Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 21
ОглавлениеKapitel 16
Tag 45
Fünfmal neun Tage. Ein kleiner Festtag für die Loower, die alles, was mit der Zahl Neun zusammenhing, mit Bedeutung versahen.
Negan-Parr ließ am Morgen Sonderrationen ausgeben. Sie mussten mit dem Versorgungshelk am Vorabend eingetroffen sein. Es war eine klebrige, stinkende Paste. An-Keyt erinnerte sie an die Abfälle, die früher neben dem Kinderhort verrottet waren. Niemand hatte sich um sie gekümmert, am allerwenigsten der Kinderwart, der sich in der Zeit, die An-Keyt dort verbrachte, kein einziges Mal in den Hort vorgewagt hatte. Sie waren ein Spielplatz für Kinder mit stumpfem Geruchssinn, eine Mutprobe für die Älteren gewesen. An-Keyt war so klug gewesen, sich fernzuhalten. Ein Gefühl hatte ihr gesagt, dass es besser so war. Es hatte sich als richtig erwiesen: An-Keyt hatte zu den Glücklichen gehört, die sich keine Krankheit einhandelten und starben. Die Überlebenden hatten die Leichen und den Abfall verscharrt, die Kranken verbannt und danach auf Hygiene geachtet.
Als das Helk-Modul An-Keyt die Paste überreichte, war sie versucht, sie fallen zu lassen, ja, sie wütend in die Ecke zu schleudern. Verloren geglaubte Erinnerungen an den Kinderhort stiegen in ihr auf, nährten die Wut in ihr. Was fiel dem Vordenker ein? Wollte er sie beleidigen?
Negan-Parr schien zu ahnen, was in An-Keyt und den übrigen Soldaten vor sich ging. »Eine Aufmerksamkeit vom Oberkommando, für unsere Verdienste«, sagte er schnell.
Jevek-Kart, der sich von dem Schock über den Hinterhalt langsam erholte, wagte ein abfälliges Schnauben. Aber er hatte – noch? – nicht genug Selbstsicherheit zurückgewonnen, um dem Vordenker offen die Stirn zu bieten und die Paste zurückzuweisen.
»Man darf sich von dem ... der Geruchsnote nicht beirren lassen«, sagte Negan-Parr, der beinahe so unglücklich aussah wie nach dem Tod von Tolt-Sekolg und Mev-Sopran. Seitdem hielt er sich in der steten Furcht, einen weiteren Fehler zu begehen, peinlich genau an die Vorschriften. »Das Oberkommando sagt, dass das Peschtan uns gut tun wird.« Als der Trupp schwieg, fügte er hinzu: »Es heißt, Kilan-Gerp habe persönlich veranlasst, dass wir Frontsoldaten diese Gabe erhalten. Eine Stärkung.«
Negan-Parr nahm Zuflucht im Vorbild und stopfte sich eines der Paste-Tütchen in den behaarten Schließmuskel, der den Loowern als Mund dient. Er kaute nicht, schluckte das Peschtan am Stück herunter. Als sein auffordernder Blick sie streifte, folgten die übrigen Loower seinem Beispiel. An-Keyt führte das Tütchen gehorsam in den Schließmuskel, schluckte aber nicht. Ein widerwärtiger Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge und ihrem Gaumen aus, abgemildert nur von dem Brennen der Paste, das durch die Verpackung drang und ihre Rachenhöhle rasch taub werden ließ. Sollte das die »Belohnung« sein – Abstumpfung?
»Das Peschtan macht es uns leichter, entelechisch zu denken«, betonte der Vordenker. Er wandte sich ab, um demonstrativ seine Ausrüstung vor dem Aufbruch zu überprüfen. Die Soldaten verstanden den Wink und taten es ihm gleich.
An-Keyt beugte sich vor – und spukte das Peschtan aus. Ihre Tat blieb unbemerkt. Zumindest kommentierte niemand ihr Vorgehen. Um Gleichmut bemüht, verstaute sie das aufgeweichte Tütchen in ihrem Tornister, um es später, in einem unbeobachteten Moment, wegzuwerfen.
Der Trupp brach auf, hektisch angefeuert von Negan-Parr. Der Vordenker war nervös. Sie blieben hinter den vorgegebenen Zielen. Während der kurzen Subeinheiten, die Negan-Parr neuerdings auf das Studium der strategischen Lage verwandte, hatte An-Keyt auf dem Holo gesehen, dass sie weit nach hinten gefallen waren. Bis zum Tag des Hinterhalts hatte ihr Trupp die Speerspitze des Vormarschs gestellt. Als handelte es sich um ein Rennen, hatten der Vordenker und der Söldner laufend den Frontverlauf geprüft, sich daran berauscht, dass sie ganz vorn mitmarschierten.
Das war lange her. Negan-Parr und Jevek-Kart sprachen kein Wort mehr miteinander, schlugen ihre Schlafplätze jeweils am gegenüberliegenden Ende des Nachtlagers auf.
Jetzt hechelte An-Keyts Trupp hinterher. Während andere sich mit Erfolgsmeldungen überschlugen, kamen sie nur quälend langsam voran. Wie konnte es auch anders sein? Ihre Zahl war dezimiert. Der Ersatz für die Toten, um den Negan-Parr das Oberkommando täglich anbettelt, war bislang nicht eingetroffen. Ebenso wenig wie der Ersatz für die Helk-Module. Ihre Zahl war weiter geschrumpft. Drei der beim Gefecht um das Depot beschädigten Module hatten sich selbsttätig vernichtet. Ihre Funktionstüchtigkeit war zu stark eingeschränkt, eine Reparatur unmöglich. Die Selbstvernichtung war die einzige Möglichkeit, die blieb, um sicherzustellen, dass sie nicht in den Besitz der Flachaugen fielen.
Wenn Mev-Sopran noch gelebt hätte ...
An-Keyt hätte niemals geglaubt, dass sie den Waffenwart vermissen könnte. Mev-Sopran war ein seltsamer Mann gewesen, ein Sonderling. Besessen davon, immerzu neue und effizientere Tötungsmethoden zu entwickeln, darüber hinaus in einem zwielichtigen Bund mit dem Söldner, dem An-Keyt jede abstoßend un-entelechische Tat zutraute.
Und dennoch, die Loowerin wünschte sich nichts mehr, als dass der Waffenwart von den Toten auferstand. Mev-Sopran, spürte sie jetzt, schmerzhaft, war ein zentraler Überlebensfaktor des Trupps gewesen. Lebte er noch, wären die beschädigten Helk-Module längst repariert, besser noch, optimiert. Und hätten sie über Waffen verfügt, die den Namen verdienten.
An-Keyt verstärkte den Griff um den Kombistrahler. Die Waffe, die ihr noch vor kurzer Zeit Sicherheit eingeflößt hatte, unterstrich jetzt nur noch das Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins, das von ihr Besitz ergriffen hatte.
Die Projektilwerfer, Mev-Soprans Wunderwaffen, hatte der Trupp am Tag nach seinem Tod weggeworfen. Die Werfer hatten versagt. Sie hätten die Feinde aufspüren, sie in mikroskopische Fragmente zerreißen müssen. Sie hatten es nicht getan. Der Waffenwart musste einen Fehler bei der Konstruktion gemacht haben. Oder die Flachaugen, die sich seit dem Gefecht nicht mehr hatten sehen lassen, hatten herausgefunden, wie der Projektilwerfer funktionierte, und ihn neutralisiert. An-Keyt glaubte an Letzteres. Die Flachaugen waren gerissen und verschlagen. Sie schreckten vor nichts zurück, das hatten sie bewiesen. Sie hatten den Trupp in Sicherheit gewogen, ihn um ein Haar komplett ausgelöscht. Die Projektilwerfer weiter zu benutzen, hätte nichts anderes geheißen, als dem Feind mit bloßen Greiflappen gegenüberzutreten.
Ihnen blieben die Strahler. Auf Negan-Parrs Bitte, den Trupp mit den rundlichen Waffen auszustatten, die die Retter getragen hatten, war nie eine Antwort vom Oberkommando gekommen. Wahrscheinlich war die Bitte in der verwirrenden Woge der Kommunikation, die das Helk-Netz auslastete, verloren gegangen. Negan-Parr hatte sich jedenfalls nicht getraut, sie ein zweites Mal zu äußern.
Ein Gutes hatten die Strahler wenigstens, tröstete sich An-Keyt. Man spürte den Tod, den man austeilte. Die Projektilwerfer waren bequem gewesen und – beinahe – narrensicher. Es hatte nur einen Knopfdruck gebraucht, und die Projektile hatten alles Weitere erledigt. Und selbst dieser Druck war eigentlich überflüssig gewesen, kein echter Auslöser, lediglich eine Freigabe für die selbststeuernden Mikrobomben, die im Lauf darauf warteten, entfesselt zu werden. Es brauchte keinen Soldaten, die Projektilwerfer zu bedienen, jedes Kind hätte genügt, ein Helk oder sogar ein dressiertes Tier.
Die Strahler dagegen ... es war Töten. Echtes Töten. Die computergesteuerte Zielhilfe erleichterte die Bedienung der Waffen, aber die Hilfe tat nur, was ihr Name sagte. Das Ziel zu finden, das eine Flachauge aus der Masse der Feinde auszuwählen, dessen Leben man beendete. Ihm in dem Moment, in dem man den Strahl auslöste, in die Augen zu blicken – das war ganz allein die Sache des Schützen. Ihre, An-Keyts, Sache.
Das Töten war eine Sache, von der An-Keyt inzwischen geradezu besessen war. So sehr, dass sie manchmal Schrecken über sich selbst empfand. Sie war auf die PAN-THAU-RA gekommen, hatte den Weg der Neo-Entelechie, der Zweidenker gewählt, um für das Leben zu kämpfen. Auf diesem Weg Leben zu nehmen, war ihr als ein notwendiges Übel erschienen, ein Übel, das zu akzeptieren sie bereit gewesen war. Die Loowerin hatte es als ihre Pflicht betrachtet, als logischen Schluss ihres neo-entelechischen Denkens, dieses Opfer zu bringen. Töten. Zum Wohl des Lebens an sich.
Doch die Tage auf dem Sporenschiff hatten sie verändert. Es hatte lange gedauert, bis sie es bemerkte. Der Hinterhalt hatte den Schleier zerrissen, der sich um ihre Wahrnehmung gelegt hatte. Tolt-Sekolgs Tod war der Wendepunkt gewesen. Sie träumte jede Nacht von dem Arzt. Von dem Mann, den sie bis zu seinem Tod bestenfalls am Rande wahrgenommen hatte, von dem sie nichts Persönliches wusste, ihn nur in seiner Funktion als Arzt kannte, als Wundheiler, und in seinen letzten Tagen als Vermittler innerhalb des Trupps. Im Traum sah An-Keyt, was der ID-Stift des Loowers nicht aufgezeichnet hatte, seine bleiche Haut, den kalten Schweiß, der auf ihr klebte. Sie hörte sein ersticktes Gurgeln, als das Blut aus seinem Stumpf sprühte, spürte seine Todesangst, die Taubheit an der Stelle, an der sich sein Greiflappen befunden hatte, fühlte, wie sich der Schließmuskel seines Anus entleerte und der dünnflüssige Brei seiner Exkremente – Loower-Körper unterscheiden nicht zwischen Urin und Kot – seine Schenkel herunterrann.
Das war der Moment, an dem An-Keyt unweigerlich aufwachte und entsetzt an sich heruntertastete, im Glauben, ihre eigenen Därme hätten sich entleert. Seltsamerweise taten sie es nie. Trotzdem war für An-Keyt die Nacht damit zu Ende. Die übrige Zeit lag sie da, versuchte ohne Erfolg, Tolt-Sekolg aus ihren Gedanken zu vertreiben, während die Verzweiflung und die Wut in ihr stetig anstiegen, bis zu dem Punkt, an dem der Drang beinahe übermächtig wurde, aufzuspringen, hinaus in die endlosen Korridore der PAN-THAU-RA zu stürmen und die Feinde zu bestrafen, die ihr das angetan hatten.
Beinahe.
An-Keyt hatte sich geschworen, in dem Sporenschiff nicht zu sterben. Sie war noch nicht soweit, ihren Schwur zu revidieren, und ihr Leben in einem blinden Amoklauf wegzuwerfen.
Die Zweidenkerin war nicht die Einzige, die sich verändert hatte. Es war still geworden auf ihrem Vormarsch. Es war nicht die Stille der ersten Tage, als sie alle noch unerfahren und angespannt gewesen waren und geschwiegen hatten, um nicht ihre Angst herauszuplappern. Nein, jeder der Loower schien auf seine Weise mit sich selbst beschäftigt. An-Keyt hatte versucht, das Schweigen zu durchbrechen, zumindest gegenüber Belor-Thon. Sie wollte mit ihm teilen, was in ihr vorging. Aber der Junge hatte sich abgewandt. Er wollte nicht mit ihr sprechen, sich lediglich paaren. An-Keyt ließ es zu. Manchmal ekelte sie sich vor sich selbst. Doch die Berührung des warmen Körpers tat gut, und der Samen, den der Junge jeden Abend über ihr ausstieß und den An-Keyt sorgsam über ihre Haut verteilte und einrieb, war wie ein Schild, in dessen Schutz es ihr gelang, Schlaf zu finden, bis der Tod Tolt-Sekolgs sie weckte.
So rückte der Trupp vor, Tag um Tag.
Schweigend, bis zu diesem Tag.
An-Keyt hörte ein lautes Schmatzen. Sie drehte sich um. Es war Mirton-Kehn, der Logistiker des Trupps. Er hatte die unscheinbarste Aufgabe von allen. Verrichtete er sie ordnungsgemäß – was er offensichtlich tat – bemerkte es keiner. An-Keyt war er bislang vor allem wegen seiner Hässlichkeit aufgefallen. Ein schweigsamer Mann, der schweigsam eine Aufgabe verrichtet, die von Heldentum weit entfernt war.
Mirton-Kehn spuckte auf den Stahlboden und grunzte. Sein Speichel war vom Peschtan dunkel gefärbt. Der Fleck war kaum von Blut zu unterscheiden.
»Was für ein Unsinn!«, rief der Logistiker laut. So laut, dass der gesamte Trupp, der in einer lang gezogenen Formation vorrückte, ihn hören musste, auch bei abgeschalteten Akustikfeldern.
Der Trupp kam zum Halten. Alle Stielaugen richteten sich auf Mirton-Kehn.
»Was für ein kompletter Schwachsinn! Wisst ihr, was wir sind? Trottel! Idioten!«
Die Loower rückten auf, näher an den Logistiker heran.
»Ihr fühlt euch angesprochen? Gut so! Erkenntnis ist der erste Schritt zur Veränderung. Das ist gute Entelechie!«
Er hatte den Verstand verloren. Er musste den Verstand verloren haben. Ihre Ausbilder hatten sie auf diesen Augenblick vorbereitet. Den Augenblick, der unweigerlich kommen musste, wie sie unermüdlich betont hatten. Gleich, wusste An-Keyt, würden ihre Kameraden Mirton-Kehn zu Boden reißen, ihm die Waffe abnehmen und ein Beruhigungsmittel injizieren. Danach würde man sehen. Weiter waren die Übungen nie gegangen und – merkwürdigerweise, befand die Zweidenkerin jetzt – hatte niemand je nachgefragt, was sie tun sollten, wenn die Injektion nicht genügte, einen Kameraden zu heilen.
Negan-Parr war jetzt bei ihm. Der Vordenker machte keine Anstalten, den Logistiker zu packen, sondern sagte lediglich, in einem Tonfall, den An-Keyt nicht deuten konnte: »Was ist Unsinn, Mirton-Kehn?«
»Alles. Einfach alles, was wir hier treiben!«
»›Alles‹? Das musst du mir erklären. Kannst du das?«
»Klar. Ich meine, wir fangen es völlig falsch an. Wir ziehen durch diesen Riesenkahn, Sektor um Sektor, und wenn wir Flachaugen sehen, drücken wir ab. Und wenn wir durch einen Sektor durch sind, öffnen wir ihn dem Vakuum und machen ihn unbewohnbar.«
»So ist es. Was soll daran Unsinn sein?«
Ein Kreis hatte sich um Mirton-Kehn gebildet. Während er sprach, drehte er sich auf dem Absatz, um das gesamte Publikum mit seinen Gesten abzudecken. An-Keyt stand einen Schritt neben dem Kreis. Sie war zu langsam gewesen, er hatte sich bereits geschlossen. Und ein befremdliches Glitzern, das in den Augen ihrer Kameraden lag, sagte ihr, dass sie besser beraten war, zu bleiben, wo sie war.
»Versteht ihr nicht? Wir sehen ein Flachauge – und wumm! Weg ist es.«
»Ja ... worauf willst du hinaus?«
»So können wir mit ihnen nicht umspringen. So wird das nichts.«
»Und was schlägst du stattdessen vor?«
»Sie sollen leiden!« Mirton-Kehn stieß den Satz so heftig hervor, dass sich Speichelspritzer über seine Zuhörer ergossen. »Denkt doch nach! Der Tod, den wir ihnen geben, kommt so schnell, dass sie ihn nicht einmal bemerken. Die Strahler – ein Blitz und gut. Der Projektilwerfer – Mev-Sopran hat es gut gemeint, das wissen wir alle –, die Flachaugen haben nicht einmal gesehen, was auf sie zukommt.«
Er hatte den Verstand verloren. Kein Zweifel. Was An-Keyt hörte, war so absurd, dass sie sich weigerte, es zu glauben. Die Loowerin verspürte Hass, den Wunsch zu töten. Er war in ihr, ein Teil ihrer selbst, spätestens seit dem Hinterhalt. Alle ihre Kameraden verspürten ihn. Doch als sie Mirton-Kehn hörte, erkannte sie, dass ihr Hass nur ein blasser Abklatsch von dem war, der in dem Logistiker tobte.
Und nicht nur von dem Mirton-Kehns.
Kein Soldat versuchte, den durchgedrehten Logistiker zu stoppen, kein Tentakel hob sich, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Da ist etwas dran«, sagte Jevek-Kart. Es war das erste Mal seit dem Hinterhalt, dass der Söldner sich vor der Gruppe zu Wort meldete. »Wir sind zu gut zu ihnen.«
Jetzt. Jetzt war der Zeitpunkt, an dem der Vordenker sich einschalten musste, dachte An-Keyt. Er konnte unmöglich dulden, dass sein Rivale die Initiative an sich riss.
Einen Augenblick herrschte Stille, als der Trupp wartete, wie Negan-Parr reagierte.
Der Vordenker ließ einen Tentakel wie eine Peitsche auf den Boden knallen. »Zu gut. Viel zu gut!« Er stöhnte die Worte, als bedeuteten sie für ihn die Erlösung aus einer tiefen Qual. Sie waren ein Signal.
Es gab kein Halten mehr. Die Soldaten brüllten durcheinander, überboten sich in Vorschlägen, wie man es den Feinden zeigen, ihnen Respekt beibringen konnte, einer grausamer als der andere.
An-Keyt folgte dem Aufruhr ungläubig. Sie brüllte, um sich Gehör zu verschaffen. »Das ist nicht, wofür wir auf die PAN-THAU-RA gekommen sind! Wir kämpfen für das Leben. Und auch wenn wir gezwungen sind, für diesen Zweck Leben zu nehmen, heißt das noch lange nicht ...«
Es war zwecklos. Niemand beachtete sie. Es war, als hätten ihre Kameraden eine andere Bewusstseinsebene erreicht. Nicht die erhabene der Entelechie, nein, als wären sie den gegenteiligen Weg gegangen, an einen Ort, von dem An-Keyt geglaubt hatte, dass er Loowern nicht zugänglich sei.
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie rannte davon, so schnell sie konnte, nahm Korridor um Korridor, bis das Pochen ihres Blutes den Nachhall der Stimmen in ihren Gedanken übertönte.
Niemand hielt sie auf.
Was war los mit ihren Kameraden? Was war in Mirton-Kehn gefahren? Sie hatte die Schweigsamkeit des Logistikers stets als ein äußeres Anzeichen von Unerschütterlichkeit gedeutet, hatte geglaubt, dass es dem Logistiker besser gelang, sich vom Leib zu halten, was auf der PAN-THAU-RA geschah. Wieso drehte ausgerechnet Mirton-Kehn jetzt durch? An einem Tag wie jeder andere? Und wie kam es, dass die anderen sich seinem Rausch angeschlossen hatten, statt ihn herunterzuholen?
An-Keyt verlangsamte ihre Schritte. Ihre Ausbildung gewann an Boden, und sie überprüfte mit einem Auge die Anzeigen des Orters und des Helk-Netzes. Sie hatte sich vom Trupp entfernt, sich in Gefahr begeben. Der nähere Umkreis war sauber. In wenigen Augenblicken würde die Kälte des Vakuums alles Leben in diesem Sektor auslöschen, das sich hier und da noch verkrochen haben mochte.
Rausch ...
Heute war kein Tag wie jeder andere. Ihre Kameraden hatten dieses Peschtan genommen. An-Keyt hielt an, zog den Tornister vom Rücken und holte das Tütchen hervor, das sie darin verstaut hatte. Sie untersuchte es. Es bestand aus durchsichtigem Plastik, wie es Loower üblicherweise für die Verpackung von Lebensmitteln benutzten. Ein geschmacksneutrales Material, gut verträglich für Loower-Mägen. Die wenigsten Loower machten sich die Mühe, das Plastik vor dem Essen abzuziehen. Wer es tat, galt als Sonderling.
Woher stammte dieses Peschtan? An-Keyt hatte noch nie davon gehört. Das musste nichts heißen. Loower benutzten eine Vielzahl von bewusstseinsverändernden Drogen, um ihrem Ziel des neo-entelechischen Denkens näher zu kommen. An-Keyt hat hunderte ausprobiert. Als Kind spielerisch, später, während ihrer entelechischen Studien, gezielt. Mirton-Kehn mochte dieses Peschtan angefordert haben, vielleicht hatte er es sogar geschmuggelt. Als Logistiker verfügte er über entsprechende Möglichkeiten. Was wusste sie schon, was in dem Loower vor sich ging? Aber wieso hätte der Vordenker das Peschtan dann als eine Gabe des Oberkommandos ausgeben sollen? Negan-Parr hätte niemals eine solche Regelübertretung begangen. Schon gar nicht jetzt, nach dem Hinterhalt.
Nein, schloss An-Keyt, das Peschtan musste tatsächlich vom Oberkommando geschickt worden sein. Vielleicht sogar von Kilan-Gerp persönlich, wenn sie Negan-Parrs Worten in vollem Umfang Glauben schenken konnte. Aber wozu? War man sich im Oberkommando nicht darüber im klaren, welche Wirkung es auf die Soldaten hatte? Oder war es eine Fehllieferung, hatte man aus Versehen die falsche Substanz geliefert?
An-Keyt betastete das Tütchen zwischen ihren Greiflappen. Starrte es an, als wäre in der Paste selbst die Wahrheit verborgen.
Oder, kam ihr der Gedanke, handelte es sich um Absicht? Wusste das Oberkommando von der Wirkung des Peschtan und hatte es vorsätzlich an die Soldaten ausgegeben?
Ihre Greiflappen verkrampften sich um das Tütchen. Das Plastik platzte, die Paste spritzte nach allen Seiten. Angewidert beugte sich An-Keyt vor, wischte sich die Spritzer vom Anzug.
Als die Loowerin sich wieder aufrichtete, blickte sie in Augen.
Keine Stielaugen.
Kein Augenpaar.
Die drei flachen Augen eines Feindes.