Читать книгу Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera - Andreas Loos Hermann - Страница 9

Kapitel 5

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Weshalb aber war die Beziehung schließlich schiefgelaufen, wo sie doch so großartig begonnen hatte. Sie wusste es nur zu gut, die meiste Zeit verdrängte sie es aber. Aber hier in Brüssel, allein im Hotelzimmer, da kam alles wieder hoch. Das war auch kein Wunder, denn ihre Karriere hatte sehr viel mit dem Scheitern der Beziehung zu tun.

In der ersten Zeit war alles Sonnenschein gewesen. Das waren einerseits die Augen der frisch Verliebten, die mit ihrer rosaroten Brille alles phantastisch finden. Da war aber auch noch ein Erkennen der Probleme anderer. Andi war jemand, der auch an andere Leute dachte. Sie hatte bis jetzt immer nur an sich selbst gedacht.

Vera fand, dass Andi sehr religiös war, denn er war von der Liebe Gottes überzeugt, so ganz anders als ihre Eltern oder ihr Religionsprofessor. Damals war die Kirche gerade dabei, sich ein wenig der Welt zu öffnen und zu modernisieren. Das zweite Vatikanische Konzil war noch nicht so lange her.

Andi sagte, er sei gar nicht so katholisch, aber die Kirche gäbe es schon seit Jahrtausenden, da müsse doch was dran sein, sonst wäre sie doch schon längst durch etwas Anderes ersetzt worden. In theologischen Diskussionen mit Andi zog Vera immer den Kürzeren, da es ihr schlicht an Wissen fehlte.

Ihre Freundinnen hatten in dieser Zeit über Vera eine Menge zum Tratschen. Sie fanden es sehr merkwürdig, dass sie es nun vorzog, ganze Wochenenden im Waldviertel zu verbringen, statt mit ihnen die Szene in Wien unsicher zu machen. Sie ist schrecklich verliebt, und der Andi, der soll ja ganz toll sein, was man so hört.

Als Vera dann aber noch anfing, spitze Bemerkungen über den Lebensstil ihrer Freundinnen, deren teure Kleidung und über ihre Oberflächlichkeiten zu machen, wurde die Distanz zwischen ihnen rasch größer. Diejenigen, die nur Glitter, Glamour und Jungs im Kopf hatten, wollten eben nicht mehr im Kopf haben. Das musste Vera nun mehr als deutlich sehen. Es tat ihr aber auch weh, ihre Clique zu verlieren, zu der sie so lange gehört hatte. Dazuzugehören war ihr immer noch wichtig. Sie wollte keine einsame Außenseiterin sein.

Da war Andi ganz anders. Ihn störte es nicht, wenn sie weitab von jeder Gruppe einsam zweisam den Wald durchstreiften und Wege entdeckten, die schon lange niemand mehr benützt hatte. Andi träumte von einer Veränderung der Siedlungsstrukturen. Er schwärmte von neuen menschenfreundlichen Städten, die gar nicht mehr wie Städte aussahen, sondern mehr eine Ansammlung von Dörfern waren, vom Leben auf dem Land und von einer neuen umweltfreundlicheren Lebensweise für alle Menschen.

Vera konnte ihm stundenlang zuhören, wenn er seine Theorien erzählte, aber irgendwie fühlte sie, dass sie so nicht leben könnte und es auch gar nicht wollte. Sie brauchte die Stadt und die Menschen um sich. Ohne Gesellschaftsleben würde sie verkümmern, da war sie sich sicher.

In dieser Zeit war alles noch irgendwie unbestimmt und unwirklich. Sie konnte eine feste Beziehung zu Andi haben. Gleichzeitig verpflichtete Andi sie zu nichts. Beide studierten und keiner dachte an die Zeit nach dem Studium.

Vera hatte bisher so vor sich hin studiert. Sie war nicht gerade schlecht gewesen, hatte sich aber auch nicht sehr angestrengt. Sie hatte lieber die angenehmen Seiten des Studentenlebens genossen. Langsam wollte sie aber beweisen, dass sie genauso gut war, wie Andi, der fast alle Prüfungen mit „Sehr Gut“ bestand. Sie begann so richtig zu strebern, was sie vorher nie getan hatte. Ihr Vater fand, dieser Andi tue ihr sehr gut, da solle sie dranbleiben. „Dann wird noch was aus dir“, erklärte er Sonntags beim gemeinsamen Mittagessen der Familie immer.

Irgendwann merkte Vera, dass sie alles daransetzte, um besser als Andi zu sein. Das war nicht leicht, da Andi sehr gut war. Sie hätte auch gar nicht sagen könne, warum sie das wollte. Etwas Unbestimmtes reizte sie und forderte sie dazu heraus.

Bald war sie fast so gut wie Andi, da der nun auch manchmal eine Prüfung nicht so hinbekam, wie er gerne gewollt hätte, besonders wenn Vera ihn am Vorabend in seiner Studentenbude besucht hatte. Er wollte sie nicht abweisen und so wurde in solchen Nächten sehr wenig gelernt und noch weniger geschlafen.

Andi ging es nicht um den Notenschnitt, er wollte keinen Wettbewerb mit Vera. Er wollte nur rasch sein Studium abschließen, um seinen Eltern nicht länger auf der Tasche zu liegen. Dass er dabei niemals durchfiel, fand Vera irgendwie unheimlich. Er hatte auch gegen ihre Besuche vor Prüfungen nie etwas einzuwenden und meinte stattdessen, „Liebe vor der Prüfung sei das beste Rezept gegen Prüfungsstress.“

Mit der Zeit verlor Vera dann das Interesse am Jusstudium, denn sie merkte, dass sie eigentlich hätte Wirtschaftswissenschaften studieren sollen. Dort gab es viel bessere Karrierechancen, da in den Zeitungen immer stand, es gäbe zu viele Juristen in Österreich.

Doch dass sie Jus studieren würde, wie ihr Bruder, war natürlich immer klar gewesen, das hatte sie schon mit siebzehn vor der Matura gewusst. Als Anwaltstochter, deren Vater eine der großen Kanzleien von Wien betrieb, gab es keine Alternative. Sie sollte ja einmal in die Kanzlei einsteigen und sie wusste, dass sie in der Kanzlei immer einen Job bekommen würde, solange die Kanzlei existierte. Aber das war nicht das, was sie sich unter Karriere vorstellte. Sie wollte lieber eine eigene Karriere, unabhängig von der Hilfe der eigenen Familie.

Das Problem mit Andi brach dann recht plötzlich auf, als Vera und Andi gleichzeitig mit dem Studium fertig wurden. Beim Schreiben der Diplomarbeit hatte sich Vera noch voll hineingesteigert und für ein halbes Jahr alles rings um sich vergessen. Sogar mit Andi war sie in der Zeit weniger zusammen gewesen. Dann allerdings, als alles fertig war und sie ihren Magister in der Tasche hatte, stellte sich die bange Frage: Vera was nun?

Ihr Vater wollte sie in der Kanzlei haben, sie wollte aber nicht. Sie dachte an ein Gespräch im Arbeitszimmer ihres Vaters, als sie gerade im zweiten Semester war. Damals hatte er ihr zugesagt, nicht in der Kanzlei arbeiten zu müssen, wenn sie nicht wollte. Sie hatte ihre Meinung seither nicht geändert. Die väterliche Kanzlei kam ihr als schlimme Strafe vor. Das Büro lag in einem düsteren Altbau der Wiener City im Hochparterre und war selbst im Sommer fast ohne Sonnenlicht. Dazu die altmodischen dunklen Möbel und die vertrockneten Klienten mit ihren Rechtsgeschäften und nie enden wollenden Verhandlungen vor Gericht. Ein Horror, in diese Welt eintauchen zu müssen. Das würde sie ihre ganze Jugendlichkeit kosten, dachte sie. Sie würde über Nacht das Aussehen der Chefsekretärin ihres Vaters annehmen, die allerdings schon vierundfünfzig war und sich noch nie nach der Mode gekleidet hatte. Ein Alptraum, nur daran zu denken.

Da brachte Herbert, ihr Bruder, sie auf die Idee, sich bei diesem internationalen Computerkonzern zu bewerben. Er hatte ihr versichert, als Jurist hätte man dort die besten Chancen, denn Juristen seien in der Datenverarbeitung nicht so häufig.

Vera hatte zuerst Bedenken, gab dann aber ihre Bewerbung ab, denn ganz ins Ausland ziehen, wollte sie ja nicht, dazu war ihr Andi viel zu wichtig. Sie war immer noch davon überzeugt, dass sie ihn liebte, auch wenn die anfängliche Euphorie nach drei Jahren später schon merklich abgekühlt war.

Der Ratschlag ihres Bruders war durchaus eigennützig gewesen, da er sie so aus der Kanzlei draußen halten konnte. Ihr war das natürlich klar gewesen. Aber sie dachte praktisch. Wenn sie in fünf Jahren mit internationaler Erfahrung zurückkam und es nötig sein würde, ging sie vielleicht doch in die Kanzlei, dann aber zu ihren Bedingungen. Falls sie aber bis dahin international Karriere gemacht hatte, würde sie nur mehr mitleidig auf die Wiener Kanzlei herabsehen und sich im internationalen Business schon längst zu Hause fühlen. Ein Leben mit Dienstreisen quer über den Globus und das Wohnen in Luxushotels, so etwas hatte sie sich schon immer gewünscht. Die frühere Vera, wie sie vor Andi gewesen war, kam wieder zum Vorschein. Sie war ja doch für den Luxus geboren, den sie bei Andi immer ein wenig vermisst hatte. Gewiss, Andi war nicht arm, seine Eltern waren wohlhabend, aber sie machten sich so gar nichts aus Besitz. Sie wollten lieber gestalten, als besitzen. Und Vera wollte leben und erleben. Das Abenteuer der Weltwirtschaft lockte und sie hatte schon bereut, nicht Wirtschaftswissenschaften studiert zu haben, tröstete sich aber damit, dass Jus als das wesentlich leichtere Studium galt. Sonst wäre ihr Magister noch in weiter Ferne gewesen.

Zu ihrer eigenen Überraschung wurde sie sofort genommen. So kam es, dass sie gleich nach dem Studium bei CCI, Global Computer Inc., einen weltumspannenden amerikanischen EDV Konzern in dessen Wiener Niederlassung anfing. Global Computer baute alle Arten von Computer und Computerzubehör. Die PCs von Global Computer begannen damals gerade den Markt zu überschwemmen. Vera kam in die Rechtsabteilung, wo sie es sofort mit allen Finessen des Vertragsrechtes zu tun bekam und sich mächtig in die Arbeit stürzte.

Wäre da nicht Andi gewesen. Auch er war fertig geworden und hatte als frisch gebackener Diplomingenieur der Raumplanung sofort einen Job bei der Niederösterreichischen Landesregierung bekommen. Sein Jusstudium hatte er schon vorher aufgegeben, da er es nie wirklich gewollt hatte. Ein Doppelstudium und Vera, das sei auch für ihn zuviel, meinte er manchmal scherzhaft. Vera hatte sich dann immer geschmeichelt gefühlt, obwohl es Andi eigentlich gar nicht schmeichelhaft gemeint hatte.

Doch die Stunde der Entscheidung nahte viel schneller als es Vera lieb war. Andi machte ihr auf ganz altmodische Weise einen Heiratsantrag. Er dachte, sie könnten als gut bezahltes Akademikerehepaar ihre Beziehung jetzt mit Trauschein, Ring und Siegel dauerhaft machen. Nachdem er sie in ein elegantes Wiener Restaurant zum Abendessen ausgeführt hatte und sie anschließend in einer Bar gelandet waren, hatte er ganz großartig die Schachtel mit den Ringen aus seinem Jackett gezogen und sie gefragt, ob sie seine Frau werden wolle.

Sein künftiger Dienstort sei Baden bei Wien, gerade die richtige Gegend, um eine gemeinsame Wohnung oder ein Reihenhaus zu erwerben und um eine Familie zu gründen. Mit den Kindern könnten sie ja noch ein wenig zuwarten, bis Vera in ihrem Job besser eingearbeitet sei und in Karenz gehen könne.

Vera wusste nicht, ob sie ja sagen sollte. Es war ihr irgendwie zu schnell gegangen. Sie wollte sich noch nicht binden und bat um Bedenkzeit. Andi war an diesem Abend sehr verständnisvoll und wollte sie zu nichts drängen, aber im weiteren Verlauf des Abends kamen sie dann nicht in die Wohnung von Vera, wie Andi es gerne gewollt hätte, sondern sie trennten sich schon bei der Oper da Vera von dort die U-Bahn nahm. Es war das erste Mal gewesen, dass Vera nach einem Abend mit Andi alleine heimkam.

In der nächsten Zeit fing Andi öfters an, von gemeinsamen Kindern zu sprechen und von den Vorteilen des ehelichen Lebens südlich von Wien in einem Villenviertel. Vera fand währenddessen in ihrer Firmenpost die ersten Termine zu Dienstreisen vor, die sie nach London und Frankfurt führen sollten. Mit einem Säugling am Arm schwer vorstellbar.

Vera wurde es immer klarer, sie wollte kein Leben als brave Hausfrau und Mutter und der Kinder wegen auf die Karriere verzichten. Sie wollte aber auch nicht auf Andi verzichten. Irgendwie liebte sie ihn noch immer, auch wenn sich ihre Gefühle in Bezug auf Andi immer mehr verwirrten. Doch was Andi von ihr verlangte, wollte sie zu diesem Zeitpunkt einfach nicht.

Sie musste sich daher entscheiden. Entweder Andi ja, Kinder gleich und dann zur Oma mit ihnen und ab ins Business. Das schien recht stressig zu werden.

Oder Andi nein, Kinder nein und alleine eine Karriere starten. Die tapfere Karrierefrau ohne Freund und mit langen einsamen Abenden war auch keine verlockende Alternative.

Oder mit Andi und zuerst keine Kinder, aber dann schon. Machte sie Karriere, so konnte sie schwer in Karenz gehen. Hatte sie dann Kinder, kämen die dann zur Oma. Die Oma wurde aber nicht jünger und mit fünfunddreißig die Kinder zur Oma abschieben erschien ihr irgendwie unmoralisch. Da war es doch besser, auf die Kinder ganz zu verzichten. Denn so eine Chance auf Karriere hatte sie wahrscheinlich sobald nicht wieder, dachte sie. Eine Chance auf jemanden wie Andi aber auch nicht.

Wenn er sie wirklich liebte, dann würde er sie verstehen, dessen war sie sich ganz sicher. Sie wollte mit Andi zusammen sein, aber sich nicht binden. Die Villa im Süden Wiens konnte warten. Das Leben in der Stadt gefiel ihr besser. Da draußen im Grünen schien es ihr zu langweilig. Andi würde das sicher verstehen.

Doch er verstand nicht. Er spielte den Beleidigten und meinte, wenn sie ihn nicht wolle, dann eben nicht. Wenn sie seinen Heiratsantrag ablehne, dann zeige sie ihm, dass sie ihn nicht wirklich liebe und ihre Beziehung für sie nur eine vorübergehende Liebschaft sei. Er wolle aber etwas Dauerhaftes im Leben und in der Liebe und wenn sie das nicht wolle, dann ginge er eben ganz.

Was war aus ihrer einstigen Liebe nur geworden. Nachdem jeder seine Sachen aus der jeweils anderen Wohnung geholt hatte, sahen sie sich nicht wieder. Ihre Lebenswege liefen in kürzester Zeit vollständig auseinander. Nur manchmal grübelte Vera darüber nach, weshalb er so stur gewesen war und weshalb sie ihm deswegen nicht wirklich böse war. Aber zurückkehren und ihn fragen, ob der Antrag noch gelte, das ließ ihr Stolz nicht zu und Andi machte auch keine Anstalten mehr, sich bei ihr zu melden.

Seltsamerweise war Vera aber nicht wirklich überrascht darüber, wie Andi sich verhalten hatte. Sie fand das logisch und zu ihm passend. Vera wunderte sich da ein wenig über sich selbst. Woher kannte sie Andi so gut? Woher war damals diese große Vertrautheit gekommen, die sie von Anfang an in ihrer Beziehung gehabt hatten. Sie wusste es nicht, hatte aber immer das Gefühl gehabt, auch er kenne sie viel besser, als es eigentlich möglich sei. Nun waren sie getrennt. Würde sie dieses Rätsel der Liebe je lösen können oder ging es anderen Leuten mit anderen Menschen ebenso, dass sie meinten, sie würden sich viel länger kennen, als es tatsächlich der Fall war. War das nur psychologischer Unsinn, oder steckte doch mehr dahinter?

Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera

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