Читать книгу Acht - Andreas Michels - Страница 17
ОглавлениеAlex riss erschreckt die Augen auf, als ihm klar wurde, was er dort sah: Auf einem extra dafür gebauten Podest lag eine Frauenleiche, eingebettet in einer Glasvitrine. Karel neben ihm bekreuzigte sich hastig. »Heilige Mutter Gottes! Was sucht eine verdammte Tote hier?«
Alex beleckte sich nervös die Lippen. Auch wenn er wohl niemals ein Archäologe werden würde, so hatte er dennoch während des Studiums die eine oder andere Leiche zu sehen bekommen, wenn auch zumeist in noch weiter fortgeschrittenem Zustand der Verwesung. Er zwang seine Gedanken in vernünftige Bahnen und machte einen ersten Schritt auf den Glassarg zu, um ihn sich näher zu besehen. Nach mehrmaligem Räuspern begann er in analytischem Tonfall eines Dozenten zu sprechen, wobei er das Zittern seiner Stimme innerlich verfluchte. »Frauenleiche, zweifelsohne. Mumifiziert. Todesursache auf den ersten Blick nicht erkennbar. Alter zum Todeszeitpunkt wahrscheinlich eher hoch, da graue Haare. Kleidung neuzeitlich, siebziger Jahre würde ich vermuten.«
Während er sprach, trat er näher an den Sarg heran, wagte es aber nicht, ihn zu berühren. Doch immer noch taxierte er den Leichnam und suchte nach weiteren Details. »Lackierte Fingernägel, Reste von extensivem Make-Up zu erkennen. Ehering an der rechten Hand. Perlenhalskette mit Bernsteinanhänger. Silberbrosche an der Bluse.«
Alex zwang sich, tief durchzuatmen, wobei er die abgestandene Luft in dem Raum erst jetzt bewusst bemerkte. Zu seiner Erleichterung fehlte aber jeglicher Verwesungsgeruch, was für die Dichtheit des Sarges sprach.
Kurz massierte er sich mit beiden Händen die Schläfen, atmete schaudernd aus, um sich dann zu Karel umzudrehen. »Wir müssen die Polizei rufen!« Diesem fehlte inzwischen nahezu jegliche Farbe im Gesicht.
»Ja, tote Frau ist Sache für die Polizei, ja. Ich …«. Unvermittelt unterbrach sich Karel und starrte an Alex vorbei. Seine Aufmerksamkeit schien von etwas im Hintergrund magisch angezogen zu werden. Als Alex sich umwandte, rechnete er ob des überraschten Blicks des Polen halb damit, dass die Leiche im Sarg sich eben aufsetzte. Doch Karels Aufmerksamkeit schien eher von den beiden Vitrinen eingefordert zu werden, die an der rückwärtigen Wand standen. Nun war es an Alex, überrascht nach Luft zu schnappen, denn von dort funkelte ihm pures Gold entgegen. Er konnte kunstvoll gestaltete Schalen mit eingearbeiteten Edelsteinen darin erkennen, Dolche und Amulette sowie etliche andere Schmuckstücke. »Da soll mich doch …«. Hastig umrundete Alex den Sarkophag, um an die Glasvitrinen heranzutreten, dicht gefolgt von Karel.
Er verschlang jedes einzelne Stück mit den Augen. Der Inhalt der Vitrinen musste ein Vermögen wert sein. Alles schien perfekt erhalten oder eben liebevoll restauriert worden zu sein. Ein wunderschöner Zierdolch lag direkt neben einer Sammlung kleiner Jadefiguren, während dahinter an der Rückwand ein kupfergetriebener Teller, mit südamerikanisch anmutender Ornamentik lehnte. Daneben stapelten sich mehrere uralte Schriftrollen an einen in Silber gehaltenen Kerzenhalter jüdischen Ursprungs. So ging es immer weiter, kreuz und quer ruhten in den Vitrinen Schätze aus allen Epochen der Menschheitsgeschichte. Erst mit deutlicher Verzögerung realisierte er, dass Karel auf ihn einredete. »Alexander!«, raunte er eindringlich. »Bitte! Wir sind reich, wenn wir jetzt keinen Fehler machen!« Alex schüttelte irritiert den Kopf. »Was meinst du?« »Na das hier!« Karel deutete mit ausschweifender Geste auf die Glasvitrinen. »Das muss ein Vermögen wert sein! Ich kenne jemanden, der uns das Zeug abkaufen wird. Ich …«, er zögerte kurz, »… wir machen Halbe-Halbe! Kein Feilschen, nichts. Genau gleiches teilen!«
Alex klappte den Mund auf, brauchte aber zwei Anläufe, bis er etwas herausbrachte. »Du willst das alles verkaufen?« Er holte scharf Luft und fuhr ihn an: »Das sind unbezahlbare historische Schätze. Sie gehören in ein Museum und sonst nirgendwo hin!« Noch bevor sein Chef etwas erwidern konnte, setzte Alex nach. »Das wäre Diebstahl, ganz abgesehen davon, dass wir nicht einmal wissen, ob es nicht jetzt schon Diebesgut ist. Und ich rede nicht von einer Bagatelle, wie einen verdammten Schrank zu verkaufen!« Karel rang die Hände. »Ich weiß doch, Alex. Aber bitte …! Ich will nur einmal in meinem Leben Glück haben! Ist das denn zu viel verlangt? Einmal! Das würde für einen neuen Transporter reichen und wahrscheinlich für ein kleines Büro oder was weiß ich!« Er hob flehentlich die Hände. »Mir läuft die Zeit davon, Alex. Ich werde alt und habe nichts!«
Händeringend deutete er auf die Vitrinen »Hier, der Kram da ist gut. Viel Geld wert. Für uns beide! Bitte, Alex!« In der Aufregung entglitt Karel die deutsche Sprache mehr und mehr. Schweiß begann auf der Stirn des Mannes zu glänzen, während er flehentlich die Worte auf Alex einprasseln ließ.
Schließlich versiegte sein Wortschwall, stattdessen starrte er Alex nur noch bittend an. Nur um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, musterte er die Sammlung abermals. Er könnte das Geld selbst mehr als nur gut brauchen, keine Frage. Aber hier ging es um eine kapitale Angelegenheit. Die Stücke waren für Geschichtsforscher nahezu wertlos, da ihnen mit Sicherheit keine Fundorte zugeordnet werden konnten. Bei privaten Sammlern, wie wohl auch der verstorbene Professor Uhlig einer gewesen sein musste, sah die Sache jedoch ganz anders aus.
Langsam zog er sein Handy aus der Tasche, aktivierte die Kamera darin, stellte die Auflösung so hoch wie möglich und schoss eine Reihe von Fotos der Exponate. Etliche Aufnahmen musste er mehrfach anfertigen, so sehr zitterten ihm gerade die Finger.
Karel verfolgte mit bangem Blick jede seiner Bewegungen und wischte sich dabei die schweißnassen Hände zum wiederholten Mal an der Hose ab, schwieg aber ansonsten. Alex fotografierte, immer noch fieberhaft nachdenkend, einen aufwändig verzierten Sarazenendolch, dessen Griff geschliffene Onyxe schmückten. Allein diese Waffe würde ein kleines Vermögen einbringen, sofern man einen Käufer fand. Jeder Archäologe träumte insgeheim davon, einen solchen Schatzhort einmal zu finden. Und nun stand er hier und suchte Gründe, um dem Bitten Karels nicht nachzugeben. Diese Kleinode würden ein hübsches Sümmchen einbringen. Genug, um in nächster Zeit nicht mehr jeden Cent in der Tasche dreimal umdrehen zu müssen. Schließlich seufzte er. Inzwischen hatte er über drei Dutzend Bilder gemacht, sehr viel mehr Zeit würde er nicht glaubwürdig schinden können. »Es tut mir leid. Aber das kann ich nicht machen. Bei aller Freundschaft nicht! Diese Schätze gehören in ein Museum, wie ich es vorhin bereits gesagt habe! Und außerdem, wie stellst du dir das vor? Hast du die Leiche vergessen?« Er deutete auf den gläsernen Sarg. »Wir können das hier nicht einfach unter den Teppich kehren!«
Karels eben noch hoffnungsvoller Blick entgleiste völlig, er starrte Alex an, als ob dieser ihm eben ins Gesicht geschlagen hätte. »Und ich dachte …«, begann er, brach jedoch ab, als ihm die Stimme versagte. Immer wieder sah er zwischen ihm und den Vitrinen hin und her. Schon wappnete sich Alex auf einen heranziehenden Sturm, doch trat Karel stattdessen langsam an die Exponate heran, um sie mit hängenden Schultern zu betrachten. Kurz biss sich Alex auf die Lippen und trat neben ihn. »Es geht einfach nicht! Das wäre illegal und das weißt du. Ich habe keine Lust im Bau zu landen.« Karel drehte sich halb zu ihm um, doch bevor er etwas sagen konnte, schoss Alex eine Idee durch den Kopf. »Aber vielleicht …«, schnappte er hastig, einer Eingebung folgend, »… vielleicht kriegen wir ja einen Finderlohn!« Der Gedanke brauchte zunächst eine Weile, um bei Karel einzusickern, doch dann nickte er schwach. »Ruf schon an! Ich bringe es nicht fertig!«, meinte er mit belegter Stimme. Ein letztes Mal wanderte sein Blick zu den Vitrinen, dann verließ er müden Schrittes den Raum, wobei er sich die Taschen mit zitternden Händen nach einer Zigarettenpackung abklopfte.
Alex folgte ihm dichtauf und quetschte sich auf der Treppe an dem Schrank vorbei nach oben. Kaum lag die Kellertreppe hinter ihm, da zeigte sein Handy auch schon wieder Empfang an. Hastig tippte er die Nummer des Notrufs ein und lauschte dem Klingelton.
»Notrufzentrale, Guten Tag!«, schnarrte alsbald eine Stimme. Alex musste sich hastig räuspern, um den Klumpen in seinem Hals loszuwerden. Erst dann konnte er sprechen. »Mein Name ist Alexander Richter. Mein Kollege und ich haben bei Entrümpelungsarbeiten in einem Haus in Stadtamhof eine Frauenleiche gefunden! Außerdem sind da Regale voller historischer Fundstücke, teilweise sehr wertvoll!« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang nun etwas angespannt. »Eine Frauenleiche? Sind Sie sicher?«
Alex glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. »Ja, verdammt! Ich bin mir sehr sicher. Sie liegt in einem Glassarg und ist schon eine ganze Weile tot! Soll ich ihnen erst die verdammten Bilder schicken, die ich gemacht habe?« Beim Sprechen überschlug sich seine Stimme und ließ ihn wie einen pubertierenden Teenager klingen. Prompt erfolgte auch die Antwort des Beamten. »Beruhigen Sie sich bitte, ich muss nur sichergehen. Ihrer Aussage zufolge handelt es sich also nicht um eine soeben verübte Tat?« Alex wechselte das Handy aufs andere Ohr. »Nein!«, entgegnete er, zwang sich tief Luft zu holen und setzte erneut an. »Nein, die Frau ist sicherlich schon mehrere Jahre tot! Wahrscheinlich war in dem Raum auch schon eine ganze Weile niemand mehr.«
Nachdem Alex die Adresse durchgegeben hatte, hörte er Tastengehämmer. »Gut, ich schicke sofort eine Streife vorbei! Die Kollegen kümmern sich dann vor Ort um alles Weitere. Fassen Sie bitte nichts in dem Raum an und warten Sie auf die Streife! Danke für Ihren Anruf, auf Wiederhören!«
Erst nach dem zweiten Versuch schaffte Alex es, das Gespräch mit einem Daumendruck zu beenden. Innerlich wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
Kurz sah er sich in dem inzwischen nahezu leergeräumten Flur um, bevor er wieder den Weg nach unten antrat. Dort lehnte in dem schmalen Korridor gegenüber der Tapetentür Karel, mit einer fast aufgerauchten Zigarette im Mundwinkel. Er schien sich wieder gefasst zu haben, brachte sogar so etwas wie ein wackeliges Grinsen zustande. »Sag mal … wie hoch ist denn so ein Finderlohn?«
Wider Willen musste Alex schmunzeln. Das klang doch schon wieder eher nach dem Schlitzohr, das er kannte. »Keine Ahnung, das hängt davon ab, auf welchen Wert sie die Fundstücke beziffern, ob sie Diebesgut sind oder zurück in den Besitz der Familie gehen. Mit Glück haben wir eine Chance auf fünf Prozent des Gesamtwertes!«
Hierauf wurde Karels Grinsen etwas säuerlich. »Na ja, besser als nichts! Kommt die Polizei?« Alex nickte knapp. »Werden wohl eine Weile brauchen, ist ja nicht so, als ob hier Leben in Gefahr wären!« Karel brummte nur und zog ein weiteres Mal an seiner Zigarette. Alex sollte wohl noch etwas Aufmunterndes sagen. Irgendetwas. Doch ihm wollte einfach nichts einfallen und so breitete sich gespanntes Schweigen in dem schmalen Kellergang aus. Zehn Minuten später wurde das Warten jedoch langsam unerträglich. Dass Karel inzwischen seine zweite Zigarette geraucht hatte und man somit die Luft im Gang fast schon schneiden konnte, machte die Sache auch nicht besser.
Alex begann, wie ein gereizter Tiger auf und ab zu marschieren, wobei ihm Karel unablässig mit den Augen folgte. Zumindest, wenn er nicht zum wiederholten Male sehnsüchtig zu den Vitrinen hinüber starrte. Irgendwann wurde es zu viel. »Karel!«, schnappte Alex den älteren Mann unvermittelt an. »Warum gehst du nicht hoch und weist die Polizei ein? Die müssten ja so langsam mal auftauchen!« Der Angesprochene nickte und marschierte mit den Händen in den Hosentaschen die Treppe hinauf. Einen Augenblick lang starrte Alex ihm überrascht ob dieser unerwarteten Gefügigkeit hinterher, bevor er innerlich mit den Schultern zuckte und die Wanderung wieder aufnahm.
Nun aber begann der Adrenalinspiegel in seinem Blut zu sinken, was ihm alsbald das Gefühl bleiern schwerer Glieder bescherte.
Als Alex das nächste Mal auf die Uhr seines Handys starrte, waren bereits mehr als zwanzig Minuten seit dem Anruf vergangen.
Er unterdrückte einen Fluch und stopfte das Gerät zurück in die Tasche.
Wie es zuvor auch Karel getan hatte, so verschlang nun er mit den Augen die beiden Vitrinen. Einmal nur ein paar der Stücke in der Hand halten können, was würde er dafür geben! Schnell senkte Alex ob dieses Gedankenganges die Augen, biss sich auf die Lippen und starrte über die Schulter in Richtung Treppe. Nein, das stand außer Frage. Aber zumindest ein letztes Mal aus der Nähe betrachten konnte er diese Kleinode doch wohl?
Kurzentschlossen huschte er in den Raum und nahm die Exponate mit fast schon an der Scheibe plattgedrückter Nase in Augenschein. Er kannte da jemanden, der sich sehr für dieses kleine Abenteuer interessieren würde. Eben erwog er, noch ein paar mehr Bilder zu schießen, als hinter ihm Schritte ertönten. Lächelnd wandte er sich um.
»Das wurde ja auch …«. Weiter kam er nicht.
Bei dem Mann, der nun vor ihm stand, handelte es sich weder um Karel noch um einen der erwarteten Polizisten. Alex erhaschte noch einen flüchtigen Blick auf ein plattgedrückt wirkendes Gesicht ohne jede erkennbare Mimik, bevor ihm ein massiger Gegenstand gegen den Schädel geschlagen wurde. Von einem Moment zum anderen verlor er jegliche Körperkontrolle und ihm wurde schwarz vor Augen. Er spürte noch, wie sein fallender Leib mit voller Wucht gegen eine der Vitrinen krachte. Ein scharfer Schmerz brandete über ihn hinweg, als sich die Glassplitter des berstenden Konstrukts tief in seinen Rücken bohrten. Dann umarmte ihn gnädige Finsternis.