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4 – Das Portrait

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Nach dem Frühstück machten sie sich gemeinsam auf den Weg, die Altstadt Paris’ zu erkunden.

Zink war angetan von den vielen Geschäften, die es in diesem Teil der Stadt gab. Auch faszinierte sie das Altaussehende der Geschäfte. Doch nicht nur Geschäfte erregten ihre Aufmerksamkeit. Auch die Straßenmaler, die mit bunter Kreide farbenfrohe Bilder auf die Pflastersteine der Trottoirs malten, oder Portraits von Passanten zeichneten.

»Madame! Bleiben Sie stehen! Bitte. Erlauben Sie mir, Ihr natürliches Naturell in einem Bild festzuhalten. Ihre Schönheit mit meinen Augen aufzufangen und auf Papier zu bringen. Madame, ich möchte Sie malen. Ich muss Sie einfach malen.« Sein Charme traf sie. Er setzte alles daran, sie zu betören. »Meine Finger gieren danach, Ihren Liebreiz für immer auf dem Papier festzuhalten.« Sein Blick war beinahe flehend, als er ihn auf Zink richtete. »Ich muss Sie zeichnen. Unbedingt!«, rief ihr ein junger, gut aussehender Franzose zu. »Er schleuderte ihr in einer hilflosen Geste, die Hände entgegen und zeigte auf seine kribbelnden Finger. »Es ist schon beinahe, wie ein Zwang«, setzte er dazu an, sie zu überreden, nachdem er ihr Zögern bemerkte.

»Na los, Zink, nur keine Hemmungen! Geh hin und tu dem Jungen den Gefallen. Lass dich portraitieren, dann wirst du immer eine Erinnerung an deinen Urlaub in Paris haben«, forderte Evelyn sie auf.

Auch die anderen hielten es für einen guten Einfall, dass Madame Zink sich malen lassen sollte, zumal sie in ihrem Zuhause eine Vielzahl an Bildern hängen hatte, da würde ein Portrait von ihr persönlich, ihrer Sammlung noch ein Zusätzliches, eine persönlichere Note verleihen.

Von den anderen überredet, saß sie dem Straßenmaler Modell. Der junge Mann begann voller Begeisterung mit dem Zeichnen, wofür er einen Skizzierstift verwendete. Seine schwarzen Haare fielen ihm in die Stirn. Immer wieder radierten seine Finger Zeichenstriche aus. Als er mit dem Portrait zu Ende war, reichte er es mit strahlendem Lachen, Madame.

Doch als sie die Zeichnung sah, hatte sie Mühe, an sich zu halten. Ihr Gesicht verzog sich, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

Evelyn, die über Madames Schulter blickte, begann unweigerlich zu lachen; und Professor Gräulich hüstelte verlegen. Salvatore Amore ließ nur ein vorsichtiges »Oh, oh«, hören, wusste er doch, wie reizbar Zink werden konnte, wenn es um seine Person ging. Und das Bildnis, das der Straßenmaler von Madame gezeichnet hatte, diente mit Sicherheit nicht dazu, sie freundlicher zu stimmen.

Auch Kim und Quentin sahen sich betreten an. Wie konnte er nur? Was hatte sich der Maler nur dabei gedacht, sie so zu malen? Wo sollte die Ähnlichkeit von Madame Zink zu diesem Portrait sein?

Sie biss sich auf die Lippen, und quetschte gefährlich leise hervor: »So sehen Sie mich?«

»Ja, Madame! Es trifft Ihr ganzes Naturell. Ich habe auch nicht versäumt, Ihren persönlichen Charme mit einfließen zu lassen«, freute sich der Maler, dem die Entrüstung Zinks entgangen war.

»Mein persönlicher Charme? Für wen oder was halten Sie mich? Für siebzig? Für des Teufels Großmutter?« Ihre braunen Augen verdunkelten, dermaßen wütend war sie. Sie zerrte ihren Hund an der Leine zu sich heran. »Nickel, wir gehen!«

Der Straßenmaler schaute ihr verdutzt nach. Fragend sah er den Professor an. »Warum gefällt es ihr nicht? Ich habe mir doch so viel Mühe gegeben, ihr Wesen, ihren Charme, und ihr natürliches Naturell, in dem Portrait einzufangen.«

»Wie soll ich sagen«, Professor Gräulich räusperte sich verlegen, während sein Blick nach wie vor auf dem Portrait ruhte. Er hatte keine Ahnung, wie er dem Mann Zinks Reaktion erklären sollte, ohne dessen Gefühle zu verletzen. Und es reichte doch schon, dass Madame eingeschnappt und beleidigt war. Da brauchte es nicht auch noch den jungen Franzosen.

Salvatore konnte es sich nicht verkneifen, zu grinsen. Belustigt sah er den Straßenmaler an. »Vielleicht zu viel natürliches Naturell? Ein wenig eigentümlicher Charme?«, fragte er den Franzosen, dem wieder die Ironie der Worte entgangen war.

Gräulich blickte den jungen Mann nachdenklich an. »Ähnlichkeit? Nun ja, die hohen Wangenknochen …, möglicherweise. Doch das Gesicht, es ist viel zu sehr maskulin. Es hat nicht die Weichheit, die das Gesicht einer Frau ausmacht. Die Augenbrauen, die sind Ihnen gelungen. Aber, wenn Sie mich um meine persönliche Meinung fragen, dann ist es auch das Einzige, das an Madame erinnert. Ähnlichkeit mit ihr hat.«

»Kaufen Sie es, Professor. Zink kann es für ein Cover nehmen. Wer weiß, vielleicht macht sie aus ihrem Portrait ja sogar einmal einen Roman.« Evelyn blickte auf die Zeichnung. »Das Scheusal wäre ein passender Name dafür. Dazu würde sich die Zeichnung hervorragend eignen. Los, Professor, kaufen Sie es schon! Wer weiß, wofür es gut sein wird. Außerdem will ich auch noch mehr von der Altstadt sehen, als nur dies hier.« Sie blickte sich suchend um. »Jetzt sehen Sie nur, wie weit die Zink schon weg ist. Auf jetzt, avanti. Geben Sie dem jungen Mann ein paar Penunzen. Danach nehmen Sie das Bild und lassen uns endlich gehen!«, forderte ihn Evelyn energisch auf. Gleich danach folgte sie in raschem Tempo Madame Zink. Als sie sie eingeholt hatte, sagte sie: »Nimm’s nicht so tragisch, Zink. Nicht jeder kann malen, was er sieht.«

»Malen? Dieses Bild hat nichts mit mir gemeinsam. Mit etwas Wohlwollen kann ich gerade noch so die Augenbrauen durchgehen lassen. Aber das war’s auch schon! Mein Portrait, wie der Kerl es nennt, ist nichts als eine absolute Frechheit. Eine Beleidigung an meine Person«, schimpfte Zink.

»Sei friedlich, Zink. Der Professor kauft es für dich. Freu dich wenigstens ein klein wenig.« Sie schmunzelte verschmitzt. »Wenigstens dem Professor zuliebe.«

»Wie bitte? Er kauft es? Für mich? Ich fass es nicht!«, erzürnte sich Madame. »Will er sich mit mir anlegen?«

»Nein, er schenkt dir etwas, worüber du irgendwann einmal lachen wirst.«

»Oh ja, ganz sicher«, antwortete Zink zerknirscht.

»Am besten hängst du es gleich in den Flur, dass es jeder sehen kann«, schlug Evelyn, sanft lächelnd, vor.

»Zur Abschreckung, willst du das damit andeuten? Dass jeder gleich die Flucht ergreift, der mich besuchen kommt? Hervorragender Gedanke«, ereiferte Zink sich wutschnaubend.

»Nein, um zu zeigen, dass du über den Dingen stehst. Um zu zeigen, dass du sehr wohl weißt, wer du bist, und, wie du aussiehst. Und, dass du genau aus diesem Grund, über die Größe verfügst, dieses schrecklich-hässliche Bild sogar in deinem Eingangsbereich aufzuhängen.« Sie lachte amüsiert. »Genau dort, wo es auch jeder sehen kann.«

»Wie du meinst, Evelyn. Wenn ich schlechte Laune brauche, gehe ich am besten zu dem Portrait«, bei dem Wort Portrait würgte sie, »und so wie ich es mir ansehe, steigt mir die Galle von ganz alleine. Aber bitte, da ich weiß, wie ich aussehe, auch zu meinen Alterdilemmas stehe, werde ich dir den Gefallen tun und das hässliche Teil aufhängen. Aber hier, hier in Frankreich, will ich dieses potthässliche Ding nicht mehr zu Gesicht bekommen müssen, merk dir das, Evelyn! Und jetzt will ich kein Wort mehr darüber hören. Ich will jetzt die Stadt, Paris, genießen. Zudem möchte ich durch die Läden streifen, wer weiß, worauf wir dabei stoßen.« Sie zog Evelyn mit sich fort. Bei dem Gedanken an schöne alte Dinge, diese zu finden und womöglich käuflich zu erwerben, war sie bereits wieder versöhnlicher gestimmt.

Die anderen waren unterdessen nachgekommen. Professor Gräulich trug den Stein des Anstoßes, zu einer Rolle aufgerollt, unter seinem Arm. Auch er war der Meinung, dass das Portrait eine einzige Beleidigung, Zink gegenüber war, auch wenn der Maler es noch so gut gemeint haben mochte. Ähnlichkeit mit Madame wies es nur sehr bedingt auf. Und das Wenige, das auf Ähnlichkeit schließen ließ, konnte nicht gutmachen, was der Rest ihr antat.

Und auch, wenn Madame wusste, wie es war, wenn ein Bild einmal nicht so wurde, wie zuvor erhofft, da auch sie malte, ärgerte, entrüstete sie sich dennoch über dieses Portrait.

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