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Schneeweiß

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Wolfgang Hinrichsen, Tjarksens Prokurist, wohnte in einer Siedlung, die in den neunziger Jahren entstanden war. Auf den knapp bemessenen Grundstücken nahmen sich die Häuser aus, als wären sie etwas zu groß gewachsen und würden mit den Nachbarhäusern wetteifern, wer die aufwändigsten Wintergärten, die originellsten Erker und die stilvollsten Wetterfahnen hatte.

Gerrit Roolfs parkte sein Auto bei einem Spielplatz. Zwei Männer saßen auf der Bank. Ihre mit Zigarettenqualm vermischten Atemwolken stiegen wie Sprechblasen über ihnen auf. Sie tranken Bier aus Dosen und sahen den Kindern beim Spielen zu.

In Hinrichsens Einfahrt stand ein schneeweißer Mercedes mit dem Hufeisen am Kühlergrill, das genauso wenig fehlen durfte wie das metallene Wandbild vom pflügenden Bauern neben dem Hauseingang und die bemalte Dachpfanne vor der Haustür.

»Moin, Herr Roolfs!« Ein großer, schlanker Mann im Jogging­anzug stand in der Durchgangstür zwischen Haus und Garage. »Kommen Sie man hier lang. Ich habe hier hinten mein kleines Reich.«

Gerrit Roolfs folgte Hinrichsen in ein Holzhaus im Garten und setzte sich in einen der drei Korbsessel.

»Ich weiß genau, was Sie mich fragen wollen«, sagte Hinrichsen. »Wie ich das im Winter in so einem Holzhaus aushalte und ob ich Tammo Tjarksen auf dem Gewissen habe. Die Antworten lauten: Das Holzhaus hat eine super Isolierung, viel besser als die meisten richtigen Häuser. Da muss ich den Garten nicht gleich mitheizen. Und Tammo Tjarksen habe ich nicht ermordet. Ich profitiere auch nicht von seinem Tod. Ich war bei Tammo der zweite Mann, und bei Klausi und Renate werde ich es auch bleiben. Ich bin der geborene zweite Mann. Auf dieser Position spiele ich am besten. Tasse Kaffee?« Hinrichsen schwenkte eine Thermoskanne.

»Ja, mit viel Milch bitte«, entgegnete Roolfs. »Sie werden jetzt eine deutlich stärkere Position in der Firma haben, als Einziger mit Durchblick.«

»Ach, der Klausi, der braucht vielleicht noch ein paar Jahre, und dann wird er das besser machen als sein Vater. Wir werden gut miteinander auskommen, so wie ich mit Tammo eigentlich auch ganz gut klargekommen bin. In den letzten Jahren habe ich sowieso die wichtigen Entscheidungen getroffen, Tammo hat vor allem Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Aber damit hat er dem Unternehmen nicht nur Vorteile gebracht, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Und mit Renate Tjarksen kommen Sie auch gut aus?«

Wolfgang Hinrichsen lachte. »Besonders gut, Herr Hauptkommissar. Renate und ich sind uns nicht gerade unsympathisch. Ab und zu fahren wir auch mal ein Wochenende weg, aber das hat Tammo gewusst.«

»Und nun steht er Ihnen nicht mehr im Weg«, provozierte Roolfs, dem Hinrichsens selbstgefällige Art langsam auf die Nerven ging.

»Das tat er auch vorher nicht. Es lief alles super. Es war so eine Art agreement unter guten Freunden.« Hinrichsen war anscheinend nicht aus der Form zu bringen.

Gerrit Roolfs hatte sich angewöhnt, besonders wachsam zu sein, wenn menschliche Beziehungen mit dem Wort ›super‹ beschrieben wurden. »Was heißt ›super‹, Herr Hinrichsen?«

Hinrichsen schmunzelt vielsagend. »Wir verstanden uns ganz wunderbar.«

Richtig nett

Plötzlich packte Gerrit Roolfs die Wut. »Sagt mal, für wie blöd haltet ihr mich eigentlich?«, brüllte er Hinrichsen an. »Der Chef macht mit seiner Angestellten rum, die fast fünfzig Jahre jünger als er ist, seine Frau fährt mit dem Geschäftsführer in den Urlaub, sein Sohn wohnt mit über vierzig Jahren noch bei Mama und Papa. Der andere Sohn hat den Kontakt zur Familie abgebrochen, weil er sich als erwachsener Mann nicht mehr von Papi durchprügeln lässt. Und alles ist super und harmonisch. Alle sind wie die nette Familie von nebenan aus der Vorabendserie. Und zum ersten Advent wird Mister Christmas über den Haufen geschossen und auf dem Marktplatz aufgehängt. Superharmonisch mit Weihnachtsbeleuchtung. Ich will jetzt wissen, was hier los ist!«

Wolfgang Hinrichsen wurde verlegen. »Aber das ist doch normal, Herr Hauptkommissar. Es funktionierte irgendwie.«

»Nein! Es funktionierte eben nicht, verdammt noch mal!« Gerrit Roolfs schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Tammo Tjarksen wurde ermordet. Er wurde nicht ausgeraubt. Irgendjemand hat ihn dermaßen gehasst, dass er ihn nicht nur ermordet, sondern ihn in seinem Tod auch noch lächerlich gemacht hat. Wer?«

Wie versteinert saß Hinrichsen in seinem Korbsessel. Seine Hände umklammerten die Lehnen. »Ich weiß es wirklich nicht. Mit Renate hatte er eine Vereinbarung. Die Vereinbarung schloss mich ein. Tammo war viel zu sehr von sich überzeugt, als dass er mich als Konkurrenz gesehen hätte. Mit Nadine hat er geflirtet, aber mehr lief da sicher nicht. Sie hat einen festen Freund. Und Klaus würde so etwas nie tun. Es ist ja sein Vater.«

»Das ist ja so richtig nett.« Gerrit Roolfs konnte kaum an sich halten. »Können Sie mich nicht adoptieren? Ich möchte auch gern zu einer so harmonischen Familie gehören. Wir wissen, dass Tjarksen Drohbriefe erhalten hat. Was können Sie uns dazu sagen?«

Hinrichsen schüttelte den Kopf. »Ich habe absolut keine Ahnung.«

»Herr Hinrichsen, Sie haben jahrelang mit Tammo Tjarksen eng zusammengearbeitet. Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie so wenig von ihm wissen!«

Wolfgang Hinrichsen zuckte mit den Schultern.

Gerrit Roolfs stand aus seinem Sessel auf. »Das reicht mir nicht. Ich melde mich morgen früh noch mal bei Ihnen. Dann will ich die Namen von allen, mit denen Tjarksen sich damals angelegt hat. Von allen! Verstehen wir uns?«

Hinrichsen saß mit verschränkten Armen in seinem Korbsessel und nickte sichtbar widerwillig.

Gerrit Roolfs baute sich in voller Größe vor ihm auf und sagte mit gefährlich leiser Stimme: »Herr Hinrichsen, Sie können mir nichts vormachen. Ich werde so oder so herausfinden, was Sie vor mir verbergen wollen. Wenn Sie mir etwas verschweigen, dann muss ich wichtige Gründe hinter Ihrem Verhalten vermuten.«

Wolfgang Hinrichsens Stimme zitterte. »Tammo konnte großzügig sein, ausgelassen, freundlich, unendlich hilfsbereit. Und dann konnte er dich anlächeln und dir im selben Moment eine in die Fresse hauen. Tammo war ein Schwein. Er hat gekriegt, was er kriegen wollte. Geschäftlich und privat. Und was er nicht bekommen konnte, das hat er sich einfach genommen. Vielleicht hat er jetzt gekriegt, was er verdient hat. Ich weiß es nicht.«

»Und was hat er Ihnen genommen?«

Hinrichsen starrte ins Leere.

Morgen kommt der Weihnachtsmann

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