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14 Günter Grass

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Moni wünschte sich zu Weihnachten Grass’ Novelle „Katz und Maus“. Für alles, was sie schon für mich getan hatte, fand ich das als Weihnachtsgeschenk ein bisschen mickrig. Da Geld Mangelware war, kam ich auf die Idee, den Autor um eine Widmung zu bitten. Nicht so einfach, wie es sich anhört. Mir fehlte die Zeit, den ganzen Tag irgendwo herumzuhängen, um auf das Erscheinen des Meisters zu warten. Es bedurfte mehrerer vergeblicher Versuche, bis mir das Glück hold war. Ich erwischte ihn im „Zwiebelfisch“.

Da saß er der „große Grass“, dunkelhaarig, schnauzbärtig und lesend an einem Tisch. Vor sich eine Flasche Rotwein, in der Hand eine Zigarette. Schätzungsweise im Alter meiner Mutter, etwa vierzig. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war ihm gerade nicht nur eine Laus, sondern eine ganze Läusearmee über die Leber gelaufen. Ich räusperte mich dezent, um mich bemerkbar zu machen. Er ließ sich Zeit damit, seinen Blick von der Zeitung zu lösen, um mich ausgiebig zu taxieren. Von oben bis unten und zurück, herablassend, so dass ich mich am Liebsten gleich wieder verkrümelt hätte. Ich fühlte mich wie eine Kakerlake, kurz bevor der Fuß sich auf sie nieder senkt, um sie zu zermalmen. Schon dabei den Rückwärtsgang einzulegen, fiel mir ein, dass ich „jemanden mustern“ auch ganz gut beherrschte. Also Kraftprobe, wie bei Muttern. Blick aufwärts, Blick abwärts, Blick aufwärts. Ehe ich den Mut verlieren konnte, Buch auf den Tisch, direkt vor die große Nase. Bitte um Widmung, knapp formuliert „für meine Freundin Moni als Weihnachtsüberraschung“.

Seine Miene taute auf, eine winzige Spur weniger frostig. Ging doch. Offensichtlich gefiel es ihm, wenn man seine Bücher zu Weihnachten verschenkte. Grass wies auf den Stuhl ihm gegenüber, fragte wie ich heiße und was er schreiben solle. Er entnahm der Innentasche seines Tweedjacketts einen Füllhalter und malte wohl ausformulierte Worte auf die erste Seite. Zwischendurch zeigte er auf die Weinflasche „?“ Ich schüttelte den Kopf, bat um einen Kaffee, zündete mir ebenfalls eine Zigarette an. Als er fertig war, klappte er das Buch zu, schob es mir hin und fragte „Hast du es gelesen, Anna?“ Er dehnte meinen Namen in die Länge, als wäre es ein Bubblegum und er im Begriff eine Riesenblase zu kreieren. Mir passte gar nicht, dass dieser dünkelhafte Kerl mich duzte. Ich nickte trotzdem. „Wie fandest du es?“

„Skurril und manchmal reichlich deftig.“ Das Eis bröckelte. Er bestellte mir ungefragt den nächsten Kaffee. Mal sehen, wie er reagierte, wenn ich ihn duzte. „Ich habe auch deine „Blechtrommel“ gelesen“.

„Und?“ Das Du störte ihn offensichtlich nicht.

„Ich musste es zweimal lesen. Beim ersten Mal verstand ich es nicht ganz«, gab ich zu. Er beugte sich mir entgegen. Es schien ihn zu interessieren, was ich zu sagen hatte. „Man muss sich an die Art deines Erzählstils erst gewöhnen. Sie ist surreal und stellenweise ziemlich widersprüchlich.“

Ich kaufte fast alle meine Bücher „secondhand“. Mir fiel ein, dass in diesem ein Zeitungsausschnitt gelegen hatte. Eine Kritik von Reich-Ranicki, diesem alten Giftnickel. „Und?“, fragte er erneut.

„Er hat es nicht ganz so zerrissen, wie andere.“ Das erheiterte ihn. Ich traute mich, zu fragen: „Warum warst du vorhin erst so grantig?“

Grass schenkte sich noch einen Wein ein. Dieses Mal lehnte ich das mir angebotene Glas nicht ab. Er erzählte mir, dass er das Geschehen in Griechenland verfolge, da seine Frau Anna Margareta mit einer griechischen Schauspielerin befreundet sei. Anna Margareta, ich fasste es nicht. Meine Großmutter hieß Anna Elisabetha Margareta. Auf die drei Annas stießen wir zuerst an. Und dann nochmal „Prosit“ auf zwei Margaretas.

Als ich kam, hatte er gerade gelesen, dass der Putschversuch König Konstantins II. und seiner „großen“ Militärjunta gescheitert war. Für die Freundin bedeutete das, dass sie erst einmal nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnte. Grass war davon überzeugt, dass die Amerikaner hierbei die Hände mit im Spiel gehabt hatten, vertraute er mir an. Ich hatte von der politischen Lage Griechenlands wenig bis gar keine Ahnung. Von Konstantin wusste ich nur, dass er mit einer dänischen Prinzessin verheiratet war und bei den Olympischen Spielen eine Goldmedaille gewonnen hatte. Wofür und wann? Keine Ahnung. Und diese Schauspielerin? Die lag nicht auf meiner Wellenlänge.

Vom griechischen Putsch kamen wir zum Schahbesuch im Juni dieses Jahres. Dadurch zum Tod Benno Ohnesorgs, den Günter als „erstes politisches Mordopfer der BRD“ bezeichnete und das Geschehen „als nicht ganz astrein“. Ganz meine Rede. Dabei lag er mit den Methoden, mit denen die Studenten ihrem Unmut Luft machten über Kreuz. Er kritisierte aber auch heftig den Springerverlag, der mit fanatischem Eifer gegen die Studenten hetzte.

Am Abend ließ er die Bedienung kommen, fragte, was es heute zu essen gäbe, bestellte zweimal Backfisch mit Bratkartoffeln, dazu eine weitere Flasche Rotwein. Mittlerweile hatten wir uns angefreundet, ohne es recht zu merken. Ich erzählte ihm, dass ich aus einer echten »Rote-Socken-Familie« stammte, schon seit Urgroßväter Zeiten, die aus Überzeugung die SPD wählte. Damit brach das Eis endgültig. Grass stellte sich als Freund Willy Brandts vor. Er schenkte mir zum Abschied ein Gedichtbändchen mit Eselsohren, das er aus einer seiner Jaketttaschen hervorzauberte und mit einer kleinen Widmung versah. Außerdem lud er mich zu einer Lesung ins Kino Capitol ein. Moni durfte ich mitbringen.

Wir begegneten uns öfter ehe ich Berlin verließ. Er wurde zum hilfsbereiten Kumpel, als ich eine schwierige Zeit überstehen musste. Später telefonierten wir mehrmals miteinander. Als ich ihn zu der Wiedervereinigungseuphorie befragte, sagte er „So geht das in die Hose“. Damit behielt er, nicht nur meiner Meinung nach, Recht.

1992 sah ich ihn auf der Frankfurter Buchmesse, wo wir bei einem Mittagessen Zeit für ein ausführliches Gespräch fanden. Das letzte Mal traf ihn persönlich ebenfalls in Frankfurt, auf der Buchmesse 2009, die ich mit einem Freund besuchte. Ich konnte nie den Wirbel um seine Zugehörigkeit zur SS verstehen. Grass war damals 17 Jahre alt. Im gleichen Alter wie mein Vater, den man ebenfalls zur SS einzog, auf den letzten Drücker ab nach Frankreich. Hitlers Kindersoldaten, die von Kindesbeinen an nur die NS-Ideologie kannten. Der Kernpunkt bestand für mich im geistigen Missbrauch von Minderjährigen. Wenn ich den Erzählungen meines Vaters lauschte, konnte ich nicht erkennen, dass die Jungs viel Spass bei ihren Einsätzen empfanden. Und Papa hielt auf diesem Abschnitt seines Lebens auch den Deckel drauf. Schließlich war er Regierungsdirektor. Ich unterhielt mich mit Grass darüber als mein Vater, ebenfalls ein »Günter«, 1995 starb.

Es ging mir sehr nahe, als ich 2015 von Grass’ Tod erfuhr. Ich schließe mich der Bitte aus einem Nachruf an: Trommle für ihn kleine Oskar.

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