Читать книгу Was wäre, wenn ... - Angelika Rohwetter - Страница 41
3.2 Glaubenssätze
ОглавлениеSchon bevor wir auf die Welt bekommen sind, hatten die Eltern ein Bild von uns und Wünsche, wie wir werden sollen. Dieses Bild, das die Eltern von uns haben, ist wichtig, es setzt uns in dieses als Mensch ein, als Subjekt mit Aussehen und Eigenschaften. Schwierig wird es erst, wenn die Eltern an ihrer Imagination festhalten. Dann setzen sie dem heranwachsenden Kind nach ihrem Bild Regeln und Grenzen, die seine Individuation behindern.
Wir sind alle mit bestimmten Sätzen aufgewachsen, wie wir sind, wie wir zu handeln haben und wie die Welt ist. In diesen angeblichen Sicherheiten, die durch Zuweisungen entstanden sind, internalisiert wurden und sich zu Selbstbild und Rollenselbstverständnis entwickelt haben, steckt oft tiefes Leid. Dabei geht es oft um Gefühle wie Schuld, Scham und Insuffizienz. Auf eine kurze Formel gebracht, könnte es so heißen: »Ich bin nichts, ich kann nichts und alle wissen das, und deshalb kann mich niemand leiden.« Es gibt verschiedene Arten dieser Zuschreibungen und den daraus folgenden Glaubenssätzen: Mit Worten und Gesten wird dem Kind schon deutlich gemacht, dass es so, wie es ist, nicht richtig ist. Es ist zu laut, zu albern, zu klein, zu schwach. Hier wird eine Grundlage gelegt, auf die oft in der Pubertät aufgebaut wird. Besonders unwiderlegbar sind körperliche Entwertungen: zu dick, Haare zu dünn, Haltung schief. Ein Patient litt unter der häufigen Korrektur seines Vaters: »Geh gerade, du gehst wie ein Bauer.« Wobei ihm der Vater auf dem Weg zur Kirche die Spitze seines Regenschirmes in den Rücken bohrte. Dieses Bild benutzten wir in der Therapie als Fokus ( Kap. 3.1). Mit den gleichen Empfindungen wie bei den Zurechtweisungen durch seinen Vater nahm der Mann jede noch so vorsichtig geäußerte (und berechtigte) Kritik auf, besonders, wenn sie von seiner Frau oder seinem Vorgesetzten kam. Aktualisiert und in den Fokus gebracht wurde diese Geschichte in der Therapie, als ich ihn darauf hinwies, dass er zum wiederholten Mal zu spät gekommen war.
Andere Zuschreibungen erwachsen daraus, wie man sein Leben gestaltet: »Du hast den falschen Beruf, das ist doch brotlose Kunst«, »Willst du wirklich diesen Mann heiraten? Der kann dir doch nicht das Wasser reichen.« Es gibt unzählige Möglichkeiten, ein Kind zu kränken und die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls zu verhindern. Natürlich entstehen auf diesem Hintergrund auch Gefühle von Aggression und Hass ebenso wie die narzisstische Leere. Die Form der Glaubenssätze, die vorgibt zu wissen, wie die Welt ist, zeigt sich oft in einem Übertragungsmodus, in Neid oder der Spiegelung des rigiden Über-Ichs, denn so tun sie am wenigsten weh: Nicht an mir ist etwas falsch, sondern die anderen sind schuld, und das Leben ist sowieso ungerecht.
Im Laufe der Anamnese und der anschließenden Zusammenarbeit stoßen wir immer wieder auf solche Sätze: »Etwas ist falsch an mir«, »Ich mache etwas falsch.« Diese Selbstzweifel und -entwertungen beziehen sich auf alle Rollen, die wir im Leben einnehmen: als Berufstätige, Elternteil, Freundin, Partnerin oder Kind. Den Sätzen auf die Spur zu kommen, erfordert eine ebenso behutsame und geduldige Arbeit wie die das Auffinden ihrer Hintergründe und der Gefühle, die mit diesen schmerzhaften Gedanken verbunden sind. Wie das gehen kann, möchte ich an folgendem Beispiel erläutern: