Читать книгу Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera - Andreas Loos Hermann - Страница 11

Kapitel 7

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Der Konferenztag war sehr stressig gewesen. Das erste Mal hatte Vera den ganzen Tag nur Englisch gesprochen. Die Vorträge waren sterbenslangweilig gewesen, aber in den Pausen hatte sie einige nette Leute kennen gelernt. Viele der Teilnehmer kannten sich schon von früheren Konferenzen. Vera war mit einer Gruppe von Juristen bekannt geworden, die vereinbart hatten, am Abend gut essen zu gehen. Die Belgische Küche war schließlich berühmt. Vera war allen sehr willkommen gewesen, da es außer ihr nur noch eine Frau Mitte fünfzig in dieser Gruppe gab.

Sie hatten vereinbart, sich um acht Uhr am Grand Place, dem Hauptplatz von Brüssel mit den kunstvollen Fassaden aus dem sechzehnten Jahrhundert und dem Rathaus mit dem hohen Turm, zu treffen. Vera hatte sich umgezogen und das Businesskostüm mit Rock gegen einen flotten Zweiteiler mit Hose getauscht. Sie wollte den Abend auch nicht all zu lange ausdehnen, denn das war ja jetzt Berufsleben und nicht Freizeit. Sie wollte sich ihre Kräfte für die kommenden Tage noch aufsparen und wollte sich daher am ersten Abend nicht gleich endlos in irgendwelchen Lokalen herumtreiben.

Es war schon dämmrig und recht kühl. Nur wenige Leute eilten über den Platz. Der Nordwestwind jagte immer wieder eine Bö durch die engen Gassen der Altstadt, so dass Vera fröstelte. Sie war vom Gare du Nord mit der U-Bahn ins Hilton gefahren, hatte sich geduscht und umgezogen und überlegt, wie sie auf den Hauptplatz käme. Schließlich hatte sie doch ein Taxi nehmen müssen, da direkt zum Grand Place keine U-Bahn führt.

Dadurch war sie jetzt einige Minuten zu früh und musste auf die anderen warten, Sie beschloss, den großen Platz zu umrunden um sich die eine oder andere Auslage anzusehen, von denen es in den Arkadengängen mehr als genug gab. Es machte einen besseren Eindruck, wenn die anderen zuerst da waren. In einer der Arkaden war Juwelier auf Juwelier gereiht. Es gab zwar nur die Sicherheitskollektion für die Abendauslage zu sehen, aber Vera gefiel trotzdem so manches Stück. So stand sie vor einer besonders schön dekorierten Auslage eines Juweliers, der einem alten Gewölbe untergebracht war, das tief in das Haus hineinreichte.

Ihre Gedanken schweiften zu Michael ab. Sie hatte versucht, ihn vom Hotel aus anzurufen, es war aber niemand daheim gewesen. Was er wohl jetzt gerade tat. Ob er sie schon vermisste. Sie ihn jedenfalls nicht sehr, wie sie sich eingestehen musste. Ob er wirklich der Richtige war, fürs ganze Leben. Vera war sich da nicht sicher und das konnte doch wohl nur bedeuten, dass er es nicht war. Oder sah sie die ganze Angelegenheit falsch. Wer weiß, ob sie noch viele Gelegenheiten haben würde, in ihrem Leben jemanden kennen zulernen. Vielleicht sollte sie Michael ganz einfach heiraten, denn als Single wollte sie wirklich nicht enden. Aber nur heiraten, um nicht als Single zu enden, dass war doch wohl Unsinn. Michael hatte auch noch keinerlei Andeutungen über eine zukünftige Ehe gemacht und Vera konnte sich das bei ihm auch nicht recht vorstellen. Im Bett verstanden sie sich recht gut, aber irgendwie war alles ein wenig oberflächlich. Sie wusste nicht, woran es lag, an Michael oder an ihr.

„Noch jemand, der schon da ist, schön Sie zu sehen“, unterbrach eine Stimme von hinten ihre Gedanken. Vera fuhr herum. Hinter ihr stand Dr. Bauer aus Hamburg. „Wie hatte er mich bloß von hinten in anderer Kleidung sofort erkannt“, dachte Vera verwundert. Irgendwie wirkte Dr. Bauer auf Vera Vertrauen erweckend, obwohl sie diese kühlen Nordländer eigentlich nicht so recht mochte. Sie sah ihn an. Groß gewachsen und ein helles freundliches Gesicht mit lustigen blitzblauen Augen darin. Der blonde Haarschopf eines Norddeutschen kräuselte sich in seinem Nacken. Daran war wohl der Wind schuld, der an diesem Abend keine Frisur unversehrt lassen konnte. Dr. Bauer arbeitete im gleichen Konzern wie Vera und war Leiter der Hamburger Niederlassung.

„Wie haben Sie mich hier in den Arkaden gesehen?“, fragte Vera erstaunt. „Sie fallen eben auf“, entgegnete er lächelnd.

Der Abend könnte ja noch interessant werden, dachte Vera bei sich. So standen sie unter den Arkaden vor der Auslage und unterhielten sich recht angeregt. Vera kam gar nicht in den Sinn, dass die anderen Teilnehmer des Abendessens sie hier nicht sehen konnten, da die Arkaden sie verdeckten.

Dr. Bauer fragte, wie es ihr denn im Konzern gefiele, denn manche Kontakte mit USA laufen wohl nicht so ganz, wie es sein sollte. Vera hielt sich mit Kritik zurück und entgegnete, was er denn gegen den Konzern habe.

Dr. Bauer lachte und sagt:“ Ich will nicht über den Konzern herziehen, aber ein wenig verstaubt ist das schon alles, finden Sie nicht, das kann doch nicht Ihr Stil sein.“

Vera verneinte brav und fragte, wie lange er schon im Konzern sei. „Nicht lange“, kam als Antwort, „keine zwei Jahre“. Vera war überrascht, sie hatte wesentlich länger vermutet. „Und da schon Leiter einer Niederlassung“, entfuhr es ihr.

Vera schätzte Dr. Bauer auf keine fünfunddreißig. „Keine schlechte Karriere“, meinte sie leicht spöttisch, allerdings insgeheim bewundernd.

„Sehen Sie, das ist es ja gerade, mir fehlt die Liebe zur Firma, ich bin nicht darin aufgewachsen und habe mich nicht jahrzehntelang nach oben gedient.“ „Ich sollte das ja gar nicht sagen, aber unsere Familie hat sehr gute Kontakte, und da konnte ich das leider nicht verhindern“, gestand er. Vera widersprach: „Heutzutage sollte doch wohl mehr die eigene Leistung zählen, nicht die der Ahnen“.

„Leistung muss jeder im Konzern bringen, aber Beziehungen sind wichtig für das Geschäft“, versucht Dr. Bauer vom Thema abzulenken, da er vor Vera nicht als Protektionskind dastehen wollte.

„Ah, Ihre Familie hat Ihnen den Job verschafft“, grinste Vera und musste plötzlich an ihren Vater denken.

„Das stimmt so nicht, aber Sie haben recht, ich habe mich im Leben nie allzu sehr anstrengen müssen und das finde ich heute schade. Früher hat es mir gefallen, wenn ich mir jetzt aber sie anschaue, als jüngste Konferenzteilnehmerin. Ihnen hat sicher niemand den Job hier verschafft.“

„Da haben Sie recht, Frau muss besser sein als die Männer, aber Sie sind der erste Mann, den ich kennen lerne, der das zugibt.“

„Ich gebe grundsätzlich nichts zu“, widersprach er, „aber wenn eine attraktive Frau etwas sagt, so muss Mann doch höflich sein. Aber langsam sollten wir zu den Kollegen gehen, denn ich glaube, wir sind schon die letzten und alle warten auf uns.“

Dieser Dr. Bauer brachte Vera irgendwie aus dem Konzept, obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte. Irgendetwas war mit ihm, dass sie nicht richtig einordnen konnte, sie aber seltsam anzog.

Die anderen hatten sich inzwischen in der Mitte des Platzes gesammelt. Es waren acht oder neun Leute. Als Vera und Dr. Bauer schließlich hinzu stießen, stellten sie fest, dass bereits alle auf sie gewartet hatten. Dr. Bauer überspielte die anzüglichen Bemerkungen von Svensten, dem schwedischen Kollegen, über die traute Zweisamkeit und schlug ein Lokal vor, wo es keine Touristen gäbe und nur Einheimische wären. Bauer kannte sich in Brüssel gut aus, er war schon oft hier ewesen. Aus Belgien war niemand anwesend, der hätte widersprechen können.

So zog die Gruppe zu Fuß durch die Altstadt. Sie kamen durch enge Gässchen, in denen sich viele kleine Restaurants aneinanderreihten. Trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit hatten alle noch Tische im Freien stehen. Alle hatten ihre Portale weit geöffnet und die fangfrischen auf Eis gelegten Fischspezialitäten ausgelegt. Es gab Mengen von Hummern, Krebsen und alle möglichen Arten von Fischen, die heute vor der Küste gefangen worden waren. Die Tische waren noch recht leer, nur vereinzelt waren Touristenpärchen oder kleinere Grüppchen an den Tischen zu sehen.

Dr. Bauer ging zielstrebig weiter. „Jetzt ist keine Saison mehr und das ist nur für die gewöhnlichen Touristen“, meinte er. Es gäbe bessere Restaurants, als hier. Dort, wo hauptsächlich die Einheimischen und die EG- Diplomaten verkehren, sei die Küche viel besser.

So verließen sie dieses Viertel und überquerten den Börseplatz und den Boulevard Lemonnier.

„So, da wären wir“, ließ Dr. Bauer verlauten. Sie waren am Baaskeenkaai angekommen und linker Hand gab es eine ganze Zeile kleiner Restaurants, die allesamt sehr einladend aussahen und für ihre Fischspezialitäten berühmt waren. Der Baaskeenkaai war einmal ein großer Marktplatz gewesen, wo in der Mitte ein Kanal durchlief, der es den Fischern ermöglichte, ihre Ware vom großen Kanal Charleroi direkt per Boot auf den Markt zu bringen. Heute führte an Stelle des Kanals die U-Bahn unter dem Platz durch.

Sie wählten nach einigem Hin und Her eines der Lokale aus, wo sie alle an einem der großen Tische Platz fanden. Vera saß ganz am Ende des Tisches, neben einem älteren Herrn aus Dänemark und neben Dr. Bauer, der an der Schmalseite Platz genommen hatte. Die anderen Teilnehmer murrten ein wenig, da sie Vera gerne in ihre Mitte genommen hätten, so aber mussten sie mit Frau Dr. Solvana, der älteren Italienerin vorliebnehmen, die sich in die Mitte gesetzt hatte und das Wort angab.

Aber die Probleme mit der Sitzordnung waren bald vergessen, da sich jeder intensiv der umfangreichen Speisekarte widmete. Weil niemand in der Gruppe, Vera und Dr. Bauer ausgenommen, gut französisch konnte, war dies kein einfaches Unterfangen, da allein die Weinkarte mehr als fünfzehn Seiten umfasste.

Schließlich waren alle Bestellungen mit viel Rückfragen unter Dach und Fach. Die Hors d´ oeuvres wurden serviert. Kleine Schnecken, die mit Stecknadeln aus ihren winzigen Gehäusen geholt werden mussten. Dazu gab es das übliche Weißbrot mit gesalzener Butter.

Die Stimmung am Tisch taute rasch auf, als die ersten Flaschen des exquisiten französischen Rotweines kredenzt wurden. Das laute Lachen von Dr. Solvana war bald im ganzen Lokal zu hören. Dem belgischen Bier sprach nur Dr. Bauer zu, der meinte, hier gäbe es ganz vorzügliche Sorten, die sich sehr gut als Aperitif eignen würden. Er bestellte eines dieser hochprozentigen dunklen Biere aus der Brauerei eines Trappistenklosters.

Die Stimmen wurden rasch lauter und jeder gab Anekdoten zum Besten, so gut sich jeder in dem lauten Stimmengewirr einbringen konnte.

Bald kam das Essen und bei der Suppe wurde die Lautstärke sofort gedämpfter. Vera hatte sich auf Empfehlung eine belgische Fischsuppe einreden lassen, die ihr gar nicht schmeckte. Die Belgische Küche bestand aus der flamischen und der wallonischen Küche. Die beiden waren ziemlich gegensätzlich. Dr. Bauer hatte sich einen garnierten Wildschweinbraten bestellt, der wirklich verführerisch aussah. Vera hatte sich für einen gespickten Fasan entschieden. Beides klassische Vertreter der flämischen Linie. Die Kollegen nahmen lieber die wallonische Linie näher in Augenschein. Da gab es gegrillte Brasse, Schellfisch oder Lachs in den verschiedensten Zubereitungsarten.

Nach dem Essen wurde noch kräftig dem Rotwein zugesprochen. Auch Dr. Bauer war nun auf den Rotwein umgestiegen. Zuviel von den belgischen Spezialbieren wollte er sich offensichtlich nicht zumuten. Die Unterhaltung hatte sich in kleine Grüppchen zerfleddert, da zwar alle sehr eng um den Tisch saßen, aber jedes Grüppchen über ganz andere Themen sprach und niemand verstehen konnte, was am anderen Ende der Tafel gesprochen wurde, da das Lokal mittlerweile bis auf den letzten Platz gefüllt war. Vera hatte Mühe, Dr. Bauer zu verstehen, obwohl sie direkt neben ihm saß. So musste sie ihren Kopf zu seinem Ohr beugen und der Rotwein tat das seinige. Um die Sache einfacher zu machen, sprach sie mit Dr. Bauer jetzt deutsch, da die benachbarten Kollegen wieder einmal ein EG-Thema entdeckt hatten und sehr emotional über Vor- und Nachteile von irgendetwas diskutierten.

Bauer erzählte aus seinem Leben und von seiner Jugend, die ja noch nicht wirklich vorbei war, auch wenn er so tat, als sei er eigentlich schon uralt. Er war schließlich erst fünfunddreißig. Vera gab auch einige ihrer Erlebnisse aus ihrer intensiven Partyzeit zum Besten. Sie hielt ihn inzwischen für recht sympathisch, konnte sich aber nicht vorstellen, sich womöglich gar in ihn zu verlieben.

Bauer erwies sich als passionierter Segler, der die Ostsee und die Nordsee wie seine Westentasche kannte. Er erzählte Vera von den wilden Stürmen, die im Herbst über die Nordsee fegten und das Segeln zu einem richtigen Abenteuer machten. Bei den kurzen, harten Wogen, die über das Deck der Yacht brachen und dem Skipper die ganze Geschicklichkeit abverlangten, das Boot auf Kurs zu halten, war es oft unmöglich gewesen unter Deck eine warme Mahlzeit zu kochen, da das Boot zu hart im Wind lag.

Vera wäre gerne einmal bei so einem Sturm dabei gewesen, denn sie kannte vom Segeln nur den Neusiedler See, und dort hatte es immer nur Flirts und niemals Segelabenteuer gegeben. Dieser Dr. Bauer konnte so interessant erzählen, schade dass er ein Norddeutscher war, dachte Vera nach einem weiteren Glas Rotwein.

Vera wollte ja eigentlich zeitig ins Bett und den Abend nicht allzu lange ausdehnen. Die anderen Konferenzteilnehmer am Tisch waren alle nicht mehr sehr nüchtern und in mitunter recht laut geführte Diskussionen verstrickt. Es sah nicht so aus, als ob sie den Abend bald beenden würden. Vera verstand von diesem Englisch fast nichts mehr und hatte auch keine Lust, sich in irgendeiner Weise daran zu beteiligen. Sie wollte ins Hotel zurück, da es bereits nach elf Uhr war. Sie sagte zu Dr. Bauer, dass sie nun aufbrechen wolle, weil sie schon recht müde sei. Dr. Bauer fragte, ob er sie ein Stück begleiten dürfe, da die U-Bahnen um diese Zeit nicht sehr zuverlässig seien und sie besser ein Taxi nehmen sollten. Das war Vera nicht unangenehm, da ihr nächtens allein in einer fremden Stadt nie sehr wohl war.

So brachen sie gemeinsam auf. Svensten unterließ seine anzüglichen Bemerkungen, da ihm ihr Aufbruch entgangen war, obwohl er jetzt eigentlich allen Grund gehabt hätte, eine kräftige Meldung von Stapel zu lassen.

Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera

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