Читать книгу Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera - Andreas Loos Hermann - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеDas war mit zweiundzwanzig gewesen, als sie Andi das erste Mal getroffen hatte. Der sah total toll aus und studierte ebenfall Jus.
Sie hatte sich von Julia, ihrer besten Freundin, alle Informationen über Andi besorgt und setzte alles daran, dass er sich in sie verliebte, denn sie fand, der müsse es sein. Sie warf ihm Blicke zu, die jeden Mann überzeugt hätten, doch Andi schienen solche Dinge völlig kalt zu lassen. Ja, sie hatte sogar den Eindruck, dass er sich ein wenig vor ihr zurückzog. In der Mensa wich er ihr aus und als sie sich auf einer dieser wilden Partys bei Tanzen eng an ihn kuschelte und ihn küssen wollte, erwiderte er einfach ihren Kuss nicht und küsste sie so, wie der Opa seine Enkeltochter als kleines Mädchen küsst.
Daraufhin war Andi bei Vera unten durch. Sie verkündete überall, dass er schwul sein müsse. Mit solchen Leuten wollte sie nichts zu tun haben.
Wenn dann nicht dieser Abend gewesen wäre. Claudia, eine ihrer vielen Freundinnen, war auf eine Party eingeladen und nahm sie mit, da, sie dort außer dem Gastgeber niemand kannte. Und dann musste Vera frustriert feststellen, dass sie auf ein Heavy Metall Event geraten waren, statt auf eine Schickeria Party. Jede Menge verwegen aussehende unrasierte langhaarige Rocker in ihrer schmutzigen Lederkluft, die Girls in der damals aufkommenden Punkermode mit Sicherheitsnadel und Rasierklingen bestückt. Und mitten drinnen Vera mit schicken Fummel, der so gar nicht her passte. Als dann noch so ein Rocker anfing, sie auf eine Art und Weise anzumachen, die sie bisher noch nicht kennen gelernt hatte, dachte sie nur noch an Flucht. Der Rocker wollte sie doch gleich im Nebenzimmer vögeln, was bei Vera Panik auslöste, und sie gleich an eine Vergewaltigung denken ließ.
Wie hatte sie nur als Mädchen aus besserem Hause in solche Kreise geraten können. Tom, der Gastgeber war in dem Gedränge nirgendwo zu sehen und Claudia fand anscheinend Gefallen an den Rockertypen, da sie mit einem solchen eng in eine Ecke gedrückt stand.
Vera hatte dem Typ gesagt, zuerst solle er noch etwas Scharfes zu trinken besorgen, dann ginge sie mit ihm ins Hinterzimmer. Und das war ihre Gelegenheit zum Abhauen, aber sofort und gleich, bevor der Rocker wiederkam.
Und dann stieß sie an der Ausgangstür mit Andi zusammen.
„Hallo, schön, dich hier zu sehen, begann er sofort und diesmal hielt er ihren Oberarm fest, so dass sie nicht gleich davonlaufen konnte.
Eigentlich war sie mit Andi ja fertig, aber gegen den Rocker war Andi harmlos. Er konnte sie hier sicher hinausbringen.
„Schreckliche Party“, rief sie aus, „gehst du auch schon weg, von diesem Ort des Grauens.“
Andi lächelte und sagte einfach: „Komm´ mit, gehen wir woanders noch auf einen Drink.“
Das wollte Vera eigentlich nicht, nur weg von dieser Party. Aber besser, sie war erst einmal von den Rockern weg.
Andi ging mit ihr in ein kleines verstecktes Lokal in der Innenstadt von Wien. Vera hatte sich zwar zuerst gesträubt, da sie vorgab, nach Hause zu wollen. In Wirklichkeit wollte sie mit Andi nirgendwohin gehen.
Doch dann an der Theke, in diesem kleinen engen Pub, wo sie sehr dicht aneinander stehen mussten, wenn sie sich unterhalten wollten, da es sehr voll war, fragte er sie so ganz nebenbei, warum sie denn immer vor jeder Beziehung davonlaufe. „Wovor hast du denn eigentlich solche Angst“, fragte er sie, „die Liebe ist doch etwas Schönes und kein Grund zur Panik.“
Sie wusste nicht, was sie entgegnen sollte, denn sie dachte nur: „Woher kennt er mich so genau, dass kann er doch nicht wissen, keiner weiß, wovor ich mich ängstige.“
Sie sahen sich in die Augen und da kam es ihr so vor, als wenn sie sich schon lange kennen würden. Ihre schroffe und unfreundliche Antwort, die sie ihm schon geben wollte, erstarb unter seinem Blick auf ihren Lippen und es war das erste Mal, dass sie richtig verlegen wurde. Sie konnte ihn nur ansehen und sagte ganz leise: „Wenn ich wüsste, warum ich immer weglaufe, aber ich weiß es selbst nicht.“
An diesem Abend diskutierten sie noch lange, denn auf einmal merkte Vera, dass sie Andi völlig falsch eingeschätzt hatte und er jemand war, der die Dinge im Leben ernst nahm und der nicht leichtfertig eine Beziehung eingehen wollte. Andi war jemand, der wusste, was er wollte. Er wollte Vera richtig kennen lernen. Das sagte er ihr und auf einmal wollte Vera auch Andi kennen lernen. Sie wollte mehr von ihm wissen und er wollte wissen, wie sie wirklich war.
Erst als das Pub um vier Uhr morgens Sperrstunde hatte, brachen sie auf. Andi brachte Vera mit seinem alten Auto nach Hause. Erst zum Abschied küssten sie sich ganz kurz und leise.
So hatte ihre Beziehung mit Andi begonnen. Bald war daraus eine echte Liebe geworden, dachte sie zumindest damals, am Anfang der Beziehung. In dieser Zeit kam ihr das bisherige Leben schal und öd vor. Sie liebte das erste Mal wirklich und Andi konnte ihr viele Dinge zeigen, an denen sie bisher blind vorüber gelaufen war: das Rauschen des Waldes an einsamen Lichtungen tief drinnen im Wienerwald, das Plätschern eines Baches im Waldviertel, wo Andis Eltern einen Bauernhof gekauft hatten, das Funkeln der Sterne in klaren waldviertler Nächten, wo einem der Atem gefror, das Herz aber überging, wenn die funkelnde Pracht der Milliarden Sterne und Galaxien über den Köpfen zum Greifen nahe erschien.
Jus war nur das Zweitstudium von Andi, eigentlich studierte er Raumplanung, denn sein eigentliches Interesse galt der Gestaltung alternativer Lebensräume. Jus interessierte ihn weniger, aber in Raumplanung war es oft schwer, gleich nach dem Studium einen Job zu bekommen. So war er besser abgesichert, meinte er.
Andis Familie lebte in Wien, hatte aber ihre Wurzeln im Waldviertel, in Waidhofen an der Thaya, wo auch seine Großeltern noch lebten. Der Vater von Andi hatte in der Nähe von Waidhofen einen alten, sehr verfallenen Bauernhof gekauft, der nun frisch renoviert manches Wochenende fern der Großstadt ermöglichte. Der Hof war groß und hatte schon lange Zeit leer gestanden. Sein Vater hatte ihn billig von der Gemeinde erworben, da die ursprünglichen Besitzer schon vor langer Zeit gestorben waren und niemand den Hof hatte haben wollen. Vera und Andi konnten sich, wenn sie wollten, dort in trauter und ungestörter Zweisamkeit zurückziehen. Die Eltern von Andi dachten da sehr liberal. Bei ihren eigenen Eltern hätte es das nicht gegeben, aber sie wussten eben nicht alles. Manchmal fühlte sie sich schon als richtige Schwiegertochter, wenn sie alle am großen Tisch in der gemütlichen weiträumigen Bauernstube saßen und zu Abend aßen. Andi, seine Eltern, Johanna, seine jüngere siebzehnjährige Schwester und Egon, sein kleiner Bruder, der Nachzügler mit zwölf Jahren. Oft waren Freunde der Familie dabei, die auch hier im hintersten Waldviertel ein Wochenendhaus hatten und einfach so vorbeischauten. Dias kannte Vera von zu Hause nicht, dort war immer alles streng geregelt, schwer und würdevoll gewesen. Wenn es eine Abendeinladung gab, hatte Vater vorher immer darauf hingewiesen, welch wichtige Leute kämen und wie wichtig es sei, den richtigen Eindruck zu machen. Vera hatte diese steifen und gespreizten Einladungen immer gehasst.
Dies kam ihr aber erst im Waldviertel so richtig zu Bewusstsein, denn jetzt begann sie, sich von ihrer Familie abzunabeln und endlich eigene Ansichten zu entwickeln. Ihr früheres Leben, wo sie nur Ausgehen und Partys im Kopf hatte, erschien ihr vom Waldviertel aus betrachtet sehr kindisch und unreif.
Sie besuchte sogar manchmal mit Andi gemeinsam die Sonntagsmesse in Waidhofen, obwohl der Pfarrer meistens eine schreckliche Predigt hinlegte, bei der sie sich das Lachen nur schwer verbeißen konnte. Doch die andächtig dreinschauenden in der Kirche machten einen gewissen Eindruck auf sie, auch wenn ihr Glaube an Gott in der Volksschule geendet hatte, und sie die Kirche als Traditionsverein ansah, der nur von der Vergangenheit und der Dummheit der Mitglieder lebte.
Sie war nie religiös gewesen, obwohl ihre Familie sehr katholisch war. Aber der Katholizismus ihres Vaters stieß sie ab. Für ihren Vater war der „liebe Gott“ ein gestrenger Mann, der im Himmel saß und auf der Erde für Ordnung sorgte. Ihr Vater hatte das Weltbild des Katholizismus verinnerlicht, welches die Habsburger jahrhunderte lang gelebt hatten, und das im zwanzigsten Jahrhundert einfach nur mehr fehl am Platz war. Diesem ach so allmächtigen Gott war es nicht gelungen, die Habsburger an der Macht zu halten, ja es war ihm auch nicht gelungen, Auschwitz und Hiroschima zu verhindern und das Schlimmste daran war, dass die Kirche nicht einmal überzeugend erklären konnte, warum Gott die Gräuel des Weltkrieges und den Tod Millionen Unschuldiger zugelassen hatte. So dachte Vera über diesen Gott und hatte ihn für sich schon längst ad acta gelegt.
Ihr Religionslehrer war noch schlimmer als ihr Vater, denn der war um die sechzig und geistig irgendwo im Mittelalter stehen geblieben. Er donnerte von Himmel, Hölle und Fegefeuer. Er machte sich damit in der Klasse zwar nur lächerlich, doch seinen Ansichten tat dies keinen Abbruch. So war es kein Wunder, dass bis zur Matura zwei Drittel der Klasse, Vera eingeschlossen, vom Religionsunterricht abgemeldet waren, da die neuen Gesetze damals das Abmelden erstmals erlaubten, und das gab in dem Klostergymnasium einen ziemlichen Skandal. Vera hatte dann später erfahren, dass der Religionslehrer nach ihrer achten Klasse pensioniert worden war.