Читать книгу Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera - Andreas Loos Hermann - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеVom Bahnhof hatte sie ein Taxi genommen und nun stand sie am Fenster ihres Hotelzimmers und blickte über die Dächer von Brüssel. Vom fünfzehnten Stock des Hilton hatte man normalerweise einen prächtigen Blick über die ganze Stadt. Nur heute war der Himmel neblig und mit dunklen, tiefhängenden Wolken verhangen, so dass selbst die Kugeln des Atomiums, dem herausragenden Wahrzeichen Brüssels, nicht einmal zu erahnen waren. Der Nieselregen erhielt vom nahen britischen Kanal beständig Nachschub und ließ immer wieder einen Schauer über der Stadt niedergehen. Ende September hätte das Wetter in Brüssel noch etwas freundlicher sein können.
Vera achtete nicht auf das Wetter, denn mit einem Mal war sie unzufrieden mit sich selbst, obwohl sie keinen Grund finden konnte. Hatte sie nicht alles erreicht, was sie sich im Leben bisher vorgenommen hatte und nicht allen Grund, froh und selbstbewusst in die Zukunft zu blicken. Besonders jetzt, auf ihrer ersten großen Auslandsdienstreise. Aber irgendeine bedrückende Stimmung lag auf einmal in der Luft in ihrem Hotelzimmer.
Sie konnte es sich nicht erklären. War es das düstere Wetter über der Stadt, oder war da noch etwas Anderes, das seine Fäden leise nach Vera auszustrecken begann. Vera hatte ihre Gefühle immer gerne unter Kontrolle, und wenn das nicht ging, dann ärgerte sie sich über sich selbst.
Ein kurzer Regenschauer peitschte die Tropfen an ihr Hotelfenster. Vera stand einfach da. Es war Sonntagabend und sie hatte nichts vor, da sie hier noch niemanden kannte, den sie hätte treffen können. Das Wetter hatte ihre Lust, sich die Altstadt anzusehen, erheblich gedämpft. So dachte sie über ihr bisheriges Leben nach, über ihre Entscheidungen, die sie bis in dieses Hotelzimmer geführt hatten. Der Grauschleier, der ihre Stimmung trübte, wurde langsam dichter und dichter.
Sie war niemals ein Kind von Traurigkeit gewesen, aber mit der großen Liebe hatte es nicht so recht klappen wollen. Ihre Freundinnen hatten alle schon längst einen festen Freund, aber sie war mit zweiundzwanzig noch immer solo gewesen. Sie studierte Jus und war von feschen Studenten umgeben, aber keiner gefiel ihr. Sie hatte an allen etwas auszusetzen. Ihre Freundinnen schwärmten von der großen Liebe und die meisten hatten damals schon einen Freund den man daheim auch den Eltern vorstellen konnte und wo die Mütter an künftige Schwiegersöhne dachten. Nur für Vera war nie der Richtige dabei gewesen. Die Jungs kamen ihr alle so dumm und unreif vor und sie fühlte sich ihnen so maßlos überlegen. Die Jungs vergötterten sie und jeder wollte mit ihr etwas anfangen, aber es wurde nie eine wirkliche Beziehung daraus.
Sie trieb sich zwar oft bis zum Morgengrauen auf Partys herum. Sie wurde auch oft knutschender Weise mit einem der Burschen in einer Ecke gesichtet. Niemand hätte daher auch nur geahnt, dass sie mit zweiundzwanzig noch immer Jungfrau war. So hatte sie ihr Problem und fühlte sich einsam und unverstanden. Das sah ihr aber niemand an, da sie nach außen alles geschickt überspielte und den verführerischen Vamp abgab, der nur noch nie verführt worden war.
Sie konnte ihren Traummann einfach nicht finden. Sie zweifelte schon daran, dass es ihn überhaupt gab. Für das ganze Gerede von der großen Liebe hatte sie nur Verachtung über, denn für sie gab es diese Liebe nicht. Sie hatte zwar jede Menge flüchtige Bekanntschaften, aber keinen echten Freund, mit dem sie wirklich zusammen sein konnte.
Sie wusste auch heute noch nicht, hier in Brüssel am Fenster stehend, warum ihr das passiert war. Sie hatte eben immer Pech gehabt, redete sie sich ein.
Doch dann musste sie an Andi denken. Da war dann plötzlich alles ganz anders gewesen. Sie dachte zurück, wie sie Andi kennen gelernt hatte und die Bilder der Vergangenheit wurden in ihr lebendig.