Читать книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst - Страница 38

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Kapitel 33

Der Schutzschirm des Trümmerschiffs gab unter der Vielzahl der Energiefinger nach, die sich in seine Substanz gruben. Er warf riesige Blasen. Sie lösten sich vom Hauptschirm, drifteten einige Augenblicke lang ins All und zerplatzten.

Es war, als steuerte die BANDIKOT direkt in eine Sonne.

»Talina! Du bringst uns um!«, brüllte Lifkom Tremter. Er hob die Arme schützend vor den Kopf. Ein absurder Gedanke kam ihm: Er würde als Letzter sterben. Millisekunden nach der BANDIKOT und den Oxtornern, solange die Funktionen seines Anzugs den entfesselten Energien standhielten.

Dann setzte der Schirm des Trümmerschiffs aus. Er zersprang, eine überdimensionale, mehrere Kilometer durchmessende Seifenblase, geformt aus purer Energie. Die BANDIKOT bäumte sich auf, als die Schockwelle das Schiff erfasste. Ihr geschundener Rumpf kreischte in einem Schrei auf, von dem der Terraner überzeugt war, dass es der letzte sein würde. Oxtorner brüllten wie Tiere vor Schmerz, als sie erneut durch die Zentrale gewirbelt wurden. Ihre vielfach gebrochenen Glieder flogen hin und her, erinnerten an Kleiderfetzen, mit denen der Wind spielte.

Talina gab Vollschub. Sie musste Energie für diesen Moment gehortet haben. Der Kreuzer machte einen Satz, direkt auf den bloß daliegenden, von den furchtbaren Narben früherer Kämpfe zerfurchten Rumpf des Trümmerschiffs.

Sie mussten zerschellen! Zerschellen oder zusammen mit dem Trümmerschiff zu einer Gaswolke eruptieren. Glühend und ... Dunkelheit setzte ein. Die Strahlenfinger der Schlacht verschwanden. Lifkom sah nur Schwärze, unmittelbar vor der BANDIKOT in unergründlicher Dichte, im übrigen Sichtfeld mit fernen Sternen gesprenkelt.

»W-wir leben!«

»So ist es, mein kluger terranischer Freund.« Talina strahlte, als hätte sie eines der großen Spiele auf Oxtorne gewonnen. Als seien die letzten Minuten nur ein Albtraum gewesen, den sie als unnütze Erinnerung abgestreift hatte, um der Welt von Neuem ins Auge zu sehen, wie es einer Oxtornerin gebührte: mit weit geöffneten, neugierigen Augen. Spielerisch. Furchtlos.

Lifkom zitterte. Auf seiner Netzhaut tanzten die verblassten Energiefinger der Schlacht einen Tanz, von dem er wusste, dass er ihn nie wieder vergessen würde. Auch nicht, wenn er, gegen jede Wahrscheinlichkeit, die BANDIKOT lebend verlassen und auf Terra an Altersschwäche sterben sollte.

»Wie kann das sein? Wir waren mitten in der Todeszone ...«

»Sind wir jetzt nicht mehr.«

»Ich ... ich ...«

»Es war ganz einfach.« Talina blieb ganz auf die Steuerung konzentriert. Sie manövrierte den Kreuzer mit minimalen Schubstößen der absoluten Schwärze entgegen, die das Trümmerschiff verkörperte. »Ich musste mich nur in den Kommandanten dieses Trümmerkahns versetzen.«

»Aber wir wissen nichts über diese Fremden!«

»Müssen wir auch nicht. Sie steckten in der Klemme, sie wollten leben, mehr war nicht nötig. Dieser Riesenkasten hatte keine Chance. Ein Oxtorner- oder Terranerraumer hätte jedenfalls keine gehabt. Aber dann ist mir eingefallen, was diese Fremden uns voraus haben: Sie springen aus dem Stand in den Hyperraum. Ich dachte mir, was würde ich an seiner Stelle tun? Ganz einfach. Ich würde den Schirm aufgeben, meine Energie horten und mich dann wegkatapultieren. Genau das hat der Fremde gemacht – und er hat uns, ohne es zu wissen, huckepack mitgenommen.«

»Aber zwischen der Abschaltung des Schirms und dem Sprung sind mehrere Sekunden vergangen.«

»Verdammt lange Sekunden sogar. Dachte schon, es erwischt ihn noch. Auf der anderen Seite« – Talina klopfte auf das Pult – »hatten wir dadurch genug Zeit, mit unserer etwas ramponierten BANDIKOT nahe genug an ihn heranzukommen, um mitzuspringen.«

»Und wenn er ...«

»Wenn, wenn, wenn ... denkt ihr Terraner an überhaupt nichts anderes?« Ein sanfter Stoß setzte sich im Rumpf des Kreuzers fort. Talina sah von den Kontrollen auf. »Willkommen in Trümmerland – auf einen angenehmen Aufenthalt! Einen kurzen!«

Die künstliche Schwerkraft setzte aus, die ohnehin düstere Notbeleuchtung ließ weiter nach.

»Wir müssen Energie sparen«, beschied ihm Talina. »Jedes Watt, das wir nicht vergeuden, könnte uns retten. Und außerdem sollten wir unseren Trümmerfreund nicht durch Leuchtfeuer auf seinen Ortern darauf aufmerksam machen, dass er Besuch hat. Ich schätze, im Augenblick ist man drüben mit Zusammenkehren beschäftigt. Aber das wird nicht ewig andauern. Also los!«

Sie sahen nach den Verletzten, die jetzt überall in der Schwerelosigkeit der Zentrale trieben. Lifkom deaktivierte den Schwerkraftneutralisator seines Anzugs. Es war unumgänglich, wollte er nicht Gefahr laufen, dass seine energetischen Emissionen sie verrieten. Leichtigkeit überkam ihn, und mit ihr ein Gefühl von Stärke, das ihm für kurze Zeit neue Hoffnung einflößte. Sie erhielt einen Dämpfer, als er feststellen musste, dass die Fortbewegung in der Schwerelosigkeit ihren eigenen Gesetzen folgte. Gesetzen, mit denen er nicht vertraut war. Und sie verflog endgültig, als er es endlich geschafft hatte, an einen der verletzten Oxtorner heranzumanövrieren.

Oxtorner waren unscheinbare Recken. Kaum größer als gewöhnliche Terraner, verrieten sie lediglich eine übergroße Schulterbreite samt dazu passendem Brustkorb, sowie übergroße Füße – unauffällige Merkmale in einem Zeitalter, in dem sich Menschen auf tausenden von Welten niedergelassen und sich ihren Umweltbedingungen angepasst hatten. Äußerlich zählten die Oxtorner zu den unscheinbaren Verzweigungen des Menschen. Was Oxtorner auszeichnete, waren ihre »inneren« Qualitäten. Sie waren schwer, wogen ein Vielfaches von Terranern. Unter normalen Umständen wäre es Lifkom unmöglich gewesen, einen Oxtorner auch nur einen Zentimeter weit in eine beliebige Richtung zu bewegen. In der Schwerelosigkeit dagegen ... der Terraner erreichte den Bewusstlosen und schob ihn sanft an. Der Körper rührte sich nicht von der Stelle. Lifkom drückte stärker. Diesmal bewegte sich etwas: Er selbst.

Was war los? Lifkom drehte den Kopf und sah zu Talina, die mit der Eleganz eines Fischs im Wasser durch die Schwerelosigkeit glitt und einen Verletzten nach dem anderen barg und mit Plastikbändern an einer Seite der Zentrale fixierte. Die Zentrale füllte sich mit träge dahintreibenden Kugeln aus Blut, die hinter den Verletzten zurückblieben.

Was machte er falsch? Die Antwort kam ihm, als er beobachtete, wie Talina sich mit drei Verletzten gleichzeitig abmühte und wie er selbst eben scheiterte. Masseträgheit, erinnerte er sich aus seiner längst vergangenen Schulzeit. Ganz gleich, welche Schwerkraft herrschte, ein Körper behielt immer seine Masse. Masse, die es nicht mochte, bewegt zu werden. Und Masse, an der es ihm, dem Terraner, im Vergleich zu den Oxtornern entschieden mangelte.

In der Zeit, in der es ihm gelang, den einen Verletzten an den Sammelplatz zu bugsieren, hatte Talina die übrigen eingesammelt. Sie ging mit keinem Wort darauf ein.

»Lifkom, kümmere dich um sie. In Ordnung? Ich sehe mich im übrigen Schiff um.«

Sie verschwand durch das Hauptschott der Zentrale, ohne seine Antwort abzuwarten. Lifkom blieb mit knapp zwei Dutzend Verletzten zurück. Fünf Toten und 17 Verletzten, wie sich nach einer ersten Zählung ergab. Fünfmal blickte der Terraner in gebrochene Augen, erstarrt in einem Ausdruck grenzenloser Verwunderung, als könne ihr Besitzer nicht fassen, dass er auf eine Gewalt getroffen war, die stärker war als er. Einige weitere Verletzte hatte Lifkom bereits als tot abgeschrieben, bis er sich daran erinnerte, dass die oxtornische Konstitution sich in diesem Punkt radikal von der terranischen unterschied. Oxtorner hatten einen erheblich höheren Sauerstoffbedarf, bedingt durch ihre Hochleistungskörper. Dem gegenüber stand ein größeres Lungenvolumen und eine effizientere Ausnutzung des Sauerstoffs. Oxtorner atmeten seltener und flacher als Menschen. Bewusstlose Oxtorner nur ein- oder zweimal in der Minute, wie Lifkom feststellte.

Lifkom hätte die drei Gruppen – Tote, Bewusstlose und Verletzte bei Bewusstsein – gern getrennt, allein schon der Übersicht wegen, aber dazu war er zu schwach und ungeschickt. Er stieß sich ab, um sich mit mehreren Medikits auszustatten, die sich in den Seitenfächern der Konturliegen fanden, und machte sich an die Arbeit.

Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals in seinem Leben so hilflos gefühlt zu haben. Die Medikits waren als Erste Hilfe bis zum Eintreffen von Spezialisten oder Medorobotern gedacht. Sie bestanden im Grunde genommen aus Verbänden zur Stillung von äußeren Blutungen und aus einer Reihe von kreislaufstabilisierenden Injektionen. In welcher Hinsicht sich diese voneinander unterschieden, wusste Lifkom nicht. Er konnte sie nur wahllos verabreichen und hoffen, dass sie bei Oxtornern wirkten.

Die Verbände benötigte er nur in einem Fall. Die äußeren Verletzungen der Oxtorner bestanden aus Knochenbrüchen. Schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich und vollständig heilbar, sobald sie wieder unter Menschen waren. Die Ausnahme war Modesto. Der Kommandant war nicht direkt gegen die Zentralewand geschleudert worden, sondern gegen den Okrill, der zwischen ihm und der Wand eingeklemmt wurde. Das Tier – es schwebte als totes, blutverschmiertes Bündel hoch über Lifkom – hatte der doppelten Belastung nicht standhalten können. Im letzten Augenblick musste es sich aufgebäumt haben und hatte seine Krallen tief in Modestos Oberkörper getrieben. Der Kommandant der BANDIKOT sah aus wie ein rohes Stück Fleisch, doch sein Puls und sein Blutdruck waren stabil. Der Oxtorner war zäh, die Verbände taten ein Übriges.

Modestos Kameraden hatten weniger Glück. Ihre Verletzungen waren nicht äußerlich. Sie bluteten innerlich. Verbluteten. Sie starben einen überflüssigen, dummen Tod, wie Lifkom befand. Für sich. Niemand wollte im Augenblick davon hören, dass die Oxtorner sich ihr Schicksal selbst eingebrockt hatten – mit der übermütigen Haltung des vor Kraft strotzenden Kindes, dessen Phantasie nicht ausreichte, sich vorzustellen, dass ihm etwas zustoßen konnte.

Überall auf dem Schiff war Talina auf ein ähnliches Bild wie in der Zentrale gestoßen. Verkrümmt daliegende Bündel von Oxtornern, meist mehr tot als lebendig. Durch Wände wie durch Bahnen von Papier geschleudert, bis sie auf Hindernisse gestoßen waren, die härter als sie selbst waren: der Rumpf der BANDIKOT, die Streben des Gerüsts, das ihr zusätzliche Stabilität verlieh, oder Maschinenanlagen.

Stoppten die inneren Blutungen, erholte sich der Verletzte langsam. Hielten sie an, verfiel der Verletzte zusehends. Die hellbraune Haut verlor ihren seidigen Schimmer, dann wich die Farbe, bleichte aus, bis ein Hauch von einem Grau blieb – die Farbe des Todes.

Talina und Lifkom taten für die Verletzten, was sie konnten, was wenig mehr als der Anschein von Hilfe war. Sie schwebten durch die wracke BANDIKOT und versuchten zu trösten, in der Hand Injektionspistolen, bestückt mit den kreislaufstabilisierenden Mitteln, die Talina ebenso wenig voneinander unterscheiden konnte wie Lifkom. Die Medostation selbst war keine Hilfe. Sie war von umherfliegenden Oxtornerkörpern in Stücke zerfetzt worden. Lifkom und Talina nahmen Zuflucht in fieberhafter Phantasie. Sie redeten auf die Verletzten ein, erfanden Namen und Wirkungsweisen für die Injektionen, setzten auf den Placebo-Effekt und Wunder und die Hoffnung, dass die Injektion tatsächlich etwas bewirkte.

Und währenddessen suchten sie in den Gesichtern der Verletzten verstohlen nach der ersten Farblosigkeit, die anzeigte, dass der Tod nahte. Fanden sie sie, redeten sie sich heraus, behaupteten, ein bestimmtes Medikament sei ihnen gerade ausgegangen, und sie würden es holen gehen. So fragwürdig die Wirkung der Injektionen sein mochte, es waren zu wenige, um sie auf Verletzte zu verwenden, denen nicht zu helfen war.

Es fiel Lifkom unendlich schwer, die Sterbenden anzulügen. Schwerer noch fiel es ihm aber, wenn sie seine Lügen durchschauten. Oxtorner besaßen ein ausgeprägtes Körpergefühl. Erfüllung bedeutete für einen Oxtorner, seine physischen Möglichkeiten auszuspielen. Die Hölle, nicht mehr dazu in der Lage zu sein. Die Verletzten spürten, dass es mit ihnen zu Ende ging, und baten den Terraner um seine Waffe, um ihr Leben in Würde abzuschließen. Oder, wenn alle ihre Gliedmaßen gebrochen waren, es für sie zu tun. Lifkom brachte es nicht über sich, hätte es selbst dann nicht getan, wenn sein eigenes Leben davon abgehangen hätte. Er stob davon, die Handflächen fest gegen die Ohren gepresst, um nicht ihre bittenden Rufe hören zu müssen.

Talina, die Oxtornerin, dachte und handelte anders. Sie trug neben der Injektionspistole ein langes Messer mit sich. Sie reichte es Verletzten, die danach baten, um es sich selbst ins Herz zu stoßen. Vermochten sie es selbst nicht mehr, übernahm sie es. Der Anblick wühlte Lifkom auf. Auch wenn die Verletzten darum baten, wurde er nicht Zeuge eines vielfachen Mords? Gleichzeitig wusste er, dass die Sterbenden keine andere Aussicht hatten als die, nach qualvollen Stunden zu verenden. Und urteilte er nicht ungerecht? Sie waren Oxtorner, keine Terraner. Sie dachten, sie fühlten anders. Unbegreiflich anders. Wie sonst ließe sich erklären, dass Talina den Tod mit einer Selbstverständlichkeit spendete, als hätte sie nie etwas anderes getan, oder dass sie mit keiner Geste angezeigt hatte, dass Modestos Schicksal sie berührte, sich mit keiner Silbe nach ihm erkundigt hatte?

Seine Zweifel waren müßig, eine Kraftverschwendung. Zu welchem Schluss er kommen mochte – und Lifkom bezweifelte, dass er es jemals tun würde –, er blieb hilflos. Protestierte er, würde die Oxtornerin ihn einfach ignorieren. Lifkom blieb nur, seine Gänge fortzuführen und sich in Gedanken immer wieder den Grundsatz des Diplomatischen Korps der Liga vorzuhalten: Nicht bewerten, nicht einmischen.

Mit jeder Stunde, die verstrich, schwebte der Terraner an neuen Toten vorbei. Solchen, die ihren inneren Verletzungen erlegen waren, und solchen, die ihr Sterben abgekürzt hatten. Die Ersteren starrten ihn anklagend aus verzerrten Zügen an, die Letzteren wirkten entspannt, als wären sie nach einem erfüllten Leben friedlich entschlafen.

Schließlich waren die Toten weit in der Überzahl. Lifkom nahm sie kaum noch wahr. In seinem Kopf hallte noch immer der Grundsatz seines Standes wider, allerdings wie aus weiter Ferne. Aber das schien passend. Alles schien wie aus weiter Ferne. Er war zu erschöpft, um die Toten als mehr wahrzunehmen denn als praktische Griffe, an denen er sich durch die Korridore der BANDIKOT ziehen konnte. Längst zu erschöpft, um seine Bemühungen einzustellen, möglichst viele Leben zu retten. Um einzusehen, dass sie längst sinnlos geworden waren. Diejenigen, die leben sollten, würden es auch ohne sein Zutun tun. Diejenigen, die sterben sollten, taten es besser ohne das seine. Und schließlich war Lifkom zu erschöpft, um bei Bewusstsein zu bleiben.

Es erlosch wie eine Flamme, der der Sauerstoff ausgegangen war, und hätte an Bord der BANDIKOT nicht Schwerelosigkeit geherrscht, er hätte vielleicht als Letztes den Schmerz des Aufpralls auf dem harten Schiffsboden verspürt. So fiel Lifkom Tremter ungestört in die endlose Schwärze, die Gnade des Vergessens.

Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband)

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