Читать книгу Acht - Andreas Michels - Страница 12
Оглавление3. Kapitel
Der erste klare Gedanke, der Alex am nächsten Morgen durch den Kopf ging, lautete: Teppich! Auf genau diesem lag er, voll angezogen und halb in eine dünne Steppdecke gewickelt.
Mühsam stemmte er sich hoch, gab den Versuch jedoch sofort wieder auf, als sich schon in der Aufwärtsbewegung hämmernde Kopfschmerzen ankündigten. Dennoch gelang es Alex, seinen aktuellen Aufenthaltsort auf etwa einen Meter neben dem Bett einzugrenzen. Schnell schloss er wieder die Augen und versuchte, sich mit einem Stöhnen an den gestrigen Abend zu erinnern. Viel bekam er nicht mehr zusammen.
Also konzentrierte er sich darauf, sein Zimmer daran zu hindern, sich allzu schnell um ihn zu drehen. Auch hier bleib der Erfolg eher bescheiden, aber wenigstens ließen mit der Zeit die Schmerzen etwas nach.
Gerade begann Alex wieder wegzudösen, als der viel zu schrille Klingelton seines Handys ertönte, das ihm immer noch in der Gesäßtasche steckte. Nach mehreren Versuchen bekam er es heraus, aktivierte die Sprechverbindung und hielt es ans Ohr. Sein Gesprächspartner wurde mit einem knappen »Wassn?« begrüßt.
Die Stimme aus dem Handy war ihm nur zu bekannt und auch heute schien sie vor guter Laune überzufließen. »Alex, mein Freund! Hier ist Karel! Wie geht’s dir?« »Scheiße!«, maulte Alex wahrheitsgemäß und setzte sich mühsam auf.
Der Pole lachte herzlich. »Gut, gut! Weißt du, ich hab Arbeit aufgetan. Brauch ich deine Hilfe für! Ne piekfeine Villa entrümpeln!« Allein der Gedanke an körperliche Betätigung ließ Alex ob seines aktuellen Zustands schaudern. Dann jedoch fiel das Gehörte auf fruchtbaren Boden, denn sehr wahrscheinlich war er nach dem apokalyptischen Abend gestern jetzt endgültig pleite. Also versuchte er sich brummend den Schlaf aus dem Gesicht zu reiben. »Wann soll ich wo sein?«, brachte er halbwegs artikuliert zustande. »Ich stehe schon vor deinem Haus! Geht gleich los!«, erfolgte die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Alex kam nicht umhin, sein Handy zunächst ungläubig anzustarren. Erst dann antwortete er mit einem von Herzen kommenden »Willst du mich veräppeln?«. Dennoch kam er nach zwei Anläufen auf die Füße, um sich im Anschluss schwankend umzusehen. »Gib mir fünf Minuten. Nein, besser zehn!«, krächzte er in das Handy und schwankte schon los in Richtung Zimmertür.
»Geht klar, ich warte hier und flirte mit den Politessen!« Ohne auf den bissigen Kommentar einzugehen, drückte Alex das Gespräch weg und wankte ins Bad. Dort warf er sich einige Handvoll Wasser ins Gesicht, putzte sich unkoordiniert die Zähne und beäugte dann im Spiegel missmutig das Teppichmuster, welches sich immer noch auf einer Wange abzeichnete. Mehr wurde in Sachen Hygiene nicht getan, denn wichtiger war jetzt etwas gegen die Kopfschmerzen.
Zwei Schmerztabletten später warf er die Haustür hinter sich zu und blinzelte im grellen Sonnenlicht. Wiederum war es ein wunderschöner Tag, auch wenn ihm der Sonnenschein für den Augenblick herzlich gestohlen bleiben konnte. Stattdessen schirmte er sich die Augen mit der Hand ab und fand bald schon, wonach er suchte: Karel lehnte in einiger Entfernung an seinem rostigen Ford Transit und unterhielt sich tatsächlich gerade mit einer Politesse.
Unwillkürlich musste Alex grinsen, als er auf seinen momentanen Arbeitgeber zu schlurfte. Karel Nowak war ein ganz besonderes Unikum, dessen schier unerschöpflicher Vorrat an guter Laune und nicht enden wollendem Optimismus seinesgleichen suchte. Dem ursprünglich aus Polen stammenden Mann war es kurz nach seinem zwanzigsten Geburtstag gelungen, irgendwie genug Geld für Führerschein und einen gebrauchten Kastenwagen zusammenzukratzen. Er arbeitete seit nunmehr fünfzehn Jahren im Transport-, Entrümpelungs-, Stückgut- und Logistikgeschäft. Oder anders gesagt erledigte Karel nahezu jede Arbeit, die man ihm anbot. Seiner Meinung nach konnte ein Mann mit einem Transporter jederzeit nach den Sternen greifen, wenn er nur hart genug dafür arbeitete. Alex kam meist gut mit ihm aus, auch wenn sich die Lohnverhandlungen mit ihm üblicherweise sehr zäh gestalteten, was Karel im Nachhinein mit einer ansehnlichen Portion Selbstironie meist auf sein polnisches Blut schob. Als Alex von ihm bemerkt wurde, verabschiedete sich sein Chef diplomatisch von der Stadtbediensteten und kam ihm entgegen. »Meine Güte, da war aber gestern Abend jemand gut unterwegs!«, meinte er grinsend. Alex winkte nur ab und versuchte gleichzeitig, ein Gähnen sowie ein unangenehmes Magenrumpeln zu unterdrücken.
»War schon schlimmer. Also, was liegt an?« Karel zuckte mit den Schultern. »Steig ein, ich erzähl es dir unterwegs!« Da sich der Pole sofort auf den Weg zur Fahrerseite machte, konnte er die Grimasse nicht sehen, die Alex ihm schnitt. Wie üblich musste der Beifahrersitz erst einmal freigeräumt werden, da sich dort die Überreste eines Frühstücks, die Post von schätzungsweise der gesamten letzten Woche sowie ein einschlägiges Hochglanzmagazin stapelten. Hinzu kamen noch eine Unmenge an Schokoriegelverpackungen und einige leere Energy-Drink Flaschen.
Alex schob alles großzügig zur Seite und quetschte sich dann auf den freigewordenen Platz. Kaum warf er die erbärmlich quietschende Tür zu, da startete Karel den Transit auch schon und gab Gas »Also, ist nix wildes!«, meinte er. »Soll eine Villa entrümpeln. Der Besitzer ist vor zwei Wochen gestorben und jetzt muss alles raus!« Langsam furchte Alex die Stirn. »Eine ganze Villa? Ist das nicht ein bisschen viel für uns zwei?« Karel winkte ab und griff nach einem Schokoriegel. Erst nachdem er abgebissen und hingebungsvoll gekaut hatte, antwortete er. »Nein, da ist schon etliches rausgekommen. So ziemlich alles von Wert ist angeblich schon weg. Aber mal sehen, vielleicht können wir trotzdem noch was Brauchbares finden!«
Alex verkniff sich jeden Kommentar. Stattdessen lehnte er sich zurück und versuchte seinen revoltierenden Magen zu beruhigen, der sich eben wieder meldete.
Glücklicherweise dauerte die Fahrt gerade mal eine Viertelstunde und führte sie um die halbe Altstadt herum, dann über mehrere Brücken, bis der Transporter letztendlich Stadtamhof, gelegen auf der zentralen Donauinsel, erreichte.
Während Karel fluchend nach der richtigen Adresse suchte, genoss Alex einfach den Ausblick. Auch hier waren die Straßen noch gepflastert und ergänzten sich damit perfekt mit den altertümlich anmutenden Villen auf beiden Seiten. Uralte Bäume standen in den Vorgärten, welche sich zumeist in gutem und gepflegtem Zustand befanden.
Dies galt jedoch nicht für das Grundstück, vor dem Karel den Transit schließlich zum Stehen brachte. Man konnte hier nur noch erahnen, wie edel die Gartenanlage einst gewesen sein musste. Seit Jahren, so schien es, wurde der Garten nunmehr sich selbst überlassen, sodass von den vormals säuberlich umsäumten Beeten, als auch vom Kiesweg zum Haus hin nicht mehr allzu viel übrigblieb. Auch die Jugendstilvilla im hinteren Teil des Gartens hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen.
Von dem zweistöckigen Gebäude, das größtenteils von Efeu überwuchert wurde, bröckelte an vielen freien Stellen der Putz ab.
Bald standen Alex und Karel vor der Gartentür und musterten mit vor der Brust verschränkten Armen das Gebäude. »Irgendwann werde ich mich in sowas zur Ruhe setzen! Hab ich grad so entschieden!«, brummte er Alex zu.
Dieser betrachtete Karel von der Seite her. »Dir ist klar, dass so eine Hütte wahrscheinlich selbst im jetzigen Zustand für grob 1,5 Millionen über den Tisch geht?« Er grinste schief. »Außerdem ist das Teil doch viel zu groß für dich allein. Was willst du da machen? Horrorfilme drehen?«
Karel lachte meckernd und tastete beide Hosentaschen nach seinem uralten Handy ab. Nach erfolgreicher Suche tippte er umständlich mit dem Daumen auswendig eine Nummer ein und hielt es dann ans Ohr. Offenbar wurde fast sofort abgenommen. »Hallo Herr Schneider, Nowak hier. Mein Kollege und ich sind vor … Ah, sie sind gleich da? Alles klar, bis gleich!«
»Unser Auftraggeber ist gleich da!«, meinte er überflüssigerweise und tastete erneut seine Taschen ab. Dieses Mal wohl eher auf der Suche nach Zigaretten, wie Alex vermutete. Noch bevor Karel fündig wurde, hielt hinter dem Transit ein dunkelgrauer BMW mit getönten Scheiben. Sofort setzte der Pole ein gewinnendes Lächeln auf und marschierte los. Alex folgte ihm mehr oder weniger notgedrungen.
Herr Schneider entpuppte sich als mittelgroßer Mann um die dreißig, in einem maßgeschneiderten Geschäftsanzug. Noch während Karel auf ihn zukam, knöpfte er allerdings sein Jackett auf und warf es wieder zurück in das Fahrzeug. Erst dann kam er auf die beiden Männer zu und schüttelte dem Polen zwanglos die Hand. Dieser wandte sich dann an seinen Gehilfen, um ihn vorzustellen. »Alex, das ist Herr Schneider, Rechtsanwalt für Sterbefälle.
Ich hab schon ein paar Mal für ihn gearbeitet.« Der Anwalt runzelte kurz die Stirn und lachte dann herzlich. »Fachanwalt für Erbrecht trifft es wohl besser!«, korrigierte er, schüttelte auch Alex die Hand und überreichte ihm gleichzeitig eine Visitenkarte. Er schien an dem verbalen Ausrutscher Karels keinerlei Anstoß zu nehmen.
»Alex Richter. Freut mich, sie kennenzulernen!«, entgegnete Alex und meinte es auch so. Schneider hatte eine lausbubenhafte Art an sich, der man sich nur schwer entziehen konnte.