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5 – Der Tarot

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»Seht mal, dort hinten. Da scheint ein Trödelladen zu sein. Lasst uns hingehen und sehen, was es dort Schönes gibt«, rief Kim und eilte bereits auf den Laden zu, der versteckt am Ende der engen Gasse lag.

»Folgen wir ihr. Ich bin sicher, dass Kim etwas finden wird, das es dort zu kaufen lohnt«, lachte Quentin, der Kims Vorliebe für alte Sachen kannte.

»Oh ja, lasst uns in einem französischen Trödelladen stöbern! Lasst uns eins werden mit den Dingen der Vergangenheit. Lasst sie uns riechen und längst vergangene Zeiten in unsere Gegenwart fließen«, hielt Madame mit ihrer Begeisterung nicht hinterm Berg, sondern folgte Kim eilig. Allerdings nicht, ohne zuvor Nickels Leine dem Professor in die Hand gedrückt zu haben.

Wie nahe sie dabei der Wahrheit kam, das konnte Madame nicht wissen. Auch nicht, dass in wenigen Minuten die Vergangenheit in ihre Gegenwart fließen würde. Sie in wenigen Minuten auf ihrem Weg begleiten, regelrecht verfolgen würde.

Gräulichs Vision den Anfang ihrer Wahrheit finden sollte …

»Ich bin mir ganz sicher, dass auch Madame in dem Laden fündig werden wird«, lächelte Professor Gräulich, während er sich mühte, die Hundeleine Nickels und die Portraitrolle so zu halten, dass ihm nichts von beidem verloren ging.

Quentin, dem die Hilflosigkeit des Professors nicht entgangen war, nahm, ihm zu Gefallen, die Portraitrolle Madames an sich.

Kim öffnete, ohne lange zu zögern, die Eingangstür des antiken Lädchens.

Eine abgeschabte Glockenkette über der Tür machte auf die Ankömmlinge aufmerksam.

Der Geruch von Räucherstäbchen, orientalischen Düften, und dem Mobiliar vergangener Tage, drang ihnen entgegen. Es war kein unangenehmer Geruch. Im Gegenteil. Bereits der Duft, der durch den Laden zog, vermittelte das Gefühl eine andere Zeitsphäre zu betreten.

Ein kleiner alter Mann kam aus einem der hinteren Zimmer. Mit einem freundlichen Lächeln, und listigen Augen, die hinter seiner Brille hervorschauten, sah er sie an. »Mademoiselle, wie kann ich Ihnen helfen«, fragte er mit gebrochenem Akzent, während er sich Kim zuwandte.

»Vielen Dank. Wir möchten uns eigentlich nur umsehen, wenn Sie nichts dagegen haben«, antwortete Kim.

»Nur zu. Das Umschauen ist mein Geschäft. Wo käme ich hin, würde ich die Kunden sich nicht umschauen lassen?« Mit flinken Augen beobachtete er Kim.

Danach wandte er sich den anderen zu. »Madames, Monsieurs, kann ich Ihnen helfen? Ihnen etwas zeigen? Wofür interessieren Sie sich besonders?«

»Nein danke. Wir würden uns ebenfalls sehr gerne erst einmal etwas umsehen, wenn Sie erlauben«, sagte der Professor, der Nickel, an einer Laterne vor der Tür, angebunden hatte.

»Ist das reizend!«, rief Madame Zink erfreut aus. »Ein Chinesischer Gong! Ist er sehr teuer, Monsieur?« Madame wusste nicht mehr, wie lange es schon her war, seit sie sich das erste Mal mit dem Gedanken getragen hatte, sich einen Chinesischen Gong zuzulegen. Dummerweise hatte sie bisher nur nirgendwo einen finden können. Dass sie hier, in der Altstadt Paris’ auf einen solchen stieß, das konnte nur ein Fingerzeig des Schicksals sein. Ein Fingerzeig, sich endlich einen Chinesischen Gong zu kaufen. Und wäre er nur einigermaßen erschwinglich, würde sie ihn auf der Stelle kaufen. Schon alleine des wunderbaren, dumpf monotonen Klanges wegen. Doch auch das polierte Mahagoniholz, an dem der Gong aufgehängt war, war eine Wohltat fürs Auge. »Was ist das hier eigentlich für ein Laden? Für einen Trödelladen haben Sie viel zu viele erlesene, außergewöhnliche Dinge. Für einen Antiquitätenladen jedoch haben Sie, aus meiner Sicht, zuviel von allem. Zu viele Kleinigkeiten, zuviel Krimskrams, wenn ich das so sagen darf.«

»Mein Lädchen, Madame, es ist von allem etwas. Es gibt hier sehr viele Dinge, zu denen ich durch Zeitungsannoncen gekommen bin, oder aber bei Haushaltsauflösungen ergattert habe. Wieder andere hat mich der Zufall finden lassen.« Er betrachtete sie interessiert, während etwas Geheimnisvolles in seinem Blick lag. »Ich führe auch Einzelexemplare. Dinge, die es nur ein einziges Mal auf der Welt gibt«, strahlte er. »Nun, Madame, wie ist es? Darf ich Ihnen den Chinesischen Gong einpacken? Wenn Sie mich fragen, hat er nur auf Sie gewartet.« Und in seinen Worten lag der Hauch von Vorhersehung. Vorhersehung, Madame und den Chinesischen Gong betreffend.

Madame Zink jedoch war so sehr von dem Gong angetan, dass ihr dies entging. Stattdessen antwortete sie: »Das sagen Sie doch bestimmt allen Ihren Kunden, nicht wahr, Monsieur … Zu dumm, ich habe Ihren Namen gar nicht verstanden.« Madame Zink sah ihn schelmisch an, wusste sie doch, dass er sich ihnen noch gar nicht vorgestellt hatte.

Der alte Mann lachte. Hinter seinen Brillengläsern wanderten seine Augen wieselflink, zwischen den Leuten hin und her. »Pardon, Madame?«

»Ihren Namen, Monsieur, ich habe ihn nicht verstanden«, wiederholte Madame Zink.

»Das wird wohl daran liegen, dass ich ihn noch gar nicht erwähnt habe. Das war wohl sehr unhöflich von mir, so schöne Damen in meinem Laden begrüßen zu dürfen, und dabei ganz zu vergessen, mich ihnen vorzustellen. Hätte ich einen Hut, ich würde ihn jetzt vor Ihnen ziehen«, entgegnete er mit einem verschmitzten Lächeln.

»Der Kerl schmeckt mir nicht, Professor. Der schleimt dermaßen, dass sogar ich aufpassen muss, nicht auf dem seiner Schleimspur auszurutschen«, flüsterte Salvatore Amore dem Professor zu.

»Da müssen Sie sich nichts dabei denken, Salvatore. Das tut er nur, um so viel als nur möglich zu verkaufen«, antwortete der Professor ebenso leise. »Alles nur gespielt. Theater, so eine Art Marketingstrategie.«

Der Ladenbesitzer fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes weißes Haar. Für einen winzigen Moment sah er nachdenklich aus. Geradeso, als müsste er überlegen, ob er sich seinen Kunden vorstellen durfte. »André Destin«, stellte er sich letztendlich doch noch vor. Woraufhin sich auch Madame Zink und die anderen namentlich vorstellten.

Professor Gräulich sah Monsieur Destin prüfend an. Übersetzte er dessen Namen, Destin, dann kam er unweigerlich auf Schicksal. Denn nichts anderes hieß Destin übersetzt.

Zufall? Oder steckte mehr dahinter? Gräulich strich mit den Fingern über die Oberlippe.

Konnte es sein, dass hier alles beginnen sollte? Das, weshalb er eine Vision hatte, damals, kurz nach Verlassen von Shadowisland. Da er die anderen nicht beunruhigen wollte, behielt er seine Gedanken für sich. Es konnte immerhin auch sein, dass dies alles nichts weiter als nur ein bloßer Zufall war.

Während Madame sich noch weiter in dem überfüllten Laden umsah, beobachtete Monsieur André Destin Kim. Er ließ sie nicht aus den Augen. Seine wieselflinken Augen folgten jeder ihrer Bewegungen. Wieder und wieder besah er sie. Und je länger er sie ansah, desto sicherer wurde er.

Der Tarot, sie war es, die ihn zu bekommen hatte. Für sie alleine war er bestimmt.

André Destin atmete tief durch. Er pfiff leise durch die Zähne. Wieder sah er zu Kim, die sich soeben mit einem afrikanischen Teegeschirr befasste. Er musste einen Weg finden, ihr den Tarot zuzuspielen. Sie musste auf ihn aufmerksam werden. Unbedingt. Und von ganz alleine.

Von den anderen unbemerkt, ging er in eines der Hinterzimmer. Er kramte in einer Schublade des alten Sekretärs ganz hinten in der Ecke. Aus einer kleinen Lade zog er einen Schlüssel heraus, steckte ihn in ein unscheinbares Schloss. Es klickte, die kleine Geheimtür des Sekretärs, der nichts anderes als ein nicht augenscheinlich erkennbarer Tresor war, sprang auf. Vor ihm lagen große Tarotkarten. Fast unbenutzt aussehende, sehr alte Tarotkarten. Destin nahm sie an sich. Er ging zurück in den Laden, legte die Karten so auf die Ladentheke, dass Kim unwillkürlich auf sie aufmerksam werden musste.

»Wir sollten so langsam wieder gehen. Ich möchte mir dort drüben an dem einen Stand nämlich gerne noch eine Franzosenkappe kaufen«, unterbrach Evelyn Zink und Kim beim Stöbern.

Kim und Madame reagierten auch sofort. »Ja, sicher. Wir können jederzeit noch einmal hierher kommen. An einem anderen Tag. Immerhin ist dies heute unser erster Urlaubstag, hier in Paris«, lachte Madame, die bereits jetzt schon einige Dinge ins Auge gefasst hatte, die sie sich gerne noch vor ihrer Heimreise kaufen wollte.

Sie verabschiedeten sich von dem Ladenbesitzer Destin. Bereits im Gehen drehte sich Kim noch einmal um. Wie von Magie angezogen, fiel ihr Blick auf den Tarot, der auf der Theke lag. Langsam ging sie noch einmal zurück.

»Kim, wir wollen gehen. Komm jetzt. Du läufst in die falsche Richtung«, versuchte Quentin, sie zurückzuhalten. Doch sie hörte nicht auf ihn. Zielstrebig ging sie zurück zur Theke. Ihre Hand wollte schon nach den Karten greifen, als sie bemerkte, wie unschicklich das war. Mit einem becircenden Lächeln sah sie Monsieur Destin an. »Dieses Kartendeck, darf ich es mir einmal genauer ansehen?«

»Aber bitte, sicher doch Mademoiselle. Jederzeit. Immerzu. Hier, nehmen Sie es. Es wartet nur darauf, von Ihnen genommen zu werden.« Er reichte ihr die Tarotkarten.

Kim nahm sie vorsichtig an sich. Sie hielt sie in ihren Händen, so vorsichtig und behutsam, als wären sie zerbrechlich. Eine Karte nach der anderen sah sie sich an. Als sie auch noch das Bild der letzten Karte angesehen hatte, legte sie den Tarot wieder zurück auf die Theke. Nachdenklich sah sie Monsieur Destin an. »Diese Karten, sie sind sehr ausdrucksstark. Wer sie wohl gemalt haben mag?«

»Wenn Sie das interessiert, Mademoiselle, kann ich gerne versuchen, es für Sie herauszufinden. Geben Sie mir zwei Tage Zeit, bis dahin werde ich mehr wissen«, bot er ihr an.

Dabei verheimlichte er ihr, dass er ihr bereits jetzt schon mehr über den Tarot hätte erzählen können. Doch das wollte er nicht. Nicht jetzt. Nicht hier. Und schon gar nicht heute. Sie würde mehr darüber erfahren, aber erst dann, wenn er den Zeitpunkt für geeignet halten, oder dieser von ganz alleine gekommen sein würde, und keinen Moment zuvor.

»Das würden Sie tun? Sehr freundlich von Ihnen. Dann komme ich in zwei Tagen wieder.« Sie wandte sich zum Gehen.

»Und der Tarot? Möchten Sie ihn nicht haben?«, hielt André Destin sie vom Gehen ab.

Mit sehnsuchtsvollem Blick sah sie zu dem Tarot. »Oh doch, sehr gerne sogar. Doch die Karten, sie sind sehr alt.« Sie schüttelte ihren roten Lockenkopf. »Nein danke, Monsieur Destin, ich kann sie nicht bezahlen. Leider.«

»Bezahlen, Mademoiselle? Wer redet denn vom Bezahlen? Hier, Mademoiselle, hier nehmen Sie den Tarot. Ich schenke ihn Ihnen.« Er hielt ihr das Kartendeck entgegen.

Verwundert sah Kim Monsieur Destin an. »Aber … Ich weiß nicht«, zögerte sie. »Das kann ich doch nicht annehmen«, antwortete sie verlegen.

»Aber sicher doch, Mademoiselle, das können Sie. Wenn Sie mich fragen, dann sind die Karten geradezu für Sie gemacht. Haben Sie es nicht gespürt, als Sie sie in Ihrer Hand gehalten haben?«

»Wie?« Sie hörte in sich und nickte dabei. »Doch, jetzt, wo Sie es sagen ...« Kim hielt inne. Ihr war das eigenartige Kribbeln in ihren Fingern nicht entgangen, als sie die Karten des Tarots in ihren Händen gehalten hatte. Doch sie hatte nicht weiter darauf geachtet, noch sich etwas dabei gedacht. Doch jetzt, nachdem Destin sie darauf aufmerksam gemacht hatte …

Sie spürte es tatsächlich. Den Tarot und sie verband etwas. Wie ein unsichtbares Band, lag etwas zwischen ihnen. Auch wenn Kim noch nicht zu sagen gewusst hätte, was genau der Verbindungspunkt war.

Ein Lächeln legte sich in ihr mit Sommersprossen bedecktes Gesicht. Bisher hatte sie mit Wahrsagekarten recht wenig im Sinn gehabt. Doch diese hier, sie schienen etwas Besonderes, Einzigartiges zu sein.

Dankend nahm sie die Tarotkarten an, und verließ mit den anderen den Laden Monsieur Destins.

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