Читать книгу Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera - Andreas Loos Hermann - Страница 5
Kapitel 1
ОглавлениеDie Maschine durchstieß die Wolkendecke. Eben war noch greller Sonnenschein durch das Kabinenfenster geschienen, nun wurde es von Minute zu Minute düsterer und dämmriger, während die Maschine rasch tiefer sank. Es war der Sonntag-Nachmittagflug von Wien nach Brüssel.
Vera war das erste Mal mit diesem Flug dienstlich unterwegs. Sie genoss das Service in der Businessklasse und lehnte sich entspannt in ihrem Sitz zurück. Sie hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein, denn sie hatte es beruflich geschafft.
Dr. Vera Zimmermann, wie sie mit vollem Namen hieß, war einunddreißig Jahre alt und seit kurzem Abteilungsleiterin der Rechtsabteilung ihrer Firma. Das war ein weltumspannender EDV Konzern. Vera arbeitete in der Wiener Niederlassung mit Aussicht auf eine internationale Karriere. Der erste Schritt dazu könnte diese Dienstreise nach Brüssel werden, dachte sie, als sie aus dem Kabinenfenster in die graue Nebelwand blickte.
Wenn sie auch nur im Entferntesten geahnt hätte, was in Brüssel auf sie zukommen würde, wäre sie in Wien niemals weggeflogen. Doch die Geschichte nahm unaufhaltsam ihren Lauf und Vera wusste von nichts.
Die Maschine durchstieß die Unterkante der Wolkendecke und die kleinen Häuschen der Brüsseler Vororte kamen in Sicht. Knapp hundert Meter unter Vera erstreckten sich endlose Reihenhaussiedlungen.
Da setzte die Maschine auch schon mit einem kräftigen Ruck auf. Niemand applaudierte, da nur Businessreisende an Bord waren, die den Sonntagsflug genommen hatten, um Montag Früh in Brüssel ihren Geschäften nachzugehen.
Der Flughafen war alt und verwinkelt. Vera war erstaunt, dass die Hauptstadt der Europäischen Gemeinschaft, wie das damals noch hieß, keinen schöneren Flughafen hatte.
Da stand sie nun in ihrem hellgrauen Businesskostüm mit dem etwas engen Rock, der ganz knapp oberhalb der Knie endete und wartete auf ihren Koffer. Nein, ihre Figur brauchte sie nicht zu verstecken. Sie wusste, dass sie sehr hübsch war, und das Kostüm brachte ihre schlanke Figur richtig zur Geltung. Bei ihr saßen die Rundungen genau dort, wo sie sitzen sollten und nicht dort, wo auch schon manche Frauen ihres Alters mit Pölsterchen zu kämpfen hatten. Ihre brünetten Haare trug sie schulterlang und für heue waren sie streng nach hinten frisiert und mit einer Haarspange zusammengehalten.
Meistens genoss sie es, wenn ihr ein Mann bewundernd hinterher sah. Nur hier im Ausland konnte Frau nie wissen, wozu sie einen Mann ermutigte, wenn Frau sich nicht entsprechend den Landessitten verhielt, weil sie diese nicht kannte. Sie wusste sehr wenig über Belgien, außer dass die EG-Institutionen hier ihren Sitz hatten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich das Förderband in Bewegung setzte, und anfing, die Koffer aus Wien auszuspucken. Es kam Koffer um Koffer, nur Veras Koffer war nicht dabei. Sie wollte gerade beginnen, sich Sorgen zu machen, als er über die Kante der Gepäckanlage kippte.
Zum Glück hatte ihr Koffer Räder, denn sie hatte für eine Woche Brüssel jede Menge Garderobe mit. Der Koffer war so schwer, dass sie ihn kaum heben konnte. Denn sie wusste, dass es etliche Abendeinladungen geben würde, wo sie interessante Leute aus dem amerikanischen Stammhaus oder aus den weltweit verstreuten Konzernniederlassungen kennen lernen könnte.
Die Eisenbahnverbindung ins Zentrum von Brüssel war alt und rumpelig. Vera hoffte nur, dass ihr Kostüm durch die vergammelten Sitze nicht allzu schmutzig werden würde, aber bis Brüssel Zentrum wollte sie auch nicht stehen. Langsam schaukelte der Zug vorwärts und Vera hing ihren Gedanken nach.
Vera war die Tochter eines wohlhabenden Wiener Anwalts, der eine der großen Anwaltskanzleien der Stadt sein Eigen nannte. Er beschäftigte 12 Topjuristen und mehr als dreißig Angestellte. Armut kannte Vera nicht. Ihre Eltern waren wohlhabend, wie sie selbst es ausdrückten. Andere hätten gesagt, reich. Aber ihrem Vater war es fremd, mit seinem Reichtum zu protzen, denn Geld hatte man eben, aber man sprach nicht darüber.
Seine Kinder waren da schon anders. Vera hatte es schon in der Schule gefallen, die neueste Mode vorzeigen zu können, die ihre Freundinnen neidisch machte. Die Familie wohnte im neunzehnten Bezirk, ganz nahe am Stadtrand in einer alten Villa. „In dieser noblen Gegend gebe es keine armen Menschen“, meinte Vera. Die Eltern ihrer Schulkolleginnen waren alle mehr als wohlhabend. Vera war in ein privat geführtes Klostergymnasium gegangen, eine der Wiener Nobelschulen, wo es nur Schüler gab, deren Eltern sich das hohe Schulgeld auch leisten konnten.
Die Clique, mit der sie zusammensteckte, kam sich sehr gut vor und wusste das Geld der Eltern hinter sich. Vera und ihre Freundinnen zogen von Party zu Party und genossen ihr Leben. In der Schule spielte sie immer das fromme höhere Töchterchen, aber bei den Partys flirtete sie mit allen Jungs, die ihr gefielen. Bei alledem hatte sie damals aber trotzdem keinen festen Freund. Ein bisschen Herumknutschen nach der Tanzschule, das war alles, was sich damals ergeben hatte.
Die Burschen fanden sie hinreißend und sie konnte jedem den Kopf verdrehen, aber sie wollte sich mit keinem wirklich einlassen.
Herbert, ihr Bruder, war mit siebzehn ihr großes Vorbild gewesen. Sie wollte so unabhängig sein, wie er. Heute war er nicht mehr ihr Vorbild. Er war sieben Jahre älter als Vera und hatte bis heute keine feste Beziehung zustande gebracht. Er wollte immer nur ein gut aussehendes Mädchen fürs Bett und zum Ausgehen. Aber nie für lange, denn bald langweilte er sich in einer Beziehung und ein Wechsel musste sein.
Vera hatte schon eine längere Beziehung hinter sich und war nun seit sechs Monaten mit Michael zusammen. Diese Beziehung war nicht das, was man allzu eng nennen konnte, denn sie sahen sich durchaus nicht jeden Abend. Es gab Zeiten, da sahen sie sich gerade zum Wochenende, da jeder so von seinem Beruf ausgefüllt war, dass für die Gemeinsamkeit keine Zeit mehr blieb.
Ihr Bruder war immer noch Single und seit drei Jahren alleiniger Leiter der Kanzlei des Vaters, seit sich dieser endgültig zur Ruhe gesetzt hatte. Partner waren in der Kanzlei immer vermieden worden und Herbert wollte auch niemanden neben sich haben, der ihn womöglich kontrollieren könnte. Er war ein Leichtfuß, der das Leben nicht ganz ernst nahm, was schlecht zu einem Juristen passte. Das könne sich einmal bitter rächen, dachte Vera öfters über ihren Bruder.
Ihr Vater hätte es lieber gehabt, wenn sie ihrem Bruder in der Kanzlei zur Hand gegangen wäre und die Kanzlei gemeinsam mit ihm geleitet hätte. Herbert traf oft sehr leichtfertig schwerwiegende Entscheidungen und dachte nicht genug an die Konsequenzen. Für die Leitung einer renommierten Rechtsanwaltskanzlei mit dreißig Mitarbeitern war das gefährlich. Trotzdem hatte ihr der Vater den Job im Computerkonzern nicht ausgeredet. Er dachte, sie solle einmal die Welt kennen lernen und später könne sie immer noch in die Kanzlei einsteigen.
Denn Vera wollte mit jungen und interessanten Menschen zu tun haben. Sie wollte ihre Fremdsprachenkenntnisse einsetzen können. Wozu sprach sie fließend Französisch, Englisch und ein wenig Spanisch. Die Klienten in der Kanzlei, die waren ihr alle viel zu alt und unmodern, wie sie ihrem Vater immer wieder vorgehalten hatte.