Читать книгу Acht - Andreas Michels - Страница 21

Оглавление

8. Kapitel

Während auf dem Herd die Tomatensoße vor sich hin blubberte, beugten sich Jessy und Jochen etwa eine Stunde später neugierig über das Smartphone von Alex auf dem Küchentisch. Langsam blätterten die beiden durch die Fotos aus der verwaisten Villa. Alex selbst stand am Fenster und beobachtete schweigend die Menschenmassen auf dem nahegelegenen Domplatz, wo eben die Nachtscheinwerfer für den riesigen Kirchenbau ihren Betrieb aufnahmen.

»Und du kannst dich wirklich an rein gar nichts erinnern?«, hakte Jessy noch einmal nach. Alex antwortete, ohne den Blick vom Geschehen unter sich abzuwenden. »Nein, kein Stück weit. Da ist rein gar nichts mehr an Erinnerung da. Wie ein schwarzes Loch!«

Schließlich beendete Jochen die Anwendung, um das Handy dann zur Seite zu schieben. »Meine Güte! Da liefert der Herr Richter ein filmreifes Stück Kriminalgeschichte ab und wir sitzen hier und haben von nichts eine Ahnung!« Alex wandte sich noch immer nicht vom Fenster ab. »Ich habe versucht, euch zu erreichen …«, erwiderte er frostig.

Darauf konnte keiner seiner beiden Freunde etwas erwidern. Jessy stand eine Spur zu schnell auf und sah nach dem Abendessen. Jochen dagegen kratzte sich verlegen am Hinterkopf, schwieg aber ebenfalls. Erst nach längerer Pause vernahm Alex schließlich Jessys Stimme. »Und dein Rücken kommt wieder ganz in Ordnung?«, fragte sie und fischte gleichzeitig etwas umständlich die Nudeln aus dem Wasser.

Während er die Vorgänge hinter sich über die spiegelnde Fensterscheibe beobachtete, nickte Alex langsam. »Ich denke ja, die Ärzte waren sehr zufrieden. Wenn alles gut läuft, kann ich in ein paar Tagen zum Fäden ziehen.« Ihm entgingen die verwunderten Blicke nicht, die Jochen und Jessy einander zuwarfen.

»Ist was?«, fragte er. Jessys Spiegelbild biss sich auf die Lippe und auch Jochen wirkte nun ungemein mit dem Auslegen des Bestecks beschäftigt, wie Alex registrierte. Also blieb er zunächst einfach einmal stehen und beobachtete die zwei. Lange jedoch hielt Jessy es nicht aus. Sie stellte die Saucenterrine weg, um neben Alex zu treten. »Wir machen uns Sorgen um dich!« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Keine Ahnung. Du wirkst, als ob dich das alles gar nicht kümmert!« Nervös fuhr sie sich durch die zur Abwechslung offenen Haare. »Seit einer Stunde hast du dich nicht vom Fleck gerührt und starrst wie eine Statue aus dem Fenster, ohne dass du irgendeine Regung zeigst!«

Etwas überrascht horchte Alex in sich hinein, um in sich tatsächlich nur Leere vorzufinden. Er wusste, er sollte wütend sein, traurig oder enttäuscht, ob dessen, was ihm zugestoßen war. Aber er verspürte lediglich das distanzierte Gefühl eines erlittenen Verlusts. Nicht viel anders wie bei einem Kugelschreiber, den man oft nutzte, aber auf einmal einfach nicht mehr fand. Sein Schweigen dauerte an, trotz des abwartenden Blicks, mit dem ihn Jessy musterte. Es konnte nur einen Rückschluss geben: »Ich glaube, es ist bei mir noch gar nicht richtig angekommen«, murmelte er.

Schließlich riss er sich vom Anblick des Doms los, um sich zu den anderen an den Tisch zu setzen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, begann er automatisch Gabel um Gabel in sich hineinzuschaufeln, als gäbe es kein Morgen mehr. Jessy und Jochen ließen es etwas langsamer angehen, beide behielten ihn aber im Auge, wie er unschwer erkannte.

Gerade kümmerte ihn diese Aufmerksamkeit aber recht wenig. Er hatte Bärenhunger und so wurde von ihm binnen kürzester Zeit der erste Teller verputzt. »Ich nehme mir noch!«, murmelte er, um dann seine Ankündigung alsbald in die Tat umzusetzen. Die nächste Portion ging er etwas gesitteter an, auch wenn er glaubte, locker noch einen Teller verputzen zu können. Das war ja fast wie zu den vergangenen Trainingszeiten, als er, ob seines Kalorienverbrauchs, gar nicht genug in sich hineinstopfen konnte.

Jessy feixte. »Das Essen im Krankenhaus war nicht allzu prall, hm?«, fragte sie. Alex zuckte nur bedeutsam mit den Schultern und kaute mit vollen Backen weiter.

»Was genau hast du jetzt eigentlich wegen dem Überfall vor?«, wollte Jochen etwas später wissen und schob mit einem zufrieden klingenden Seufzen den Teller von sich weg. Erwartungsvoll schaute er Alex an, der nach kurzem Zaudern nun doch eine dritte Portion verputzte. Er bedachte ihn mit einem nicht gerade erbauten Blick und ließ sich mit seiner Antwort extra lange Zeit.

»Was soll ich schon machen? Das Ermittlungsverfahren läuft, die Polizei macht sich aber scheinbar nicht allzu viele Hoffnungen, den Täter zu erwischen«, antwortete er, um sich sogleich eine weitere Gabel Nudeln in den Mund zu schieben. Gottesknecht hatte ihn bei seinem letzten Besuch eindringlich darauf hingewiesen, dass er sich bitte schön erst einmal auszukurieren habe und ansonsten die Polizei sich schon um alles kümmern würde.

»Nein, bis auf weiteres sitze ich jetzt erstmal zu Hause und spiele krank!«, brummte er nach gründlichem Kauen. Jessy kratzte derweilen die letzten Reste mit einem Löffel aus einem Joghurtbecher, um Alex taxierend anzusehen. »Stimmt schon!«, meinte sie nach kurzem Nachdenken. »Ist trotzdem eine saublöde Situation. Du hattest in den letzten Tagen auch noch Bewerbungsgespräche, wenn ich mich richtig erinnere?«

Seufzend winkte Alex ab. »Nicht direkt, nur anstehende Anrufe. Du kennst das ja …« Ächzend erhob er sich, um seinen Teller in die Spüle zu stellen. »Es werden sich schon andere Gelegenheiten ergeben, ändern kann ich es jetzt eh nicht mehr.«

Jessy zog eine Grimasse, kratzte sich verstohlen an ihrem nun überschminkten Feilchen und wollte gerade antworten, als die Türklingel läutete. Simultan sahen alle drei zu der Mickey-Maus-Uhr über der Tür.

»Halb zehn!«, brummte Jochen. »Wieder der Typ?«, fragte er in Jessys Richtung. Sie schnaubte nur und machte keine Anstalten sich zu erheben. »Ich hoffe nicht, sonst gibt es dieses Mal ein Unglück!« Auf Alex fragenden Blick hin winkte sie hastig ab. »Ach, so ein Kerl aus der Stadt, der sich irgendwie in mich verstiegen hat und das Wort „Nein“ nicht kennt.«

Unwillkürlich huschte der Blick von Alex zu dem Bluterguss unter ihrem linken Auge. Ein weiteres Kreischen der Klingel verhinderte jedoch eine entsprechende Frage. Jochen seufzte und verschwand wortlos aus der Küche in Richtung Wohnungstür. Neugierig lauschte Alex den Geräuschen im Flur, ließ dabei Jessy aber nicht aus den Augen, die sichtlich nervös mit einem leeren Joghurtbecher herumspielte. Eben rang sie sich ein Lächeln ab, da wurde vorne die Tür geöffnet. Alex vernahm leises Stimmengemurmel, bevor Jochen wieder lauter wurde. »Eh, Alex? Ist für dich!«

Mit wachsender Verwirrung erhob sich Alex, um wenig grazil in Richtung der Wohnungstür zu schlurfen. Seine Überraschung, an der Tür Dr. Schneider zu erblicken, konnte man ihm wohl nur zu deutlich ansehen. Denn kaum bekam er Alex zu Gesicht, da wuchs sein Lächeln in die Breite. »Herr Richter, es freut mich, Sie wieder auf den Beinen zu sehen. Was macht der Kopf?« Zeitgleich zu seiner Frage drückte sich der Anwalt an Jochen vorbei und ergriff die Hand von Alex, um sie herzlich zu schütteln.

Dieser musste sich zunächst zwingen das Lächeln zu erwidern. Zu groß war für den Moment seine Verwirrung. »Ja, geht so, der Rücken macht mir mehr Kummer.«, erwiderte er zögerlich.

Schneider nickte knapp, als habe er das erwartet. »Sie werden sich sicherlich fragen, warum ich sie aufsuche«, begann er und versenkte die linke Hand in der Hosentasche. »Es geht um die Vorfälle, die zu ihrer Verletzung geführt haben.« Er schaute sich um, musterte Jochen und dann mit weitaus mehr Interesse auch Jessy, die Alex eben aus der Küche kommen hörte. Bald aber wandte sich der Anwalt nach einem freundlichen, aber unverbindlichem Gruß wieder ihm zu. »Kann ich Sie zu einer Kleinigkeit einladen und wir besprechen dabei alles Weitere?« Alex runzelte die Stirn, nickte dann aber.

»Ich habe zwar schon gegessen, aber irgendwas wird sich noch finden, das reinpasst!« Jochen, der nun von Schneider konsequent ignoriert wurde, zog sich derweil dezent in den Hintergrund zurück. Alex indes griff lediglich nach einer leichten Jacke, warf sie sich mit etwas Mühe über und sah den Anwalt an. »So, fertig!«

Einige Minuten später saß er zusammen mit Schneider in einem der zahllosen Cafés in der Regensburger Altstadt, das rein zufällig auch noch das Stammlokal von Alex darstellte. Recht schnell kristallisierte sich heraus, dass eigentlich auch sein Gastgeber kein gesteigertes Interesse an einer vollständigen Mahlzeit hatte und so hielt der Anwalt sich, wie auch er selbst, an einer Tasse Kaffee fest. »Also, lassen Sie mich mal hören!«, meinte Alex, um sich dann gespannt vorzulehnen.

Schneider ließ ihn erst noch einen Moment zappeln, nahm einen ersten Schluck Kaffee und zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Sakkos. Diesen legte er vor sich ab, die gefalteten Hände auf der Tischplatte dahinter abgelegt, bevor er zu sprechen begann.

»Wie Sie ja schon wissen, vertrete ich die Familie und Erbengemeinschaft des verstorbenen Professors Uhlig«, erklärte er konzentriert, als müsse er sich die nächsten Worte genau überlegen. »Es herrscht Bestürzung über das Vorgefallene und so wurde ich angewiesen, Ihnen ein überaus großzügiges Schmerzensgeld anzubieten«

Statt einer Antwort verengte Alex die Augen, um den Anwalt genau zu mustern. Irgendwie machte ihn die Wortwahl seines Gegenübers stutzig. Und hatte Gottesknecht nicht eigentlich gesagt, dass es keine Verwandten Uhligs gab? Langsam fing die Sache an, etwas seltsam zu werden. »Über was für einen Betrag reden wir hier?«, antwortete er gedehnt. Schneider lächelte und schob seinem Gegenüber mit einer lässig erscheinenden Bewegung den Umschlag zu. »Zehntausend Euro!«, meinte er dabei schlicht.

Alex, der bereits nach dem Umschlag greifen wollte, hielt inne, um Schneider perplex anzustarren. Nicht dass er Expertise in Sachen Schmerzensgeld vorweisen konnte, aber die Summe kam ihm exorbitant hoch vor. In Kombination mit der vorangegangenen Wortwahl des Anwalts ließ das nur einen Schluss zu. Statt nach dem Umschlag zu greifen, faltete er die Hände vor dem Bauch und ließ sich tief in das Sesselpolster sinken. »Und was sind die Bedingungen für die Annahme?«

Nun sah Schneider ihn im Gegenzug verdutzt an. Scheinbar hatte ihn Alex vollkommen auf dem falschen Fuß erwischt und damit aus der Bahn geworfen. »War das so offensichtlich?«, hakte er mit einem dünnen Lächeln nach.

Zur Antwort nickte Alex langsam, ohne den Mann auf der Gegenseite des Tisches aus den Augen zu lassen. Für einen Augenblick hielt der Anwalt seinem Blick noch stand, ehe er den Blick abwandte, seufzte und mit ruckartiger Geste einen gefalteten Ausdruck aus der Tasche seines Sakkos zog.

»In diesem Fall denke ich, wird es das Beste sein, wenn Sie sich den Vertrag ganz einfach in Ruhe durchlesen!«, meinte er, um das Stück Papier auf den Umschlag zu legen.

Hab ich dich! Mit neutraler Mine griff sich Alex den Ausdruck, um die wortreiche Formulierung zu überfliegen. Schon um Schneider zu ärgern, nahm er sich alle Zeit der Welt und las den Text ganze dreimal, bevor er den Zettel wieder auf den Tisch fallen ließ. »Inakzeptabel!«, meinte er schlicht und verschränkte zeitgleich die Arme vor der Brust.

Abermals entgleiste seinem Gegenüber das Gesicht, was genau die von Alex beabsichtigte Reaktion darstellte. »Darf ich fragen warum, Herr Richter?«

Langsam zog Alex das Schriftstück zu sich. »Wenn ich das hier richtig lese, knüpfen Sie die Auszahlung des Schmerzensgelds, das Ihre Mandanten laut eigener Aussage gar nicht zahlen müssten, an eine einzige Bedingung.«

Nach einem bestätigenden Nicken Schneiders fuhr Alex sogleich fort und ließ den Anwalt gar nicht erst zu Wort kommen. »… und zwar, über den kompletten Vorfall Schweigen zu bewahren, um das Andenken des verstorbenen Herrn Professors zu wahren.«

Schneider lächelte dünn. »Sie haben es richtig erfasst, das ist die einzig relevante Bedingung. Dürfte ich nun den Grund für Ihre … nun ja … Zurückhaltung erfahren?« Schneider gab sich lässig, dennoch sah ihm Alex die Anspannung deutlich an. Nur um ihn noch etwas schmoren zu lassen, las er den Vertrag ein weiteres Mal.

»Sehen Sie, die Ermittlungen laufen momentan noch und ich bin so was wie der Kronzeuge von Kriminaloberkommissar Gottesknecht. Wenn mir jetzt wichtige Dinge noch einmal einfallen sollten …« Den Rest ließ er unausgesprochen. Im Anschluss flegelte er sich bewusst lässig in den Sessel, beobachtete dabei Schneider aber umso genauer. Das freundliche, aber aufgesetzt wirkende Lachen kam sofort.

»Aber Herr Richter, natürlich sind damit die ermittelnden Behörden nicht gemeint!«, meinte er schmunzelnd und fügte schnell noch hinzu. »Das ist illegal, womit der ganze Vertrag nichtig wäre!« Während er sprach, drehte er einen verpackten Zuckerwürfel ständig in der Hand hin und her, was Alex mehr und mehr von der Unruhe des Mannes überzeugte.

»Nein, es geht meinen Mandanten primär um die Medien. Eine solche Nachricht ist ein gefundenes Fressen für die einschlägigen Schmierblätter und des Andenkens des Herrn Professor keinesfalls würdig«, fuhr er fort.

Alex legte den Kopf ein Stück zur Seite, um Dr. Schneider durchdringend zu mustern. Auch dieses Mal konnte der Mann seinem Blick nicht allzu lange standhalten. »Also wurde seine Frau nicht vermisst?«, wollte er wissen.

»Nein, nein!«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Wie auch immer er es geschafft hat, der Leichnam befand nicht in dem Sarg, der vor einigen Jahren beerdigt wurde. Wahrscheinlich konnte er sich einfach nicht von ihr lösen. So wie mir erzählt wurde, liebte er seine Frau über alles!« Alex gab sich noch nicht zufrieden. »Und die Vitrinen? Was war damit? Die Werte dort drinnen müssen immens gewesen sein!« Beiläufig griff er nach dem Umschlag, um dem Anwalt weiterhin Interesse zu signalisieren und ließ seine Hand darauf ruhen.

Auch dieses Mal ließ Schneiders Antwort nicht lange auf sich warten. »Professor Uhlig war bis zu seiner Pensionierung Dozent für Geschichte in Bamberg. Im Laufe der Jahre hat er wohl etliche Stücke zusammengetragen. Auf jeden Fall handelt es sich dabei nicht um Diebesgut!«

Zum Ende seiner Ausführung hin wurde Schneiders Stimme um eine Nuance schärfer, was ihm Alex für ein Anzeichen schwindender Geduld auslegte. Also nickte er bedächtig, griff mit betont gleichgültiger Miene nach dem Umschlag und sah hinein.

Er konnte sich nicht erinnern, schon einmal einen fünfhundert Euro Schein gesehen zu haben. Und in diesem Umschlag befanden sich jetzt gleich zwanzig Stück davon.

Erstaunlicherweise blieb Alex völlig ruhig, auch wenn er gerade mehr Geld in seinen Händen hielt, als er jemals in seinem Leben auf einen Schlag besessen hatte. Ihm warfen sich dennoch etliche Fragen auf, aber irgendetwas sagte ihm, dass Schneider nicht mehr allzu lange mit sich spielen lassen würde. »Also gut, ich akzeptiere. Haben Sie einen Stift?«, fragte er schlicht.

Schneider reichte ihm mit einem unverbindlichen Lächeln einen Kugelschreiber mit dem Werbedruck seiner Kanzlei darauf, woraufhin Alex eine schnelle Unterschrift unter den Vertrag warf und ihn dann in Richtung des Anwalts zurückschob. Gerade wollte er auch den Stift zurückreichen, doch der Jurist winkte ab. »Behalten Sie ihn ruhig, ich habe noch ein paar davon!« Als Alex daraufhin nickte und sowohl Kugelschreiber als auch das Kuvert in seine Jackentasche schob, stand Schneider auf. »Wenn Sie gestatten, werde ich mich jetzt auch gleich verabschieden.«

Alex grinste schief, auch wenn ihm nicht danach war. »Vielen Dank für Ihre Mühe!« Währenddessen schüttelte er kraftlos die Hand, die ihm hingehalten wurde. »Gerne geschehen! Guten Abend, Herr Richter!«

Dann verschwand der Anwalt und Alex blieb allein mit seinen Gedanken und zehntausend Euro zurück. Langsam legte er die Hand in seiner Jackentasche auf das Kuvert und sinnierte über die Verwendungsmöglichkeiten des Inhalts. Er sollte sich eigentlich über diesen unerwarteten Geldsegen freuen, doch der Ursprung des Geldes ließ einen faden Beigeschmack zurück. Gerade jetzt begann sein Rücken wieder zu schmerzen, aber wenigstens schienen sich die Kopfschmerzen der Vortage erledigt zu haben. So blieb er noch eine ganze Weile sitzen, beobachtete das Kommen und Gehen in dem belebten Café, bis schließlich die Kellnerin zum Abräumen an den Tisch kam. Alex tauschte einige Belanglosigkeiten mit ihr aus, ehe er sich auf den Heimweg machte.

Schneiders Klienten schienen ja ein gewaltiges Interesse daran zu haben, Uhligs kleines Geheimnis zu wahren. Irgendetwas stimmte da aber ganz und gar nicht, wenn man die Äußerung Gottesknechts in Betracht zog. Während er auf dem Weg nach oben Stufe um Stufe nahm, wanderten seine Gedanken zu den Bildern auf seinem Handy. Ob diese Vorsicht der Erbengemeinschaft nicht doch etwas mit den Schätzen in der Vitrine zu tun hatte? Unvermittelt blieb er stehen, um dann zu grinsen. Er wusste, wer ihm bei dieser Frage behilflich sein konnte. Gleich morgen früh würde er Uhu besuchen gehen, was eigentlich schon lange überfällig war.

Pfeifend öffnete er die Wohnungstür, schnupperte kurz und schmunzelte. Den Geruch im Flur der ehemaligen Arztpraxis konnte er gar nicht falsch deuten. Jochen hatte seine Wasserpfeife in Betrieb genommen und wahrscheinlich auch etwas mehr als nur Tabak in den Pfeifenkopf getan.

»Hey Leute, ich bin wieder da!«, rief er in die Wohnung, um fast sofort eine Antwort von Jessy zu erhalten. »Wir sind bei Jochen! Komm rein!«

Das ließ sich Alex nicht zweimal sagen. Schnell warf er hinter sich die Wohnungstür zu, legte die wenigen Schritte zu Jochens Zimmertür zurück und öffnete sie. Erwartungsgemäß saßen seine beiden Freunde in Jochens Sitzecke, die eigentlich nur aus einer wilden Ansammlung verschiedenster Kissen bestand. In der Mitte des Durcheinanders thronte Jochens bestes Stück, eine fast einen Meter hohe Shisha, auf einem niedrigen Tischchen. Gerade zog Jessy hingebungsvoll am Mundstück und hob nun eine Hand, um Alex fröhlich zuzuwinken.

»Leute, ihr werdet es nicht glauben. Schneider hat mir Schmerzensgel …« Weiter kam er nicht, denn ohne jede Vorwarnung fuhr ihm ein brennender Schmerz in den Brustkorb, als ob ihm jemand ein glühendes Messer zwischen die Rippen gerammt hätte. Erschreckt versuchte er Luft zu holen, was den Schmerz aber nur noch steigerte. Ein weiterer Versuch resultierte in noch mehr Schmerzen, sowie einem rasselnden Hustenanfall.

Panisch floh Alex aus dem Zimmer hinaus in den Flur, wo er sich nach wenigen Schritten röchelnd an eine Wand lehnte, um zu Atem zu kommen. Wie aus weiter Ferne konnte er Jochens erschreckte Stimme hören. »Alex? Alles okay? War doch nur ein bisschen Gras, kein Grund einen auf toter Mann zu machen!« »Ja, geht gleich wieder!«, presste Alex mühevoll hervor und rang mühsam um Atem, während ihm Tränen die Sicht verschleierten. Sein Gesicht, das er im Spiegel auf der gegenüberliegenden Flurseite sehen konnte, lief zu einem immer dunkler werdenden Tiefrot an. Erst nach etlichen Atemzügen beruhigte sich sein rasendes Herz wieder. »Alter, was rauchst du für Zeug?«, rief er den Gang hinunter, nur um im Anschluss gleich den nächsten Hustenanfall unterdrücken zu müssen. Jetzt meldete sich auch sein Rücken wieder, der mit jedem tiefen Atemzug mehr in brennenden Schmerz eintauchte. Schließlich steckte Jochen seinen Kopf zur Tür nach draußen und musterte ihn mit schreckgeweiteten Augen. »Du machst Sachen …«, brummte er verwirrt. Alex bedachte ihn mit einem ausgestreckten Mittelfinger, wankte hastig in die Küche und stürzte gierig mehrere Gläser Leitungswasser hinunter. Erst so bekam er den Hals frei und sog anschließend tief die frische Luft aus dem geöffneten Fenster ein. Als er sich umdrehte, wurde er mit einer Mischung aus Verwirrung und Besorgnis von seinen Mitbewohnern gemustert. »Was war das denn für eine Vorstellung?«, fragte Jessy. Statt einer Antwort wischte sich Alex zunächst wieder einmal die Tränen aus den Augen, um sich dann vorsichtig auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches niederzulassen. »Keine Ahnung, hab mich wohl verschluckt. Mein Rücken bringt mich grade um.«

Er konnte nur zu deutlich sehen, dass sich Jochen nur mit Mühe einen wahrscheinlich sehr unpassenden Kommentar verbiss. Stattdessen setzte er sich auf die Arbeitsplatte der Küchenzeile und verschränkte die Arme vor der Brust. »Also, nachdem du jetzt den sterbenden Schwan gegeben hast, erzähl mal: Was wollte der Kerl von dir?«

Auch Jessy beugte sich neugierig vor, so dass Alex den Geruch von Apfeltabak ausmachen konnte, der von ihr ausging. Kurz unterdrückte er einen Würgereiz, räusperte sich und ahmte Jochens Haltung nach.

»Um es kurz zu machen, Schneider hat mir im Namen der Familie des toten Professors Schmerzensgeld gezahlt, verbunden mit der Auflage die ganze Sache nicht an die Medien zu geben.« Jochen runzelte die Stirn, um ihm mit einem skeptischen Blick zu bedenken. »Aha? Und wie viel hat er gezahlt?«, wollte er wissen. Der Hustenanfall schien vergessen, was Alex, ob der peinlichen Vorstellung, die er gegeben hatte, ganz gut in den Kram passte. Dennoch fragte er sich ob Jochens Tonfall, ob es wirklich eine gute Idee war, den genauen Betrag zu nennen. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. »Zehntausend!«, murmelte er also knapp. Die daraufhin folgende Stille im Raum konnte man schneiden. Schließlich war es Jessy, die grinsend das Schweigen brach. »Mensch Alex. Zehn Mille! Ich für meinen Teil weiß, wer uns demnächst zum Essen ausführt!« Jochen tauschte kurz einen gewichtigen Blick mit ihr, erhob sich gemächlich, um ihm eine Hand auf die Schulter zu legen und mit salbungsvoller Stimme zu sprechen. »Das klingt nach einer verdammt guten Idee, wenn du mich fragst!« »Ach, ihr beide könnt mich mal«, erwiderte Alex, um dann aber in das Grinsen seiner Freunde einzufallen. »Okay, sucht euch einen Schuppen für morgen Abend aus!«

Acht

Подняться наверх