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16 – Das Arkadenfest

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Kim betrachtete die Kornblumenfelder, die rechts und links von der Landstraße lagen. Nachdenklich sah sie Quentin an. Schon lange beschäftigte sie eine Frage, die zu stellen, sie sich bisher nicht gewagt hatte.

»Was ist los, Kim? Seit wir losgefahren sind, hüllst du dich in Schweigen. Bedrückt dich etwas? Wenn es darum geht, dass wir ohne Gräulich und Madame gefahren sind, dann kann ich dich beruhigen. Bisher ist noch gar nichts passiert, das einen Grund zur Besorgnis geben könnte.«

»Nein, das ist es nicht, Schatz. Zumindest ist es nicht das, worüber ich nachdenke.«

»Was ist es dann, das dich so schweigsam hat werden lassen.«

»Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen kann. Du …, du bist mitunter so eigenartig, wenn es um solche Dinge geht.«

»Solche Dinge? Um was geht es denn überhaupt, Kleines?«

»Erinnerst du dich noch daran, dass Bertram gesagt hat, dass Syra von Burgen und ich miteinander verwandt sind, waren, wie auch immer du das ausdrücken möchtest?«

»Sicher kann ich mich noch daran erinnern. So lange liegt das nun auch wieder nicht zurück, Liebes.«

»Wie kann das sein, Quentin? Wie können Syra von Burgen und ich miteinander verwandt sein, wenn ihre ganze Familie zu Tode gekommen ist? Wie kann es da sein, dass wir, auch wenn uns Jahrtausende getrennt haben, aus einer Ahnenreihe kommen sollen?« Kim sah Quentin nachdenklich an.

Er lächelte, als er für den Buchteil einer Sekunde, den Blick von der Straße nahm und sich ihr zuwandte. »Kim, Kleines, wer weiß, vielleicht hatte Syra von Burgen eine Tante, dass du von daher mit den Von Burgens verwandt bist. Oder es gab noch eine Schwester oder einen Bruder, von dem wir nichts erfahren haben.«

»Glaubst du?«

»Es ist nicht von Wichtigkeit, was ich glaube oder auch nicht. Fakt ist, dass es für mich keinen ersichtlichen Grund gibt, weshalb Bertram so etwas hätte sagen sollen, wenn das Ganze gar nicht der Wahrheit entspräche. Und dabei, Kim, würde ich es auch belassen.«

»Ja, du wirst wohl Recht haben.« Sie schwieg. Als sie fragte, vibrierte ihre Stimme: »Ob wir jemals darauf eine Antwort erhalten werden?«

»Wenn du darauf eine Antwort zu erwarten hast, dann, da bin ich mir ganz sicher, wird das auch geschehen. Irgendwann einmal. Vielleicht sogar dann, wenn du schon gar nicht mehr daran denkst.«

Quentin lenkte Cemetery Car durch die idyllische Straßen Frankreichs. Solange, bis sie an eine Kreuzung kamen, die, mit Ausnahme von einer Fahrtrichtung, in alle anderen Richtungen gesperrt war. Er bremste, blieb an der Kreuzung stehen. »Was jetzt, Kim? Zurück, oder den einzigen Weg fahren, der uns bleibt?«

Kim sah sich um. Der Himmel war strahlend blau. Nichts wies auf Gefahr hin. »Lass uns weiterfahren, jetzt, da wir schon einmal hier sind. Wer weiß, wohin der Weg uns führen wird.«

»Keine Angst, dass dies wieder ein schlechtes Omen sein könnte, Kim?«

»Du sollst dich nicht immer über mich lustig machen, Quentin. Du weißt ganz genau, dass die Dinge der Vergangenheit, waren, wie sie waren. Außerdem, wer sagt dir denn, dass die vorgegebene Fahrtrichtung nicht auch ein gutes Omen bedeuten kann? Omen müssen nicht unwillkürlich böse sein, nur weil es sich um Omen handelt. Hast du das nicht gewusst, Schatz?«

»Sicher weiß ich das. Aber deshalb brauchen wir uns nicht vor jeder Einbahnstraße oder einem trüben Himmel zu fürchten. Nein, Süße, sag jetzt nichts. Ich weiß sehr wohl, dass du dich öfter fürchtest, als du es mich wissen lässt. Ich habe immerhin Augen im Kopf. Nur, weil ich nichts sage, heißt das noch lange nicht, dass mir gewisse Dinge nicht auffallen.« Er streichelte ihr zärtlich über die Wange. »Sieh doch nur einmal Gräulichs Vision unsere Reise nach Frankreich betreffend. Nichts davon hat sich bisher bestätigt, Kim. Rein gar nichts.«

»Nein, nichts davon. Bis jetzt noch nicht«, antwortete Kim leise, die Quentin nach wie vor nichts von ihren Träumen, noch von den Warnungen Pater Pascals erzählt hatte. Sie hatte den Tarot in den kleinen Wandsafe ihres Zimmers im Le Petite gelegt, und gehofft, dass sie damit ihren Träumen ein Ende setzen konnte. Sie wusste nicht weshalb, doch seit sie die Tarotkarten in ihrem Besitz hatte, verfolgten sie diese quälenden Träume. Träume, in denen immer wieder körperlose Hände nach ihr griffen. Doch Quentin davon zu erzählen, war unsinnig. Wenn, dann hätte sie mit dem Professor darüber reden müssen, doch diesem ging es leider nicht gut, so dass sie bisher keine Möglichkeit hatte, sich ihm, oder irgendjemandem, anzuvertrauen. Auch Tante Evelyn hatte sie nicht mehr gesehen. So hatte sie auch ihr nicht ihr Herz ausschütten, ihre Besorgnis mitteilen können. Wenn sie wieder zurück sein würden, dann würde sie zu Monsieur Destin gehen, vielleicht hatte er unterdessen über die Tarotkarten etwas in Erfahrung bringen können. Doch bis dahin würde sie Quentin gegenüber schweigen, ihm nichts erzählen, von dem, was sie bedrückte.

Sie fuhren die Straße entlang. Am Dorfanfang hing ein Transparent aus Stoff, auf dem in großen, roten Buchstaben das Wort Arkadenfest geschrieben stand.

»Arkadenfest? Was das wohl ist?«

»Lass es uns herausfinden, Kim. Sieh, dort ist ein kleines Gasthaus. Halten wir doch einfach an, gehen eine Kleinigkeit essen, und hören einmal, worum es sich bei dem Arkadenfest handelt.«

»Okay, finden wir es heraus.«

Kim sah auf das verwitterte Schild des kleinen Landgasthauses. In abgeblätterten Buchstaben war das Wort Bremedelle zu lesen.

»Bremedelle, was dieser Name übersetzt, wohl bedeuten mag?«

Quentin ließ den Namen des Gasthauses in sich klingen. »Nichts, Schatz. Es wird einfach nur ein Name sein. Nicht alles muss eine Übersetzung haben. Wozu auch, Kim?«

»Es war nur so ein Gedanke, mehr auch nicht. Lass uns aussteigen und nachschauen, wie es innerhalb des Gasthauses aussieht. Vielleicht haben sie auch ein Gartenlokal mit dabei, so dass wir im Freien sitzen können.«

Sie durchschritten den kleinen, einfach eingerichteten Gastraum, und sahen ein Schild, das den Weg zum Gartenlokal auswies. Kurzentschlossen suchten sie sich dort einen Platz. Gleich darauf kam eine bäuerliche Kellnerin, Quentin vermutete, dass es die Wirtin selbst war, und fragte nach ihren Wünschen, während ihre roten Wangen glänzten, als hätte sie sie soeben frisch eingecremt.

Nachdem die beiden bestellt hatten, entfernte sich die mollige Frau dienstbeflissen. Es dauerte nicht lange und sie kam mit dem Gewünschten zurück. Während Quentin und Kim aßen, stand an einem anderen Tisch ein Mann, Mitte dreißig, auf und kam auf ihren Tisch zu. Mit einem entschuldigenden Lächeln sah er die beiden an. »Pardon, wenn ich störe, doch ich fühle mich in der Pflicht …« Ein Blick auf Quentins hochgezogene Augenbraue, ließ ihn verstummen. Besorgt betrachtete er Kim. »Mademoiselle, Sie wissen, wovon ich rede, nicht wahr?«

»Wie bitte? Was soll sie wissen? Wovon redet der Mann, Kim? Seid ihr euch schon einmal begegnet?« Quentin sah erstaunt von dem Fremden zu Kim, und wieder zurück zu dem Fremden.

»Nein, wir kennen uns nicht, Monsieur. Sie müssen mich mit jemandem verwechseln«, antwortete Kim freundlich.

»Ach so ist das. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können«, kam es erleichtert über Quentins Lippen.

»Wie Sie meinen. Dürfte ich mich dennoch zu Ihnen setzen und Ihnen etwas über das Arkadenfest berichten?«

»Warum auch nicht. Oder Kim? Warum nicht einmal einen ganz normalen Gast an unserem Tisch haben. Ist doch etwas ganz anderes als den Platz immer mit einem Geist, oder gar einem Dämon teilen zu müssen«, flüsterte er Kim zu.

Sie nickte, lächelte dem Mann zu und bot ihm an, Platz zu nehmen.

Er nickte ebenfalls freundlich, fast erleichtert. Er setzte sich auf einen Stuhl und gab der Wirtin ein Zeichen ihm noch ein neues Glas Wein, wie auch für Kim und Quentin, zu bringen. Danach sah er Kim an. »Das Arkadenfest, es ist zweideutig. Zum einen bitten die Bauern darum, dass der Sommer ihnen einen ernteträchtigen Herbst bereiten mag. Es erinnert fast, aber auch nur fast, an das Erntedankfest. Doch das Arkadenfest kann auch ein Vorbote, ein Zeichendeuter, sein, wenn die richtigen Menschen an diesem teilnehmen«, erklärte der Fremde geheimnisvoll.

»Zeichendeuter? Was wollen Sie damit sagen, Monsieur?«

»Dass es Menschen gibt, die von einer Aura umgeben sind. Einer Aura, die nur für einige auserwählte Menschen sichtbar ist.«

»Und Sie wollen so ein Mensch sein? Ein Auserwählter.« Quentins Wangenknochen knackten. Konnten sie denn nirgendwo hinfahren, ohne dass sie jemandem begegneten, der ihnen nach dem Leben trachtete, oder der sie warnen wollte? Was war nur aus ihrem einfachen, normalen Leben geworden? »Einer von denen, die die Aura eines Menschen sehen können?«, kam es beinahe tonlos von Quentin.

»Ja, das bin ich. Ich kann die Aura Mademoiselles sehen. Ich spüre, dass ein Schatten der Vergangenheit sich an sie geheftet hat.«

»Oh nein! Wer? Was will dieser Schatten von mir? Und warum ausgerechnet ich?« Kim nahm das Glas Wein und trank einen gierigen Schluck. Ihre Finger zitterten, während sie sich eine Zigarette aus ihrem Etui holte. Der Fremde gab ihr Feuer, während er sie mit seinen dunklen Augen ansah.

»Weil Sie hier mit der Vergangenheit zusammengetroffen sind. Einer Vergangenheit, die seit mehr als einem Jahrhundert auf Sie gewartet hat.«

»Aber …« Kim war den Tränen nahe. Sie durchlebte im Bruchteil einer Sekunde erneut ihre Träume, hörte noch einmal Pater Pascals Warnungen. Und nun dieser Fremde. Auch er wollte sie warnen. Warnen vor dem Schatten der Vergangenheit. Doch was, wer, war dieser Schatten? Warum tauchte er ausgerechnet jetzt und hier in ihrer Gegenwart auf?

War das der Grund, weshalb sie nach Frankreich hatten kommen müssen, weil es hier einen Vergangenheitsschatten gab, der nur auf sie, Kim, gewartet hatte?

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