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12 – Radiogeflüster

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Evelyn saß auf der Rückbank Cemetery Cars.

Nachdem sie stundenlang ziellos durch die alten Gassen Paris’ gestreift war, war sie am Ende auf dem Parkplatz des Le Petites angelangt.

Die Vögel erwachten und ihr leises Gezwitscher verkündete den Bewohnern von Paris den neuen Tag.

Auch die Glocken St. Claires läuteten in stündlichen Intervallen das Voranschreiten des neuen Tages ein.

Evelyn hatte ihre Beine weit von sich gestreckt. Ihr Gesicht wirkte nachdenklich. Bisher war es ihr immer noch nicht gelungen, herauszufinden, welche Gefahren in Paris auf Quentin und Kim lauerten. Auch hatte Gräulich keine neuerliche Vision diesbezüglich gehabt; was die Geisterlady aufs Tiefste bedauerte.

Ein Stöhnen wand sich auf ihrer Brust und kroch über ihre Lippen hinaus. Wozu war sie ein Geist, wenn sie solche Dinge nicht vorhersehen konnte? Wenn sie doch wenigstens einen Anhaltspunkt hätte, wüsste, von woher die Gefahr ausging, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, den Dingen vorzugreifen, vielleicht sogar einen Weg gefunden, die Gefahr zu bannen. Doch so? So konnte sie nichts, rein gar nichts tun.

Mit der Hand schlug entnervt auf die Rückbank Cemetery Cars. »Sag du es mir. Sag du mir, was für eine Gefahr in Frankreich auf die Kinder wartet!« Sie sah zwischen ihren Beinen hindurch auf den Sitz der Rückbank, geradeso, als erwartete sie jeden Augenblick eine Antwort von dieser.

Evelyn lehnte sich zurück. Sie schloss die Augen, doch alles, was sie sah, war Dunkelheit. Nichts und niemand war da, der ihr auf ihre Fragen hätte antworten wollen, oder gar geantwortet hätte.

Das Radio schaltete sich ein. Knistern und Knacken drang daraus hervor. Erstaunt wanderte Evelyns Blick zu dem Radio des ehemaligen Leichenwagens. Sie neigte den Kopf und ließ den Blick aufs Radio gehaftet. »Willst du mir etwas sagen?«

Erneutes Knistern. Dann, wie von ganz weit weg, unterbrochen von vielen Knack- und Knistergeräuschen, vernahm die Geisterlady eine Stimme.

»Es sind … die … Karten …« Wieder wurde die Stimme unterbrochen, als wollte jemand anders verhindern, dass Evelyn die Wahrheit erfuhr.

Ihr wurde heiß und kalt, obwohl sie ein Geist war, fühlte sie es. Diese Stimme, sie kam ihr bekannt vor. Sehr bekannt und sehr vertraut. Wie lange mochte es zurückliegen, seit sie ihr geholfen hatte, den Weg ins Licht zu finden?

»Evelyn li Nola, du musst verhindern, dass …«, versuchte die Stimme, sie zu warnen, wurde jedoch von Rauschen unterbrochen.

Erneut wurde die warnende Stimme von anderen, lauten, Ohrschmerz verursachenden Geräuschen verdrängt.

Das Knistern und Rauschen, das aus dem Radio drang, war jenen ähnlich, wie sie noch vor einigen Jahren aus Radiosendern erklangen, die auf Mittelwelle geschaltet waren. Geräusche, von denen einige Menschen behaupteten, dass es die Stimmen der Toten waren, die einen Weg suchten, um zu den Lebenden zu sprechen.

Evelyn setzte sich auf den Beifahrersitz. Auf diese Art war sie dem Radio näher, und hoffte, dadurch die Stimme besser verstehen zu können. Die Stimme, von der sie nach wie vor glaubte, sie zu kennen.

Ihr Gesicht ganz dicht am Radio, fragte sie: »Booker? Booker bist du das?«

Erneutes Knistern. Dann ein leises, sympathisches Lachen. »Evelyn, du hast mich erkannt?« Die Frage der Stimme war klar und deutlich, und ohne jedes Rauschen zu verstehen.

Erleichtert lehnte Evelyn sich zurück.

Booker!

Booker hatte einen Weg gefunden, zu ihr vorzudringen. Booker, der ihnen so viel geholfen hatte, damals bei ihrem ersten Erlebnis. Bei ihrem Kampf gegen die Dämonen. Booker, Quentins Freund, der bei der Wahrheitsfindung sein Leben gelassen hatte. Booker, dem sie am Ende den Weg ins Licht gewiesen hatte.

Wie gut es doch war seine Stimme zu hören. Ein Lächeln huschte über Evelyns Gesicht. Wenn Booker ihnen zu Hilfe kam, würde mit Sicherheit auch alles gut werden.

Wieder knisterte das Radio. Erneut kam Evelyn der Verdacht, dass Booker daran gehindert werden sollte, mit ihr in Verbindung zu treten.

»Booker, was ist los? Ich kann dich nicht verstehen. Sprich lauter!«, forderte ihn Evelyn auf.

»… hindern … Evelyn, etwas versucht mich … daran zu hindern …«

»Wer, Booker, wer hindert dich daran?«

»Kann ich nicht sehen … Alles dunkel … Zu verschwommen …«, drang es zerrupft aus dem Radio.

»Ist es ein Geist, der dich hindern will?«

»Es hat eine böse Aura …« Wieder knisterte es. Lauter, und drohend.

»Booker, wieso sind Quentin und Kim in Gefahr?«

»Die … Karten …«

»Karten? Meinst du Kims Tarotkarten?«, fragte Evelyn, der ein schrecklicher Verdacht kam.

»Kim … Gefahr …«

Das Krachen wurde immer lauter, und die aufgekommene Atmosphäre innerhalb des Leichenwagens, machte Evelyn Furcht. Etwas Bedrohliches lag in der Luft. Sie spürte es.

»Meinst du die Tarotkarten? Booker, rede mit mir. Sag mir, was hier los ist!«, versuchte Evelyn erneut, zu Booker durchzudringen.

»… Karten … fehlen …«

»Fehlende Karten? Wie viele Karten fehlen?«

»Finden … Ihr müsst … Karten … finden.«

»Wo, Booker, wo kann ich die Karten finden?« Evelyn presste ihr Ohr dicht ans Radio. Sie musste dringend alles von Bookers Warnung verstehen. Den Kindern drohte wieder einmal von irgendwoher Gefahr, soviel wusste sie unterdessen; was wiederum auch zu Gräulichs Kurzvision nach Shadowisland passte. Doch warum nur, und, von wem? Und was hatten die Karten damit zu tun?

»Kim … in Gefahr …«

»Kim? Kim ist in Gefahr? Wieso? Wer bedroht sie? Und weshalb?«

»… Karten, muss … finden …« Grässliches Krachen folgte seinen Worten. Stille trat ein. Das Radio hatte sich ausgeschaltet. Bookers Stimme war verschwunden. Etwas hatte seinen Weg ins Diesseits unterbrochen.

Hastig fingerte sie an dem Knopf des Radios herum, und versuchte, neuerlichen Kontakt zum Jenseits aufzunehmen. Nicht grundlos war der ehemalige Leichenwagen die Weiche zum Jenseits. Sie setzte sich aufrecht hin. Böse sah sie auf das Radio. Ihre Augen versuchten in das Innere von diesem vorzudringen, hineinzusehen in die Welt, die dahinter lag. Sie versuchte, den Blick zum Jenseits zu erhaschen. Jenem Jenseits, dem sie sich bisher noch nicht gestellt hatte, und auch noch lange nicht bereit sein würde, in dieses hinüber zu gehen. Sie wusste, dass auf der anderen Seite eine Macht stand, der es gelungen war, den Kontakt zwischen ihr und Booker zu unterbrechen. Durch Bookers Worte hatte sie erkannt, dass die Tarotkarten der Schlüssel zu Gräulichs Vision waren. Und auch wenn versucht wurde, sie am Herausfinden des Ganzen zu hindern, sie bisher immer noch nicht wusste, was es mit den Karten auf sich hatte, noch, wer hinter der Bedrohung stand, war die Li Nola dennoch nicht bereit, sich geschlagen zu geben. Drohend erhob Evelyn ihren rechten Zeigefinger in Richtung Radio. Sie kreiste ihren Kopf in alle Richtungen, während ihr Ton herausfordernd war: »Wer immer du auch bist, es mag dir für heute gelungen sein, den Kontakt zu Booker zu unterbrechen, aber ich schwöre dir, wir werden wieder einen Weg finden, um zu Booker Kontakt aufzunehmen.« Evelyns Gesicht war von einer ungemeinen Härte durchzogen. »Merk dir eins, wir werden uns niemals geschlagen geben. Niemals!« Sie bebte vor Wut. So sehr, dass Cemetery Car wie ein Lavendelfeld zu riechen begann. Ihre Gestalt nahm eine drohende Haltung an. »Ich werde herausfinden, wer du bist, und, wenn dieser Tag da sein wird, dann wärst du froh, niemals meinen Namen auch nur gehört zu haben!« Ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Leise, und dicht mit ihrem Mund am Radio, drohte sie: »Kreatur des Schrecklichen, wage es dir nicht, Kim etwas anzutun! Wage es nicht!« Wütend schaltete sie das Radio aus, und öffnete die Tür Cemetery Cars, um auszusteigen. Während sie die Tür des Wagens geräuschlos schloss, lag ein harter Zug um ihren Mund.

Erneut lief sie durch die alten Gassen Frankreichs. Sie lief an der Seine entlang, kam an der Kathedrale St. Claire vorbei. Im Vorbeigehen konnte sie noch den Rock des Priesters sehen, der die Tür der Kathedrale schloss.

Nachdenklich sah sie zu der breiten Kirchentür. Wieso war sie hierher gekommen? Was hatte sie zur Kathedrale geführt?

Evelyn li Nola hatte Kim nur um wenige Minuten verfehlt.

Cemetery Car®

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