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Kapitel 16

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Das Vorzimmer, in dem sie unvermittelt stand, kannte sie recht gut. Es war das Vorzimmer von Michaels Wohnung. Michael hatte eine Wohnung in einem dieser ausgebauten Dachböden eines großen Altbaus aus dem neunzehnten Jahrhundert. Darin lebte er zwar etwas über seine Verhältnisse, da die Mieten in der Innenstadt, dem ersten Wiener Bezirk, extrem hoch waren. Er aber hatte sich diese Wohnung eingebildet und gemeint, der Ausblick über die Dächer von Wien sei ihm das viele Geld wert.

Vera stand im Vorzimmer und sah sich um. Es war dunkel, sie dachte einen Moment daran, Licht aufzudrehen, bis ihr einfiel, dass sie das wohl nicht könne. Sie konnte allerdings im dunklen Vorzimmer genauso gut sehen, wie wenn das Licht gebrannt hätte. Michaels Garderobe war voll geräumt mit seinen Sachen, die er unordentlich über die Haken verteilt hatte. Ordnung halten war nicht seine Stärke. Durch die Tür, die ins Wohnzimmer führte, drang ein schwacher Lichtschein. Die Tür war einen Spalt offen.

Vera fühlte sich unsicher. Sie wollte Michael sehen, wusste aber, dass er sie nicht sehen würde und außerdem gab es etwas in ihrem Unterbewussten, das sie zurückhielt, sofort ins Wohnzimmer zu gehen. Sie wollte aber doch hineingehen, da hörte sie Stimmen. Sie hörte, wie Michael rief, „Zweite Tür rechts“. Eine weibliche Stimme antwortete, „Danke, ich bin gleich wieder bei dir.“

Die Tür zum Wohnzimmer ging auf und Angelika, eine Freundin aus Veras großem Bekanntenkreis kam heraus. Vera erschrak, denn Angelika war vollkommen nackt und ging in aller Ruhe an ihr vorbei auf die Toilette. Den Schrei, den Vera ausgestoßen hatte, konnte allerdings niemand hören. Das war es also, das komische Gefühl, das sie gegenüber Michael immer gehabt hatte, und nie so wirklich hatte deuten können. Sie hatte immer gedacht, sie liebe ihn und war sich dabei irgendwie unsicher gewesen. Und jetzt sah sie die andere Wirklichkeit Michaels überdeutlich. Hatte Angelika die Gunst der Stunde genutzt und sich an Michael herangemacht, oder war es Michael gewesen, der ihre erste große Dienstreise sofort zu einem Seitensprung hatte nutzen müssen.

Vera stürzte ins Wohnzimmer. Der weitläufige Raum war in Dämmerlicht getaucht und es war kein Michael zu sehen. Nur einige Spots beleuchteten die Ecke mit der Stahlrohrcouche, auf der sie mit Michael schon sehr intim gewesen war. Einige Kleidungsstücke waren malerisch über den Fußboden verstreut. Die Stereoanlage summte noch leise in Standby. Die eingelegte CD war bereits zu Ende. Vera wusste plötzlich, dass es die Traummelodien von Cat Stevens waren. „So ein Mistkerl“, dachte sie, diese Melodien waren die selben, die er auch bei ihrem ersten Mal aufgelegt hatte.

Michael lag der Länge nach diagonal über das Doppelbett hingestreckt und rief: „Angie, wo steckst du denn so lange, war ich so umwerfend, dass du dich erst restaurieren musst.“

Da kam Angie auch schon zurück und entgegnete ein wenig vorwurfsvoll, aber mit zärtlichem Unterton in der Stimme: „Dass ihr Männer euch immer so viel auf euch einbilden müsst, ich mag dich auch ohne sportliche Höchstleistungen im Bett, mein Schatz.“ Bei diesen Worten ließ sie sich zu Michael aufs Bett fallen und begann, ihm zärtlich den Nacken zu kraulen. Angie hatte eine sehr gute Figur, war aber wesentlich kleiner und zierlicher als Vera, der das jetzt plötzlich auffiel, da sie keine zwei Meter entfernt bei der Terrassentür stand.

„Lass das, du kitzelst“, rief Michael auf und drehte sich um. „Komm´ in meine Arme, mein Kleines.“ „Da war ich doch gerade“, schmollte Angie plötzlich und zog sich auf die Seite zurück. „Lass uns doch ein wenig plaudern, wir kennen uns doch kaum. Ich weiß noch so wenig von dir, erzähl´ doch ein bisschen was aus deinem Leben.“

Michael wirkte mit einem Mal etwas verlegen und meinte, da gebe es nicht so tolle Dinge zu erzählen, sein Leben verlaufe eigentlich in sehr ruhigen Bahnen.

„So sehen also deine gesetzten Bahnen aus“, rief Angie belustigt, „dass du fremde Frauen, die sich trauen zu dir in die Wohnung zu kommen, gleich in dein Schlafzimmer abschleppst.“

Vera stand daneben und wunderte sich über sich selbst. Sie war ganz ruhig, nachdem sie die erste Überraschung überwunden hatte. Das Spannende an der ganzen Angelegenheit war, dass sie nicht nur hören konnte, was die beiden redeten, sondern sie wusste, was die beiden wirklich dachten. Sie konnte die Gedanken nicht wirklich hören, aber sie konnte fühlen, was sie dachten. Sie wusste, wenn einer log, und Michael log bei jedem zweiten Satz. An Angie lag ihm gar nichts, er hatte sie nur als raschen Aufriss ins Bett bekommen wollen und wollte sie eigentlich schon wieder loswerden, da er bereits an seine Freunde dachte, die in einer Bar auf ihn warteten und der Abend war schließlich noch lang. An Vera verschwendete er dabei keinen Gedanken. So etwas wie ein schlechtes Gewissen konnte er sich anscheinend gar nicht vorstellen. Da war Vera ja völlig an den Falschen geraten. Es war wohl doch nur die Suche nach einer Beziehung gewesen, die Vera in die Arme von Michael getrieben hatte.

Angie wiederum hatte sich vor ein paar Tagen in Michael verknallt und sich daher überreden lassen, ihn heute in seiner Wohnung zu besuchen, da er ihr einige Werbeentwürfe zeigen wollte. Sie wollte eine wirkliche Beziehung mit ihm anfangen, die über den schnellen Quickie hinausging. Sie war auf der Suche nach ihrem Traumpartner und wusste noch nicht, dass sie ihn gerade wieder nicht gefunden hatte. Ihr war es das erste Mal passiert, dass sie so direkt im Bett gelandet war. Sie wollte jetzt mehr von Michael kennen lernen. Vera wusste, dass dies zwecklos war, da sie Michael besser kannte. Angie würde diese Erfahrung erst machen müssen, so wie sie, Vera, eben gerade ihre Erfahrung gemacht hatte.

Veras Intellekt wollte beleidigt sein, dass Michael sie so schmählich betrogen hatte, aber es gelang ihr nicht. Ihre Gefühle waren ganz anders. Sie empfand nichts für Michael, nicht einmal Ärger. Statt dessen war sie erleichtert, dass es niemandem leid zu tun brauchte, dass aus der Beziehung zwischen ihr und Michael nichts geworden war. Gedanken an ihren Tod kamen ihr gar nicht in den Sinn. Sie fühlte sich wie in einem Film als Zuschauerin. Sie konnte nicht eingreifen und wollte es auch gar nicht. Was hier in diesem Schlafzimmer passierte, ging sie nichts mehr an. Sie war jetzt frei und überlegte, wohin sie jetzt gehen könnte.

Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera

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