Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 34
ОглавлениеKapitel 29
LFT-Einheit LUCKY JIM
20. April 1341 NGZ, 16:50 Bordzeit
Vernehmung: Yun, Eingeborener der Kolonialwelt Snowflake
Vernehmungsgegenstand: Snowflake, Flakies
Vernehmender Spezialist: Wilton Dolson
DOLSON: Katakomben? Du weißt, was für ein Wort du da benutzt? Es bedeutet Friedhof, ein Ort, an dem man die Toten beerdigt.
YUN: Bei euch vielleicht. Auf Flake ... wirst schon sehen. Also, Shon und ich steigen in Prinzessin, und ich geb' Stoff. Bring' uns auf die andere Seite von Flake, so weit weg vom Raumhafen wie möglich. Hat man die besten Chancen. Echte Flakies suchen das Weite. Ich lass' den Knüppel los, und Prinzessin fliegt allein weiter, ganz gemütlich, damit ich gut sehen kann. Ist mitten in der Nacht auf dieser Seite von Flake, und ich muss mich konzentrieren, das Auge wachkitzeln, das sieht, auch wenn's nichts zu sehen gibt. Weißt du, mit den Katakomben ist es fast wie mit den Tring. Braucht man welche, findet man sie um's Verrecken nicht. Ist schon vielen Flakies passiert, sogar Vierten. Sind im Sturm verreckt, mit 'ner Katakombe nur ein paar Schritte weg von ihnen.
»Ganz schön finster, eure Nächte hier, so ohne Mond«, sagt Shon.
Ich hab' keine Ahnung, wovon er spricht, ist 'ne stinknormale Nacht. Also halt' ich den Mund und schau mich um. Kann einem ganz schön hitzig werden, so von oben. Normalerweise stapft man durchs Eis, wenn man 'ne Katakombe sucht.
Shon kapiert, dass ich meine Ruhe brauch', und fängt an, in seinem Notizbuch zu kritzeln. Ich schau' mir das Eis an. Ich brauch' Altes. Der Trick bei 'ner Katakombe ist, altes Eis zu finden. Ist so hart, das Zeugs, dass du mit dem Fingernagel nicht mal 'nen Kratzer reinkriegst, aber dafür hat man ja Strahler. Als Flakie. Die Robben haben ihre Krallen. Kratzen damit das Eis auf und holen sich ihr Futter. So Pflanzenzeugs, eingefroren von ganz früher, als Flake noch kein Schneeball gewesen ist. Deshalb müssen sie auch immer rumwandern, suchen immer neues altes Eis.
DOLSON: Wie kommen die Robben an dieses alte Eis heran? Es muss doch tief vergraben sein?
YUN: [Nickt.] Altes Eis ist normalerweise ganz unten, unter dem neueren. Logisch. Bloß, manchmal steigt es hoch. Keine Ahnung, warum. Es gibt Flakies, die sagen, das Eis würde leben und sich eben herumwälzen wie 'ne Robbe, wenn's ihr zu gut geht. Ich nicht. Ich mein', ein Schneeball rollt' den Hang runter und wird größer, und trotzdem lebt er nicht. Shon hat natürlich seine eigene Erklärung gehabt. Erzählte was von »Druckausgleich« und »tektonischen Bewegungen als Auslöser«. Hat eben jeder seinen Glauben.
Na ja, auf jeden Fall sieht altes Eis anders aus. Glänzt nicht und ist so grau wie auf eurem Monsterkahn hier die Wände. Blöd nur, dass meistens 'ne Schicht Schnee drüber liegt und einem die Sicht versaut. Braucht so 'ne Art sechsten Sinn, altes Eis zu finden. Haben wir Vierten und sonst keiner. Warum? Gute Frage. Geschenk von den Oxtornern, die uns gemacht haben, schätz' ich. Ich werd's meinen kleinen Flakies jedenfalls mitgeben, wenn ich mal welche machen sollt'.
Okay, also irgendwann macht mein sechster Sinn »Ping!«, und wir landen. Shon hat sich wieder gefangen und guckt ganz neugierig aus seinem dicken Thermoanzug, als wir aussteigen. »War doch gar nicht so schwierig«, sagt er und klopft mir auf die Schulter.
Das mit dem Schulterklopfen hat er immer öfters gemacht. Anfangs wollt' ich ihm jedes Mal eine dafür reinhauen. Unter Flakies hält man Abstand, wie es sich gehört. Man fasst sich entweder ganz oder gar nicht an, wenn du verstehst, was ich mein', Spezialist. Aber nach 'ner Weile ... wurd' fast süchtig nach dieser Schulterklopferei. Hat was.
»Wart's ab«, sag' ich und stapf' los. Plötzlich bin ich mir gar nicht mehr so sicher, dass das eine gute Idee ist. Nicht jeder Flakie ist so gutmütig wie ich. Wenn so einer Shon sieht ...
Egal, ist sowieso schon zu spät gewesen.
Es geht also abwärts. So 'ne Katakombe macht von außen nicht viel her. Ein schwarzes Loch im Eis eben. Kannst du dir vielleicht vorstellen, Spezialist. Shon hat mir erzählt, dass ihr im Weltraum auch Schwarze Löcher habt. Du marschierst ein paar Minuten steil abwärts, so lange, bis hinter dir kein Licht mehr zu sehen ist, dann stehst du vor dem Robbenschild. Der Tunnel wird so eng, dass nur noch 'ne Röhre übrig ist. Gerade breit genug, dass du durchkriechen kannst.
»Aha«, macht Shon, als ich's ihm erkläre, »und die Robben etwa nicht?«
Schulterklopfen hin oder her, Shon ist, wenn's drauf ankommt, doch nur ein Terraner. Wer kann sonst so doofe Fragen stellen? Ich mach' den Anfang und kriech' durch die Röhre. Gar nicht so einfach, weil das Ding leicht aufwärts geht. Ist natürlich Absicht, damit die Robben nicht wie'n Pfeil aus der Röhre flitzen. Als Shon endlich – wie blöd kann man sich anstellen? – rauskrabbelt, zeig' ich ihm, was mit Killerrobben geschieht, die sich für extra clever halten und durch die Röhre kriechen. Über dem Ende der Röhre hängt der Fänger. Shon wird bleich, als er sich ihn anguckt. »Sehe ich das richtig?«, sagt er. »Eine Minipositronik, die jemand aus irgendeinem alten Haushaltsgerät ausgebaut hat, ein Bewegungsmelder und ein Strahler?«
Ich nicke. »Colde Sache. Brät die Robbe schon mal an.«
»Und was passiert ... hm ... bei einer Fehlfunktion?«
»Musst du dir keinen Kopf drüber machen. Einfach mit ausgestreckten Armen aus der Röhre kriechen und winken, dann gibt's keine Verwechslungen ... ups! Dachte, ich hätt's dir gesagt.«
Shon kippt beinahe aus den Latschen. Wenn's drauf ankommt, ist er eben doch nur ein Terraner. Kapiert jeden dritten Witz, max.
Ich nehm' ihn am Arm, damit er nicht hinfällt und sich was antut. »Komm, lass uns nachsehen, ob wer zu Hause ist!«
Die Wohnkammer ist leer. Ich ruf' ein paar Mal »Vier hier!«, ohne dass sich was rührt. Schade, wäre schneller gegangen, aber auf der anderen Seite hat Shon so 'nen leichteren Einstieg. Ich zieh' ihn weiter in die Schlafkammer. Der Gang mit den Kojen ist lang, ringelt sich ein paar Mal. Muss 'ne alte Katakombe sein. Katakomben sind wie Tringburgen, was das angeht. Stehen da wie 'ne Eins für Jahre oder Jahrzehnte, und dann plötzlich krachen sie zusammen. Das Eis verschluckt sie, sagen die Leute, die dran glauben, dass das Eis lebt. Ist 'n ziemlich lahmes Viech, wenn du mich fragst, wenn's Jahre braucht, um zu merken, dass wer in seinem Hintern rumbohrt.
Bloß, die Tringburgen sind verlassen, wenn es sie kostet, die Katakomben ... manchmal ist keiner drin, manchmal ein paar Dutzend Leute. Ist wie immer im Leben. Darfst eben nie zur falschen Zeit am falschen Fleck sein. Sonst rutscht dir deine Hand voll Leben zwischen den Fingern durch.
»He, hier liegt jemand!«, ruft Shon. Er hat meine Hand abgeschüttelt und ist vor mir hergelaufen. Ich geh' zu ihm.
»Ist sie tot?«, fragt er.
Mann, Terraner! Habt diese Riesenglubscher, aber irgendwie hat da wer vergessen, die Drähte zum Hirn zu legen. Liegt 'ne Flakie friedlich in ihrer Koje und träumt vor sich hin, und er denkt gleich, sie hat was mit Frostie.
»Sieht sie denn so aus?«, frag' ich zurück.
»Na ja, sie lächelt, als wäre sie wach. Aber wenn man sie anfasst, ist sie so kalt wie Eis.«
»Das können wir ändern.« Ich schnapp' mir die Frau und schlepp' sie in die Wohnkammer. Dann schnapp' ich mir Shon, und wir schauen uns den Rest der Schlafkammer an. Wir finden noch mal sechs Flakies, vier Typen, zwei Frauen. Ich schlepp' sie alle in die Wohnkammer bis auf einen, dessen Fresse mir nicht gefällt. Sieht so aus wie einer, der erst zuhaut und dann zuhört. Die Welt ist besser dran, wenn Typen wie er pennen, denk' ich mir, und lass ihn liegen.
Ich seh' mich um. In der Vorratskammer hol' ich mir 'n paar Lampen, Treibstoff für 'n Feuer und eine vorgeröstete Killerrobbe, tiefgekühlt vom Eis. Guckt ziemlich überrascht aus dem verkohlten Pelz, das Viech. Hatte sich den Tag, als sie es erwischt hat, wohl anders vorgestellt. So eher was wie: »Ich Jäger, ihr Beute!«. War zu dumpf, um sich vorzustellen, dass man den Spieß umdrehen kann. Na ja, das hat sie jetzt davon. Nicht lang, und es duftet nach Braten. Ist zu viel für die Schläfer. Wenn du langschläfst, kriegst du 'nen Monsterhunger, ohne dass du's merkst. Hunger auf Futter, Hunger auf Haut. Es knirscht, als die Schläfer anfangen, sich zu rühren. Shon guckt besorgt drein. »Mach dir keinen Kopf«, beruhig' ich ihn. »Ist nur die Eisschicht, die sich um sie gelegt hat. Sie platzt ab.« Ich sag' Shon nichts von den Toten. Geht nicht immer gut mit dem Schlafen. Gibt Leute, die wachen nie mehr auf. Meistens Zweite und Dritte, ist aber auch schon Vierten passiert.
Dann wacht die erste Schläferin auf. Ist die Frau, besser das Mädel, das wir zuerst gefunden haben. Süße Schnucke, Spezialist. Ganz tief in den Höhlen liegende Augen, richtig schön winzig. Blitzen nur auf, wenn sie, na ja, scharf ist. Wie in dem Moment. Sie schlägt die Augen auf und schaut mich gierig an. Denkt an das eine von beiden, an das jeder Flakie nach dem Schlaf denkt.
DOLSON: Du auch, als du hier aufgewacht bist?
YUN: Schön wär's. Euer Kahn ist uncold abtörnend, Mann. Ist aber besser so, wär' ja eh keine Flakie hier zum ... du weißt schon. Und um es mit Terranern ... na ja, man soll nie nie sagen, aber ist hoffentlich noch lang hin, bis ich so ausgehungert bin.
Ist auch egal. Sie ist drauf und dran, mich zu vernaschen, da sieht sie Shon und schreit wie 'ne aufgespießte Robbe. Kann gerade noch verhindern, dass sie sich auf Shon stürzt, um ganz andere Sachen mit ihm anzustellen.
»Was macht der Terraner hier?«, brüllt sie.
»Er ist ein Freund!«, brüll' ich zurück. »Ein Freund.«
Sie windet sich wie blöd, um aus meinem Griff zu kommen, aber ich geb' nicht nach. Ruf' immer nur »Ein Freund! Ein Freund!« Irgendwann wirkt's. Vielleicht fehlt ihr auch nur die Kraft. Jedenfalls gibt sie nach. »Cold«, sag' ich. »Cold bleiben.« Inzwischen ist der Rest der Schläfer aufgewacht, glotzen mich und das Mädel an. Und Shon. Ein halbes Dutzend Vierte. Wenn sie sich auf Shon stürzen ... null Chance für mich und ihn. Sie glotzen blöde, reiben sich den Schlaf aus den Augen. Ich kapier', dass ich was tun muss, sonst ...
Mir kommt 'ne Idee. »Er ist kein Terraner!«, brüll' ich. »Er ist ... er ist Xeno-Ethnologe!« Bin stolz wie ein Eisschnitzer auf seine erste Skulptur, dass ich das Wort hingekriegt hab'. Weiß immer noch nicht, was es bedeutet, aber es klingt fremd, anders. Nicht nach Terraner. Und das ist, was ich gebraucht hab'.
»Xeno... was?«, sagt das Mädel. Guckt immer noch skeptisch, aber immerhin brüllt sie nicht mehr.
»Xeno-Ethnologe«, hilft Shon aus.
»Nie von gehört. Was für ein Volk soll das sein?«
»Ein ... ein kleines Volk. Wir Xeno-Ethnologen sind unscheinbar, wir leben sozusagen an den Rändern. Dort, wo sonst keiner hin will. In den abgelegenen Gebieten von abgelegenen Welten von abgelegenen Systemen. Meistens nehmen die Leute keine große Notiz von uns, und das ist uns recht. Denn, wenn sie uns bemerken, bedeutet das meistens Ärger. Die Leute verstehen uns nicht. Sie misstrauen uns. Manchmal schlägt ihr Misstrauen in Angst um, dann müssen wir Xeno-Ethnologen sehen, dass wir wegkommen. Dabei wollen wir nur dabei sein. Ihnen zuhören, an ihrem Leben teilhaben, so gut es geht. Aber nie ganz, denn unsere Freiheit geht uns über alles. Und manchmal, nach Jahren oft, kommen wir zusammen. So ähnlich wie ihr in den Katakomben, nur, dass wir unsere Treffen Tagungen nennen. Dann tauschen wir uns aus, genießen es, von unsereins verstanden zu werden, bevor wir wieder weiterziehen. Denn das ist das Einzige, was wir nicht können – bleiben und Wurzeln schlagen.«
Mann, was ein Vortrag! So ist Shon. Steht da wie 'n Häufchen Elend, der gute Mann, und du hast Angst, dass er gleich umkippt, und plötzlich quatscht er los und hört nicht mehr auf, bis dir die Ohren überhitzen. Und wenn du Glück hast, kapierst du sogar die Hälfte. Aber nie alles. Was, verflucht noch mal, sind Wurzeln? Und das ganze andere Zeug, von dem er erzählt. Niemand hat ihn danach gefragt ... aber irgendwie, ich weiß nicht. Bin richtig gerührt. Mir wird warm im Magen. Würd' am liebsten zu ihm gehen und ihn umarmen.
Geht nicht nur mir so. Die frisch Aufgewachten glotzen plötzlich so verträumt durch die Gegend, als würden sie noch tief schlafen. Und das Mädel – sie heißt Arcelia, wie sich später rausstellt –, hat plötzlich ganz feuchte Augen. Sie schluckt. »Das ... das klingt fast wie das Leben, das wir Vierten führen.«
Und in dem Moment kapier' ich. Klar, deshalb ist mir so komisch. Deshalb kann ich so gut mit Shon. Ist als Terraner geboren, ist aber keiner mehr, auch wenn er so hässlich wie einer ist. Cleveres Mädel, Arcelia. Hat bei Shon von Anfang an durchgeblickt, nicht so wie ich. Und als Shon schlafen musste – muss er ja ständig mit seinen Terranergenen – haben wir keine Zeit verloren und unsere Häute aneinander gerieben. Colde Sache gewesen. Die coldste überhaupt, die ich je mit einem Mädel hatte. Schade, dass nichts Größeres draus geworden ist.
DOLSON: Ihr habt euch gestritten?
YUN: [Schüttelt den Kopf.] Nein, hatten wir keine Zeit zu. Wenn Shon wach war, waren wir alle mit Erzählen beschäftigt, und wenn er schlief ... das weißt du ja schon. Und als wir mit dem Erzählen fertig waren, mussten wir schon los. Uncold, aber was soll's.
DOLSON: Wie war noch einmal ihr Name?
YUN: Arcelia. Wieso fragst du?
DOLSON: Nun, vielleicht kann ich dir helfen. Ich kann dafür sorgen, dass du Zugriff auf die Daten der Evakuierungsflotte bekommst. Im Augenblick ist die Lage noch unübersichtlich, die Schiffe sind über eine Vielzahl von Sektoren verstreut, aber sobald sich die Dinge beruhigt haben, bin ich sicher, dass du ...
YUN: Mach' dir keine Mühe, Spezialist.
DOLSON: Das ist doch keine Mühe. Ich helfe dir gern.
YUN: Das glaub' ich dir. Ehrlich. Ob du's mir glaubst oder nicht. Aber es hat keinen Zweck, nach Arcelia zu suchen.
DOLSON: Ich glaube, das siehst du zu schwarz. Ich habe nicht viel von ihr gehört, aber sie scheint mir eine äußerst aufgeweckte junge Frau zu sein. Sie hat die Gelegenheit, Flake rechtzeitig zu verlassen, sicher nicht verstreichen ...
YUN: Sie hat. Arcelias Schlaf hatte erst vor ein paar Tagen angefangen, als ich sie geweckt hab'. Sie hat sich wieder schlafen gelegt, kaum, dass Shon und ich gegangen waren. Sie hat nichts von dem mitgekriegt, was danach passiert ist. Hat so fest geschlafen, dass die Welt hätte untergehen können, ohne dass sie's mitkriegt. Ging nicht anders, so'n Dauerhautreiben kostet dich 'ne Menge Kraft. Und ich hab's nicht gepackt, sie zu retten. Hatt' keine Zeit für sie, war ja damit beschäftigt, ganz Flake zu retten.
DOLSON: Das ... das ist furchtbar, Yun. Ich ...
YUN: Schon gut. Uncolde Sache. Aber ich sag' dir eins: Gibt Schlimmeres, als im Schlaf zu sterben, nachdem du noch mal richtig die Häute aneinander gerieben hast. Wenn ich da an Felton denk' ... hätt' fieser kommen können für Arcelia. Viel fieser.
DOLSON: Und viel besser. Sie könnte ...
YUN: Spezialist, das weiß ich. Okay? Kann ich jetzt weiter erzählen? Oder glaubst du, dass, was zwischen Arcelia und mir passiert ist, Shon oder Rhodan hilft?
DOLSON: Nein ... entschuldige bitte. Erzähl weiter.
YUN: Also, Shon hält seinen Vortrag und überzeugt Arcelia. Damit hatte er alle dran. Arcelia war so was wie die Anführerin in der Katakombe.
Und dann geht's los. Die Schläfer fallen über die Robbe her und schlingen sie runter. Ich geb' Shon 'nen Wink, sich dazuzusetzen. Dauert' nicht lang, und von der Robbe sind nur 'n paar Gräten übrig. Gibt kurz Streit, wer sie haben darf, dann setzt sich Arcelia durch. Sie putzt sie knirschend runter – und testet Shon. Kuppler sind blöd, weiß jeder. Lassen das Beste von den Robben übrig, die Gräten. Schmeißen sie einfach aus den Kuppeln. Deshalb drücken sich auch viele Vierte in der Nähe der Kuppeln rum. Können die Kuppeln nicht ausstehen, aber leichter kommst du auf dem Eis nicht zu 'ner Mahlzeit. Und Terraner ... sind ja noch blöder als Kuppler. Ein Terraner würd' nie 'ne Gräte auch nur anfassen, würd' lieber draufgehen vorher.
Arcelia hält also Shon die Gräte hin. Der bedankt sich und beißt so beiläufig rein, als hätt' er sein Leben nie was anderes gefuttert. Knirscht extra laut und schluckt runter. Mir bleibt die Spucke weg. Der frostige Wahnsinn, der Typ. Später hat er mir erzählt, dass seine Speiseröhre schon seit zehn Jahren oder so aus 'nem Spezialgummi ist. Hat sich die echte bei 'nem Essen auf 'ner anderen Welt ruiniert. Irgend so'n Säuredrink ...
Egal, Shon hatte die Jungs und Mädels geknackt. Vor allem Arcelia, das zählte.
'ne terranische Woche sind wir in der Katakombe geblieben. Am Ende hatten wir fast alle Robben aus der Vorratskammer gefressen. Shon schlief viel, Arcelia und ich rieben viel unsere Häute aneinander, und zwischendrin hockten wir alle zusammen und erzählten uns Geschichten. Shon hat die meiste Zeit zugehört. Er hat sein Notizbuch aufgeklappt, vor sich gelegt und die Augen zugemacht. Das Notizbuch hat alles aufgezeichnet, was wir quatschten. War viel Scheiß dabei, eigentlich fast nur. Wie's halt ist, wenn man hundert Meter tief im Eis hockt und sich wohl fühlt wie im Mutterleib. Konnten ja nicht ahnen, dass es da draußen im Weltraum jemand auf uns abgesehen hatte. Und selbst wenn ... wir hätten's sowieso nicht geglaubt. Niemand kann so blöd sein und sich um 'nen Schneeball wie Flake scheren, dachten wir uns. Außer uns Vierten, und wir hatten Flake ja schon im Sack.
DOLSON: Und die Erzählungen am Feuer haben euch mehr über die Tring verraten?
YUN: Die Tring, hätt' ich schon fast vergessen. [Lächelt wehmütig.] Hm, haben wir mehr rausgekriegt? Nicht direkt. War schon von den Tring die Rede, ab und zu. Aber erst zum Schluss so richtig. Shon hat keinem von erzählt, dass es uns um die Tring geht. Ziemlich blöd, fand ich. Wenn man was wissen will, muss man danach fragen, oder? Ich meine, wie soll man's sonst rausfinden?
DOLSON: Hast du Shon gesagt, was du davon hältst?
YUN: Nicht in der Katakombe. Ich hatt's ja nicht eilig. Gutes Futter, gute Geschichten, Arcelia ... aber hinterher schon. Er quatschte was von »unverfälschten Berichten«, und dass er »die orale Tradition nicht mit seinen unterschwelligen Einschätzungen und Bewertungen kontaminieren« wollte und so Zeugs. Vielleicht kapierst du ja, was er damit gemeint hat.
Eins muss ich ihm aber lassen. Der Typ hat 'ne Geduld wie'n Eisangler. Saß mit verzücktem Gesicht da und hörte dem letzten brabbelnden Scheiß zu, als wär's so 'ne Offenbarung, von denen die Missionare in den Kuppeln immer schwafeln. Weiß bis heute nicht, ob das echt war. Schätze schon. Aber was immer er sich dabei gedacht hat, wir sind voll drauf abgefahren. Die Leute erzählten und erzählten und erzählten ... kamen richtig in Fahrt.
Na, und irgendwann kamen wir auf die Tring. Musste ja so kommen. Wir quatschten ja 'ne Menge Scheiß, da durften die Viecher nicht fehlen. Fing mit dem üblichen Gefluche an. Kennst das ja schon. Tauchen immer dann auf, wenn du sie am wenigsten gebrauchen kannst und so Zeugs. Shon guckte noch verzückter als sonst aus dem Thermoanzug, und bald ging's zur Sache. Kam raus, dass ich nicht der Einzige war, dem die Tring ihre Greifer sonst wohin gesteckt haben. Waren uns alle einig, dass nichts auf der Welt so fies schmeckt wie Tringgreifer. Ging also 'ne Weile hin und her. Ein paar meinten, dass man einfach alle Tring erschießen sollte, dann wäre die Sache erledigt. Das Übliche eben. Am Ende bringt es doch keiner übers Herz. Nur Gestörte schießen mehr als einmal auf Tring. Und die machen es meistens nicht lang. Nicht wegen der Tring, sondern weil sie früher oder später anderen Gestörten über den Weg laufen, und dann macht es »puff!«, und die eine oder andere Seite oder sogar beide verpuffen in hübschen Dampfwolken. 'ne Art natürlicher Auslese, wenn du mich fragst.
Aber irgendwann wurd's spannend. »Ich frage mich«, sagt Arcelia, »wo die Tring sind, wenn sie nicht gerade eine Burg bauen.«
Echt clever, das Mädel. Hatt' ich das schon gesagt? Hatt' noch nie drüber nachgedacht. So blöd kann man sein. Die Viecher müssen ja irgendwo stecken. Bloß wo? Ich hatt' für keine Hand voll Schnee 'ne Idee, aber dafür die anderen. Sie schlafen im Eis, meinten ein paar. Nein, sie schlafen gar nicht, meinte der Rest. Es gibt nur ein paar Hand voll Tring überhaupt, und sie ziehen durch die Gegend und bauen Burg nach Burg. Ein Typ behauptete, die Tring würden sich zwischendrin immer in Robben verwandeln, und deshalb würde man sie nie sehen.
Arcelia fand das alles Quatsch. »Ich glaube, die Tring leben ganz woanders«, sagt sie. »Im Wasser.« So ein Quatsch! Aber Arcelia blieb dabei. »Ich habe sie einmal aus dem Wasser kommen sehen, durch ein Angelloch. Aus der Ferne, gut, aber ich bin mir ziemlich sicher.« Wollte ihr keiner glauben. Außer mir und Shon.
DOLSON: Und wieso das?
YUN: Na ja, denk' mal nach. Kommt immer wieder vor, dass Leute beim Angeln spurlos verschwinden. Killerrobben, denken wir uns. Klar. Ist bestimmt auch meistens so. Aber wenn die Killerrobben einen aus einem Eisloch anspringen können, wieso nicht auch Tring? Und dass niemand davon weiß, ist ja nur logisch. Flakies sind Einzelgänger, und wenn es wen erwischt, der kann ja nicht mehr viel erzählen. Ist dann egal, wer oder was ihn erwischt hat.
DOLSON: Menschengroße Insekten, die im Wasser leben und ab und zu aufs Eis kommen, um Bauten ohne jeden erkennbaren Sinn und Zweck zu errichten ... klingt nicht sehr glaubwürdig.
YUN: Meinte Shon auch. Aber er war ab dem Moment nur noch schärfer drauf rauszufinden, was hinter den Tring steckt. Ich konnt's ihm ansehen. Konnte kaum stillsitzen, als wir weitergeflogen sind.
DOLSON: Das war also das Wichtigste, was ihr in einer Woche herausgefunden habt? Dass die Tring möglicherweise im Meer leben?
YUN: Beinahe. War wichtig, aber lange nicht so wie, dass wir von Felton gehört haben.