Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 30

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Kapitel 25

Der Morgen danach war ausgelassen.

Die Soldaten erhoben sich von ihren Lagern, verkatert, als wäre ihnen bei einer entelechischen Schulung die Kontrolle über die bewusstseinserweiternden Drogen entglitten. Nichts, was die Entelechie gern sah. Offiziell war Drogenkonsum nur für persönlichkeitsbildende Zwecke gestattet, aber gelegentliche Übertretungen wurden ohne weiteres Aufheben geduldet. Der Neundenker war ein zu kluger Mann, als dass er übersehen hätte, dass Loower biologische Lebewesen waren.

Fehlerbehaftet und unvollkommen.

Ausgelassen und zuweilen gedankenlos und brutal.

»He, hat noch jemand dieses Zirpen im Höcker?«, rief Mirton-Kehn in die Runde.

Allgemeine Zustimmung. Belor-Thon antwortete: »Ja. Ist nichts im Vergleich zu dem, was der Sechsfüßler, den du gestern abgefertigt hast, spüren würde – wenn er noch einen Höcker hätte!«

Der Trupp lachte lauthals über den gelungenen Scherz. An-Keyt hätte am liebsten die Flughäute schützend über die Ohren gepresst, aber stattdessen tat sie ihr Bestes, in das Gelächter einzustimmen. Sie bekam nur ein Krächzen heraus. Was auch sonst? An-Keyt wünschte sich weit weg, fühlte sich so schwach, dass sie befürchtete, nicht einmal ihren Tornister tragen zu können. Wenigstens – und das, sagte sich die Loowerin, war das Wichtigste – schien sich niemand an ihre Desertion vom Vortag zu erinnern.

Der Trupp machte sich abmarschbereit. Der Vorgang nahm weit mehr Zeit in Anspruch als üblich, doch seltsamerweise trieb Negan-Parr die Soldaten nicht an. Er wirkte ungewöhnlich zufrieden, musterte seine Soldaten mit einem Blick, in dem sich Stolz und Versonnenheit vermischten. Immer wieder machte einer der Soldaten, was er für einen Scherz hielt. Zumeist eine grausame Bemerkung, und stets der Anlass für einen Kameraden, ihn an Grausamkeit zu überbieten. Nach und nach schälte sich für An-Keyt ein Bild des vorherigen Tages heraus: Der Trupp hatte im Peschtan-Rausch seine Opfer gesucht – und gefunden, dank eines Tipps des Söldners. Ein paar Dutzend Flachaugen hatten sich in nächster Nähe verkrochen, als hätte das Schicksal sie für den Trupp bestimmt. Sie aufzustöbern hatte nur wenige Subeinheiten benötigt, der Rest ... der Gedanke, dass auch nur ein Bruchteil dessen, mit dem sich ihre Kameraden brüsteten, der Wahrheit entsprach, drohte An-Keyt den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Jemand packte sie an einer Flughaut. Schmerzhaft. An-Keyt riss ihre Stielaugen herum, erwartete, in Negan-Parrs Gesicht zu blicken. Der Vordenker musste doch noch die Geduld mit seinen trödelnden Soldaten verloren haben und würde nun an seinem Lieblingsopfer, ihr, An-Keyt, ein Exempel statuieren.

Sie irrte sich. Es war nicht Negan-Parr. An-Keyt blickte in das Gesicht Belor-Thons. Die Stielaugen des Jungen bebten, die Pupillen waren enge, pulsierende Schlitze. »Was ist mit dir?«, fragte er fordernd. »Du bist so still.«

An-Keyt versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien. Belor-Thon war viel stärker als sie.

»Was soll schon mit mir sein?«, entgegnete sie. »Ich bin erschöpft, wie wir alle.«

»Nicht wie wir alle. Du wirkst anders.«

»Und wenn schon!«

Der Junge sagte nichts, sein Griff blieb unnachgiebig. Er sah gealtert aus, gar nicht mehr wie das halbe Kind, das er vor ein paar Tagen noch gewesen war. In die Haut seines Wulsthöckers hatten sich feine Linien gegraben. Viele davon waren An-Keyt, die seinen Körper mittlerweile so gut kannte wie ihren eigenen, noch unbekannt, sie mussten frisch sein, keinen Tag alt.

»Belor-Thon«, sagte sie, als der Junge sie weiter schweigend anstarrte. »Lass mich los. Bitte!«

»Ich habe dich gesucht. Gestern Abend. Ich wollte mich mit dir paaren, den Tag feiern. Du warst nirgends.«

»Ich ... ich war draußen. Ich wollte ein paar Momente allein sein.«

»Ich habe auf dich gewartet. Lange. Du bist nicht gekommen.«

»Und? Ich habe mir eben Zeit gelassen.«

»So wie davor?«

»Was meinst du damit?« Schrecken erfasste An-Keyt, ließ sie den Schmerz ihrer gequetschten Flughaut vergessen. Er erinnerte sich!

»Bei der Züchtigung. Wo warst du?«

»Ich ... ich ...«

Plötzlich wurde Belor-Thon zur Seite gerissen wie eine Puppe. Ein letzter, stechender Schmerz, und An-Keyts Flughaut war frei.

»Lass sie in Ruhe!«, herrschte Lef-Krar den Jungen an. Der Navigator türmte wie ein bedrohlicher Riese über ihm. An-Keyt mutete es an, als könne er den jungen Loower mit einem Ruck seiner muskulösen Tentakel entlang seines Rückgratscharniers auseinander reißen.

Belor-Thon musste es ähnlich ergehen. »Aber ...«, setzte er an. Es klang eher nach einem Jammern als nach Protest.

»Verschwinde!«, befahl ihm Lef-Krar. Er entließ Belor-Thon aus seinem Griff. Der Junge sackte zusammen und kroch zurück zu seinem Tornister, die Stielaugen unterwürfig gesenkt.

An-Keyt blickte ihm hinterher, erfüllt von unbeschreiblicher Erleichterung. »Danke«, sagte sie, an den Navigator gewandt. Ihre Worte gingen ins Leere. Lef-Krar war längst wieder am anderen Ende des Raums und widmete sich dem Packen seiner Ausrüstung.

Als sie versuchte, Blickkontakt aufzunehmen, drehte er die Stielaugen weg.

Die letzten Ausläufer der Euphorie des Vortags, der »Züchtigung«, wie die Kameraden ihr Massaker nannten, klangen rasch ab, als der Vormarsch weiterging. Die Loower keuchten unter der Last ihrer Tornister, den nicht greifbaren und zugleich allgegenwärtigen Gliederschmerzen. Muskelkater, erzeugt durch die ungewohnte Anstrengung der Züchtigung, in seiner Wirkung verstärkt durch die Abbauprodukte des Peschtan, die in ihren Adern zirkulierten.

»Verflucht! Hätte es nur den Arzt nicht gekostet!«, stieß Mirton-Kehn hervor und erntete allgemeine Zustimmung. Es war das erste Mal seit dem Hinterhalt, dass jemand ein Wort über Tolt-Sekolg verloren hatte. An-Keyt hatte geglaubt, dass die anderen ihn längst vergessen hatten.

Vergessen oder nicht. Tolt-Sekolg war tot, und der Trupp hatte keinen Ersatz für ihn bekommen. Die Loower waren auf die rudimentären Diagnose- und Heilungsfunktionen ihrer Anzüge beschränkt. Eine zweifelhafte Segnung. Die Injektionen, die die Anzüge verabreichten, verpufften ohne wahrnehmbare Wirkung. An-Keyt beobachtete, wie Belor-Thon seinem Anzug befahl, die Injektion zu wiederholen. Die Proteste des Expertensystems ignorierte er. Belor-Thon erhielt seinen Schuss, und eine Zeitlang marschierte er, vor Stolz förmlich platzend, an der Spitze des Trupps, mit federnden Schritten, als seien seine Kräfte unerschöpflich.

Sie waren es nicht.

Unvermittelt zuckte der Junge zusammen, röchelte. Er fiel zurück, bis er eben noch in Sichtkontakt blieb, und arbeitete sich stöhnend weiter. Das linke Bein, das seinem Willen nicht mehr gehorchen wollte, zog er nach.

Negan-Parr, ganz der vorbildliche Zweidenker, nahm keine Notiz von ihm, ließ weder das Tempo verlangsamen, noch erlaubte er es dem Jungen, sein Flugaggregat zu aktivieren. Der Junge hatte seinen Zustand selbst verschuldet, es war an ihm, die Konsequenzen zu tragen. Hielt er den Kontakt zum Trupp, würde die Erfahrung ihn stärken, dafür sorgen, dass er seine letzte derartige Dummheit begangen hatte. Fiel er zurück und den Flachaugen in die vielen Greifer, galt wenigstens Letzteres.

Für An-Keyt stellte der Marsch keine besondere Anstrengung dar. Die vielen Marschtage an Bord der PAN-THAU-RA hatten ihre Beine noch stämmiger gemacht, als sie ohnehin von Natur aus waren. Und in ihren Adern brannten nicht die letzten Peschtan-Moleküle und ihre Abbauprodukte. An-Keyt war müde und erschöpft, aber ihre Erschöpfung war eine andere als die ihrer Kameraden.

Ihre Erschöpfung und ihre Aufgabe.

Während die übrigen Loower mit ihren widerspenstigen Körpern rangen, sich ganz auf den jeweils nächsten Schritt konzentrieren, dachte An-Keyt viele Schritte weiter, verlängerte sie im Geiste ihren Weg bis zum Ende. Seltsam, bislang hatte sie sich immer nur mit dem Ende an sich beschäftigt. Niemals damit, wie sie dorthin gelangten. An-Keyt hatte sich oft gefragt, was die Zukunft für sie und ihr Volk bringen mochte, Eindenker wie Zweidenker, aber ihre Überlegungen hatten immer später eingesetzt. Frühestens zu dem Zeitpunkt, an dem die PAN-THAU-RA sich in ihrer Gewalt befand und sie mit dem Sporenschiff aufbrachen, um den eigentlichen Krieg für das Leben zu beginnen. Das Vorher, der Zeitraum bis zur Eroberung des Schiffs, war ihr immer nur einen flüchtigen Gedanken wert gewesen. An-Keyt waren nur zwei Ausgänge möglich erschienen: Sie eroberten die PAN-THAU-RA, oder die Kosmokraten schöpften Verdacht und vereitelten den Schlag der Zweidenker.

Die Kosmokraten hatten nicht eingegriffen. An-Keyt hielt den Gedanken als wichtige Grundlage fest. Die Höheren Mächte waren also nicht so mächtig, wie sie es niederen Wesen wie den Loowern glauben machen wollten, schloss sie. Der Feldzug für das Leben hatte demnach Aussichten zu gelingen, war nicht der Auftakt zu kollektivem Selbstmord, wie die Eindenker behauptet hatten.

Nur, fragte sich An-Keyt, war ihr Ziel den Preis wert, den sie bezahlten?

Die Loowerin ließ ihre Stielaugen kreisen, erfasste mit ihrem Panoramablick die Gesamtheit ihrer Kameraden, ihre mit Blut und organischem Material besudelten Kampfanzüge. In ihren Gedanken hallten die anzüglichen Witze wider, die sie über die »Züchtigung« gerissen hatten, und der penetrant süße Geruch, der in der Nacht über ihrem Lager gehangen hatte, stach ihr von Neuem in die Riechorgane. Ihr Blick blieb an dem humpelnden Belor-Thon hängen. Der Junge. Ihr Junge, ihr Gespiele. Seine Züge waren verhärtet, verschlossen wie die des Söldners und ebenso grausam.

An-Keyt kam zu einem Entschluss: Sie würde sich nicht mehr mit Belor-Thon paaren. Den Jungen, dem sie das Versprechen gegeben hatte, gab es längst nicht mehr.

Die Loowerin verspürte Erleichterung. Ihr war, als wäre sie einen wichtigen Schritt weitergekommen, ohne sich erklären zu können, warum. Es ging schließlich nur um eine Paarung. Ein Arrangement zum beiderseitigen Nutzen, eine Strategie, das eigene geistige und körperliche Wohlbefinden zu erhalten. Gewöhnliche Entelechie. Und ihr Entschluss bedeutete kein nennenswertes Opfer für sie. An-Keyt war die einzige Frau des Trupps, sie würde keine Schwierigkeiten haben, einen neuen Partner zur Paarung zu finden. Eher im Gegenteil: Es würde nicht einfach sein, den allgemeinen Ansturm abzuwehren. Wenn sie überhaupt auf einen neuen Partner aus war. Sie wusste es noch nicht. Der Abend würde zeigen, was ihrer Stimmung entsprach. Vielleicht verzichtete sie sogar auf eine Paarung.

Sie würde sehen.

Der Tag schleppte sich dahin. Negan-Parr fand zunehmend zu seinem gewöhnlichen Selbst zurück. Fluchend trieb der Vordenker die Soldaten an. Schließlich schrie er sie an: »Macht schon, bewegt euch! Wir hinken dem Plan hinterher!« Anklagend, als gäbe es kein schlimmeres Vergehen, weder im Standarduniversum noch hier, zwischen den Universen. Einen Moment herrschte verblüffte Ruhe, dann schlurfte Lef-Krar ein paar Schritte vor, hinkend wie Belor-Thon, der verbissen den Anschluss hielt, und lachte. Alle stimmten ein, selbst An-Keyt. Nur nicht der Vordenker, der zu engstirnig war, den Scherz des Navigators zu verstehen. Er sprang wütend auf und ab und brüllte immer lauter, bis seine Schreie nur noch ein unverständliches, feuchtes Bellen waren.

Endlich, An-Keyt schmerzte bereits der gesamte Torso, verlor der Lachanfall des Trupps an Intensität. Sie rückte ihren verrutschten Tornister zurecht, als Jevek-Kart die Stimme erhob.

»Wuff!«, bellte er. »Wuff! Wuff! Wuff!« Es war eine verblüffend treffende Parodie auf das Gebrüll des Vordenkers. Eine Fertigkeit, die An-Keyt dem Söldner niemals auch nur entfernt zugetraut hätte.

Eine Subeinheit lang herrschte verblüffte Stille. Dann brandete von Neuem Gelächter auf, lauter noch als zuvor. Er riss An-Keyt mit sich. Ihr Körper schmerzte mit jedem Ton, aber sie konnte nicht anders, es war wie eine Welle, eine Befreiung. Die Loowerin verlor die Kontrolle über ihre Stielaugen. Die Augen, deren Stiele gewöhnlich jede Bewegung des Körpers abfederten, sprangen auf und ab. An-Keyts Wahrnehmung verlor pulsweise an Schärfe. Wie aus weiter Ferne bekam sie mit, dass der Vordenker mit Tentakeln und Flughäuten gleichzeitig fuchtelte. Seine Sprachblase zuckte scheinbar lautlos, die bellenden Schreie, die aus ihr drangen, wurden vom Gelächter der Soldaten verschluckt. Die Sprachblase schloss sich, das Fuchteln hörte auf. Der Vordenker zog den Strahler aus dem Gürtel, legte zitternd auf Jevek-Kart an.

Niemand beachtete ihn, am allerwenigsten Jevek-Kart. Der Söldner hatte dem Tod zu oft in die Augen geblickt, um sich von ihm einschüchtern zu lassen.

Schließlich riss der Vordenker den Strahler hoch, schmolz ein Loch in die Decke – gegen alle Regeln, der Strahl musste auf den Ortern der Feinde wie ein Signalfeuer aufleuchten –, rannte los und verschwand um eine Biegung.

Nach und nach ebbte das hysterische Gelächter ab. Die Soldaten vermieden es, einander anzublicken, als sie den Marsch wieder aufnahmen, aber das war auch nicht nötig. Nicht für An-Keyt, jedenfalls. Sie spürte, dass das Gefühl einer Befreiung auch die anderen erfasst hatte.

Der Trupp holte den Vordenker rasch ein, der sich in seiner Ohnmacht nicht anders zu helfen wusste, als entlang der geplanten Route weiterzumarschieren. Eigentlich konnte er zufrieden sein, die Soldaten marschierten mit neuem Elan, holten den Rückstand auf den Plan auf.

Aber das war der Vordenker nicht, auch wenn es gute Entelechie gewesen wäre: Die Soldaten hatten ein Ventil gebraucht, um wieder zu funktionieren. Sie hatten es gefunden, sie funktionierten wieder. Nur das sollte zählen.

Sollte. An-Keyt war klug genug zu wissen, dass es das nicht tat. Es hätte einen Loower vom Format eines Kilan-Gerp gebraucht, um so zu fühlen. Negan-Parr war nur ein gewöhnlicher Loower, der sein Bestes gab. Er würde die Demütigung niemals vergessen, er konnte nicht anders.

Und er würde einen Weg finden, es den Soldaten heimzuzahlen.

Viele Wege.

Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband)

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