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Kapitel 7

Der neunundzwanzigste Tag im Kampf für das Leben.

An-Keyt wusste es. Jeden Abend, wenn das Kommando sich in ein neues Lager zurückzog, kratzte sie mit einem aufgelesenen Metallsplitter eine Markierung in ihren Rückentornister. Manchmal schien es An-Keyt, dass die Kratzer an ihrem Tornister der einzige Unterschied zwischen den Tagen waren.

Ihr Vormarsch – der ihres Kommandos, der aller Kommandos – lief nach Plan. Mit jedem Tag drangen sie tiefer in den Bauch der PAN-THAU-RA vor, brachten sie neue Sektoren in ihre Gewalt, schlugen sie ihr Lager exakt in dem vom Helk-Netz vorgesehenen Ort auf, ruhten sie exakt die Stundenzahl, die nötig war, um sich optimal zu regenerieren, aßen sie die optimale Menge an Konzentraten in der für ihre Körper optimalen Zusammensetzung von Nahrungsbestandteilen.

An-Keyt kam es vor, als hätte ihr Leben niemals anders ausgesehen. Schlaf, Essen, Kampf, Essen, Paarung mit Belor-Thon, Schlaf – hatte es je etwas anderes gegeben? An-Keyts Verstand wusste es besser, aber wenn die Loowerin versuchte, sich in ihr altes Leben zu versetzen, stieß sie auf eine große Leere.

Ein Warnton des Gefechtssystems ließ An-Keyt anhalten. Die Helk-Module, die der Zweidenkerin vorangingen, waren auf eine Unregelmäßigkeit gestoßen. An-Keyt reagierte auf den Ton aus Reflex, einer instinktiven Reaktion, die man ihr auf dem Transporter als »überlebenswichtig« antrainiert hatte. Von ihren neu erworbenen Reflexen hatte die Soldatin seit dem Einschlag in der PAN-THAU-RA kaum Gebrauch machen müssen. Die Flachaugen, wie sie die Bewohner des Schiffs seit der ersten Woche des Vormarschs nannten, nahmen sich in Acht vor ihnen. Sie blieben außerhalb der Reichweite der Spürhelks, und nur manchmal, wenn sie sich nicht schnell genug verkrochen, kam es zu einem Aufeinandertreffen mit den Loowern. Es waren kurze, wenn auch nicht schmerzlose Begegnungen. Zurück blieben die verschmorten Leichen der Wesen, die so töricht gewesen waren, sich gegen die Kämpfer für das Leben zu stellen.

Der Warnton hielt an, zwang An-Keyt, auf der Stelle zu verharren. Die Loowerin stand allein in einem Korridor – wie üblich, die PAN-THAU-RA schien aus wenig anderem zu bestehen. Ein Korridor folgte auf den nächsten, hin und wieder unterbrochen von riesigen Hangars, in denen die Stimmen der Loower von Echos zurückgetragen wurden. Doch die Hangars waren bereits Vergangenheit, jetzt, da das Kommando die Peripherie des Schiffs hinter sich gelassen hatte. Seit langem gab es nur noch Korridore, gesäumt von langen Reihen von Schotten und Türen. An-Keyt machte es unruhig, sie zu passieren. Hinter den Türen begann unbekanntes, gefährliches Land. Ein Ort, an den für gewöhnlich nur die Helks vorstießen. Jede Tür war ein perfektes Versteck für die Flachaugen, ein natürlicher Hinterhalt. An-Keyt blieb keine andere Wahl, als sich darauf zu verlassen, dass die Helks mit der gebotenen Gründlichkeit gearbeitet hatten.

»Was ist los?«, fragte An-Keyt ungeduldig in das Akustikfeld ihres geschlossenen Helms, als der Warnton nicht verstummen wollte.

»Feindortung«, kam nach einem Augenblick die Antwort. An-Keyt erkannte die Stimme von Jevek-Kart. Sie war nicht überrascht, hatte es beinahe erwartet. Jevek-Kart war ein einfacher Soldat wie sie, hielt den niederstmöglichen Rang innerhalb des Kommandos, war so entbehrlich, wie ein Loower es nur sein konnte. Und doch gab es einen Unterschied: Jevek-Kart war von jeher Soldat, war es schon gewesen, lange bevor der einzig gerechte Krieg, der für das Leben, begonnen hatte. Der Loower hatte viele Jahre lang als Söldner gekämpft, nicht mit Loowern – niemals mit Loowern –, an der Seite von Fremden gegen Fremde.

»Und?«, gab An-Keyt zurück. Sie war es müde, dass Jevek-Kart sich als Vordenker aufspielte. Immer öfter war es der Söldner, der sich mit Befehlen zu Wort meldete, das Sprachrohr von Negan-Parr, der sich ganz auf die Feldherren-Position zurückzog, seine Aufmerksamkeit der Großkampflage widmete.

»Du wartest, Soldatin, bis sich die Lage geklärt hat.«

Eines Tages, nahm sich An-Keyt vor, würde sie Jevek-Kart danach fragen, was ihn dazu getrieben hatte, Söldner zu werden. Der Loowerin fiel kein Grund ein, der einen Angehörigen ihres Volkes zu einem solchen Schritt treiben könnte. Was immer Jevek-Kart unter den Fremden gesucht hatte, es war ganz und gar un-entelechisch gewesen. Ja, sagte sich An-Keyt, sie würde ihn fragen, wenn sie den Mut aufbrachte. Jevek-Kart umgab eine lähmende Düsternis. Er war ein Mann, mit dem man sich nicht anlegte. Und wenn es ihr gelang, ihn zur Rede zu stellen, stellte sie ihm vielleicht auch die zweite, noch wichtigere Frage: Danach, was Jevek-Kart dazu bewogen hatte, am Kampf für das Leben teilzunehmen. Sie bezweifelte, dass der Söldner ein Tiefenbewusstsein besaß. Nur, wenn das zutreffen sollte: Was suchte er dann auf ihrer Seite, der Seite der Zweidenker?

An-Keyt wartete. Auf dem Rundumdisplay ihres Helms verfolgte sie das weitere Geschehen. Jevek-Kart rief mehrere Loower zusammen. Saleng-Merv, dessen Tentakel wieder geheilt war und der seit seiner Verletzung keine Gelegenheit ausließ, sich und seinen Kameraden zu beweisen, dass er ein vollwertiger Kämpfer war, sowie Belor-Thon und Mev-Sopran, den Waffenwart des Kommandos. Die beiden entbehrlichen einfachen Soldaten und der Experte im Töten, eine folgerichtige, durch und durch entelechische Auswahl.

Die Loowerin fragte sich, wieso Jevek-Kart sie nicht hinzuberufen hatte. Traute er ihr keinen mit konsequenter Härte durchgeführten Angriff zu? Oder war sie einfach nur zu weit von dem Angriffspunkt entfernt, als dass es praktikabel gewesen wäre, sie hinzuzuziehen? An-Keyt rief die Positionsdaten ab. Möglich. Sie würde mehrere Minuten benötigen, um sich mit dem Stoßtrupp zu vereinigen; die Sektoren, die den Kommandos zugeteilt wurden, waren riesig. Möglich auch, dass der Söldner andere Motive hatte. Es gab keinen Grund, wieso Loower gegen das Widerstandsnest vorgehen sollten. Die Helk-Module hätten die Aufgabe mindestens ebenso gut erledigt, ohne wertvolles Leben zu gefährden. Aber was zählte das schon? Jevek-Kart hatte keinen Grund gehabt, sich vor dem Krieg als Söldner zu verdingen. Doch er hatte es getan. Er hatte Kriegserfahrung wie kaum ein anderer Loower, ob Ein- oder Zweidenker. Dennoch war er nicht Ausbilder geworden, sondern kämpfte als einfacher Soldat. An-Keyt verstand den Söldner nicht. Manchmal handelte er mit beispielloser entelechischer Konsequenz, manchmal so widersinnig, dass alles in ihr dagegen rebellierte.

Jevek-Kart und seine Begleiter machten sich bereit. An-Keyt beobachtete ihren Aufbruch multi-perspektivisch: durch die Helmkameras der vier Loower und die neun Helk-Kameras, die den Trupp wie ein Schwarm unsichtbarer Fliegen umschwärmten.

»Sie haben sich hier verschanzt«, berichtete Jevek-Kart und spielte eine Schemaansicht des Sektors auf die Helmdisplays des Trupps. Für An-Keyt war sie austauschbar mit hunderten anderen Schemata, die in den Tagen des Vormarschs über ihr Display gewandert waren: klare, geometrische Linien in verschiedenen Farben. Keine naturalistische Darstellung, die in diesem Augenblick der Vorbereitung mit ihren unnötigen Details nur verwirrt hätte, stattdessen Konzentration auf das Wesentliche.

»Hier, hier, hier und hier.« Markierungen erschienen, untermalten die Worte Jevek-Karts. »Es handelt sich bei diesen Räumen eigentlich um Luftschächte des Lebenserhaltungssystems. An dieser Stelle sind sie überdimensioniert.«

»Wieso das?«, fragte Belor-Thon.

»Unbekannt. Möglicherweise handelt es sich um einen Vorhalteraum für eine spätere Nachrüstung der Anlage, die nie stattgefunden hat. Es ist auch egal. Wichtig ist für uns nur, dass sich dort Flachaugen versteckt halten. Die Ortungsergebnisse der Spürhelks lassen keinen anderen Schluss zu.«

Der Trupp setzte seinen Marsch fort. Die Loower gingen zu Fuß, die Aggregate ihrer Kampfanzüge – Antigravs, Pulsatortriebwerke, Schutzschirme – in Bereitschaft, um die Ortungsechos möglichst gering zu halten. Es gab keinen Nachweis, dass der Feind über taugliches Ortungsgerät verfügte, aber die Ausbilder hatten ihnen Vorsicht eingeschärft, und ihre Lehren hatten sich ihnen tief eingeprägt. Außerdem konnten sie fürs Erste mit geringem Risiko auf die Schirme verzichten, sie bewegten sich durch von den Helk-Modulen gesäubertes Gebiet.

Die Front war eine unsichtbare Wand, die in Windungen durch das gesamte Schiff verlief und nur in der Markierung des Gefechtssystems wahrnehmbar wurde. Der Trupp machte auf den Befehl Jevek-Karts einige Schritte davor Halt. Der Söldner teilte den übrigen den Angriffsplan mit. Keiner erhob Einwände, auch nicht der Waffenwart Mev-Sopran, der im Rang weit über dem einfachen Soldaten Jevek-Kart stand. Aber Jevek-Kart war der Vertraute des Vordenkers, gewissermaßen seine Verkörperung. Und An-Keyt glaubte überdies eine Verbundenheit zwischen dem Söldner und dem Waffenwart wahrzunehmen, als folgten sie einem gemeinsamen Plan.

»Verstanden?«, schloss Jevek-Kart die Befehlsausgabe.

»Verstanden«, kam die vielstimmige Antwort.

»Gut.« Jevek-Kart öffnete den Helm, saugte die Luft der PAN-THAU-RA tief ein, als wolle er die Witterung des Feindes aufnehmen, den Ort des Kampfes auf eine Art und Weise taxieren, die dem Helk und seinen Modulen verschlossen blieb. Die Stielaugen des Söldners kreisten, stoppten schließlich und fixierten Mev-Sopran.

Der Waffenwart ließ den übergroßen Tornister, den er nur abnahm, um »Optimierungen« an Geräten vorzunehmen, zu Boden gleiten. Er schlief sogar mit ihm, um den Bauch geschnallt, Gliedmaßen und Flughäute um das Kohlefasermaterial geschlungen, als handelte es sich dabei um ein lebendes, fühlendes Wesen.

Mev-Sopran öffnete den Tornister und holte eine Waffe mit kurzem, überdickem Lauf heraus. An-Keyt glaubte, sie schon gesehen zu haben, in den Ruhe-Perioden vor den Regenerations-Perioden. Sie hatte ihr lediglich flüchtige Beachtung geschenkt. Belor-Thon war mit jedem Tag drängender, einnehmender geworden, und sie selbst hatte sich mit jeder Paarung mehr auf den jungen Loower eingelassen. Er war inzwischen ein passabler Liebhaber – und dazu einer, der An-Keyt aufs Wort gehorchte. Was kümmerte es sie schon, mit welchen Spielereien sich der Waffenwart die langen Abende vertrieb?

Belor-Thon erhielt seine Waffe als Erster. Er umfasste sie prüfend mit den Greiflappen, wog sie in den Tentakeln und richtete sie auf einen Punkt am Ende des Gangs, dort, wo die unsichtbare Front verlief.

»Vorsichtig!«, mahnte Mev-Sopran den jungen Loower. Für An-Keyt klang es so, als machte er sich eher Sorge um seine Waffe, als über den Schaden, den Belor-Thon anrichten könnte, sollte er unbedacht feuern.

»Was kann sie?«, fragte Saleng-Merv knapp, ganz der schweigsame Krieger; eine Pose, die er sich Jevek-Kart abgeschaut hatte.

»Töten, was sonst?«

»Das ist selbstverständlich. Aber wie?«

»Projektile.«

Saleng-Mervs Sprachblase stellte die Grundvibration, die Loowern zu Eigen war, einige Augenblicke ein. »Projektile?«

»So ist es.«

»Das ist anachronistisch. Ohne mich. Ich verlasse mich hierauf. Er hat mir gute Dienste geleistet.« Er reckte seinen Kombistrahler.

An-Keyt erwartete, dass Jevek-Kart den Widerspruch des Loowers entschlossen ahndete, doch der Söldner sagte nur beiläufig: »Wie du willst. Deine Entscheidung.« Dann nahm er sich einen Projektilwerfer und wartete, bis Mev-Sopran den Tornister wieder auf den Rücken geschnallt hatte.

»Bereit?«, flüsterte der Söldner.

Zustimmung. An-Keyt fiel auf, dass Belor-Thon schwieg, wie die meiste Zeit inzwischen. Die Loowerin musste sich manchmal mit Gewalt ins Gedächtnis rufen, dass ihr der Junge am Beginn ihres Vormarschs durch sein pausenloses Gerede auf die Nerven gefallen war. Jetzt sagte er kaum noch etwas, und die Loowerin hätte viel darum gegeben, zu erfahren, was er dachte.

Der Trupp rückte vor, trennte sich. An-Keyt folgte dank der Helk-Kameras jedem einzelnen seiner Angehörigen. Ihr kam es vor, als sähe sie einen einzigen Film in vierfacher Kopie. Mit identischen Bewegungen bereiteten sich die Soldaten auf das Gefecht vor, überprüften ihre Kampfanzüge und Waffen auf Funktionstüchtigkeit, während ihre vollständig ausgefahrenen Stielaugen die Umgebung absuchten. Die Helmdisplays waren auf halbtransparent geschaltet. Auf diese Weise sahen die Soldaten das ganze Bild: das abstrahierte des Gefechtssystems und das unverfälschte ihrer Sinnesorgane. Ihre Atemzüge, die aus den Akustikfeldern von An-Keyts Helm drangen, waren flach und gleichmäßig, fast, als schliefen ihre Kameraden.

Und zumindest für Jevek-Kart schien das zuzutreffen. Der Söldner bewegte sich mit der Leichtigkeit eines Traumwandlers durch den Korridor, variierte sein Tempo willkürlich, kam beinah ganz zum Stehen, schlenderte dahin, schoss mit einer Geschwindigkeit vor, als hätte er das Pulsatortriebwerk aktiviert – er hatte es nicht, An-Keyt überprüfte die Energietaster –, wirbelte herum, ging manchmal links, manchmal rechts, manchmal in der Mitte, nutzte jede auch noch so spärliche Deckung. Und das, ohne je den glücksbringenden Neunerrhythmus zu unterbrechen.

An-Keyt wurde an einen Tanz erinnert, eine spirituelle Übung, wie sie Loower vollführten, die sich in mühevoller Arbeit die höhere Ebene der Neo-Entelechie zu erschließen suchten.

Schweigend rückten die vier Soldaten auf ihre Ausgangspositionen vor. Sie umgingen das Ziel, um den Feind aus dem Rücken anzugreifen. Eine Abwägung. Der Vormarsch durch die gesäuberte Zone wäre risikolos gewesen, aber auf Kosten eines möglicherweise heißen Empfangs. Das Vorrücken durch bislang lediglich von Spürhelks erschlossenes Gebiet barg das Risiko einer überraschenden Feindberührung, aber auch die Chance, den Feind ihrerseits zu überraschen.

Der Feind rührte sich nicht. Jevek-Kart und die übrigen Soldaten erreichten unbehelligt ihre Ausgangspositionen.

Der Angriff begann mit einem Aufflammen. Die Energietaster von An-Keyts Anzug schlugen an, ließen die Loowerin gegen ihren Willen zusammenschrecken. An Stelle der nüchternen Wände, die An-Keyt auf ihrem Helmdisplay gesehen hatte, barsten Explosionen. »Für das Leben!«, rief Jevek-Kart, und die übrigen stimmten in seinen Kampfschrei ein und schossen, vorwärts gerissen von ihren Pulsatortriebwerken, durch die glühenden Explosionswolken. Für den Bruchteil einer Sekunde schossen die Belastungsanzeigen ihrer Schirme auf Überlast, dann ließen die Soldaten die Flammenwände hinter sich und eröffneten das Feuer.

An-Keyt glaubte einen Aufschrei zu hören, un-loowerisch, aber von fühlenden Wesen. Sie hörte Angst heraus, Todesangst. Qual. Dann Explosionen von einer Wucht, die sie in wilder Panik in Deckung springen ließen. Zwei waren es, nahezu synchron, gefolgt von einem Stakkato. Als sie verklangen, hörte An-Keyt nur noch das Fauchen eines schweren Strahlers. Ein dünnes Säuseln, schien es ihr.

Dann verstummte der Strahler.

Jevek-Kart erstattete Meldung, militärisch knapp. »Säuberung erfolgreich abgeschlossen, Vordenker.«

Später, als das Kommando sich in seinem Nachtlager versammelte, war die professionelle Nüchternheit Jevek-Karts verflogen. Zusammen mit dem Vordenker ging der Söldner den Angriff durch. An-Keyt, die es vermieden hatte, die Aufnahmen durchzusehen, blieb keine Wahl, als sich die Bilder anzusehen. Der Vordenker bestand darauf, eine Auswertung war unerlässlich, half morgen oder an einem anderen Tag wertvolle Loower-Leben zu retten.

In Zeitlupe verfolgte An-Keyt den Angriff, sah zu, wie Jevek-Kart und Mev-Sopran in die Räume schossen, in denen sich der Feind verschanzt hatte. Viel war nicht von ihm zu sehen. Es musste sich um ein sehr großes, vielarmiges Wesen handeln. Oder um viele Kleine, die sich eng aneinander drängten. Der Söldner und der Waffenwart rissen die kurzläufigen Waffen hoch – und gaben nur einen einzigen Schuss ab.

Das genügte.

Auf Mev-Soprans Wink – gegen den der Vordenker keinen Einwand erhob – verlangsamte sich die Aufnahme zu einer Einzelbildfolge. An-Keyt verfolgte, wie ein Projektil den Lauf der Waffe verließ, etwa so groß wie die Spitze eines Greiflappens. Es glitzerte.

»Das Projektil ist von einem Energieschirm umgeben«, erläuterte der Waffenwart. »Dieser Schirm erfüllt eine Doppelfunktion. Er schützt das Projektil davor, vom Gegner im Flug zerstört zu werden, und ermöglicht es, gegnerische Schirme zu durchschlagen.«

Das Projektil hatte in der extremen Zeitlupe inzwischen beinahe die Decke erreicht.

»Das war in diesem Fall nicht nötig, deshalb trat die Sekundärfunktion in Kraft.« Als hätte Mev-Sopran die Vorstellung choreographiert, zerplatzte das Projektil in unzählige Fragmente, die sich über den gesamten Raum verteilten und wie Hagel hinabregneten. »Das Projektil ist modular aufgebaut, seine Sprengkraft ist auf mehrere zehntausend Sub-Projektile aufgeteilt, jedes von ihnen einzeln steuerbar und mit Sensoren zur Feindaufspürung ausgestattet.«

Der Projektilschauer fiel dem Boden entgegen. Die einzelnen Projektile leuchteten wie Funken, erhellten den Raum mit ihrem Halblicht, stellten den Feind bloß. Es waren viele einzelne Wesen, erkannte An-Keyt jetzt, mit großen, aber primitiven Augen, die stiellos am Körper angewachsen waren. Flachaugen starrten dem goldenen Schauer entgegen, einige schrien aus unpassend kleinen Mündern. An-Keyt sah nirgends Waffen.

Die Explosion.

»Die Sub-Projektile zünden zeitgleich«, fuhr der Waffenwart fort. »Der Effekt ...« – einige Einzelbilder lang war nur Weiß zu sehen, schmerzhaft stechendes Weiß – »... ist durchschlagend, die Effektivität der Simultan-Explosionen übersteigt deutlich die eines einzelnen Projektils von rechnerisch identischer Sprengkraft.«

Als das Weiß verblasste, hatte sich der Raum in einen Glutofen verwandelt. Von den Flachaugen war nichts mehr zu sehen, nicht einmal Schatten ihrer Umrisse hatten sich in das glühende Metall gebrannt.

»Diese Waffe entspricht in idealer Weise den Grundsätzen der Neo-Entelechie, verkörpert in ihrem schmerzfreien Töten sinnbildlich den Kampf für das Leben, den wir führen.« Mev-Sopran hatte den Blick abgewandt, seine Stielaugen waren blicklos, als hielte sich ihr Besitzer in einer anderen Sphäre auf. Schweigend verharrten die Loower um das Holo.

Der Waffenwart fing sich wieder. »Selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie kompetent eingesetzt wird.« Seine Stielaugen richteten sich auf Belor-Thon. Der junge Loower sagte nichts. Es war nicht nötig, die Bilder, die jetzt abliefen, sagten mehr als genug: Belor-Thon, der ein ganzes Magazin entleert und sich damit selbst umgebracht hätte, wäre nicht der Sicherheitsmechanismus in Aktion getreten.

Dem jungen Loower blieb nur der Trost, dass Saleng-Merv noch schlimmer versagt hatte als er. Beinahe eine Minute hatte der Soldat gebraucht, um die Flachaugen mit seinem Kombistrahler auszuschalten. Zu lange, zu gefahrvoll – und tatsächlich eine außerordentliche Qual für die Feinde. Ihr unumgänglicher Tod wurde unnötig in die Länge gezogen. An-Keyt musste dem Waffenwart Recht geben, auch wenn sich aus irgendeinem Grund ihre Haare aufgestellt hatten, als Mev-Sopran seine Darstellung ausführte.

Negan-Parr meldete sich zum ersten Mal zu Wort. »Woher hast du diese Projektilwaffen?«, fragte er den Waffenwart.

»Eine Eigenschöpfung. Der Transfer zur PAN-THAU-RA war lange, ich brauchte eine Ablenkung, um nicht den Verstand zu verlieren.«

»Wieso hast du die Waffe nicht schon an Bord des Transporters dem Oberkommando vorgestellt? Dein Zögern war un-entelechisch.«

»Das habe ich getan. Man lehnte den Prototyp ab, als un-entelechisch grausam. In den vergangenen Tagen habe ich den Projektilwerfer optimiert und zur Einsatzreife gebracht.«

Die Sprachblase des Vordenkers plusterte sich empört auf. »Das ist unerhört. Ich werde dafür sorgen, dass dein Projektilwerfer die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient.«

Damit war die Besprechung beendet. Die Loower zogen sich zurück, gingen ihren Beschäftigungen nach. An-Keyt wartete vergeblich darauf, dass Belor-Thon nach ihr griff. Als der Junge nach einiger Zeit immer noch keine Anstalten machte, packte sie ihn und zog ihn fest an sich heran. Sie rieb sich an ihm. Lange.

Als endlich die Lust in dem Jungen erwachte und er ihre Gesten erwiderte, fragte sich An-Keyt, für wen sie das eigentlich tat. Für sich selbst oder für den Jungen?

Sie wusste es nicht.

Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband)

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