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7 Beste Freunde

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Ich lernte Claus zu Beginn meiner Ausbildung kennen. Er hatte ursprünglich in Berlin Chemie studiert, sattelte jedoch um, weil er in einigen Jahren das Hotel seines Onkels übernehmen sollte.

Ich fand in ihm den großen Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte. Stattdessen drückte man mir nur ein nerviges Brüderchen aufs Auge. Gemeinsam mit Jeannine, seiner Verlobten, löste er mich Schritt für Schritt aus meinem familiären Umfeld heraus. Er verhalf mir zu einem Personalzimmer in unserem Ausbildungsbetrieb und fälschte geschickt meine Dienstpläne. Meine Mutter verlor bald den Überblick. Anfängliche Wut- und Gewaltausbrüche liefen mehr und mehr ins Leere. Ich lieferte gute Arbeit ab, daher standen auch meine Vorgesetzten hinter mir. Was immer sie unternahm, es fruchtete nicht. Ich hatte zum ersten Mal wieder Ruhe vor ihr.

Die Großmütter freuten sich von Herzen, als ich in den beiden jungen Menschen Freunde und Unterstützer fand. Sie selber kamen langsam in ein Alter, in dem ihnen die „neue Jugendkultur“ über den Kopf wuchs. Obwohl sie allem höchst aufgeschlossen gegenüberstanden. Jeannine betrachtete mit Abscheu die altbackenen Klamotten, in denen meine Mutter mich auf die Straße schickte. Sie plünderte ihren Kleiderschrank für mich und den ihrer Schwester gleich mit. Jeans und Superminikleidchen, die zu der Zeit dazugehörten, zu Hause aber auf dem Index standen. Ich brach in Jubel aus, als mir der Spiegel einen flotten Teenager der 60er/70er Jahre präsentierte.

Da Jeannine im Elsass arbeitete, hatte Claus oft Zeit für mich. Er zog mit mir um die Häuser, nahm mich mit ins Kino, zu Konzerten oder zum Tanzen. Die Mannheimer Ringstuben, ein provinzielles Pendant zum Hamburger Starclub, standen damals hoch im Kurs. Viele der Bands, die live dort auftraten, kannte er privat. Die Rainbows, die Rattles, die Lords ... Leute, die er in Berlin getroffen hatte. Man kann heute kaum mehr glauben, dass wir zu „My Baby, Baby balla, balla..“ wie irre herumhopsten und uns total cool vorkamen.

Claus legte die Bedingungen für unsere Ausflüge fest: Keine Drogen, keine unzüchtigen Handlungen in dunklen Ecken. Alkohol, Rauchen und Knutschen, alles in Maßen versteht sich, war erlaubt. Er, die erwachsene Begleitperson, konnte in Teufels Küche geraten, wenn ich über die Stränge schlug. Ich hielt die Regeln ein, weil ich das nicht wollte. Im Gegensatz zur heutigen Jugend waren die meisten von uns harmlose, einsichtige Kinder.

Im Heidelberger „Cave 54“, einem angesagten Studenten-Jazzkeller, der noch heute existiert, lernte ich Blues und Jazz kennen und lieben. Claus stellte mich seinen Szene-Freunden vor, die bald auch zu meinen wurden. Darunter Joy Fleming, Fritz Münzer, Saxophonist und Rhein-Neckar-Oberjazzer, seine Frau, die Sängerin Peggy Drake nebst den Musikern Joe Haider und Hartwig Bartz. Hartwig galt in jenen Tagen als bester deutscher Jazzschlagzeuger.

Sie nahmen mich anstandslos in ihrem Kreis auf, obwohl ich altersmäßig nicht dazupasste. Der Umgang mit ihnen, Claus und Jeannine trieb meine persönliche Entwicklung voran und stärkte mein Selbstbewusstsein. Die Großmütter, selbst sehr freiheitsliebend, unterstützten meinen Abnabelungsprozess.

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