Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 36
ОглавлениеKapitel 31
Tag 54
Sechs Mal neun Tage. Ein kleiner Feiertag. Keiner der Soldaten nahm Notiz von ihm. Auch nicht das Oberkommando, das kein Peschtan schickte, trotz der zusehends flehentlicheren Eingaben des Logistikers Mirton-Kehn.
Möglich, dass die Vorräte zur Neige gegangen waren. Niemand wusste, woher das Peschtan stammte. Es mochte eine mit einfachsten Mitteln herzustellende Designerdroge sein, oder eine rare Natursubstanz, die hier, zwischen den Dimensionen, nicht erneuerbar war. Vielleicht blockte Negan-Parr die Lieferungen auch ab. Der Vordenker war weiter auf der Suche nach Möglichkeiten, dem Trupp die öffentliche Demütigung heimzuzahlen. Er tat es bereits auf tausend kleinen Wegen, indem er die Regeln so strikt auslegte, wie sie es zuließen. Den Soldaten das Rauschgift vorzuenthalten, das ihnen die Angst und die Hemmungen nahm, hätte in das Bild gepasst.
Nicht, dass ihm mit Letzterem echter Erfolg beschieden gewesen wäre. Die Reihen der Soldaten hatten sich fest geschlossen. Der Trupp war endlich zu der verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen, die sich der Vordenker stets gewünscht hatte. Nur: Er gehörte ihr nicht an. Die Ablehnung gegen ihn war ihr verbindendes Element. Und er spürte es. Hilflos schwankte er zwischen Anbiederung und Schikane. So jämmerlich war er zuweilen, dass An-Keyt versucht war, Mitleid mit ihm zu empfinden.
Für jeden Weg, den Negan-Parr ersann, den Soldaten näher zu kommen, ersannen sie Dutzende, sich ihm zu entziehen. Für jeden Weg, den er ersann, sie zu schikanieren, ersannen sie Dutzende, ihn zu unterlaufen.
Jevek-Kart tat sich dabei in besonderer Weise hervor. Er hatte sich als Drogenkoch von nahezu unüberbietbarer Erfindungsgabe entpuppt. Es gab nichts, aus was er nicht eine Substanz zauberte, die als Peschtan-Ersatz diente: Loower-Exkremente, die nahezu leer geräumten Nahrungsdepots der Flachaugen – die Möglichkeit einer bewussten Vergiftung schien ihm egal, ebenso den übrigen Soldaten –, ihre verkohlten Reste nach einem Gefecht, das Wasser der PAN-THAU-RA ... seine Erfindungsgabe kannte keine Grenzen. Ohne dass der Vordenker es bemerkte, versorgte der Söldner den Trupp mit einem stetigen Strom von Designerdrogen. Besser gesagt: ohne dass der Vordenker herausfinden konnte, was im Einzelnen geschah.
Negan-Parr war kein Dummkopf. Er bemerkte, dass etwas vor sich ging. Die verstohlenen Blicke, die gestelzten, gezielt belanglosen Unterhaltungen in seiner Gegenwart verrieten es ihm. Nur, hinter das Was? kam er nicht. Es musste ein Gefühl sein, das einen Loower zum Wahnsinn treiben konnte. An-Keyt war sich sicher, dass sie an Stelle des Vordenkers den Verstand verloren hätte, Tiefenbewusstsein hin oder her. Es gab Grenzen.
Doch was kümmerte die Loowerin der Vordenker? Sie hatte ihre eigenen Sorgen. So schwer lasteten sie auf ihr, dass sie alle Vorsicht in den Wind schlug. An-Keyt war die beste Abnehmerin des Söldners. Was immer er zusammenkochte, An-Keyt schluckte es, inhalierte es, steckte es sich in Körperöffnungen, rieb es sich in die Augen oder injizierte es. Oft war sie die Erste, die mit unkalkulierbarem Risiko eine neu entworfene Droge probierte. An-Keyt war es gleich. Alles war besser, als den eigenen Gedanken ausgeliefert zu sein.
An-Keyt sah die Sterne, die sie im Normaluniversum zurückgelassen hatten. Größer, leuchtender und bunter, als sie sich erinnerte. Und greifbarer. Manchmal umfasste sie einen Stern, rollte sich um ihn zusammen und wärmte sich an ihm, während ihre Flughäute die übrige Welt gnädig aussperrten. Manchmal hörte sie Stimmen. Ihre eigene, die lauthals die Richtigkeit des Kriegs für das Leben proklamierte oder flüsternd, beinahe verschämt aufzählte, wie viele Leben sie bereits genommen hatte. Manchmal war ihr, als marschierte sie nicht durch die Gänge der PAN-THAU-RA, sondern durch einen Dschungel, auf engen Pfaden, auf denen immer wieder umgestürzte Bäume den Weg versperrten. Versuchte sie, über sie zu klettern, stürzte sie – in der realen Welt des Kriegs für das Leben. Negan-Parr wies sie dann zurecht. Zumindest hatte er es am Anfang getan, doch irgendwann hatte er es aufgeben. Alle Angehörigen des Trupps wandelten in unregelmäßigen Abständen durch das Sporenschiff, als befänden sie sich in einer anderen Welt. Wollte er jeden seiner Untergebenen zurechtweisen, bliebe ihm keine Zeit mehr für anderes.
Der Vordenker beschränkte sich auf Ermahnungen. »Seid ihr lebensmüde?«, schrie er sie an. »Wenn die Flachaugen jetzt angreifen, sind wir erledigt!« Oder: »Reißt euch zusammen! Ihr seid Zweidenker!«
Negan-Parr hatte Recht, aber niemand kümmerte es, auch nicht die Flachaugen. Zwei, drei Geplänkel mit Helk-Modulen im Zeitraum von mehreren Tagen – weitere Feindberührung erfolgte nicht. Es war, als hätte der Feind aufgegeben. Oder vielleicht hatten sie ihn auch schon so gut wie ausgerottet.
An-Keyt wollte nicht darüber nachdenken. Nicht über tote Flachaugen. Nicht über das, was sie hier tat. Doch es nutzte nichts. Sie konnte zehnmal am Tag zu Jevek-Kart schleichen und Nachschub holen, ihre Gedanken waren nicht totzukriegen. Sie musste immerzu an den flachäugigen Fremden denken. Er hatte sie verschont. Wieso? Wozu? Und wo mochte er jetzt sein? Vielleicht war er bereits tot, vielleicht hatte er eine Begegnung mit einem anderen Loower gehabt, einem, der nicht so zögerlich und willensschwach war wie sie. Eigentlich sprach alles dafür. Das Netz der vorrückenden Trupps war eng. Kein Feind konnte durchschlüpfen. Die Logik gebot, dass der Fremde tot war. Ein verschmorter Haufen Fleisch. Es konnte nicht anders sein.
Doch irgendwie konnte sie nicht an seinen Tod glauben. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr wuchs die Überzeugung in ihr, dass ihre Begegnung kein Zufall gewesen war. Der Fremde hatte sie bewusst herbeigeführt. Es musste so gewesen sein. Die PAN-THAU-RA war zu riesig, als dass eine Begegnung wie die ihre einem Zufall zu verdanken sein konnte. Und ein Wesen, das zu so etwas in der Lage war, würde es auch schaffen, den Spürhelks aus dem Weg zu gehen.
Aus dem Weg zu gehen. An-Keyt wünschte sich nichts mehr, als in dieser Disziplin Meisterschaft zu erlangen. Solange die Drogen des Söldners ihre Wirkung entfalteten, war sie sicher in ihrer eigenen Welt, so sehr sie auch dort die Zweifel martern mochten. Hinterher meist auch, wenn sie sich übergab, ihr Organismus auf Hochtouren arbeitete, um die Fremdstoffe in ihrem System abzubauen. Ihr war schlicht zu übel, um mehr als rudimentäre Sinneseindrücke von ihrer Umwelt mitzubekommen. Blieben die Zeiten dazwischen. Endlos lange kam es ihr vor, bis sich wieder eine Gelegenheit ergab, zu Jevek-Kart zu schleichen und sich eine neue Dosis zu holen. Er gab ihr immer nur eine, ganz gleich, wie würdelos sie ihn anbettelte. Sie tat es trotzdem, in der Hoffnung, dass sie ihn irgendwann erweichte. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass der Söldner es genoss, wenn sie sich vor ihm erniedrigte. Sie erwartete seit langem, dass er von ihr Paarungen für die Drogen verlangte. Bislang war es noch nicht geschehen. Ihm schienen andere Kicks wichtiger. Anfangs war An-Keyt erleichtert gewesen. Sein narbenübersäter Körper, gezeichnet vom Töten, hatte sie angeekelt. Jetzt sehnte sie sich fast danach. Die Nächte erschienen ihr endlos.
Belor-Thon hatte ihren Entschluss, sich nicht mehr mit ihm zu paaren, nicht gut aufgenommen. Die ersten Nächte hatte er sich verstockt in eine Ecke zurückgezogen, jetzt war er dazu übergegangen, sich jede Nacht mit dem Logistiker Mirton-Kehn zu paaren. Sein – demonstratives, wie An-Keyt glaubte – Stöhnen raubte ihr den Schlaf, und immer, wenn sie hinsah, hatte er starr und anklagend ein Stielauge auf sie gerichtet. Ich weiß, dass mit dir etwas nicht stimmt, sagte es. Warte nur, ich kriege dich dran!
Es war ein elendes Warten. Belor-Thon konnte sie jederzeit an Negan-Parr verraten. Nicht das Peschtan geschluckt zu haben, vor der Züchtigung weggerannt zu sein ... es würde ein gefundenes Fressen für den Vordenker sein. Negan-Parr lauerte nur auf eine Gelegenheit, seine aufgestaute Wut zu entladen. An-Keyt würde eine vorzügliche Zielscheibe abgeben. In ihren schlimmsten Momenten wünschte sie sich herbei, dass Belor-Thon sie endlich verriet, sie es endlich hinter sich hatte.
Belor-Thon tat ihr den Gefallen nicht. Er ließ sie zappeln. An-Keyt ging ihm – so gut es ging, also so gut wie erfolglos – aus dem Weg. Belor-Thon und auch Lef-Krar. Der Navigator wusste möglicherweise noch mehr als der Junge. Doch entweder schien er nicht die Absicht zu haben, sie zu quälen, oder seine Folter übertraf an Subtilität und Effektivität noch weit die Belor-Thons.
Lef-Krar schenkte ihr keine weitere Beachtung, sprach mit ihr lediglich, wenn die Umstände es erforderten, nahm die übrige Zeit keine Notiz von ihr. Es war, als sei nichts geschehen. Es gab Momente, in denen sie sich nichts mehr als das wünschte. Dass sie den Fremden nie getroffen hätte, dann wäre sie immer noch eine einfache Soldatin im Krieg für das Leben, die ihren kleinen, unbedeutenden Teil zum großen Ganzen beitrug. Ihre Zweifel wären beherrschbar, eine Art mentales Hintergrundrauschen, an das man sich schließlich so gut gewöhnte, dass man es nicht mehr wahrnahm. Dann hätte sie sich nicht vor Belor-Thon und Lef-Krar verstecken müssen, dann wäre der Drang, sich in eine Ecke zu verkriechen, die Beine an den Leib zu ziehen und die Flughäute über sich wie einen Schirm zu entfalten, endlich verschwunden.
An-Keyt hatte Angst. Angst vor dem, was ihre Begegnung mit dem Flachauge bedeuten mochte. Vor dem, was sie in ihr ausgelöst hatte. Vor dem, was sie ihrerseits auslösen musste, um nicht den Verstand zu verlieren.
Manchmal – wenn die Drogen sie aus ihrem Griff entließen, oder gerade dann, wenn sie sich fest in ihrem Griff befand – dachte sie daran, den Knoten platzen zu lassen, ein Ende zu machen. Zum Vordenker zu marschieren, oder wenigstens zum Navigator, und ihm die Wahrheit zu sagen. Ein Blick auf die Gestalt Negan-Parrs genügte für gewöhnlich, sie von dieser Absicht abzubringen. Der Vordenker hatte sich eine leicht nach vorn gebeugte Haltung zu Eigen gemacht, als sei er ein Raubtier, das nur auf die Gelegenheit wartete, Beute zu schlagen. Und Lef-Krar ... er schien weniger bedrohlich als unnahbar. Lef-Krar wirkte düster, in dunkle Gedanken versunken. Mehr noch, seit Mirton-Kehn ihn hatte fallen lassen und dazu übergegangen war, sich mit Belor-Thon zu paaren. Der alte Mann und der Junge waren ein Anblick, der nicht nur An-Keyt zu schaffen machte.
Vielleicht, dachte die Loowerin, ist das ein Ansatz. Ich spreche ihn darauf an und ...
Eine Stimme drang aus dem Akustikfeld ihres Helms. »Vordenker, da ist etwas!« Sie gehörte Saleng-Merv. Der Loower versuchte nüchtern und professionell zu wirken, betonte aber damit nur den schrillen Unterton der Aufregung in seiner Stimme.
»Das ist keine Meldung, Soldat«, kam die Entgegnung des Vordenkers. Er hatte sich angewöhnt, alle in der Gruppe stets mit »Soldat« anzusprechen. »Sei präzise!«
»Das ... es ... die Spürhelks melden ein organisches Wesen.«
»Schon besser, Soldat. Wo ist das Problem?«
An-Keyt hörte nur mit halber Aufmerksamkeit hin. Saleng-Merv war weit weg. Er und Belor-Thon bildeten an diesem Tag die Vorhut des Trupps, waren weit voraus. Der Höckerwulst der Loowerin pulsierte schmerzhaft, ihre Sprachblase war von einer Trockenheit befallen, die einfach nicht weichen wollte, obwohl sie ihr Wasser schneller aufbrauchte, als ihr Anzug es wieder aufbereiten konnte. Der letzte Schuss aus der Drogenküche des Söldners brannte in ihren Adern. An-Keyt wollte am liebsten an Ort und Stelle niedersinken. Oder noch besser: einen neuen Schuss. Wo steckte Jevek-Kart? Die Loowerin verdrehte suchend die Stielaugen.
»Das Wesen kommt auf uns zu.«
»Na und? Überlass es den Helks, Soldat. Sie kümmern sich darum.«
»Das ... das geht nicht, Vordenker.«
»Sind die Helk-Module defekt, Soldat? Wieso hast du dann keine Meldung erstattet? Das ...«
»Die Helks sind in Ordnung.« An-Keyt horchte auf. Saleng-Merv hatte dem Vordenker das Wort abgeschnitten! »Dieses Wesen ... die Helk-Daten weisen es als Loower aus.«
Der Vordenker schwieg verblüfft. Dann sagte er: »Das ist unmöglich, Soldat! Vor uns ist ungesichertes Territorium. Dort gibt es keine Loower!«
An-Keyt vergaß für einen Augenblick ihre Leiden. Der Vordenker hatte Recht. Ihr Trupp marschierte seit einiger Zeit wieder an der Spitze. Vor ihnen konnte es nur Feinde geben.
»Ich weiß, Vordenker. Es ist unmöglich, aber die Helk-Daten sind eindeutig. Vielleicht ein Angehöriger eines Spezialkommandos. Wie damals beim Hinterhalt.«
Durchaus plausibel. An-Keyt und ihre Kameraden hatten gelernt, dass sie nur bruchstückhaft über den Krieg unterrichtet waren. Spezialkommandos – wieso nicht? Und wenn es sie gab, war es nur folgerichtig, dass sie nichts von ihnen wussten. Sie waren einfache Soldaten. Was sie nicht wussten, konnte sie nicht verwirren, konnten sie nicht den Flachaugen verraten, sollten sie in ihre Gewalt geraten.
Die Gedanken des Vordenkers mussten in ähnliche Bahnen gehen. »Also gut, Soldat. Lasst den Kerl rankommen. Seht ihn euch gut an. Vorsichtig! Und dann bringt ihn her – ich will mit ihm reden.«
An-Keyts Helm fuhr aus, das Rundumdisplay erwachte zum Leben. Sie sah aus einigen Schritten Entfernung Saleng-Merv und Belor-Thon, gefilmt von einem Helk-Modul. Die beiden Loower hatten in einem der gesichtslosen Gänge der PAN-THAU-RA angehalten, flankiert jeweils von einem Helk. Die Soldaten traten nervös von einem Bein auf das andere, während sie angestrengt den Gang entlang starrten, dem Punkt entgegen, an dem sich der Orterimpuls in ein Wesen aus Fleisch und Blut verwandeln würde. Ihre Haut war fahl. An-Keyt fühlte Mitleid mit den beiden, besonders mit Belor-Thon. Er wirkte jetzt wieder wie ein Junge auf sie. Schutzbedürftig und verletzlich.
»Halt!«, rief Saleng-Merv in diesem Moment, lauter als nötig.
An-Keyts Display teilte sich. Eine Hälfte zeigte weiter ihre beiden Kameraden, die andere Belor-Thons Sicht der Dinge. Die stämmige Gestalt eines Loowers war am Ende des Gangs erschienen. Ein Umriss lediglich, der Gang war lang.
»Kameraden, nicht schießen!«
Der Umriss streckte beide Tentakel und Flughäute zur Seite, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Die Gliedmaßen zu heben, wie es unter vielen anderen Wesen üblich war, hätte bedeutet, sich aufzuplustern, eine Drohgebärde.
Belor-Thons Kamera zoomte den Unbekannten heran. Es war ein Loower, kein Zweifel. Er sah schlecht aus. So schlecht, dass An-Keyt sich fragte, wie er sich noch auf den Beinen halten konnte. Von seinem Kampfanzug war fast nichts geblieben, nur an einer Schulter hing ein abgerissener Rest des Neuneckgewebes. Seine Haut schien eine einzige Schürfwunde, sein bloßes Fleisch wurde nur noch von getrocknetem Blut geschützt.
»Bitte nicht schießen! Bitte helft mir ... ich habe Durst.«
An-Keyt, die gerade an dem Wasserröhrchen ihres Kampfanzugs zog, verschluckte sich. Sie fühlte sich unendlich schäbig. Kameraden litten unsägliche Qualen. Und sie? Sie quälte sich selbst.
Saleng-Merv und Belor-Thon flüsterten miteinander, dann rief Ersterer: »Bleib ruhig, Kamerad. Du hast es gleich geschafft. Komm näher – aber langsam.«
Der Verwundete setzte sich torkelnd in Bewegung. Saleng-Merv schickte ein Helk-Modul aus. Der Roboter schoss vor, passierte den wankenden Loower und postierte sich am Ende des Gangs, um zu verhindern, dass Flachaugen sie überraschten.
Der Verwundete kämpfte weiter um jeden Schritt, die Tentakel steif zur Seite gereckt. Als er näher kam, erkannte An-Keyt, dass sein linker Unterschenkel nur noch von einer Metallstange und ein paar Plastikbändern zusammengehalten wurde. Eine Blutspur markierte seinen Weg, verlief in unruhigen Bahnen von Wand zu Wand.
Saleng-Merv und Belor-Thon erwarteten ihn mit gezogenen Strahlern. »Halt durch, gleich ist es vorbei!«
Zwei, drei Schritte vor den beiden Soldaten, bäumte sich der Verwundete auf, sackte stöhnend in sich zusammen. Es war zu viel für Belor-Thon. Der Junge sprang vor. Den simultanen Aufschrei Saleng-Mervs und des Vordenkers, der ihn zurückbeorderte, ignorierte er. Der Junge beugte sich über den Verletzten, flüsterte: »Alles wird gut, Kamerad. Hier, ich stütze dich!«
Der Verwundete nahm den dargebotenen Greiflappen – und der Rest benötigte nur ein Blinzeln. Mit einem Ruck zog der Verwundete Belor-Thon zu Boden, entwand ihm mit dem anderen Tentakel den Strahler. Der Junge zerplatzte im Energiefeuer seiner eigenen Waffe, noch ehe er einen Laut der Überraschung hervorstoßen konnte. Dann war Saleng-Merv an der Reihe. Der Soldat schoss, zerstrahlte den Unterleib des unbekannten Verwundeten, aber es war zu spät. Sein Schirm, automatisch aktiviert vom Gefechtssystem seines Anzugs, hielt dem Energiestrahl seines Gegners aus nächster Nähe nicht stand. Sein Tornister explodierte, ein Feuerball löschte ihn und den Angreifer aus, vermischte sich mit dem Energiestrahl des Helk-Moduls, das viel zu spät eingegriffen hatte.
Es war vorbei. Das Modul stellte das nutzlos gewordene Feuer ein. Leuchtende Schlieren tanzten auf An-Keyts Netzhäuten. Sie taumelte, der Boden unter ihren Füßen schien verschwunden, hatte einem gähnenden Abgrund Platz gemacht, der sie verschlingen wollte.
Allein das Geheul riss sie zurück.
Es kam von Mirton-Kehn. An-Keyt hatte noch nie einen so furchtbaren Laut gehört. Der Logistiker war auf die Knie gesunken, schlug mit geballten Greiflappen auf den Stahlboden ein. Es war das Geheul eines Tiers. Das einer Kreatur, die nicht verstand, was um sie herum geschah. Einer Kreatur, die unendlich litt und zugleich spürte, dass dies nur der Beginn ihres Leidenswegs war, dass das Geschehene sie niemals wieder loslassen würde.
Es war ein Geheul, so durchdringend, dass man zu glauben versucht war, es würde Tote aufwecken.
Nur: Das tat es nicht.