Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 18
ОглавлениеKapitel 13
An-Keyt hatte Glück. Ihr Schirm hielt. Die Druckwelle der Explosion wirbelte sie davon. Sie fand sich eingekeilt zwischen zwei Behältern wieder. Hinter sich die Wand, vor sich der offene Raum des Depots, das Schlachtfeld.
Wo war der Feind? An-Keyt verdrehte die Stielaugen. Ihre Blicke liefen gegen eine Barriere aus Glut und dichtem, schwarzen Qualm, der plötzlich die Halle erfüllte. Sie schaltete das Gefechtssystem zu, fragte sich in einem Moment ihr selbst unerklärlicher Ruhe, wieso das System sich nicht eigenständig aktiviert hatte, wartete auf die Schemadarstellung, die Ordnung und Übersicht in das Chaos bringen würde, das die Loowerin zu verschlingen drohte.
Sie wartete vergeblich.
Das Helm-Display war tot. Das einzige Anzeichen, dass es jemals existiert hatte, war ein Flimmern, das die Qualmwand vor ihren Augen verschwimmen ließ. An-Keyt schaltete das Display aus.
»Jevek-Kart!«, rief sie in das Akustikfeld. Instinktiv wählte sie den Namen dessen, von dem sie am ehesten Rettung erwartete. »Jevek-Kart, melde dich!«
Keine Antwort. Weder von dem Söldner, noch von einem der übrigen Soldaten. An-Keyt fluchte, ballte den freien Greiflappen zu einem festen Knoten und schlug damit auf den Boden der Halle ein, bis das Glied trotz des gepolsterten Materials des Kampfanzugs, das sich wie eine zweite Haut um den Tentakel schmiegte, schmerzte. Der Schmerz tat gut, beruhigte sie.
Was sollte sie tun? Der Drang, das Pulsatortriebwerk zu aktivieren und das Schlachtfeld hinter sich zu lassen, war beinah übermächtig. Sie rang ihn nieder. Das Gefechtssystem war gestört, sie hätte manuell steuern müssen – glatter Selbstmord in dem dichten Qualm. Ihre Füße stemmten sich gegen die Wand hinter ihr. War das eine Möglichkeit? Ein Loch in die Wand brennen und unerkannt wegschlüpfen? Nein, unmöglich. Die Angreifer – die An-Keyt noch immer nicht gesehen hatte – würden zu klug sein, um ein solches Schlupfloch offen zu lassen. Sie hatten gewartet, bis der gesamte Trupp sich in dem Depot versammelte, hatten erst dann zugeschlagen. Wahrscheinlich hatten sie den Trupp bewusst in das Depot gelockt. Sie würden keine Hintertür offen gelassen haben, es sei denn als Falle.
Sie musste warten. Ausharren. Der Schluss war unausweichlich. Nur für kurze Zeit. Die Module ihres Helks hatten den Angriff vorbereitet, hatten das Depot eingekreist. Jeden Augenblick würden sie eingreifen, die Feinde vertreiben. Das energetische Gewitter der Entladungen konnte ihnen unmöglich verborgen geblieben sein.
Blitze durchzuckten den Rauch. Eine Reihe von Explosionen erschütterte das Depot. Die Loowerin glaubte Schreie zu hören, aber sie konnte nicht entscheiden, ob sie aus den Sprachblasen von Loowern kamen oder aus denen fremder Wesen.
An-Keyt verharrte an Ort und Stelle, so eng gegen den Boden gedrückt, dass ihre Flughäute schmerzen. Sie hatte den Projektilwerfer von sich gestreckt, bereit, bei jeder Bewegung zu feuern. Sie musste sich keine Gedanken machen, ob sie vielleicht einen Angehörigen ihres Trupps erwischte. Der Projektilwerfer würde die Freund/Feind-Entscheidung für sie treffen. Sie musste nur aushalten, auf ihr Glück hoffen, sich nicht durch eine unbedachte Handlung verraten.
Sie wartete, starrte angestrengt in den Rauch, der ihr wie ein lebendiges Wesen erschien. Unerschütterlich, gelassen. Explosionen verwirbelten ihn in unregelmäßigen Abständen, aber kaum war ihr Echo verklungen, war der Rauch wieder derselbe, in langsamer kreisender Bewegung, wie eine zähe Flüssigkeit.
Der Rauch war An-Keyts Freund. Sie ahnte, dass nur er sie vor den Angreifern verbarg. Die Angreifer verfügten über keine Orter, sonst hätten sie An-Keyt längst aufgespürt. Oder ihre Orter waren durch denselben Effekt außer Gefecht gesetzt wie die der Loower. Wie auch immer, die Angreifer waren ebenso blind wie An-Keyt. Wollten die Flachaugen sie und ihre Kameraden töten, mussten sie jeden von ihnen einzeln aufspüren.
Die Loowerin hörte einen Aufschrei, gefolgt von einer Explosion. Ihre Greiflappen schlossen sich noch fester um den Griff des Projektilwerfers.
Oder, kam ihr der Gedanke, die Flachaugen sprengten das Depot, erledigten den Trupp mit einem Schlag. Was sie längst hätten tun können. An-Keyt schloss daraus, dass sie tatsächlich auf ein Depot von On- und Noon-Quanten gestoßen waren. Die Loowerin kauerte eingekeilt zwischen dem Urquell des Lebens und der Intelligenz im Universum. Die Quanten schützten sie.
Vorerst.
Die Frequenz der Explosionen ließ jetzt nach. Von Zeit zu Zeit bebte nach wie vor der Boden, aber dabei handelte es sich um Ausläufer von weit entfernten Detonationen. Ein gutes Zeichen, hoffte An-Keyt. Der Beweis dafür, dass der Helk des Trupps sich zu ihnen vorkämpfte. Und, sollte ihre Analyse zutreffen, dass die Angreifer zahlreich und hartnäckig waren. Andernfalls hätten die Module längst das Depot erreichen müssen.
An-Keyts Tentakel schmerzten. Der Projektilwerfer war überraschend schwer, sie hatte ihn noch nie längere Zeit in Schussposition halten müssen. Die Loowerin nahm ein Trümmerstück, ein halb-verschmortes Kunststoff-Fragment, und schob es als Stütze unter ihren Waffengreiflappen. Der Schmerz ließ etwas nach. An-Keyt stieß seufzend Luft aus. So konnte sie durchhalten. So lange, bis der Helk sie heraushaute.
Zum ersten Mal, seit der Angriff begonnen hatte, schmolz ihre Anspannung, wenn auch nur ein wenig. Sie fragte sich, was aus ihren Kameraden geworden war. Waren sie tot? An-Keyt konnte es nicht ausschließen, aber merkwürdigerweise konnte sie es sich nicht vorstellen. Sie hatte seit dem Einschlag auf der PAN-THAU-RA viele zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen gesehen. Ihr war klar, dass ein toter Loower nicht anders aussehen würde als ein totes Flachauge, dennoch wollte sie nicht daran glauben. Ihr Verstand weigerte sich.
Aber wenn die anderen noch lebten, sollte sie nicht versuchen, zu ihnen aufzuschließen? Mit ihnen die Kräfte bündeln, ausbrechen? Falls – ihre Körperhaare stellten sich bei dem Gedanken auf, vibrierten mit einem unpassenden Jucken – falls ihre Kameraden das nicht längst getan hatten: ihre Kräfte gebündelt hatten und ausgebrochen waren. Und sie, An-Keyt, war zurückgeblieben. Tot geglaubt. Aufgegeben.
Die Loowerin ruckte hoch. Der schmale Platz zwischen den Quanten-Behältern, der ihr mittlerweile schon beinahe etwas wie Geborgenheit gespendet hatte, erschien ihr plötzlich bedrückend eng. Ein Gefängnis, das ihr die Luft abschnitt. Sie musste hier weg! Raus aus dem Depot! Sie ...
Der Rauch wogte ihr entgegen, nicht angetrieben von einer neuen Explosion, sondern von einem flüchtigen Umriss. An-Keyt drückte ab. Kein Projektil verließ den Lauf. Aus dem Rauch schälte sich der Körper eines Loowers. Er sprang auf sie zu und drängte sich neben ihr in die schmale Lücke.
Es war Tolt-Sekolg, der Arzt des Trupps. An-Keyt drückte ihren Helm an den seinen, um mit ihm sprechen zu können. Sie blickte in ein aufgequollenes, vor Nässe glänzendes Gesicht. Die Loowerin hatte wie alle Soldaten eine einfache Erste-Hilfe-Ausbildung erhalten. Tolt-Sekolgs Kreislauf stand vor dem Zusammenbruch, erkannte sie. Aber wieso? Sie konnte an dem Arzt keine Verletzung erkennen.
»Tolt-Sekolg!«, rief sie. Ihre Stimme hallte im Hohlraum des Helms wider. »Was ist los mit dir?«
Der Arzt sagte nichts. Stattdessen hielt er den linken Tentakel hoch. Der Greiflappen war verschwunden. Der Tentakel endete in einem unregelmäßigen Stumpf. Muskelfasern und Stränge des Anzugmaterials baumelten von ihm. Blut tropfte auf den Boden und auf An-Keyts Anzug.
Eine unmögliche Verletzung. Einen Augenblick lang starrte die Loowerin mit einem Stielauge auf den Stumpf, mit dem anderen auf die Sprachblase, die sich zu einer flehentlichen Bitte verzogen hatte. Waffen töteten ganz oder gar nicht. Sie zerfetzten, verschmorten, verdampften oder zerstoben zu Glut, sie verstümmelten nicht.
»Wie ist das passiert?«, stammelt sie.
»E-egal«, kam die Antwort. »Du musst mir helfen ... der Blutverlust ... du musst den Tentakel abbinden ...«
»Wieso? Dein Anzug ...«, setzte An-Keyt und verstummte, als sie erkannte, wie dumm ihre Bemerkung war. Natürlich, der Anzug hätte sich und damit den Stumpf automatisch versiegeln sollen. Er hatte es nicht, er musste defekt sein. Sie versuchte sich zu sammeln. »Einen Augenblick«, sagte sie und machte sich an dem Tornister des Arztes zu schaffen. Der Behälter war angeschmort. An-Keyt benötigt lange Augenblicke, um ihn zu öffnen, die Hitze hatte ihn verzogen. Medizinisches Material und Instrumente polterten ihr entgegen. Die Loowerin ließ den Projektilwerfer fallen und schaufelte mit beiden Greiflappen durch die Flut. Eine Schnur! Eine verfluchte, simple Schnur ...
An-Keyt fand ein Plastikband, legte es um den Stumpf und zog mit aller Kraft zu. Tolt-Sekolg bäumte sich auf und sank wieder in sich zusammen. Die Loowerin glaubte, er habe das Bewusstsein verloren, aber dann winkte der Arzt mit dem unverletzten Tentakel. Die Helme der beiden Loower trafen erneut aneinander. »Zu viel Blut verloren ...«, stöhnte Tolt-Sekolg, »... die gelbe Flasche ... injiziere ...« Er sank zurück, noch immer bei Bewusstsein – die flehenden Stielaugen bewiesen es –, aber zu entkräftet, um fortzufahren.
»Gleich. Halte durch!«
Die Loowerin beugte sich wieder über den Inhalt des Tornisters, als sie mit einem Auge eine Bewegung im Rauch wahrnahm. Ohne Zögern griff sie nach dem Projektilwerfer und drückte ab. Die Waffe feuerte nicht. Erleichtert ließ An-Keyt sie sinken. Die Freundkennung hatte angesprochen. Ein Kamerad!
»Tolt-Sekolg«, flüsterte sie dem Verletzten zu. »Alles wird gut. Siehst du, hier ...«
Ein Umriss trat aus dem Rauch. An-Keyt zählte sieben Gliedmaßen, keuchte. Ein Flachauge! Die Loowerin ignorierte den nutzlosen Werfer – er sprach offensichtlich nicht mehr auf Flachaugen an – schnellte mit der ganzen Kraft ihrer stämmigen Beine aus der Hocke hoch. Mit einem Greiflappen riss sie den Arzt mit sich, mit dem anderen langte sie nach dem Kombistrahler, der seit Wochen unbenutzt an ihrem Gürtel hing, ein unnützes, lästiges Gewicht.
Beinahe schnell genug.
Der Umriss schleuderte ihr einen Blitz entgegen. An-Keyts Schirm absorbierte den Energiestrahl, lenkte ihn ab. Er bohrte sich in Tolt-Sekolg, ließ den Arzt, den kein Schirm mehr schützte, wie einen Ballon platzen. Im selben Moment drückte die Loowerin ab. Sie hielt den Feuerknopf weiter gedrückt, als sie wieder auf dem Boden aufkam, auch noch, als die Wucht der Explosion, die das Flachauge vor ihr zerriss, sie gegen die Wand schleuderte und der Aufprall ihr das Bewusstsein raubte.
Als ihre Kameraden sie später fanden, hielt An-Keyt in einem Greiflappen den leer geschossenen Strahler, im anderen einen verkohlten Fetzen von Tolt-Sekolgs Kampfanzug.
Es war nicht der Helk, der An-Keyts Kommando vor der Auslöschung rettete, es waren Loower. An-Keyt hielt sie anfangs, während ihre Wahrnehmung langsam zurückkehrte, für Überwesen, keinesfalls für gewöhnliche Sterbliche. Sie schienen überlebensgroß. Die Überlebenden ihres Trupps wirkten neben ihnen wie ein Abklatsch, zweite Wahl.
Die Retter trugen Kampfanzüge, Modelle, wie sie An-Keyt noch nie zuvor gesehen hatte. Die neuneckigen Platten, aus denen sie bestanden, waren so klein, dass die Loowerin ganz genau hinsehen musste, um sie zu erkennen. Das Material wirkte zerschunden, als wäre es zahllosen Strapazen ausgesetzt gewesen – und aus ihnen gestärkt hervorgegangen. Die Farbe der Anzüge ... sie entwand sich An-Keyt. Sie war in ständiger Veränderung, als die Retter auf- und abgehen, passte sich dem Hintergrund an. Eine flüchtige Unaufmerksamkeit genügte, und der Träger verschmolz mit seiner Umgebung. Nur der Tatsache, dass die Retter die Helme heruntergeklappt hatten, verdankte die Loowerin, dass sie sie nicht aus den Augen verlor, sie greifbar blieben.
In den Greiflappen hielten die Retter fremdartige, rundliche Waffen. An-Keyt spürte, dass sie nicht loowerischen Ursprungs waren, die Griffe waren zu unförmig, nirgends war eine gerade Kante oder Linie auszumachen, geschweige denn ein Neuneck.
An-Keyt musste an Mev-Sopran denken. Der Waffenwart würde vieles dafür geben, die Greiflappen an ein solches Modell zu bekommen. Eigentlich müsste er in diesem Augenblick versuchen, sich an die Retter heranzumachen, auf sie einreden, bis sie ihm eine ihrer Waffen überließen. Mev-Sopran war ein unermüdlicher Redner, wenn es darauf ankam.
Wo war er?
An-Keyt ruckte hoch. Schmerz fuhr durch ihren Körper, wollte sie zurückhalten, aber die Loowerin ignorierte ihn. Sie besiegte den Schmerz, aber gegen die Greiflappen des Retters, der neben ihr kniete, war sie machtlos. Er zwang sie zurück. An-Keyt keuchte, als er sie hart gegen den Boden drückte.
»Liegen bleiben!«, sagte der Mann nur. »Ich bin noch nicht fertig.«
Die Loowerin fügte sich, während die Greiflappen des Retters sie untersuchten. Er war grob, aber routiniert. An-Keyt kam er wie ein Mechaniker vor, der eine Maschine auf Fehler kontrollierte und in Gedanken bereits bei der nächsten war, vielleicht schon beim Ende seiner Schicht.
An-Keyt wünschte sich, Tolt-Sekolg wäre noch am Leben. Aber der Arzt des Kommandos war tot. Die Loowerin hatte gespürt, wie er zerplatzt war, seine Fetzen in ihrem Schirm verglüht waren. Es war eine nüchterne Feststellung, eine Analyse. In diesem Augenblick. Später, ahnte sie, würde Tolt-Sekolgs Tod sie verfolgen. Später, in den langen Nächten. Jetzt, während der Retter sich an ihr zu schaffen machte, fühlte sie nichts. Nicht für Tolt-Sekolg wenigstens. Aber für jemand anderen: sich selbst. Sie lebte! Erregung durchflutete An-Keyt unvermittelt, unbeherrschbar. Sie räkelte sich, stöhnte.
Der Retter stellte seine Untersuchung ein. »Was ist mit dir?«, fragte er verwundert. »Was hast du?«
»Nichts«, sagte An-Keyt nur. Was in ihr vorging, ließ sich nicht in Worten ausdrücken. Sie war am Leben!
Die Loowerin richtete sich auf. Dieses Mal hinderte sie der Retter nicht, sei es aus Verblüffung, sei es, dass er seine Untersuchung abgeschlossen hatte. An-Keyts Stielaugen kreisten. Das Depot war verwüstet. Keiner der Quanten-Behälter war unversehrt geblieben. An ihrer Stelle klafften Krater im Boden. Lediglich einer der Behälter war noch als solcher zu erkennen. Er war geborsten, eine klebrig aussehende Flüssigkeit war ausgelaufen. On- oder Noon-Quanten? Der Grundstoff des Lebens? Es fiel schwer zu glauben, aber es blieb kein anderer Schluss. Es waren Sporen – oder Tolt-Sekolg war umsonst gestorben, bei der Einnahme eines Nahrungsdepots oder eines Schmierstofflagers oder was auch immer. Es war in diesem Fall egal.
In der Mitte des Depots stand eine große Anzahl Loower zusammen, die größte, die An-Keyt gesehen hatte, seit sie den Transporter verlassen hatten. Retter und Angehörige des Kommandos. An-Keyt sah Belor-Thon, bleich aber unverletzt. Die Loowerin musste sich beherrschen, sich den Jungen nicht auf der Stelle zu nehmen, ihr Überleben auf die einzige ihr angemessen erscheinende Art und Weise zu feiern, indem sie das Leben ausschöpfte.
Lef-Krar, Mirton-Kehn, Saleng-Merv – alle ihre Kameraden waren da, drängten sich eng zusammen, verstört und mitgenommen. Unter ihnen war Jevek-Kart. Die Loowerin hielt verwundert inne. Der Söldner hatte seit langem aufgehört, sich mit den übrigen Angehörigen des Trupps zu verbrüdern, wenn er es überhaupt je getan hatte. Anfangs hatte ihm die Gesellschaft des Vordenkers, später die des Waffenwarts genügt. Auf einfache Soldaten wie An-Keyt, die über keine erkennbare Wichtigkeit verfügten, verschwendete er keinen Gedanken, geschweige denn Zeit.
Jetzt stand der Söldner zwischen den Soldaten, die Stielaugen demütig auf den Boden gerichtet, und kaute wortlos an einer Standardration.
Was war geschehen? Irgendetwas stimmte nicht. Nur, was?
Die Retter gaben der Loowerin einen Augenblick später unwissentlich die Antwort.
»Was hat dich geritten, Vordenker?«, sagte einer von ihnen scharf. »Wieso hast du versucht, diese Anlage ohne Rücksprache mit dem Oberkommando einzunehmen?« Es war der Anführer der Retter, ein stämmiger Mann, mit wuchtigen Oberschenkeln und langen Stielaugen, die wie ein Verhängnis über Negan-Parr hingen, ein paar Raubvögel, das jeden Moment auf ihn herabstoßen konnte.
»Mir ... schien, nun, Eile angebracht«, stotterte der Vordenker. »Das Depot war verwaist.«
»Scheinbar.«
»Ja, scheinbar.«
»Ich konnte nicht wissen, dass es eine Falle war!«
»Aber du musstest damit rechnen, dafür bist du Vordenker.«
Negan-Parr sagte nichts. Seine Sprachblase vibrierte so stark, dass Speicheltropfen wie feiner Nebel das obere Drittel seines Körpers einhüllten.
»Ich höre, Vordenker.«
»Ich ... ich muss die Beherrschung verloren haben.« Eines seiner Stielaugen zuckte, heftete sich auf den Söldner. »Die Tragweite der Entdeckung muss mir für einen Augenblick den Verstand geraubt haben. On- und Noon-Quanten! Sind wir nicht deshalb hier?«
»Was du nicht sagst. Du würdest Quanten nicht einmal erkennen, wenn du mit der Sprachblase in sie hineinfallen würdest!«
»Es ... ich ... ich bedaure den Vorfall.« Negan-Parr blieb keine andere Wahl, als um Verzeihung zu bitten. Die Wahrheit – dass ein Angehöriger seines Trupps ihm das Kommando entwunden hatte – konnte er unmöglich eingestehen. An-Keyt hätte es an seiner Stelle vorgezogen, den Strahler auf sich selbst zu richteten und ein schnelles Ende zu machen, anstatt mit der offen eingestandenen Schande zu leben.
Der Retter musterte den sich windenden Vordenker schweigend.
Negan-Parr holte laut Atem. »Ich bitte dich, mich von meinem Kommando zu entbinden«, sagte er. »Ich bin nicht würdig.«
Der Retter schwieg weiter. Die Pupillen seiner Stielaugen verengten sich. An-Keyt konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er lautlos kommunizierte. Mit dem Helk-Netz, dem Bereichskommando, vielleicht sogar dem Oberkommando, dem engsten Zirkel um Kilan-Gerp.
»Abgelehnt«, schnarrte er schließlich. »Du bleibst auf deinem Posten.«
Der Retter bekam das Aufstöhnen Negan-Parrs – Erleichterung? Entsetzen, dass ihm die Bürde der Verantwortung nicht genommen wurde? – nicht mehr mit. Ein Soldat trat auf ihn zu, meldete: »Wir haben sie gefunden.«
»Wieso hat es so lange gedauert?«
»Einer der Sender war defekt. Möglicherweise war der Stift manipuliert.«
Der Anführer der Retter machte eine bestätigende Geste, nahm zwei Stifte entgegen.
Zwei? An-Keyt erschauerte. Tolt-Sekolg und wer ...?
Eine Ahnung stieg in ihr auf. Die Stielaugen der Loowerin fuhren ganz aus, um das gesamte Depot zu überblicken. Überall waren Soldaten am Werk, machten sich an den Leichen der Flachaugen zu schaffen, an den Resten der Behälter, untersuchten sie.
Der Anführer hielt die Stifte prüfend hoch. Seine Flughäute schlugen zufrieden einmal auf und ab. Die Stifte wirkten wenigstens äußerlich unbeschädigt. Es knackte laut, als er beide in einer Bewegung entlang der Soll-Bruchstelle in der Mitte trennte. Der Anführer steckte zwei der Hälften ohne hinzusehen in eine Tasche seines Kampfanzugs, die beiden übrigen hielt er Negan-Parr hin.
»Hier. Für euch. Für dich. Lehrmaterial, das du und deine Leute euch genau ansehen solltet.«
Die Stifte waren Identifikationsmarken. Jeder Loower auf der PAN-THAU-RA trug eine, auch An-Keyt. In die Stifte war ein einzigartiges, unverwechselbares Muster graviert. Unzerstörbar, aus einer verdichteten Speziallegierung. Das, was von einem übrig blieb, selbst wenn das gesamte Sporenschiff in einem Glutball vergehen sollte. Und in das Metall integriert ein nichtflüchtiger Speicher, mehrfach redundant, der die Daten des Gefechtssystems aufzeichnete, den Tod des Trägers. Auf dass sein Schicksal nicht ungeklärt, dass es anderen Loowern erspart blieb, weil sie aus ihm lernten.
Die Retter verschwanden. Übergangslos, als hätte An-Keyt sich ihre Existenz nur erträumt. Grußlos schlossen sie die Helme und verschmolzen mit der Umgebung. Einige Subeinheiten lang schien die Luft an manchen Stellen des Depots noch zu flimmern, dann waren sie weg.
An-Keyts Kommando – was davon geblieben war – war auf sich allein gestellt.
Es dauerte lange Zeit, bis es Negan-Parr gelang, sich aus seiner Starre zu lösen und die ID-Stifte einzustecken.
Später schlug der Trupp sein Nachtlager auf. Die verbliebenen Helk-Module – sieben waren von den Feinden vernichtet worden, ein weiteres halbes Dutzend zu unterschiedlichen Graden beschädigt – hatten eine enge Sphäre um den Trupp gezogen. Einen Schild, wie er den Soldaten bis zu diesem Tag undurchdringlich erschienen war.
Der Trupp sah sich die Aufzeichnungen der ID-Stifte an. An-Keyt schloss die Augen, als ein greller Blitz die Anzugkamera von Tolt-Sekolg blendete. Sie wusste, wie der Arzt gestorben war, sie hatte es gespürt.
Schweigend hingen die Loower ihren Gedanken nach. Negan-Parr sah nicht auf, als er den zweiten Stift abspielte. Es war eine kurze Aufzeichnung.
Mev-Sopran starb im ersten Ansturm. Die Explosion hatte ihn mit voller Wucht erfasst, seinen Schirm bis zur Maximalkapazität belastet. An-Keyt registrierte ohne Überraschung, dass sie um 30 Prozent über dem Standard gelegen hatte. Offenbar eine Optimierung, von der der Waffenwart niemand erzählt hatte. Es hatte ihm nichts genutzt. Das Strahlerfeuer, das unmittelbar nach der Detonation einsetzte, konzentrierte sich auf ihn. Sein Schirm hielt ihm keine Sekunde lang stand. Immerhin, er hat ihnen unwissentlich das Leben gerettet. Sein optimierter Schirm schützte den restlichen Trupp vor der vollen Wucht der Explosion. Ohne den Waffenwart wären die meisten der Soldaten jetzt tot gewesen.
In dieser Nacht stürzte sich An-Keyt nicht auf Belor-Thon. Die unbändige Lust, die sie beim Erwachen aus der Bewusstlosigkeit im Depot verspürt hatte, war verflogen. Stattdessen überlegte sie, welche Lehren sie aus dem Tag ziehen konnte.
Es war eine lange Nacht.
Eine fruchtlose.