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6 – Destins Enkel

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Erneut erklangen die Glöckchen über André Destins Eingangstür.

Aufgeregte Finger schoben den Schlüssel ins Schloss und verschlossen die Tür. Danach wurde das Schild Geöffnet auf Bin gleich zurück umgedreht.

Von hinten erklang Destins Stimme: »Ich komme gleich. Sehen Sie sich ruhig schon um.«

»Nicht nötig, ich komme zu dir, Grand-père!«, antwortete eine männliche Stimme. Pierre le Rousse ging schnellen Schrittes in eins der Hinterzimmer, aus dem er seinen Großvater hatte rufen hören.

»Pierre? Gut, dass du schon da bist. Wir müssen reden!«

Pierre le Rousse zog den Vorhang beiseite und grinste breit. »Grand-père, Großpapa, was glaubst du, weshalb ich da bin?«

»Komm rein, ich mache mir gerade Kaffee. Willst du auch einen? Ja? Gut. Einen Croissant dazu? Nein? Ihr jungen Leute, dass ihr immer Angst habt, zu dick zu werden. Dabei, sieh dich doch an, an dir ist gar nichts dran. Du kommst nach deiner Mutter, die konnte als junges Mädchen auch immer essen, was sie wollte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen«, lachte der alte Mann und bedachte Pierre mit liebevollem Blick. Pierre, er war seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Und sie wiederum war das Ebenbild ihrer Mutter, André Destins verstorbener Frau Amelie.

Die beiden Männer setzten sich an einen alten Tisch. Viele Einkerbungen, im Laufe der vergangenen Jahre hinterlassen worden, hatten ihn gezeichnet. Ließen das Holz seiner Tischfläche fast lebendig erscheinen.

André Destin zog seinen Tabakbeutel zu sich heran. Bevor er seine Pfeife entzündete, forderte er seinen Enkel auf, die Tür zu schließen. »Ist nicht gut, wenn die Dinge im Laden nach Rauch riechen.«

»Wie oft, Großvater, willst du mir das noch sagen?«

»So lange, bis du es lernst, die Tür von alleine hinter dir zu schließen. Hast du auch daran gedacht, das Türschild umzudrehen?«

»Sicher doch«, grinste Pierre. Mit der Hand fuhr er sich durch seine schwarzen Haare. Seine blauen Augen musterten amüsiert seinen Großvater.

»Hör auf einen alten Mann auszulachen«, mühte Destin sich, Ernst zu sein. Doch dann änderte sich sein Ausdruck. »Hast du getan, was ich dir aufgetragen hatte?«

»Habe ich schon einmal nicht getan, worum du mich gebeten hast, Großvater?«

»Wie oft, Pierre, muss ich dir noch sagen, dass ich Gegenfragen nicht leiden mag?«

»Reg dich doch nicht gleich wieder auf. Klar, habe ich getan, um was du mich gebeten hast. Allerdings würde ich jetzt auch sehr gerne einmal erfahren, wozu das Ganze eigentlich dienlich sein soll.« Neugierig hielt er den Blick auf seinem Großvater.

»Hast du auch ganz sicher den Stift verwendet, den ich dir gegeben habe?«

»Um das Portrait der Frau zu malen? Sicher habe ich ihn zum Zeichnen benutzt.«

»Und du hast den Stift auch nicht nochmals benutzt? Du hast doch nicht noch jemand anderen damit portraitiert? Oder etwa doch?«, fragte Destin besorgt.

»Nein, ich habe alles so gemacht, wie du es mir aufgetragen hast. Wenn es dich beruhigt, ich habe noch nicht einmal einen Zeichenstrich mit deinem Stift gemacht. Nur dieses Portrait, um das du mich gebeten hattest, habe ich mit ihm gezeichnet«, antwortete Pierre, der Straßenmaler, der vor Kurzem das Portrait Madames gezeichnet hatte.

»Es hat ihr bestimmt nicht gefallen.«

»Gefallen? Dass sie es mir nicht um die Ohren geschlagen und anschließend in der Luft zerrissen hat, war alles.«

»Sie hätte das Portrait nicht zerstören können. Nicht, nachdem du es mit besagtem Skizzierstift gezeichnet hattest. Gib mir bitte den Stift wieder.« Auffordernd streckte er Pierre seine Hand entgegen.

Ohne zu zögern, gab ihm der junge Mann den Stift. Sofort stand Monsieur Destin auf, ging auf einen großen Tresor zu und schloss den Skizzierstift in diesem ein.

Verwundert sah Pierre ihm dabei zu. »Hältst du es nicht für übertrieben, einen simplen Zeichenstift in einem Tresor einzuschließen?«

»Einen simplen Skizzierstift schon …, aber nicht diesen Stift.«

»Was ist an diesem anders als an anderen?«, wollte Pierre wissen.

»Das musst du nicht wissen, Pierre. Bei manchen Dingen ist es sicherer, so wenig als nur möglich zu wissen.«

»Du redest in Rätseln. Warum nur so geheimnisvoll?«

»Es ist zu früh, um über gewisse Dinge zu reden. Wichtig ist, dass du sie gezeichnet hast. Alles andere ergibt sich von selbst. Und die Kleine, sie hat den Tarot mitgenommen. War ganz angetan von ihm.« Er lächelte nachdenklich, während er an seiner Pfeife zog.

»Wozu das alles? Was hat es mit diesem Portrait, das ich von der Frau zeichnen sollte, und den verkauften Tarotkarten auf sich?«

»Nein, nicht verkauft, Pierre. Der Tarot, er musste seinen eigentlichen Besitzer finden, aber niemals darf er an ihn verkauft werden. Würde er verkauft …«, er brach ab, auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Furchen. Mit gesenkter Stimme sagte er: »Nicht auszudenken, was dann passieren könnte. Es würden Dinge erwachen, die besser schlafen.«

»Grand-père, warum sagst du mir nicht endlich, worum es hier geht?«

»Weil du noch zu jung bist, Pierre, deshalb. Du bist erst mit fünfundzwanzig befugt, mehr über gewisse Dinge zu erfahren«, antwortete Destin geheimnisvoll.

Pierre schluckte schnell seinen Kaffee hinunter. »Entschuldige mal, ich bin bald fünfundzwanzig, hast du das vergessen?«

»Nein, habe ich nicht. Nur bis dahin sind es nun einmal noch einige Tage, um nicht zu sagen, Monate. Und die sind es, die zählen. Und jetzt, Pierre, dringe nicht weiter in mich. Ich kann und darf dir heute noch nichts darüber erzählen. Irgendwann, aber nicht heute. Und nicht solange, du noch nicht fünfundzwanzig bist«, antwortete André Destin, und es war ihm anzusehen, dass er diesen Umstand ebenfalls bedauerte. »Hast du sehen können, wohin sie gegangen sind, nachdem sie mein Geschäft verlassen haben?«

»Sicher. Ich bin ihnen nachgegangen. Nein, sei unbesorgt, sie haben mich nicht bemerkt. Dadurch, dass du ihnen den Chinesischen Gong verkauft hast, waren sie gezwungen, in ihre Unterkunft zurückzugehen.«

»Oh ja, der Chinesische Gong …« Er machte eine Pause. »Hoffentlich war es kein Fehler, ihn ihr zu verkaufen.« Er strich sich über die alte Stirn. »Doch auch er war für sie bestimmt. Was konnte ich also dagegen tun? Auch ich muss mich dem Schicksal fügen.«

»Weshalb sollte es ein Fehler sein, ihnen ein Stück aus deinem Geschäft zu verkaufen?«, wunderte sich Pierre.

»Es geht nicht nur um ein Stück aus meinem Laden, Pierre, es geht um den Chinesischen Gong.«

»Aber, Grand-père, ich bitte dich, was soll an diesem so besonders sein? Es ist ein Chinesischer Gong unter vielen.«

»Eben nicht, Pierre. Ich hoffe, dass sie es niemals bedauern wird, den Gong gekauft zu haben. Dass sie niemals hinter sein Geheimnis kommen muss.«

»Geheimnis

»Nicht jetzt, Pierre. Der Chinesische Gong ist derzeit nicht unser Problem. Nicht heute. Vielleicht irgendwann einmal, aber nicht heute. Nur so viel noch: Der Chinesische Gong, man kann ihm nicht entkommen. Hat er sich erst einmal für jemanden entschieden, wird er nicht ruhen, bis derjenige sein Augenmerk auf ihn gerichtet hat und ihn besitzen will.« Er sah seinen Enkel nachdenklich an. »Und jetzt frag nicht weiter.« Pierre, wie gerne hätte er ihm bereits heute schon alles erzählt. Doch er durfte nicht. »Wo, sagtest du, wohnen sie?«

»Bisher sagte ich diesbezüglich noch gar nichts. Ich habe nur erwähnt, dass ich ihnen gefolgt bin. Mehr aber auch nicht.«

»Du bist ihnen gefolgt. Du weißt also, wo sie untergebracht sind?«

»Ja. Und jetzt rate einmal, wo das ist.«

»Woher soll ich das wissen, Junge.«

»Im Le Petite«, zeigte Pierre sich ebenfalls geheimnisvoll. »Das passt, nicht wahr?« Pierre lächelte. »Denn auch das Le Petite ist mitunter sehr geheimnisvoll, nicht wahr? Zumindest hast du mir das in meinen Kindertagen immer erzählt.«

»Wenn man davon ausgeht, dass an den Überlieferungen, dass Philippe Lafaiette dort den Tarot gemalt hat, etwas Wahres ist, dann ja. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles nur Zufall sein soll. Da steckt mehr dahinter, dessen bin ich mir sicher.« Destin senkte nachdenklich den Blick, um gleich darauf zum Tresor zu wandern. So vieles schien einzutreffen. Doch er konnte und durfte seinem Enkel nichts davon erzählen. Noch nicht. »Passt einfach alles. Auch, dass sie den Chinesischen Gong gekauft haben.« Unterdessen war sein Blick zu Pierre zurückgekehrt. »Diese Frau, die älteste von den drei Frauen, mit ihr ist irgendetwas. Ich konnte es spüren, gleich, nachdem sie meinen Laden betreten hat.«

»Was deutest du damit an, Grand-père?«

Das Gesicht des alten Mannes hatte einen sehr ernsten Ausdruck angenommen. Leise antwortete er: »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass wir es bei ihr mit einem Geist zu tun haben.«

Pierre begann zu lachen. »Sag, Großvater, wie viele Gläser Rotwein hast du heute schon getrunken?«

Entrüstet sah André Destin auf seinen Enkel. »Nicht einen Schluck!«

»Hauch mich mal an, denn ich kann nicht glauben, was du eben gesagt hast.« Pierre putzte seine Ohren, doch das Gesagte blieb gleich. Kopfschüttelnd sah er seinen Großvater an. »Geister, Opa, die gibt es nicht.«

»Sei davon nicht so überzeugt.« Er blickte in Pierres Gesicht. »Mein Gefühl trügt mich eigentlich nie.«

»Wie vielen Geistern, bist du bisher begegnet, um dafür ein Gefühl zu haben?«, fragte Pierre, und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

»Ich habe es dir vorhin schon einmal gesagt, Pierre:« Mit der Geste der Verzweiflung, rang er seine Hände. »Du bist noch keine fünfundzwanzig. Selbst, wenn ich wollte, ich dürfte dir diese Frage noch gar nicht beantworten. Und jetzt geh, Pierre, versuche herauszufinden, was die Leute vorhaben, und wieso sie ausgerechnet im Le Petite abgestiegen sind.«

Pierre stand auf, verabschiedete sich, und verließ den Laden, allerdings nicht ohne das Schild wieder auf geöffnet gedreht zu haben.

André Dustin stand ebenfalls auf. Er ging ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. »Kann sie tatsächlich ein Geist sein?«, fragte er sein Spiegelbild und sah vor seinem geistigen Auge das Gesicht Evelyn li Nolas auftauchen.

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