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Anton Jäger zog seine Kreise durch die Äußere Neustadt, als wolle er nur ein paar Einkäufe erledigen. Es war ihm nicht anzusehen, was für ein schwerer Kampf in seinem Inneren tobte. Der gewaltige Bau der Martin-Luther-Kirche zog ihn gleichzeitig zu sich heran und stieß ihn weg.

Obwohl er einen dicken Mantel trug, begann er zu frieren. Der eisige Wind durchdrang mühelos das Gewebe des Stoffs und traf auf die Kälte, die seine Seele in starrem Griff hielt. Anton blieb stehen und schüttelte den Kopf. Es würde nicht leichter werden, wenn er die Entscheidung weiter verschob.

Nachdem er zu einem Entschluss gekommen war, legte er den Schlenderschritt ab und hastete zur Kirche. Er kannte seine Unentschlossenheit und wollte nicht noch einmal schwach werden. Fast trotzig nahm er die wenigen Stufen und drückte das schwere Portal auf.

Das Gotteshaus empfing ihn mit einer nahezu greifbaren Stille. Einer Stille, die er fürchtete, zugleich aber schätzte, führte sie ihm doch auf der einen Seite gnadenlos die Wahrheit über sich selbst vor Augen und schenkte ihm andererseits Frieden. Hin- und hergerissen zwischen der Furcht vor der Vergangenheit und dem Wunsch nach Hilfe wählte er einen abgelegenen Platz in dem einsamen Kirchenschiff und faltete die Hände.

Erst spät in seinem Leben hatte er zu Gott gefunden, zu einem Glauben, der noch brüchig war. Er hegte immer noch Zweifel, die mit der tief in ihm verwurzelten materialistischen Weltanschauung einen Kampf austrugen, aber Beten spendete ihm Ruhe und gab ihm Hoffnung auf Vergebung.

Tief in seine Andacht versunken, bemerkte Anton den Mann, der sich still neben ihn gesetzt hatte, erst nach seinem geflüsterten »Amen«. Erschrocken zuckte er zusammen und ging sofort in Angriffsposition. Unmittelbar nachdem er erkannt hatte, wer da neben ihm saß, entspannte er sich. »Meine Reflexe sind nicht mehr das, was sie früher mal waren. Vor ein paar Jahren wäre es dir nicht gelungen, dich an mich heranzupirschen, Hochwürden.« Lächelnd reichte er seinem Nachbarn die Hand.

Pfarrer Polenz erwiderte das Lächeln. »Du musst dich damit abfinden, dass du im Herbst deines Lebens stehst. Aber die Tage des Kampfes sind für dich noch nicht vorüber«, fügte er ernst hinzu.

Beide Männer verfielen in Schweigen.

Schließlich atmete der Pfarrer tief und nachdrücklich ein und aus. »Ich kann mir denken, was dich an diesen Ort führt.«

Anton seufzte ebenfalls, ließ die Worte jedoch unkommentiert.

»Die Entscheidung über dein Handeln liegt allein bei dir«, fuhr der Pfarrer unverdrossen fort. »Doch wenn du tief in dich hineinhorchst, wirst du wissen, was zu tun ist.« Er erhob sich und drückte Antons Schulter zum Abschied. »Eins musst du dir vor Augen führen, bevor du den nächsten Schritt tust: Die Menschen, die dich aufgenommen haben, brauchen in dieser Situation deine Hilfe.«

Während Anton Jäger die Gestalt des sich von ihm entfernenden Pfarrers mit seinen Blicken verfolgte, überkam ihn die bittere Erkenntnis, dass etwas Böses auf ihn zukam. Etwas, dem er nicht ausweichen konnte, selbst wenn er das wollte.

Verlorenes Land

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