichen Wegen zur Erleuchtung führen. Wir kennen nun den Begriff des Suchenden. Zu diesen Suchenden möchte ich Sie nun dazuzählen. Und wir wissen von den mannigfachen Wegen, die den Suchenden ans besagte Ziel bringen können. Am Anfang des Weges haben Sie nun ein Mindestmaß an Grundwissen, um sich auf den Weg zu machen.
Abseits des Weges
So wie man bei einer Flussfahrt mit einem Boot immer bemüht sein wird, sich in der Mitte des Flusses zu bewegen, so sollte man sich sinnbildlich auch auf dem Weg zur Erleuchtung tunlichst in der Mitte des Weges bewegen.
Die Bilder einer Flussfahrt oder der Beschreitung eines Weges sollen helfen, Gefahren, die am Wegesrand auf uns lauern und die uns von unserem Weg zur Erleuchtung abbringen könnten, als solche besser zu erkennen. Bei einer Fahrt auf einem reißenden Fluss sollte man mit seinem Boot dem steinigen, schroffen Ufer nicht zu nahekommen. Gefahren abseits des Weges können zum Beispiel Versuchungen jeglicher Art sein, unnachgiebiges Festhalten an Vorstellungen, ein falsches Verständnis vom Glücklich- und Zufriedensein.
Buddhas Erkenntnis während seiner Erleuchtung war, dass das Leid nicht nur von offensichtlichen Schicksalsschlägen oder negativen Umständen wie Tod, Krankheit, Armut, Trennung und Verlust verursacht wird. Oberflächlich betrachtet liegt es zwar auf der Hand, dass wir uns bei den vorgenannten widrigen Begebenheiten den schmerzhaften Gefühlen hingeben und diese widrigen Begebenheiten als Ursache unseres Leidens sehen. Buddha erkannte aber, dass auch daraus Leid für uns entstehen kann, wenn wir dem Vergnügen frönen, uns Ausschweifungen hingeben und sprichwörtlich im Glück schwelgen. Dieser Umstand ist nicht sofort ersichtlich. Der Volksmund kennt das Sprichwort: „Geld allein macht nicht glücklich.“ Wer kennt aus seinem eigenen Umfeld nicht selbst Menschen, die trotz Reichtum, Wohlstand, Einfluss und Macht nicht glücklich sind.
Buddha erkannte: Das Leid entsteht in uns.
Das bedeutet, dass wir selbst das Leid verursachen, und es nicht vordringlich durch äußere Umstände, durch die besagten Schicksalsschläge begründet ist.
Das Leid entsteht einerseits durch Gefühlsregungen wie Hass, Neid, Eifersucht, Zwietracht, aber auch durch die negativen körperlichen Auswirkungen exzessiven Schwelgens und übermäßigen Vergnügens, oder durch Verlustängste, wenn uns Glück und Zufriedenheit, Wohlstand, Ehre und Ruhm zuteilwird und wir nichts von dem verlieren wollen.
Das „sich im Vergnügen gehenlassen“ wird symbolisiert von dem einen Ufer bzw. dem einen Wegesrand. Das „sich in schmerzhaften Gefühlen gehenlassen“ wird von dem anderen Ufer bzw. Wegesrand symbolisiert.
Sie sollten sich weder auf der einen Seite festfahren noch auf der anderen hängenbleiben. Sie sollten weder dem Vergnügen frönen noch sich schmerzhaften Gefühlen hingeben. Bleiben Sie im Geiste stets in der Mitte des Weges, in gehörigem Abstand zu beiden Extremen. Streben Sie im Geiste eine Harmonie zwischen den beiden Extremen an.
Nie werden wir immer nur die Mitte beschreiten können, denn durch die äußeren Reize und Lebenseinflüsse und unsere eigenen Gedanken werden wir immer von einer Seite zur anderen schwanken und ab und an werden wir auch hängen bleiben. Auch ein Buddhawesen, ein Erleuchteter, kann sich nicht ständig in der Mitte des Weges bewegen, vermag nicht permanent in absoluter Harmonie zu verharren. Unsere Gedanken geraten schnell in Schwingungen, sind unglaublich aktiv und neigen auch zu Extremen, insbesondere wenn sie von äußeren Reizen kräftig genug angestoßen werden.
Neben dem „Gehenlassen im Vergnügen“ einerseits und dem „Gehenlassen in schmerzhaften Gefühlen“ anderseits kann uns auch unser eigenes Zweifeln, unser kritisches Hinterfragen vom Weg abbringen oder uns im Fortkommen ausbremsen. Ich habe so manches Mal ganz erhebliche Zweifel beim Studium buddhistischer Texte und Lehrsätze bekommen, habe so manches vermeintlich buddhistische Buch als fahrlässige Irreführung angesehen und als überflüssig aus meinem Bücherregal verbannt.
Wir brauchen hier und da aufkommende Zweifel nicht scheuen. Zweifel sind erlaubt. Zweifel können sogar zum richtigen Verständnis buddhistischer Weltanschauung beitragen. Mit jedem Zweifel, den Sie nach buddhistischen Kriterien verständlich auflösen, erhöht sich auch Ihre innere Harmonie und Ausgeglichenheit, Ihr Wissen und Ihre Weisheit.
Der Weg als Prozess
Ich werde Ihnen einen Weg zur Erleuchtung vorstellen, der für Sie einen ganz wesentlichen Vorteil aufweist: Sie werden sich mit jedem einzelnen Kapitel, mit jeder Übung, mit jedem noch so kleinen Zugewinn an Erkenntnis, Weisheit und Einsicht von Anfang an besser fühlen. Sehen Sie es wie ein großes Puzzlespiel. Jedes passende Puzzleteil, das Sie entdecken, wird sich an das vorangegangene anreihen und Ihnen helfen, ein Stück glücklicher und zufriedener leben zu können.
Wir werden uns gemeinsam auf den Weg zum ultimativen Ziel, der Erleuchtung, begeben. Aber gleich zu Beginn unseres Weges werden wir vereinbaren, dort nicht ankommen zu müssen. Das Ziel soll nicht das ultimative Ziel sein, sondern der gemeinsame Weg in die richtige Richtung.
Die Bildnisse einer Flussfahrt oder die Beschreibung eines Weges verstehen Sie bitte als Metapher. Wir bewegen uns im Geiste.
Weg und Fluss, Anfang und Ziel, liegen nicht außerhalb von uns. Folglich sind auch die Hindernisse nicht außerhalb von uns. Der Weg führt in uns hinein. Der Impuls für den Aufbruch und das Ankommen liegt in uns. Der Prozess zur Erleuchtung findet in uns selbst statt. Außerhalb finden wir die Orientierungshilfe, die Gehhilfen für den Geist, die Hinweise auf die Puzzleteile, die wir für das Erkennen und Verstehen des Gesamtbildes, für das Erkennen und Verstehen aller Phänomene benötigen.
Es wird Ihnen ungemein helfen, wenn Sie sich einem Puzzlestein nach dem anderen widmen, den Sinn jedes einzelnen erkennen und ihn verinnerlichen. Ihr Unterbewusstsein wird die Puzzleteile nach und nach selbst zu einem erkennbaren Bild zusammensetzen. Wie bei einem echten Bilderpuzzle wird sich Ihnen mit fortschreitender Zeit, ab einer bestimmten Anzahl zusammengefügter Puzzleteile, das Gesamtbild: die Wahrheit über den Sinn des Lebens und schlussendlich die Erleuchtung offenbaren.
Wie bei einem echten Bilderpuzzle sind manche Menschen in der Lage, schon nach gut der Hälfte der zusammengesetzten Puzzleteile das Gesamtbild zu erkennen. Andere müssen dafür auch noch das letzte Teil an die passende Stelle legen und benötigen vielleicht auch dann noch eine ganze Weile, bis sie es erkennen, weil von ihrem Standpunkt aus betrachtet, zu vieles noch allzu undeutlich aussieht.
Erleuchtung kann man nicht erzwingen. Es ist ein Prozess, der reifen muss, der seine Zeit braucht. Erleuchtung erfahren Sie eines Tages unvorhergesehen. Also lassen Sie sich für diesen Weg Zeit. Allzu groß wäre sonst die Gefahr, dass Sie über die letzte Wahrheit, über den wahren Sinn des Lebens so erschrocken sind, dass sie das Puzzle, die neu gewonnene Erkenntnis, mit einer Handbewegung auseinanderfegen und von alldem nichts mehr wissen wollen, weil die Erleuchtung, das Satori, ganz gravierend von Ihren bisherigen Vorstellungen abweichen wird.
Wenn Sie den letzten Schritt auf dem Weg zur Erleuchtung nicht machen, gleich ob aus eigenem Unvermögen, einem Nicht-Verstehen oder aus Unbehagen vor den erkannten Folgen und den sich daraus anbahnenden Veränderungen in Ihrem Leben, dann ist das nicht weiter nachteilig für Sie, denn all die anderen positiven Einflüsse auf Ihr Leben bleiben Ihnen lebenslang erhalten. Sie werden viel glücklicher und zufriedener sein als je zuvor – auch ohne den letzten Schritt zum Satori gemacht zu haben.