Читать книгу Acht - Andreas Michels - Страница 20
Оглавление7. Kapitel
Sven nahm schon nach dem zweiten Läuten ab. »Ja?« Alex seufzte erleichtert. »Hey Sven, hier ist Alex! Endlich erreiche ich einen von euch! Hat keiner von euch mich vermisst?«
Svens Antwort wurde von starkem Rauschen verzerrt. »Ich bin seit gestern in Leipzig bei meinen Eltern, sorry! Wo steckst du eigentlich die ganze Zeit? Wir haben uns schon Sorgen gemacht wegen … «
»Ach, ich wurde niedergeschlagen und liege im Krankenhaus!«, unterbrach ihn Alex im übertrieben lakonischen Tonfall, während er mit den Augen gen Zimmerdecke rollte. »Kannst du mir wenigstens sagen, warum ich Jessy und Jochen auch nicht erreiche?« Sven befand sich offensichtlich irgendwo in der Stadt, der Lärm vorbeifahrender Autos schluckte seine erste Antwort dieses Mal gänzlich. Erst als er fast in die Leitung brüllte, kam etwas verständlich an.
»Jochen hat sich für eine anstehende Klausur in seinem Zimmer eingegraben, zumindest war das der Fall, als ich gefahren bin. Und Jessy hat momentan auch ihr Handy aus, gab wohl etwas Ärger mit ihrem Freund oder so!« Ein Hupkonzert und Geschrei im Hintergrund unterbrachen kurz den Redefluss seines Mitbewohners. »Ich muss Schluss machen, bin eh schon zu spät! Gute Besserung noch, Alter!« Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Alex starrte entgeistert das Handy an, schüttelte den Kopf und legte es zur Seite, um sich mühsam aufzusetzen.
Langsam wurde es echt absurd! Er sollte heute entlassen werden und versuchte somit seit dem Vormittag, irgendjemanden zu erreichen, der ihm Klamotten vorbeibringen konnte. Weder Hose noch Oberteil seiner bei dem Überfall getragenen Arbeitskluft existierte noch, da man ihm diese im OP förmlich vom Leib geschnitten hatte. Zögerlich erhob er sich aus dem Bett und schlurfte in Richtung Fenster. Sein Rücken zwickte noch gewaltig, was aber keinen Vergleich mehr zu den unwahrscheinlichen Schmerzen beim ersten Erwachen in diesem Bett darstellte.
Es war ein schöner Tag, unten im Krankenhauspark herrschte ein stetes Kommen und Gehen. Halb erwartete er, dort Kommissar Gottesknecht den Weg entlangkommen zu sehen, doch im Gegensatz zu gestern schien er heute keine Besuchsabsichten zu hegen.
Hinter ihm öffnete sich die Tür und herein kam Schwester Waltraud, die sich seit seinem Erwachen fürsorglich um Alex gekümmert hatte. »So, Herr Richter, es wäre dann Zeit!«, meinte sie mit einem mütterlichen Lächeln, welches aber schnell wieder verschwand, als sie seinen miesepetrigen Gesichtsausdruck bemerkte. »Kein Glück gehabt mit dem Anruf?«
Alex schüttelte den Kopf. »Nein! Und damit habe ich ein Problem, nicht wahr?« Doch zu seiner Überraschung winkte die massige Schwester ab. »Ach was, haben Sie sich mal nicht so. Das kriegen wir hin!« Schon drehte sie sich auf dem Fuße um und marschierte mit quietschenden Sohlen aus dem Krankenzimmer. Nur wenig später kehrte sie mit einem schlichten Trainingsanzug zurück. »Hier, den können Sie haben! Ist zwar jetzt nicht unbedingt ein Smoking, aber für den Weg nach Hause sollte er reichen!«
Ein verblüfftes »Danke« war alles, was Alex mit einiger Verspätung stotterte. Dann beeilte er sich aber umso mehr, in Hose und Oberteil zu schlüpfen und seine wenigen Habseligkeiten in die verfügbaren Taschen zu stopfen.
Nach einem herzlichen Abschied vom Pflegepersonal der Station im Allgemeinen und Schwester Waldtraut im Besonderen, konnte er sich dann endlich auf dem Weg nach Hause machen.
Der schnellste Weg, um in die Altstadt zu kommen, bestand sicherlich in einer Fahrt mit einem der zahlreichen Linienbusse. Doch schon kurz nach dem Einsteigen bereute Alex diesen Entschluss zutiefst, denn der Bus war überfüllt, die Luft stickig und einige Kinder hinter ihm veranstalteten einen wahren Höllenlärm. Also floh er an der nächsten Haltestelle aus der Fahrgastkabine, um die letzten beiden Stationen zu Fuß zurückzulegen. Zwar kam er sich mit der Kombination aus billigem Trainingsanzug und schweren Arbeitsschuhen schon etwas seltsam vor, doch liefen dieser Tage noch verschrobenere Gestalten in der Stadt herum.
Sein Rücken erlaubte kein allzu schnelles Marschtempo, sodass Alex noch gute zwanzig Minuten bis nach Hause brauchte. Schnaufend am oberen Ende der Treppe angekommen, steckte er den Schlüssel ins Schloss, durchquerte die Wohnung, ohne sich groß umzusehen und stand alsbald in seinem Zimmer, wo er schweigend die sich ihm bietende Szenerie der Trostlosigkeit betrachtete.
Im Zimmer herrschte immer noch das gleiche Chaos, in dem er es zurückgelassen hatte. Wahrscheinlich lag es an seinem Krankenhausaufenthalt, dass ihn das völlig sinnlose Durcheinander hier nur noch anwiderte. Hinzu kam einmal mehr die Erkenntnis, dass ihm beruflich nun keinerlei Optionen mehr offenstanden und damit selbst sein fortgesetzter Verbleib in dieser WG auf absehbare Zeit fraglich werden würde.
Verdammt, ob der Situation könnte er auch einfach losheulen wie ein Schlosshund. Er fühlte sich aber nur noch leer, unfähig sich zu rühren oder etwas zu tun. Nur am Rande bemerkte er, dass sich hinter ihm im Flur eine Tür öffnete.
Nach einem Moment der Stille patschten nackte Füße über den Flur, bevor an eine andere Tür geklopft wurde. Er konnte verstohlenes Stimmengemurmel hören, dann näherten sich Jessy und Jochen leise von hinten, als wollten sie ihn nicht erschrecken. Er machte jedoch keinerlei Anstalten, sich umzudrehen, sondern blieb unter dem Türrahmen stehen.
»Hallo Alex!«, ertönte schließlich Jessys Stimme deutlich lauter als zuvor. »Schön, dass du wieder da bist! Wir haben uns Sorgen um dich gemacht …« Sie hatten keine Ahnung, wie Alex realisierte! »…war die letzten Tage im Krankenhaus …«, unterbrach er sie in einer Aufwallung von Ärger.
Hinter seinem Rücken herrschte Schweigen. »Was? Wir dachten …«, setzte Jessy an, brach dann aber ab.
Langsam drehte sich Alex mit steinerner Miene zu den beiden um. Jochen starrte ihn mit großen Augen an, während Jessy ungläubig den Kopf schüttelte. Sie sah furchtbar aus, wie Alex registrierte. Ihr linkes Jochbein zierte ein in allen Farben schillernder Bluterguss, während ihre sonst so penibel gepflegten Haare so struppig wie eine Drahtbürste anmuteten. Jochen sah nicht viel besser aus, wenn Alex bei ihm auch einfach nur die Spuren extensiver Überarbeitung und/oder erhöhten THC Konsums zu erkennen glaubte.
Schweigend schaute er beide eine endlos erscheinende Weile an, bevor er antwortete. »Ich wurde wohl drei Stunden, nachdem ich hier das letzte Mal verschwunden bin, niedergeschlagen und bin im Krankenhaus aufgewacht! Seitdem habe ich versucht, euch zu erreichen!« Er schaffte es nicht im Ansatz, den Vorwurf aus der Stimme zu verbannen.
Schnell tauschten Jessy und Jochen betroffene Blicke. Dann antwortete sein Mitbewohner zögerlich. »Wir haben versucht, dich zu erreichen, wirklich! Aber dein Handy war aus und wir dachten, dass du deine Ruhe haben wolltest. Immerhin ist das mit Anna noch nicht allzu lange her und Jochen meinte, du warst neulich Abend deswegen nur am Schimpfen, als ihr einen heben wart. Wie damals, nachdem Sandy dich abserviert hat!«, kurz schien Jessy bei ihren Worten näher an ihn herantreten zu wollen, stockte dann aber und sah ihn unsicher an. Wortlos wandte Alex sich ab. »Lasst mich bitte erst mal in Ruhe, ja?«, murmelte er und warf, ohne auf Antwort zu warten, die alte Holztür hinter sich zu.
Herrliche Stille erfüllte nun den Raum. Mit einem von Herzen kommenden Seufzen durchquerte Alex den Raum, um sich dann auf das Bett fallen zu lassen. Zu spät erinnerte er sich an die fehlende Matratze im Doppelbett, was ihm beim Aufprall auf den Lattenrost mit sengenden Schmerzen quittiert wurde.
Trotz seines scheinbar in Flammen stehenden Rückens blieb er reglos liegen, starrte zur Decke und verfolgte einfach die Spuren der Wasserflecken über sich. Absurderweise fühlte er sich bald leicht und losgelöst, hatte sogar das Gefühl, sich selbst von der Decke herab zu betrachten, bis die Erschöpfung ihr Recht einforderte und ihm die Augen zufielen.
Zaghaftes Klopfen weckte ihn einige Stunden später. Überrascht hob er den Kopf und schaute sich um. Er konnte sich nicht einmal im Ansatz daran erinnern, eingeschlafen zu sein. Im Zimmer herrschte Dunkelheit, doch ein einzelner Lichtspalt tat sich einen Moment später auf, als sich die Tür öffnete und Jochen den Kopf vorsichtig hereinsteckte. Nach kurzem Zögern schien er sich ein Herz zu fassen und betrat, langsam und fluchtbereit wirkend, den Raum. In der Hand hielt er einen dampfenden Topf Tee, dessen Geruch Alex schon aus der Ferne in die Nase stieg.
»Konfuzius sagt: Die Welt sieht mit etwas Tee gleich viel besser aus!«, meinte er mit einem schiefen Lächeln und stellte die Tasse neben ihn auf das Nachtkästchen. Mit einem leisen Ächzen setzte sich Alex auf.
»Wenn dein oller Konfuzius wüsste, was du ihm hier andichtest, würde er in im Grab gewaltig auf Drehzahl kommen!«, kommentierte Alex, griff aber dennoch nach der Tasse. »Danke!«
Jochen wartete geduldig, bis Alex getrunken hatte. Dann streckte er die Beine aus und schlug sie bequem übereinander. »Erzähl mal, Großer. Papa Jochen hat ein offenes Ohr für dich. Was war denn nun bei dir los?«
Obwohl ihm der gönnerhafte Tonfall seines Mitbewohners gewaltig gegen den Strich ging, begann Alex nach einer Weile zu reden.