Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 9
ОглавлениеKapitel 4
An-Keyts Haar zitterte, als Belor-Thon seine Greiflappen über ihren Körper streichen ließ, ihn erforschte. Die beiden Loower hatten die Kampfanzüge abgelegt, setzten sich der PAN-THAU-RA zum ersten Mal, seit sie das Schiff betreten hatten, ungeschützt aus. Die Immunisierung, die sie an Bord der Transporter erhalten hatten, sollte sie vor allen Keimen und Erregern schützen, die sie befallen könnten.
Lange Stunden des Kampfs lagen hinter ihnen. Eines erfolgreichen Kampfs. Jetzt war es Zeit zu ruhen, sich zu regenerieren und neue Kräfte zu sammeln. Die neun Angehörigen des Kommandos hatten sich in einem Raum versammelt, der kaum größer war als der stählerne Leib des Helks, der sie hierher getragen hatte. Eine unbedachte Bewegung, und An-Keyt stieß gegen einen Kameraden. Noch war es ihr gelungen, das zu vermeiden, aber Belor-Thon, den die Erregung der Paarung erfasst hatte, kannte keine solchen Überlegungen. Die Anwesenheit der anderen ignorierte er. Vielleicht existierten sie auch nicht mehr für ihn, er befand sich in seiner eigenen Welt. Die Berührungen seiner Greiflappen waren so ungeschickt, dass es An-Keyt nicht verwundert hätte, wäre es Belor-Thons erste Paarung.
Es war nicht klug von den Zweidenkern, so eng aneinander zu rücken. Ein Feind konnte das Kommando mit einem einzigen Schuss auslöschen; es würde ihm schwer fallen, auch nur einen Loower zu verfehlen. Doch die Loower brauchten die Nähe, die andere Wesen als qualvolle Enge empfinden würden. Es nährte die Gewissheit ihrer Identität in ihnen, ohne die sie nicht existieren konnten, bestätigte dem Einzelnen seinen Platz in der Gruppe, der Gruppe ihren Platz im Gefüge des Gesamtvolks der Loower und den Loowern ihren Platz im Universum.
Sie gehörten zusammen, auch wenn An-Keyt manchmal den Drang verspürte, allein zu sein, danach, die ständigen Reibereien und Konflikte, die Kehrseite der engen Gemeinschaft, hinter sich zu lassen. Doch das war unmöglich. Die Kammer, in die sich das Kommando zurückgezogen hatte, war ein sicherer Hort, so unverwundbar, wie ein Ort an Bord der PAN-THAU-RA in diesem Moment nur sein konnte.
Jenseits seiner Wände herrschte lebensfeindliches Vakuum und Kälte, die ein ungeschütztes Wesen innerhalb von wenigen Augenblicken in einen Eisblock verwandeln würden. Das Kommando hatte den Kanal, der durch den Einschlag des Helks entstanden war, genutzt, um seinen Sektor abzusichern. Obwohl es sich bei ihm nur um einen winzigen Ausschnitt der PAN-THAU-RA handelte, war er um ein Vielfaches zu groß, als dass das Kommando und sein Helk alle Räume und Verstecke nach Feinden durchkämmen könnten. Das Vakuum nahm ihnen die Arbeit ab. Kein Lebewesen, auch nicht die Wunderwesen, die angeblich auf der PAN-THAU-RA hausten, konnte dem Vakuum und der Kälte widerstehen. Nicht ohne technische Hilfen – und die würden auf den Ortern des Helks erscheinen und die Module des Roboters wie ein Leuchtfeuer unfehlbar zum Feind führen.
Doch die Feuer blieben aus. Die Nacht an diesem Ort, an dem es keine Nacht gab, blieb ungestört. Der Wachring der Helk-Module – besser die Wachsphäre, erstreckte sie sich doch sowohl auf die drei Dimensionen des Raums, als auch auf das überdimensionale Kontinuum – war erstarrt. Die Module verharrten an den ihnen zugewiesenen Standorten, fütterten ihre Daten in das Netz der Helks, während sie selbst es nach relevanten Informationen absuchten. Zwei von ihnen streiften durch den toten Sektor, stellten sicher, dass sich nicht noch irgendwo Leben regte, denn Leben war potentieller Widerstand. Und Leben war hartnäckig. Hier, an Bord des Sporenschiffs PAN-THAU-RA traf das wahrscheinlich noch mehr zu als an jedem anderen Ort des Universums.
Nicht hartnäckig genug jedoch, wie es schien, für den Ansturm der Zweidenker. Die beiden Module trafen nirgends auf Widerstand. Mit dem Gleichmut, der Helks zu Eigen war, legten die Roboter überall in den toten Gängen und Räumen ihre Minen ab, tödliche Detektoren, die die Loower alarmieren würden, sollte sich neues Leben regen, um es dann mit verheerenden Explosionen zu vernichten.
Belor-Thon streichelte mittlerweile mit seinen Flughäuten sanft über die ihren. Er pfiff. An-Keyt ließ ihn gewähren, obwohl ihr seine Zärtlichkeiten nichts bedeuteten. Sie war ebenso wie er in einer eigenen Welt gefangen, doch in keiner der Lust, sondern der rasenden Gedanken.
Immerhin, An-Keyt war froh, dass er sich auf die Flughäute konzentrierte. Sie waren die empfindlichsten Körperteile der Loower, und Belor-Thon wurde dadurch automatisch zärtlicher, sollte er es nicht darauf anlegen, sich selbst wehzutun. Er wollte es nicht, wie sich rasch zeigte. Die Behutsamkeit des Jungen überraschte An-Keyt. Sie gurgelte anerkennend und erreichte den gewünschten Effekt: Belor-Thon verblieb bei den Flughäuten, genoss mit geschlossenen Augen den Triumph, der Älteren Lust zu bereiten.
Es war die Gelegenheit für An-Keyt, ungestört ihren Blick wandern zu lassen. Sie verdrehte ein Stielauge nach rechts, das andere nach links und übersah den Raum in seiner Gesamtheit.
Direkt neben ihr war der Navigator Lef-Krar auf einer improvisierten Matte in die Knie gegangen. Er hatte Tentakel und Flughäute eng um einen ihrer Gefährten geschlungen. So eng war die Umarmung, dass einige Augenblicke vergingen, bis An-Keyt bei einer Drehung des Körper-Knäuels den Zweiten im Bunde erkannte. Es war Mirton-Kehn, der Logistiker des Kommandos, ein älterer und – wie An-Keyt fand – abgrundtief hässlicher Mann, der es nur dem akuten Mangel an verfügbaren Zweidenkern verdankte, dass er am Sturm der PAN-THAU-RA teilnahm. Die Loowerin hätte es sich nie vorstellen können, dass es Mirton-Kehn jemals gelang, jemanden zu finden, der bereit wäre, sich mit ihm zu paaren. Sie hatte sich geirrt. Lef-Krar und Mirton-Kehn paarten sich – und das mit einer Leidenschaft, die An-Keyt verblüffte und gegen ihren Willen Neid in ihr aufsteigen ließ. Mit widerwilliger Faszination folgte sie dem Schauspiel. Lef-Krar war der Dominierende des Paares, er bestimmte, in welchen Schritten die Paarung ihren Gang nahm. Er tat dies mit einer Sorgfalt und Intensität, die An-Keyt verriet, dass der Vordenker sich in dem Navigator irrte. Lef-Krar war nicht nachlässig. Im Gegenteil. Der Navigator offenbarte sich An-Keyt in diesem Moment als ein Mann von großer Gewissenhaftigkeit.
Die Loowerin prägte sich ihre Beobachtung ein. Ein Gefühl sagte ihr, dass sie eines Tages von Wichtigkeit sein konnte.
Ihre Aufmerksamkeit wanderte weiter. In einer Ecke des Raums, eine Körperlänge von den übrigen getrennt, kauerte Mev-Sopran. Um ihn herum verstreut waren Bauteile. An-Keyt erkannte in einem Teil von ihnen einen auseinandergenommenen Kombistrahler und Diagnosegeräte. Die übrigen waren der Loowerin unbekannt. Mev-Sopran musste sie mit an Bord des Helks geschleppt haben, als Waffenwart des Kommandos standen ihm Freiheiten zu, die den übrigen verwehrt blieben. Einige der Bauteile waren seltsam gerundet und aus einem Metall, das im Halblicht des Raums einen Rotstich besaß. Sie wirkten fremd, un-loowerisch auf An-Keyt. Es mussten Gegenstände sein, die der Waffenwart im Lauf der Kämpfe in seinen Besitz gebracht hatte. An-Keyt fragte sich, wie Mev-Sopran es angestellt hatte. Ihr war kein Moment geblieben, nach irgendetwas zu greifen, geschweige denn, gezielt nach technischen Artefakten zu suchen. Die Erinnerung an den Tag hallte in ihren Gedanken als ein einziger Rausch nach, der ihr als Kater müde Knochen und einen angesengten Greiflappen bescherte. Letzterer verursacht vom Lauf ihres heißgeschossenen Strahlers.
Mev-Sopran beugte sich nach vorne, über ein Helk-Modul, dessen stählerne Haut er geöffnet hatte wie ein Chirurg den Körper eines Patienten. Eins seiner Stielaugen steckte tief in den Eingeweiden des Moduls. Das Zweite stand senkrecht, seine Pupille drehte sich abwesend im Ausdruck absoluter Konzentration. Das Helk-Modul, mit dem der Waffenwart sich beschäftigte, war im Verlauf der Kämpfe ausgefallen. Negan-Parr hatte es zurücklassen wollen. Kein Grund, ein wertvolles Loowerleben zu riskieren. Das Modul hätte sich innerhalb von Minuten eigenständig vernichtet, um dem Gegner nicht von Nutzen sein zu können. Ihr Helk bestand aus Dutzenden von Modulen; was kümmerte sie ein Einzelnes?
Der Waffenwart hatte den Befehl des Vordenkers missachtet. Als er vom Schicksal des Moduls erfuhr, hatte er sich wortlos aus seiner Deckung erhoben und war an den Abschnitt der Front gestürmt, in dem das Modul verloren zu gehen drohte. Die Auswertung seines Gefechtssystems hatte hinterher ergeben, dass Mev-Soprans Schirm ein halbes Dutzend Mal vor dem Zusammenbruch gestanden hatte und eigentlich im gegnerischen Feuer hätte kollabieren müssen. Doch er hatte standgehalten.
An-Keyt vermutete, dass der Waffenwart den Schirm modifiziert hatte, »optimiert«, wie er es nannte. Mev-Sopran konnte seine Greiflappen von keinem Gerät lassen, musste an jedem technischen Spielzeug herumfummeln, das Maximum an Leistung herauskitzeln. Der Vordenker Negan-Parr wusste darum und missbilligte die Spielereien, die er als »Manipulationen« bezeichnete, war aber technisch zu ungebildet, um sie Mev-Sopran nachzuweisen. »Eines Tages wirst du dich damit umbringen«, sagte er deshalb nur, wenn er wieder einmal auf den Waffenwart wütend war, und schüttelte drohend die Tentakel.
Eines Tages vielleicht. Eines Tages würde dem Waffenwart seine Besessenheit zum Verhängnis werden. Nicht an diesem Tag. Mev-Sopran war quicklebendig, in seinem Element. An-Keyt hatte keinen Zweifel, dass das Helk-Modul am nächsten Tag wieder funktionstüchtig sein würde. Das und mehr. Mev-Sopran würde es sich nicht verkneifen können, »Optimierungen« vorzunehmen.
An-Keyt japste, als Belor-Thons Greiflappen sich mit unvermittelter Grobheit in ihre empfindlichen Flughäute gruben. Der Junge zuckte zurück, entschuldigte sich stotternd und machte sich wieder ans Werk, als die Loowerin seine Beteuerungen mit Schweigen quittierte. Er fasste es als Zustimmung auf. Er lag nicht völlig falsch. Ein Teil der Erregung von Lef-Krar und Mirton-Kehn, die sich zügig von Semi-Höhepunkt zu Semi-Höhepunkt arbeiteten, war auf die Zweidenkerin übergesprungen. Möglicherweise, überlegte An-Keyt, wurde aus dem Jungen, der sich an ihr abmühte, noch etwas. Sie musste nur etwas Geduld haben. Dies war nur die erste Nacht von vielen, davon war An-Keyt überzeugt. Ihre Optionen waren auf absehbare Zeit begrenzt, sie musste nehmen, was sie bekam. Das Beste daraus machen, nicht damit hadern, dass sie sich mit einem Frischling abgeben musste.
An-Keyts Augenmerk wanderte weiter. Am gegenüberliegenden Ende des Raums spielte sich eine Szene ab, die wie ein Spiegelbild von Mev-Soprans Reparaturbemühungen wirkte. Ein vornübergebeugter Loower – Tolt-Sekolg –, umgeben von Instrumenten, mit ganzer Konzentration bei der Arbeit. Doch das Objekt, dem die Aufmerksamkeit des Arztes galt, war kein Helk-Modul. Es war Saleng-Merv, der erste Verletzte des Kommandos. Der linke Tentakel des Loowers war geprellt, nur noch eingeschränkt bewegungsfähig. Wenn Tolt-Sekolg den Tentakel in verschiedene Winkel stellte, um festzustellen, welche der Muskel- und Nervenstränge verletzt waren, stöhnte der Soldat vor Schmerz auf.
Ein unglücklicher Sturz. Nicht im Gefecht, sondern im Anschluss, auf dem Weg in ihr Nachtquartier, das der Helk für sie ausgesucht hatte. Eigentlich eine bizarre, kaum zu glaubende Wendung. An-Keyt hatte Ströme von Blut an Bord der PAN-THAU-RA erwartet, herausgerissene Eingeweide, Verstümmelungen. Die Ausbilder hatten sie in den langen und doch viel zu kurzen Monaten des Transfers mit unzähligen furchtbaren Bildern konfrontiert. Sie hatten versucht, den Schock zu mildern, der den Angehörigen der Kommandos bevorstand, sie für das Gefecht abzustumpfen, hatten gleichzeitig unaufhörlich darauf hingewiesen, dass sie dem Schrecken, der sie erwartete, nur die schlimmste Spitze nehmen konnten. Bestenfalls.
Und nun – ein geprellter Tentakel. Saleng-Merv war der Unglaube in die Züge gegraben. Sein Stöhnen war eine Mischung aus Schmerz und Scham über seine Ungeschicklichkeit. Gestolpert. Ohne Feindberührung. Ein schöner Soldat. Wenn wenigstens Blut geflossen wäre ...
Aber Blut hatte keiner von ihnen gesehen. Das Kommando hat die Feinde nicht nah genug herankommen lassen, als dass sich eine Gelegenheit ergeben hätte. Ihre Strahler arbeiteten zu effektiv. Die Feinde zerplatzten unter ihrer Einwirkung wie mit Luft gefüllte Ballons. Die Fetzen ihrer Körper, die an den Böden, Wänden und Decken klebten, wenn die Zweidenker vorrückten, waren verkohlte Klumpen. Die thermische Energie ließ jede Spur von Feuchtigkeit spontan verdampfen.
Kein Blut, dennoch eine Verletzung. In gewöhnlichen Zeiten ein belangloses Missgeschick, in dieser aber eine ernste Belastung für das Kommando. Die Tentakel der Loower waren hochkomplexe Bündel aus Sehnen, Nerven und Muskeln. Derartige Verletzungen brauchten lange, um auszuheilen, trotz medizinischer Hilfe, die in der PAN-THAU-RA ohnehin unzureichend zur Verfügung stand. Und Ruhe, die keiner der Soldaten des Kommandos bekommen würde. Der heutige Tag war nur der Beginn ihres langen Marsches. Er würde sie zur Herrschaft über die PAN-THAU-RA führen und dann ...
Belor-Thon zog An-Keyt mit einem Ruck, der keinen Widerstand duldete, an sich heran. Sein Griff war schmerzhaft – der Junge hatte einen der Flügel der Loowerin eingeklemmt – und signalisierte, dass der Soldat die letzte Phase der Paarung erreichte hatte. An-Keyt verspürte ein Amalgam von Erleichterung und Enttäuschung. Erleichterung, dass ihre Pflicht getan war, dass sie bald Schlaf finden würde, ihre Gedanken endlich Ruhe finden, an einen Ort wandern würden, der unendlich weit weg von der Gewalt des Tages entfernt war. Der Gewalt, die sie gewollt hatte, auf die sie sich seit vielen Monaten vorbereitet hatte. Enttäuschung, dass die Paarung gleich vorüber sein würde, gerade jetzt, da sie Gefallen an den Anstrengungen Belor-Thons fand. Der Junge riss sie herum, brachte die Loowerin in Position für seine Entladung.
An-Keyts Blick fiel auf den Vordenker des Trupps – und verharrte dort. Noch nie, seit sie Negan-Parr auf dem Transporter kennen gelernt hatte, hatte sie den Loower so zufrieden, so im Frieden mit sich selbst gesehen wie in diesem Moment. Negan-Parr wirkte verzückt, ekstatischer beinahe als Lef-Krar und Mirton-Kehn, die sich – Zufall? Oder vielleicht der Grund für Belor-Thons gipfelnde Erregung? – in diesen Augenblicken ebenfalls der Entladung entgegen arbeiteten. Eng an ihn herangedrängt kauerte Jevek-Kart. Die beiden Loower waren entrückt, ihre Stielaugen fixiert auf das Holo, das das Kommando-Modul des Helks vor sie projizierte.
An-Keyt konnte das Bild des Holos nur unvollkommen erkennen, aber was sie wahrnahm, genügte ihr. Der Vordenker und Jevek-Kart saugten die Daten des Helk-Netzes auf, die Karte der ersten Nacht des Ansturms. Das Holo zeigte die PAN-THAU-RA in einer merkwürdigen Darstellung. Eine zweite Kugel, eine Hülle hatte sich über das Schiff gestülpt, andersfarbig und hauchdünn. An-Keyt wusste, wofür die Darstellung stand, erkannte darin sich selbst, den sich abmühenden Belor-Thon, ihr übriges Kommando, die vielen Millionen Kommandos, die jetzt gleich ihnen die Stunden der Regeneration nach der Feuertaufe genossen. Zweidenker, die ihre Verletzungen verarzteten – psychisch wie physisch –, die sich wie sie selbst paarten, die sich im Stillen oder lauthals darüber freuten, noch am Leben zu sein.
Ein erheblicher Anteil der Loower hatte Grund zur Freude. Abgesehen von den hunderttausenden, die beim kollektiven Einschlag der Helks in den Rumpf der PAN-THAU-RA gestorben waren, deren Tod mithin bereits festgestanden hatte, blieben die Verluste gering. Außerordentlich gering. Und die wenigen Toten, die es gegeben hatte, waren zumeist das Opfer von fehlgeleitetem Feuer aus den eigenen Reihen oder von Unfällen gewesen. Saleng-Merv hatte Glück im Unglück gehabt: Einigen hundert Loowern war an diesem Tag ein peinliches Missgeschick von einer Tragweite unterlaufen, das ihnen keine Gelegenheit mehr gab, mit ihm zu hadern.
Der Vordenker und Jevek-Kart tranken die Statusdaten wie Verdurstende Wasser, alternierten sie immer wieder mit den jüngsten Aufzeichnungen der Gefechtssysteme. Der Vordenker und der Soldat wählten einzelne Szenen aus, verfolgten sie in Zeitlupe, aus bis zu einem Dutzend Kamerawinkeln gleichzeitig. Die 360-Grad-Sicht ihrer Stielaugen bedingte zu – buchstäblich – jedem Augenblick die Verarbeitung einer unerhört hohen Menge optischer Daten. Daten, die vom Gehirn simultan verarbeitet wurden.
Negan-Parr und Jevek-Kart unterhielten sich flüsternd, kommentierten die Aufnahmen. Vorbildlich natürlich, ganz wie in der Ausbildung gelehrt: Bestandsaufnahme, Fehleranalyse, Ausschluss von Fehlerquellen. Eine Selbstverständlichkeit. Nur Geistesschwache und Arrogante konnten darauf verzichten, aus Fehlern zu lernen. Kinder glaubten es. Die Dummen unter ihnen, diejenigen, die – zu Recht – den Kinderhort als Leichen verließen. Von den Soldaten verfügte keiner über den Luxus, sich nicht anzustrengen. Jeder Fehler konnte der letzte sein.
Negan-Parr handelte also richtig, kam gewissenhaft seiner Fürsorgepflicht für das Kommando nach. Und dennoch erschien An-Keyt die Beratung der beiden Loower unpassend, ja obszön. Die Soldatin folgte den Bildern auf dem Holo – keine leichte Aufgabe, Belor-Thon wuchtete sie jetzt herum, als wäre sie ein toter Gegenstand – und erkannte an vielen Stellen Kampfhandlungen wieder, an denen sie beteiligt gewesen war, aber die Bilder und das, was in ihr nachhallte, wollten sich nicht miteinander decken.
An-Keyt richtete beide Stielaugen auf das Holo, versuchte die beiden Welten in Deckung zu bringen, indem sie die ganze Breite der Eindrücke in sich aufnahm. Es war ihr nicht vergönnt. Belor-Thon packte die Loowerin mit einem Aufschrei, riss sie hoch und hielt sie wie eine Trophäe über dem Kopf. An-Keyt schlug um sich, griff ins Leere. Widerstand gegen die Entmündigung mischte sich mit Erregung darüber. Die Loowerin wand sich, Belor-Thon schrie seinen Triumph heraus, die Stielaugen aller flogen herum, ihre Blicke bohrten sich in An-Keyt.
Der Sturz. Belor-Thon ließ sie übergangslos fallen. An-Keyt kam hart auf dem Stahlboden auf, härter noch als Saleng-Merv, Schmerz stach in den Tentakel, mit dem sie sich abzufangen versuchte. Sie stöhnte auf.
Belor-Thon warf sich auf sie – und entlud sich. Der Fluss seines Samens wollte kein Ende nehmen. Es musste tatsächlich seine erste Paarung gewesen sein. An-Keyt reckte sich ihm entgegen, verrieb ihn mit den Greiflappen auf ihrem Körper wie eine Creme. Genoss die Wärme, die sich gleich darauf in ihr ausbreitete, Gelassenheit, die nicht von dieser Welt war.
Der Soldat brach über ihr zusammen, blieb schwer auf ihr liegen. An-Keyt merkte es kaum, ihr Bewusstsein schwand dahin, unbeschwert. Die Loowerin musste sich keine Sorgen machten. Belor-Thon würde sie nicht schwängern. Sie hat sich geschworen, nicht schwanger zu werden, solange der Kampf für das Leben wogte. Ihr Körper würde ihr gehorchen.
In diesem ebenso wie in dem Zweiten, das sich An-Keyt geschworen hat: Sie würde nicht auf der PAN-THAU-RA sterben.