Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 29
ОглавлениеKapitel 24
Lifkom Tremter sah Oxtorner fliegen.
Der Boden der Zentrale der BANDIKOT bäumte sich auf, dem Rücken eines wilden Tiers gleich, das danach trachtete, einen missliebigen Reiter abzuschütteln. Mit durchschlagendem Erfolg. Die Oxtorner, von denen keiner außer Talina es für nötig befunden hatte, eine Konturliege aufzusuchen, wurden wie von einem Katapult davongeschleudert – und nach kurzem Flug gestoppt. Der terranische Botschafter hörte eine vieltöniges, nahezu simultanes Klatschen, dann verfolgte er, wie die Oxtorner leblos, in unnatürlich verrenkten Körperhaltungen, die Wand herunterrutschten.
»Nein!« Lifkom schrie auf. »Nein!«
Stählerne Oxtornerhaut war gegen die stählerne Zentralezelle geprallt, und die Oxtorner hatten den Kürzeren gezogen. Es war ein Anblick, den der Terraner nicht für möglich gehalten hätte. Zu oft hatte er bereits die waghalsigen Spiele der Oxtorner verfolgt. Sie sprangen von Klippen, gingen durch Feuer oder gruben sich den Weg aus einstürzenden Höhlen frei – sie hatten den Terraner an die altterranischen Zeichentrickfilme erinnert, mit denen sein Großvater auf Terra ihn als Kind traktiert hatte. Krude Geschichten von Tieren mit menschlichen Zügen, die einander grausam mitspielten und ihre zügellose Brutalität als Scherz ausgaben. Lifkom entsann sich einer Maus und einer Katze, die einander endlos malträtierten, einer nervtötend quakenden Ente und anderen. Meist hatten die Filme nur aus einer Serie von sich steigernden Gewaltakten bestanden, aus denen die Figuren stets ungeschoren hervorgingen. Schwarz verkohlt von der Explosion der Dynamitstange, die ihnen ihr Gegner unter den Gürtel geschoben hatte, aber unverletzt. Aus dem Einschlagsloch kriechend, den ihr Sturz von einer Klippe gebohrt hatte, schmutzig, aber unversehrt. Lifkom wäre am liebsten davongelaufen oder hätte sich die Hände vor die Augen gehalten, aber sein Großvater hatte es nicht zugelassen. Der alte Mann, der ansonsten den ganzen Tag wie manisch mit seinen Basteleien beschäftigt war, hatte sich weggeworfen vor Lachen. Dass sein Enkel mit von der Partie war, war unverzichtbar, behauptete er. »Zeichentrick allein ist nur der halbe Spaß«, hatte er immer gesagt. »Und halber Spaß ist kein Spaß.«
Weggeworfen. Kein Spaß.
Betäubt, als sehe er einen Film, beobachtete Lifkom, wie einige der Oxtorner sich regten. Nicht wie in einem Trickfilm, um lachend oder wütend aufzuspringen, bis die nächste Gewalttat sie zu Boden schleuderte. Die Oxtorner kamen nicht hoch, sie vermochten nur, ihre Glieder unsichtbaren Helfern entgegenzustrecken und zu stöhnen.
Als Lifkom Tremter vor Jahren nach Oxtorne gekommen war, hatte sich der Botschafter in eine Trickfilmwelt versetzt gefühlt. Die Oxtorner forderten sich und ihre Umwelt fortwährend heraus, nicht auf boshafte Weise wie die Figuren aus den alten Filmen, aber mindestens ebenso halsbrecherisch wie sie. Und sie überlebten, verkohlt, schmutzstarrend, blutend, grinsend. Meistens. Es gab Tote bei den Spielen. Aber sie waren meist auf eine unglückliche Kombination mehrerer, unvorhersehbarer Elemente zurückzuführen. Ausnahme, nicht Regel. Und wenn kein Unglück einen Tod verursachte, dann ein bewusster Akt. Alternde Oxtorner, die spürten, dass ihre Kräfte nachließen und ein Ende machten, wie es einem der ihren anstand. Ein Abgang in Würde.
Einer der Oxtorner, er lag dem Terraner am nächsten, wimmerte vor Schmerz. Seine Arme und Beine lagen schlaff neben dem Körper, wie Glieder einer Puppe, an der sich ein grausam veranlagtes Kind ausgelebt hatte. Der Mund des Mannes stand offen. Er wirkte merkwürdig schief. Der Kiefer musste gebrochen sein.
Das hier besaß nicht den Hauch von Würde. Die Oxtorner waren wie Fliegen gegen eine Wand geklatscht. Lifkom hatte schon einmal so etwas gesehen. Während eines Spiels auf Oxtorne, bei dem es darum gegangen war, mit bloßen Händen Tunnel in den Fels zu fräsen. Beim Start waren die Teilnehmer, so schnell sie konnten, auf die Felswand zugerannt. Und in sie hinein. Der Fels war unter dem Aufprall der stählernen Körper zu Staub zersprungen. Nur: Gewöhnlicher Fels verhielt sich zum hoch verdichteten Stahl der Zentralezelle wie Butter zu Granit. Zentralezelle und Rumpf der BANDIKOT waren ausgelegt, um atomaren Explosionen in unmittelbarer Nähe standzuhalten. Oxtornerkörper, die ...
»Lifkom! Was liegst du da und träumst? Wir müssen etwas unternehmen!«
Aus dem Augenwinkel sah der Terraner einen Schemen, der von der Konturliege neben ihm hochschnellte. Talina.
»Nein!«, rief er mit aller Kraft. »Talina, nicht! Jeden Augenbli...«
Ein Stoß raubte ihm den Atem. Der Rumpf des Kreuzers dröhnte. Talina, die den Schutz ihrer Konturliege verlassen hatte, wurde von dem Stoß erfasst und gegen die Wand geworfen. Mit einer Wucht, die einen Terraner zermalmt hätte, aber keiner, die dem ersten Stoß gleichgekommen wäre. Talina rutschte die Wand herunter, blieb einen Augenblick liegen, dann kam sie wieder hoch, mühsam zwar und haltlos fluchend, aber sie kam hoch.
»Lifkom, verdammt, worauf wartest du?«
Ihre Bitte riss ihn aus seiner Betäubung. Er erhob sich. Schwankend, ohne dass er Grund dazu gehabt hätte. Sein Schutzanzug absorbierte die Stöße und das Rollen des Schiffs. Es war seine Psyche, die nicht mitspielte. Er befand sich inmitten einer Katastrophe. Die BANDIKOT fuhr zur Hölle. Auf der Expressroute. Die Fremden hatten das Feuer eröffnet. Eine ganze Flotte. Dass der Kreuzer sich nicht längst in eine Gaswolke verwandelt hatte, konnte nur daran liegen, dass die Fremden mit der BANDIKOT spielten. Wieder musste der Terraner an die alten Trickfilme denken. Katz und Maus. Die BANDIKOT war die Maus, und wann immer die Katze des Spiels überdrüssig wurde ...
Er ging in die Knie. Sein Unterbewusstsein wollte nicht akzeptieren, dass er inmitten des Chaos ungeschoren blieb, geborgen in der privaten Welt seines Schutzanzugs. Sicher, bis ein Volltreffer den Kreuzer samt seiner Mannschaft in Plasma verwandelte.
»Talina! Du musst wieder auf die Liege. Der nächste ...«
»Der nächste Stoß könnte der letzte sein! Wir müssen hier weg! Und jetzt komm endlich und hilf mir!«
Lifkom gab sich einen Ruck, kam auf die Beine und ging zu der Oxtornerin, die sich über das Pult des Kommandanten beugte. Von Modesto und dem Okrill, die sich bis vor wenigen Augenblicken noch an dem Pult befanden hatten, war nichts zu sehen.
»Verdammt, die Systeme reagieren nicht! Wie kann das sein?«
Talina hantierte hektisch, aber offensichtlich hilflos an den manuellen Kontrollen. Ihre Augenbrauen waren dünne Striche, die einander beinahe berührten, so sehr hatte die Oxtornerin das Gesicht verkniffen. Die Sprachsteuerung war ausgefallen, sonst hätte die Bordpositronik sich längst gemeldet. Die Virtuellsteuerung war ebenfalls tot. Nirgends in der Zentrale leuchtete ein Holo.
»Was ist das für ein Schrotthaufen? Ich dachte, Terranerschiffe sind unzerstörbar!«
Tränen standen ihr in den Augen. Lifkom entging nicht, dass sie immer wieder ruckhaft aufsah und zu den Verletzten blickte. Es war ein Anblick, der sie noch weit mehr erschüttern musste als ihn, den schwächlichen Terraner. Oxtorner, verletzt, vielleicht sogar sterbend. Undenkbar. Gleichzeitig war es ein Anblick, der sie auf absonderliche Art zu faszinieren schien. Sie konnte kaum wegsehen.
»Nichts ist unzerstörbar«, sagte Lifkom.
»Klugscheißer. Und ich will wissen, wieso hier nichts geht!« Sie funkelte ihn aus wütenden Augen an.
»Ich weiß es nicht.«
»Großartig!« Sie hantierte weiter an den Kontrollen. Nichts geschah.
»Wo bleiben die Medoroboter?«, fragte Lifkom. Das Stöhnen und Wimmern der Verletzten zehrte an seinen Nerven. Es war ein Anblick, der ihn nur geringfügig weniger erschütterte als Talina. »Sie müssten doch schon längst hier sein.«
Die Oxtornerin hantierte weiter, als hätte sie ihn nicht gehört. Lifkom ließ sich nicht täuschen. Sie musste ihn gehört haben.
»Ich sagte: Wo bleiben die Medoroboter? Wir müssen die Medoroboter alarmieren!«
Talina schüttelte den Kopf. »Zwecklos.«
»Willst du deine Leute etwa verrecken lassen?« Kein diplomatischer Ausdruck, aber ein passender.
»Nein, aber wir müssen hier weg, wenn wir nicht alle draufgehen wollen. Das hat erste Priorität.«
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Medoroboter können sich an die Arbeit machen, während ...«
»Das können sie nicht. Wir haben keine an Bord.« Ein Schalter zersplitterte unter Talinas Daumendruck.
»Das ist nicht dein Ernst! Es gibt kein Schiff ohne Medoroboter!«
»Dieses hier schon. Wir haben sie auf Oxtorne herausgeworfen, um Platz für eine größere Besatzung zu haben.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, wiederholte der Botschafter. »Sag mir, dass das ein Witz ist!« Der Stahlboden unter ihm schien plötzlich seine Festigkeit verloren zu haben. »Seid ihr völlig verrückt?«
»Was hätten wir tun sollen?« Sie drehte sich zu ihm um, stellte sich seinem entsetzten Blick. »Es hätte auf der Stelle Tote gegeben, wenn wir es nicht getan hätten. Du hast den Raumhafen gesehen. Halb Oxtorne war dort und wollte um jeden Preis an Bord der Schiffe. Niemand hätte Verständnis dafür gehabt, wenn wir unnötigen Ballast mitgeschleppt hätten. Also ging alles, was überflüssig war, über Bord.«
»Ihr seid völlig verrückt! Medoroboter überflüssiger Ballast? Für was haltet ihr euch? Götter, denen niemand etwas anhaben kann?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nichts von Göttern, ich habe keine. Aber ich verspreche dir eins: Ich werde nie wieder im Leben einen Medoroboter auf irgendeine Müllkippe werfen. Nie wieder. In Ordnung? Aber damit ich mein Versprechen so einlösen kann, dass es etwas zählt, müssen wir hier rauskommen. Schnell.«
Sie hatte Recht. Der Irrsinn mit den Medorobotern war geschehen. Er war nicht mehr zu ändern. Er zwang ein »In Ordnung!« heraus. Lifkom erwartete, dass Talina sich wieder den Kontrollen widmete. Stattdessen sah sie ihn unverwandt an.
»Talina, was ist?«
Tränen traten aus ihren Augen, liefen ihr die Wange herunter. »Ich habe nie geglaubt, dass ein Augenblick kommen würde, in dem ich einen Terraner um Hilfe bitten muss.« Sie holte tief Luft. »Verdammt, Lifkom, ich brauche deine Hilfe. Ich komme nicht weiter.«
»Das kann nicht sein! Du hast doch eine Hypnoschulung für diesen Schiffstyp erhalten!« Lifkom glaubte, sich verhört zu haben. Eine Oxtornerin bat ihn um Hilfe! Lifkom hatte oft davon phantasiert in den langen Nächten, in denen ihm die Bilder von Oxtornern im Kopf herumspukten, die sich lachend Gewalten entgegenwarfen, die ihn, den jämmerlichen Terraner, auf der Stelle getötet hätten. Jetzt war der Traum Wirklichkeit geworden – in Form eines Albtraums.
»Ja, ich habe eine Hypnoschulung erhalten. Und ich weiß genau, welche Befehle ich der Positronik zu geben habe oder, im Notfall, welche Knöpfe ich drücken muss. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich tun soll, wenn weder die Positronik noch die übrigen Systeme reagieren. Hier ist alles tot!«
»Du denkst, ich komme weiter als du?«
»Wenn nicht du, wer dann?« Sie breitete die Arme aus und umschloss mit einer Geste die gesamte Zentrale. »Oder siehst du hier noch jemand anderen, der dafür in Frage kommt?«
Lifkom schluckte. »Nein.«
Talina legte ihm beide Arme auf die Schultern. »Lifkom. Du bist ein Terraner. Das ist ein terranisches Schiff. Du musst doch etwas darüber wissen. Bitte, sag jetzt nicht nein!«
»N-nein«, brachte er hervor.
»Gut. Dann mach endlich!«
Talina räumte ihren Platz vor dem Pult. Entweder, sie hatte die Doppeldeutigkeit seiner Antwort nicht erkannt, oder sie zog es vor, nicht darauf einzugehen.
Nein, Lifkom Tremter hatte nicht die geringste Ahnung davon, wie ein Raumschiff funktionierte. Er war Diplomat; was ihn von jeher antrieb, war das Interesse an anderen Intelligenzen. Und in wenigstens einer Beziehung glich er den Oxtornern: Technik hatte ihn weiter nie interessiert. Ihm genügte es zu wissen, welchen Knopf er zu drücken hatte. Für den Rest gab es Spezialisten.
Die natürlich nie zur Hand waren, wenn man sie brauchte.
Lifkom wünschte sich weit weg. Weg aus diesem Wrack, das steuerlos dahintrieb, zum Abschuss freigegeben. Weg aus einer Welt, in der Oxtorner gegen Wände klatschten und halb tot an ihnen hinunterrutschten. Wieso konnte die Welt nicht wie in einem Trickfilm sein? In den Filmen stand man hinterher immer auf, lachte und klatschte sich den Staub aus den Kleidern.
Er dachte an seinen Großvater. Ein merkwürdiger Mann mit merkwürdigen Vorlieben. Antike Trickfilme. Basteleien. Sein Zimmer hatte immer einer Werkstatt geglichen. Der eigenwillige alte Mann hatte den Schrott anderer Leute gesammelt und zu unsinnigen Maschinchen montiert. Er hatte sie stolz Kunstwerke genannt, eine Einschätzung, der niemand hatte zustimmen wollen, und nach seinem Tod waren seine Erzeugnisse im Konverter verschwunden, noch bevor er selbst begraben war. Sein Großvater hatte ihn oft gezwungen, ihm zur Hand zu gehen, was in der absoluten Langeweile beinahe noch unerträglicher als die unerträglichen Trickfilme gewesen war. Der junge Lifkom hatte sich jede erdenkliche Ausrede einfallen lassen, doch viel zu oft war er seinem unerbittlichen Großvater in die Fänge gelaufen.
Konnten die langen Stunden der Zwangsarbeit ihm jetzt helfen? Die BANDIKOT war ein Kreuzer, eine gewaltige, hochgezüchtete Kriegsmaschine. Sein Großvater hatte Alltagstechnik verbaut, dazu noch prä-Hyperimpedanz-Technik.
»Lifkom, worauf wartest du noch?«
Vielleicht ließ sich einiges von seinem Wissen anwenden, übertragen. Er beugte sich über das Pult. Die Sensorfelder reagierten nicht, genau, wie Talina gesagt hatte. Unmöglich eigentlich. Lifkom wusste, dass man bei Kriegsschiffen gleich mehrfach redundant baute. Und die BANDIKOT ... der Terraner erinnerte sich an einen Pflichttermin vor einigen Jahren. Die Liga hatte den Oxtornern ein Dutzend Schiffe übergeben. Natürlich hatte der Liga-Botschafter zugegen sein müssen. Die Zeremonie war eine einzige, endlos erscheinende Qual gewesen, deren Höhepunkt erreicht wurde, als ein Ingenieur endlos über die technischen Vorzüge der neuen Schiffe referierte.
Es waren Kreuzer der DIANA-Klasse gewesen, desselben Typs wie die BANDIKOT. Vielleicht war die BANDIKOT sogar eines der Schiffe gewesen. »Talina, die Verkleidung muss weg!«
Die Oxtornerin warf ihm einen skeptischen Blick zu, aber als er bekräftigend nickte, grub sie ihre Finger in das Material und riss es weg. Positronische Schaltungen kamen zum Vorschein, Leiterbahnen. Lifkom ging in die Knie, folgte ihrem Verlauf mit den Fingern. Sein Großvater hatte widerborstigen Geräten stets einen Stoß versetzt. »Hilft immer!«, hatte er behauptet, eine offensichtliche Fehleinschätzung. Den Stoß hatte die BANDIKOT bereits erhalten, mehrmals, und nichts ging mehr. Was also dann? Sein Finger stoppte über einer Leiterbahn ab.
»Hast du etwas gefunden, Lifkom?«, fragte Talina.
»Ich glaube ja.«
Ein gelöster Kontakt – konnte es so einfach sein? Der Terraner verband ihn wieder, und einige der Anzeigen erwachten zum Leben.
»Ich bekomme Statusmeldungen herein«, jubelte die Oxtornerin. Dann fluchte sie. »Verdammt, das sieht übel aus! Hyper- und Normalfunk sind tot. Schirme sind zusammengebrochen. Die Nug-Schwarzschild-Generatoren haben sich verabschiedet. Wir haben nur noch die Energie von einem Notreaktor und das, was vielleicht noch in den Speichern steckt. Von den Triebwerken kommt keine Meldung.« Als sie Lifkoms unglücklichen Blick bemerkte, fügte sie hinzu: »Ach ja, und die gute Nachricht: Der Rumpf hat bislang gehalten. Keine Vakuumeinbrüche.«
»Reagiert die Steuerung?«
»Nein. Weder Steuerung noch andere Instrumente.«
Lifkom Tremter, der unverbindliche, höfliche Diplomat, leistete sich den Luxus einer Verwünschung. Wie war das möglich? Sie bekamen Daten herein, konnten aber nichts ausrichten? Hektisch überprüfte er die Leiterbahnen; eine Geste, die ihn selbst mindestens ebenso beruhigen sollte wie die Oxtornerin. Was hatte der Ingenieur damals geschwafelt? Hätte er nur aufgepasst! Der Bordrechner ... eine Biopositronik. Was sonst? Aber das Wichtige war ... war ... ja! Sie bestand aus sechs autonomen Knotenrechnern. Aber das machte die Lage nur noch unerklärlicher. Alle sechs Rechner sollten ausgefallen sein? Das wäre nur möglich gewesen, wenn die BANDIKOT sich in eine Gaswolke verwandelt hätte.
»Lifkom, wie lange dauert das noch?«
»Einen Moment.«
Er hatte nicht den Mut, ihr einzugestehen, dass er hilflos war. Die Rechner der BANDIKOT blieben tot, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er sie wieder zum Leben erwecken konnte.
Der Kreuzer steckte einen weiteren Treffer ein. Der Stahl kreischte unter der Überlastung, als sei er lebendig. Eine gequälte Kreatur, die das Leid nicht versteht, das man ihr antut. Aus dem Augenwinkel sah der Terraner, wie Talina zur Seite geschleudert wurde. Das war alles – ihn schützte sein Anzug. Er erwartete den Schlag, mit dem sie in die Wand rammte, stattdessen hörte er Flüche. Talina hatte es geschafft, sich an ein Pult entlang ihrer Flugbahn zu klammern. Sie kroch zu ihm zurück.
»Verdammt! Noch so ein Treffer, und ...« Sie brach ab.
»Talina, was hast du?«
Die Oxtornerin lehnte sich mit beiden Armen auf das Kommandantenpult. Ihre Augenbrauen tanzten fröhlich.
»Lifkom, das ist ... du bist ein Genie! Wie hast du das angestellt?«
Der Terraner wollte ihr ein »Was?« entgegenbrüllen, aber einer Eingebung folgend stand er auf. Über dem Pult hing ein Holo. Kaum größer als eine Hand, hässlich pixelig, doch das war Lifkom egal. Es war der schönste Anblick, den er je gesehen hatte – nur hatte er nicht die geringste Ahnung, wie er zustande gekommen war.
»Na ja, ich ... ich«, brachte er hervor.
»Später. Erzähl mir alles später, wenn wir hier raus sind.«
Talina war ganz auf das Holo konzentriert, rief Statusdaten ab. »Nicht gut, Kleiner, gar nicht gut«, murmelte sie. »Der Unterlichtantrieb ist so gut wie futsch. Ich kriege vielleicht fünf Prozent Leistung aus ihm raus, und wir stehen sowieso fast auf der Stelle. Selbst wenn wir die Überlichttriebwerke wieder zum Laufen bekommen, würde es Stunden dauern, auf Übertrittsgeschwindigkeit zu kommen.«
»Besser Stunden als gar nicht.«
»Richtig. Ich glaube aber, man wird nicht zulassen, dass wir uns einfach so davonschleichen.« Das Holo wechselte, zeigte dunkle Schatten vor einem dunklen Hintergrund. In schneller Folge wurde die Szene in grelles Licht getaucht, wie bei einem Gewitter. »Hier, die aktuellen Orterdaten. Frag mich nicht, wie das alles losgegangen ist, aber ich bekomme Reflexe von ungefähr doppelt so vielen Schiffen herein wie vor dem Angriff.«
»Wie kann das sein?«
»Die Fremden müssen Verstärkung bekommen haben, könnte man meinen. Stimmt aber nicht. Sagen wir so: Sie haben Besuch von Verwandten bekommen, und die beiden Hälften der Familie können einander nicht ausstehen, bis aufs Blut. Sie schießen aufeinander mit allem, was sie haben. Was eine Menge ist, übrigens. Wir hängen mittendrin. Deshalb hat es uns erwischt – und deshalb sind wir noch am Leben. Sie haben es nicht auf uns abgesehen. Was wir für gezielte Salven gehalten haben, waren nur ein paar Streifschüsse.«
Streifschüsse. Lifkom schluckte. Terranische Kriegsschiffe waren dazu konstruiert, Streifschüsse sozusagen mit links abzustreifen. Die Waffen der Fremden mussten weit tödlicher sein als der Standard der Milchstraßenzivilisationen. »Was ist mit unserer Flotte?«
»Keine Ahnung. Wir haben nur noch die Nahortung. Ein paar Lichtminuten Reichweite, mehr ist nicht drin. Von unseren Schiffen ist nichts zu sehen. Möglich, dass sie sich in diesem Augenblick zu uns vorkämpfen. Möglich, dass sie sich das Feuerwerk aus sicherer Entfernung ansehen.«
»Was denkst du?«
»Ich denke, wir müssen selbst sehen, wo wir bleiben.«
»Das heißt?«
»Ich manövriere uns hier raus.«
Talina machte sich an die Arbeit. Sie legte einen Kurs fest und aktivierte die verbliebenen Protonenstrahltriebwerke. Schleppend nahm die BANDIKOT Fahrt auf. Talina drehte sich zu der mit verletzten Oxtornern gesäumten Wand und rief: »Haltet durch, ich bringe euch hier raus!«
Es war ein unhaltbares Versprechen. Talina hatte aufgrund der Orterdaten einen Kurs festgelegt, der sie in einen ruhigeren Bereich des Schlachtfelds und anschließend aus ihm herausführen sollte. Es war die einzig mögliche Vorgehensweise, die wracke BANDIKOT gab nicht mehr her. Doch die Schlacht war nicht statisch. Die fremden Schiffe bewegten sich in wilden Hyperraumsprüngen hin und her, ausgeführt aus dem Stand, um sich immer wieder in Knäuel aus hunderten von Schiffen zu verbeißen.
Übergangslos fand sich die BANDIKOT im Zentrum der Schlacht wieder. Der Weltraum um den Kreuzer glühte auf.
»Mist! Müssen die sich ausgerechnet hier prügeln?« Talina versuchte, den Todeszonen auszuweichen, in denen sich das Feuer vieler Dutzend Einheiten konzentrierte.
Lifkom schloss die Augen und erwartete das Ende. Sie hatten keine Chance, nicht mit dem Wrack, in das sich die BANDIKOT verwandelt hatte.
Ein Jubelschrei Talinas ließ ihn die Augen wieder öffnen. Auf dem Holo sah er die Schwärze des Alls. Talina hatte es geschafft! Sie würden ...
Seine jäh erwachte Hoffnung verging in einem Lichtblitz. Die Schlacht hatte erneut einen Sprung vollführt und die BANDIKOT eingeholt. Der Kreuzer bockte und rollte. Ein Schlag, gefolgt von einem durchdringenden Kreischen, erschütterte den Terraner bis in die Knochen.
»Verdammt! Sie haben den Rumpf geknackt! Vakuumeinbrüche in den Beiboothangars!«
Aus. Es war aus. Die Kugelzelle der BANDIKOT war verwundet, ihre Stabilität dahin. Aus gutem Grund hatten die Terraner die Kugelform der Arkoniden für ihre Schiffe übernommen. Es gab keine optimalere Form in puncto Raumausnutzung und Stabilität – solange die Struktur intakt blieb. War sie erst einmal angegriffen ... ein beliebiger Treffer würde genügen, der BANDIKOT den Rest zu geben.
Ein Schemen tauchte vor dem Kreuzer auf. Ein Schiff der Fremden, eine ihrer größten Einheiten, gehüllt in einen glitzernden Schutzschirm. Es war eine Wand, an der die BANDIKOT unweigerlich zerschellen musste.
Dann kam das Licht. Strahlenfinger tasteten nach dem Schiff der Fremden, brachen sich in seinem Schirm. Die Strahlenbündel, viele von ihnen mit einem Durchmesser von mehr als einem Dutzend Metern, rasten an dem Kreuzer vorbei, pumpten ihre Energien in den Schutzschirm. Einige Augenblicke hielt der Schirm stand, dann bildeten sich vielfarbig schillernde Blasen. Sie platzten, und ihre Ausläufer peitschten wie die Protuberanzen einer Sonne in den Raum. Das fremde Schiff war zum Untergang verurteilt. Es taumelte, seine Unterlichttriebwerke traten in Tätigkeit, ließen es schräg wegkippen.
Es gab den Weg frei! Sie würden es verfehlen!
In diesem Moment riss Talina die BANDIKOT mit einem Aufschrei herum.
Sie steuerte den Kreuzer direkt auf das unter konzentriertem Feuer liegende Schiff der Fremden. Lifkom sah ihr hilflos zu. Als sie beide Seite an Seite am Pult des Kommandanten gestanden hatten, hatte er kurz eine ungeahnte Verbundenheit mit Talina verspürt, ein Gefühl der Gemeinschaft. Hatte er vergessen, dass Terraner Terraner waren und Oxtorner Oxtorner, und was sie unterschied.
Jetzt fiel es ihm wieder ein: Oxtorner klammerten sich nicht ans Leben.