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Kapitel 2

LFT-Einheit LUCKY JIM

17. April 1341 NGZ, 12:36 Bordzeit

Vernehmung: Yun, Eingeborener der Kolonialwelt Snowflake

Vernehmungsgegenstand: Snowflake/Shon Leehan/Perry Rhodan

Vernehmender Spezialist: Wilton Dolson

DOLSON: Yun, weißt du, weshalb du hier bist?

YUN: Ich ... ich glaub' schon.

DOLSON: Könntest du es mir vielleicht sagen?

YUN: Die Frau, die mich hierher gebracht hat, meinte, um zu helfen.

DOLSON: Hat sie das? Nun, das ist sicher nicht unrichtig. Aber mich interessiert, was du selbst denkst. Kannst du es mir sagen, in eigenen Worten?

YUN: Hm ... ihr wollt von mir wissen, wie alles passiert ist?

DOLSON: Du bist ein kluger Junge.

YUN: Ich bin kein Junge!

DOLSON: Entschuldige, du bist ein kluger, junger Mann. Besser?

YUN: Ja.

DOLSON: Schön. Vor uns brauchst du keine Angst haben. Wir meinen es gut mit dir. [Beugt sich vor.] Ist Yun dein ganzer Name?

YUN: Was meinst du damit?

DOLSON: Vielleicht hast du ja einen zweiten Namen. Ich heiße zum Beispiel Wilton Dolson. Wilton ist mein Vorname. Dolson mein Nachname.

YUN: Was ist ein Nachname?

DOLSON: Du weißt nicht, was ein Nachname ist?

YUN: He, glotz' mich nicht an, als wär' ich zu doof zum Schneeschippen! Du hast zwei Namen, schön für dich. Kauf dir was davon! Bist du deshalb was Besseres?

DOLSON: Nein, natürlich nicht. Das wollte ich damit nicht sagen. Es war nur ein Beispiel, um dir zu verdeutlichen, was ich ausdrücken wollte. Mein zweiter Name bezeichnet die Familie, der ich angehöre.

YUN: Familie? Davon hab' ich schon mal gehört.

DOLSON: Siehst du. Hast, entschuldige, hattest du eine Familie auf Snowflake?

YUN: Sei nicht so ... so verhuscht. Ihr seid alle so verdammt verhuscht! Schleicht auf Zehenspitzen um mich herum, quatscht so leise, dass ich euch kaum verstehen kann. »Yun, bist du hungrig? Bist du dir sicher, dass du nicht hungrig bist? Ganz sicher?« Oder »Möchtest du noch einen Trivideo sehen?« Oder, und das ist das Beste – »Yun, ist dir warm genug? Hier hast du noch eine Decke!« Damit ihr's wisst: Mir ist nicht kalt, ich frier' nicht. Ich frier' nie. Fast nie. Ich hab' ne Gänsehaut, weil mir zu heiß ist. Euer ganzer Monsterkahn ist ein übler Schwitzkasten.

Also hört endlich auf mit dem Scheiß! Ich bin nicht aus Eis. Ich schmelz' nicht weg, auch wenn's heiß wird, brech' nicht in Stücke, wenn's hart kommt. Kapiert? Ich bin cold. Ich bin frostig.

DOLSON: Entschuldige bitte, wir wollen dich nicht beleidigen. Aber wir machen uns eben Sorgen um dich, Jung... Yun. Ich denke, das ist doch nur natürlich, nach allem, was du durchgemacht hast.

YUN: He – sperr mal deine terranischen Riesenglubscher auf! Ich lebe. L-E-B-E. Das Eis ist dick genug gewesen für mich. Um mich braucht ihr euch nicht zu kümmern. Lasst mich einfach in Ruhe. Ich komm' schon klar. Irgendwie. Bin immer klargekommen.

DOLSON: [Überlegt.] Glaub mir, Yun, ich würde nichts lieber tun, als dich in Ruhe zu lassen, dir eine Atempause geben, nach allem, was du mitgemacht hast. Aber das ist unmöglich. Das hier ist zu wichtig. Du bist zu wichtig für uns.

YUN: Klar. Ich und wichtig!

DOLSON: Würde ich sonst hier sitzen und mir Zeit ganz für dich allein nehmen?

YUN: Hm, weiß nicht ... vielleicht ist ja was dran ...

DOLSON: Du kannst es mir ruhig glauben. Gut, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, bei deiner Familie – willst du mir von ihr erzählen?

YUN: Da gibt's nichts zu erzählen. Ich hatte keine ... denk' ich wenigstens.

DOLSON: Denkst du? Du musst doch wissen, ob du eine Familie hattest.

YUN: Du meinst, Leute, mit denen ich verwandt bin, genetisch? Einen Erzeuger und eine Erzeugerin, die ihr Erbgut zusammengeworfen haben, zufällig?

DOLSON: So in etwa. Eltern nennen wir das. Leute, die dich geliebt haben, einfach so, wie du bist, die sich um dich gekümmert haben.

YUN: [Prustet.] Nein, das ganz bestimmt nicht. Um mich hat sich niemand gekümmert, nicht mal für 'nen Becher Schmelzwasser. Und was dieses Erzeugerding angeht – ich bin Vierter, 'n echter Schneemensch.

DOLSON: »Vierter«. Was bedeutet das?

YUN: Du weißt das nicht?

DOLSON: Nein. Ich ...

YUN: Du schmeißt hier den allwissenden, abgeklärten Superterraner und weißt nicht mal, was ein Vierter ist?

DOLSON: [Holt tief Luft.] Ich habe nie behauptet, allwissend zu sein. Im Gegenteil. Würde ich dir sonst so dumme Fragen stellen?

YUN: Hm, da ist was dran ...

DOLSON: Also, willst du mir jetzt erklären, was du damit meinst, wenn du dich einen »Vierten« nennst?

YUN: Ist ganz simpel. Vierte Generation.

DOLSON: Vierte Generation von was?

YUN: Seit der Ankunft.

DOLSON: Der Ankunft?

YUN: Der Ankunft auf Flake natürlich! Die ersten Siedler!

DOLSON: Verstehe. Du gehörst der vierten Generation von Menschen auf deiner Welt an. Und was macht es für einen Unterschied, welcher Generation man angehört? Zweite, dritte oder vierte – die Angehörigen der früheren Generationen sind eben älter. Haben wahrscheinlich andere Ansichten als die Leute deiner Generation. Sie ...

YUN: Darauf kannst du deinen tollen Doppelnamen in den Schnee pissen! Die Zweiten und Dritten sind noch überhitzter als das, was ich von euch Terranern gesehen habe!

DOLSON: Und die Vierten sind was ... kalt?

YUN: Fängst an zu kapieren. So ähnlich. Wir sind cold. Frostig eben.

DOLSON: Was macht euch so cold?

YUN: Das da. [Hebt einen Arm. Nimmt das nackte Fleisch zwischen Zeigefinger und Daumen und drückt.] Das Fett. Wir Vierten haben es überall am Körper, 'ne zweite Haut unter der Haut. Das Fett isoliert uns. Hält uns schön kuschlig, nicht zu kalt, nicht zu warm. Damit überstehst du 'ne ganze Polnacht, wenn die Sonne wochenlang nicht mehr hochkommt. Hab's selbst ausprobiert. Mit meinen Kumpeln.

DOLSON: Man sieht das Fett kaum. Eigentlich sogar gar nicht. Die Schicht kann nicht sehr dick sein.

YUN: Eben. Die Dritten sind üble Klötze. Können keinen geraden Schritt machen. Wenn du ihre Fußspuren siehst, schmeißt du dich weg vor Lachen. Watschel, watschel, watschel! Hast du schon mal 'nen Dritten gesehen, der versucht, in die Hände zu klatschen? Erst kriegt er's kaum hin, der ganze Speck ist im Weg, dann klingt es, wie wenn man zwei frisch gefangene Fettrobben gegeneinander haut.

DOLSON: Verstehe. Und die Zweiten?

YUN: Trauen sich kaum raus. Sind schlimmer als die paar Ersten, die noch übrig sind. Die packen sich richtig dick ein und trauen sich raus – von weitem sehen sie dann aus wie Dritte –, aber die Zweiten ... hocken immer nur drinnen. Die Anpassung ging schief. An manchen Stellen haben sie dicker Fett als die Dritten, an anderen gar keins. Zweite sind nie zufrieden. Sind immer sauer auf alles und jeden, am meisten auf sich selber. Ist ihnen immer zu heiß oder zu kalt, sitzen nie bequem, und laufen ist ihnen zu anstrengend. Ich geb dir 'nen guten Rat: Geh' den Zweiern aus dem Weg!

DOLSON: Das klingt eher danach, als hätten sie Mitleid verdient.

YUN: [Denkt nach.] Schon, ja. Irgendwie schon. Aber irgendwann ist gut mit Mitleid. Ich mein', sie sind, wie sie sind. Sollen sie dafür die Schuld geben, wem sie wollen. Ich bin's nicht gewesen. Nicht wir Vierten.

DOLSON: Wer hat sie dann?

YUN: Keiner. Die Einer haben es gut mit ihnen gemeint, wollten ihren Kindern bessere Gene mitgeben. Flakie-Gene. Haben alles getan, was sie konnten. Ging schief. Pech.

DOLSON: Und du hast Glück gehabt?

YUN: Eine Riesenschneeschaufel davon. Die Oxtorner, sie ...

DOLSON: Augenblick. Sagtest du »Oxtorner«?

YUN: Klar. Was guckst du plötzlich so? Ist was mit den Oxtornern?

DOLSON: Nein, gar nichts. Sprich weiter – was haben die Oxtorner gemacht?

YUN: Na, mich. Uns, die Vierten. Eines Tages sind sie auf Flake aufgekreuzt. War, bevor ich auf der Welt war. Sind nackt über das Eis spaziert, von oben bis unten angemalt, und haben ausprobiert, wie lang sie's aushalten. Müssen wohl Mitleid gekriegt haben mit den Einsern, Zweiern und Dreiern. Haben ihnen angeboten zu helfen. Und dabei bin sind wir Vierten rausgekommen. Müssen richtig cold sein, Oxtorner.

DOLSON: Hast du noch keinen gesehen?

YUN: Nein. Sie sind wieder gegangen, nachdem sie uns gemacht haben. Gehen viele Geschichten rum, dass sie bald wiederkommen und Fünfte machen. Hab' ich nie geglaubt. Wir Vierten sind perfekt, echte Schneemenschen. Fünfte? Braucht keiner. Aber ... das ist jetzt egal, schätze ich. Wird keine Fünfte mehr geben. Jetzt ganz bestimmt nicht mehr.

Trotzdem, wäre frostig cold, mal einen zu sehen. Einen Oxtorner, mein' ich. Müssen echt Supertypen sein, wenn man den Geschichten trauen kann, die die Leute rumerzählen. He, da fällt mir ein – euer Monsterschiff ist doch riesig und voll mit Leuten. Ihr habt doch bestimmt Oxtorner an Bord, oder?

DOLSON: Ja ... den ein oder anderen.

YUN: Cold. Kann ich einen sehen? Bitte!

DOLSON: Später. Vielleicht.

YUN: Wenn wir hier fertig sind?

DOLSON: Nein. Noch später.

YUN: Wieso später?

DOLSON: Das ist nicht so einfach zu erklären ...

YUN: Und ich bin zu blöd, es zu kapieren, was? Ich bin gar nicht blöd, Mann! Du willst nur nicht, dass ich einen sehe! Gib's zu! Ihr wollt die Oxtorner für euch behalten, was?

DOLSON: Das ist es nicht, Yun. Du verstehst mich falsch.

YUN: Was denn sonst? Du bist nicht ehrlich zu mir. Das ist nicht fair! Du willst, dass ich ehrlich zu dir bin, dir alles erzähle – also musst du auch ehrlich zu mir sein!

DOLSON: [Zögert.] Du hast Recht, entschuldige. Die Wahrheit ist: Wir haben Oxtorner an Bord. Zwei von ihnen. Aber niemand darf zu ihnen. Sie liegen auf der Medostation. Die Ärzte wissen nicht, ob sie durchkommen.

YUN: Das ... das tut mir Leid für sie. Dachte nicht, dass Oxtorner krank werden können.

DOLSON: Sie sind nicht krank. Sie sind verletzt. Sehr böse verletzt.

YUN: Was? Aber das geht doch nicht! Oxtorner haben Haut aus Stahl, das sagen alle Geschichten. Sie fallen von 'nem Eisberg, krachen ins Eis und stehen hinterher auf und grinsen. Du ballerst mit 'nem Strahler auf sie, und sie lachen dich aus!

DOLSON: Das kommt auf die Größe des Strahlers an. Die beiden Oxtorner in der Medostation haben Glück gehabt. Von vielen ihrer Kameraden ist nicht mehr genug übrig, um sie zusammenzuflicken. Von den meisten sogar.

YUN: [Schluckt.] Wie ist das passiert?

DOLSON: Das wissen wir nicht, noch nicht. Wir haben die beiden Oxtorner zusammen mit einem Terraner im All treibend gefunden, in einer Space-Jet, die nur noch eine tote Hülle war. Nicht so viel anders als euch, übrigens.

YUN: Und? Ich sitz' vor dir, ich hab' auf keine Medostation gemusst. Shon auch nicht. Wieso dann die Oxtorner?

DOLSON: Ihnen ist der Sauerstoff ausgegangen. Sie liegen im Koma, alle drei, die beiden Oxtorner und der Terraner. Das Seltsame ist, dass es dem Terraner am besten von den Dreien geht. Einen Arm gebrochen, allgemein erschöpft und durchgeschüttelt – aber in ein paar Tagen ist er wieder der Alte.

YUN: Und die Oxtorner?

DOLSON: Sieht nicht gut aus. Beide haben alle Glieder mehrfach gebrochen, dazu kommen innere Verletzungen. Und natürlich der Sauerstoffmangel. Oxtorner haben einen höheren Bedarf als Terraner. Es ist gut möglich, dass sie überleben, aber nichts davon haben, weil ihre Gehirne irreparabel geschädigt sind.

YUN: Irre... was? Du meinst, dass sie irre geworden sind? Und der Terraner hat nur 'n paar Kratzer. Aber das geht doch nicht! Oxtorner sind viel ...

DOLSON: Ich verspreche dir, dass ich dir alles erzähle. Sobald wir etwas erfahren oder sich etwas Neues ergibt. Ehrenwort. Aber zuerst musst du mir erzählen, was du erlebt und gesehen hast. Jede Einzelheit ist wichtig, auch wenn sie dir noch so unwichtig erscheint. Verstehst du? Viele Oxtorner sind gestorben. Viele ...

YUN: Viele Tring!

DOLSON: Ja, auch viele Tring. Viele Leben sind verloren gegangen. Und wir können sie nicht mehr zurückholen. Wir können nur die Überlebenden zusammenflicken, so gut es geht. Und dafür sorgen, dass nicht noch mehr Leben verloren gehen. Du kannst dafür sorgen, dass es so ist. Du hast viel erlebt in den letzten Wochen, viel gesehen. Darunter vielleicht einiges, was uns hilft, Leben zu retten. Deshalb musst du uns berichten. Erzähle uns alles. Lass nichts aus. Sage uns jede Einzelheit.

YUN: Ja ... ja natürlich. Ich tu', was ich kann. Versprochen. Aber ich bin nur 'n Junge ...

DOLSON: Das bist du nicht.

YUN: Was fragt ihr ausgerechnet mich? Ich flieg' Gleiter, ich bin nie von Flake weggekommen. Was kann ich schon helfen?

DOLSON: Mehr, als du glaubst, Yun.

YUN: Ich ... ich weiß nicht. Irgendwie ... He, da kommt mir eine Idee! Wieso fragt ihr nicht Shon? Shon weiß viel mehr als ich! Er war schon überall, hat alles gesehen. Einfach alles. Er kann euch bestimmt viel mehr helfen als ich. Fragt ihn!

DOLSON: Das haben wir bereits getan. Er hat uns Dinge erzählt, die unglaublich sind. Sie können einfach nicht stimmen. Jede Vernunft spricht dagegen. Aber wir können nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass er die Wahrheit sagt. Deshalb brauchen wir so viele Informationen wie möglich, um seine Aussagen zu überprüfen. Du kannst uns diese Informationen geben, Yun. Nur du. Wir sind auf dich angewiesen. Denk an die vielen Leben. Du kannst sie retten.

YUN: Du ... du machst mir Angst.

DOLSON: Du brauchst keine zu haben. [Beugt sich vor.] Yun, Shon Leehan ist dein Freund, nicht?

YUN: Ich ... er hat mich nie so genannt ... ich kenn' ihn noch nicht lang ...

DOLSON: Aber du wärst gern sein Freund?

YUN: Ja!

DOLSON: Dann ist jetzt der Moment gekommen, um dich als Freund zu beweisen. Shon Leehan braucht einen Freund. Dringend. Er ist in großen Schwierigkeiten.

YUN: Hat er was angestellt? Bestimmt nicht. Nichts Schlimmes, zumindest. Und wenn, hat er's bestimmt nicht böse gemeint, er will immer nur das Beste!

DOLSON: Shon Leehan steht unter Anklage. Er wird beschuldigt, die Vernichtung des Schlachtschiffs IMDABAN und ihrer Begleitflottille verschuldet zu haben. Möglicherweise sogar die Vernichtung der oxtornischen Heimatflotte. Und den Tod des Ersten Terraners.

YUN: Der Erste Terraner? Du meinst Perry Rhodan?

DOLSON: Ja.

Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband)

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