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3 Großmütter
ОглавлениеIch wuchs in der Familie meiner Mutter auf. Anders als zu dieser Zeit üblich, lebten bei uns Mann und Frau in einer gleichberechtigten Partnerschaft. Sie kommunizierten nicht nur auf Augenhöhe miteinander: Die Frauen waren mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, die oft die der Männer überstiegen. Wohl gemerkt nur in meiner Mutterlinie. Von meiner Vaterlinie weiß ich nicht viel, vermute aber, dass diese Oma ihre Familie ganz ordentlich unter ihrer Fuchtel hatte.
Hätte jemand meinen Großmüttern gesagt, dass sie eigentlich in einem »Matriarchat« lebten, hätten sie ihn ausgelacht. Sie bestanden darauf, dass sie nur den ihnen zustehenden Platz in Familie und Gesellschaft einnahmen und über Generationen hinweg gesammeltes „Frauenwissen“ hüteten.
Meine Eltern ließen sich kurz nach meiner Geburt scheiden. Sie zeigten beide kein sonderliches Interesse an mir, da sie vorwiegend mit sich selbst und ihren neuen Partnern beschäftigt waren. Mein Großvater ersetzte mir liebevoll den Vater, verstarb aber viel zu früh, kurz vor meinem vierten Geburtstag. Ich blieb mit vier Frauen zurück: Urgroßmutter, Großmutter, zwei Großtanten. Sobald ich verständig genug war, klärten sie mich über die minderwertige Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft und die Missstände in Politik und Kirche auf.
Damals führte kein Weg an der christlichen Religion vorbei. Aus dem Grund waren wir alle getauft und konfirmiert. Meine Erziehung gestaltete sich jedoch völlig anders. Bevor Gott, Maria, das Jesuskindlein, die Engelchen und der Teufel sich in meinem kindlichen Verstand einnisten konnten, war er längst von keltischen und germanischen Gottheiten infiltriert. Unsere Ahnen behüteten mich, wenn ich mit den Geschöpfen der Göttin spielte, den Elfen, Zwergen und Feen. Klar wagte sich manchmal auch ein Troll in meine Nähe, aber den vertrieben die Frauen recht rasch mit Gehstöcken und Regenschirmen.
Meinen Großmüttern waren die monotheistischen Religionen allesamt suspekt. Von Paradies, Hölle und Sünde wollten sie gleich gar nichts wissen. Das Einzige, was zählte war der Glaube. Eine rein persönliche Angelegenheit. Sie verehrten die Göttin in ihrer Dreifaltigkeit: die Jungfrau im Frühling, die Mutter im Sommer, die alte Weise im Herbst und Winter. Sie offenbarte sich in der Natur. Die Frauen lehrten mich, dass der Mensch nicht ohne die Natur, die Natur aber sehr wohl ohne den Menschen auskommen kann.
Ich wuchs schon Mitte der 50er Jahre mit Ritualen auf, die sich erst in den 70ern und 80ern langsam wieder etablierten. Zu jener Zeit suchten die Menschen nach Alternativen zu den Staatsreligionen, strandeten aber meistens in einer esoterischen Nebelsuppe.
So weit ich mich in der Familiengeschichte zurücktasten kann, besuchten unsere Frauen und Männer immer die Schule und erlernten einen Beruf. Die „Hausfrau“ als solche gab es nicht. Das konnte man sich finanziell nicht leisten und strebte es auch nicht an. Die Worte „Bücher“ und „Weiterbildung“ wurden großgeschrieben, egal, welche Ausbildung man durchlief. Bei uns war alles vertreten, von Putzfrauen bis zu ProfessorInnen. Alle saßen bei Familienfeten am in bunter Reihe am gleichen Tisch, weil es keine hierarchischen Unterscheidungen gab.
Ich habe einige Bücher zum Thema »Emanzipation« gelesen. Ich würde es manchen Autorinnen gönnen, sich mit meinen Großmütter auseinandersetzen zu müssen. Denen, die glauben darüber urteilen zu können, welche Frauen der »Unterschicht« oder der »Gruppe der Unterprivilegierten« zuzurechnen sind. Zu Letzteren zählen sie auch Altenpflegerinnen, Kindergärtnerinnen und Frisörinnen. Diesen Damen hätten meine Großmütter nachdrücklich davon abgeraten, weitere „Pamphlete“ zu verbreiten. Wenn Akademikerinnen und andere »Eliteweibchen« sich erdreisten, Frauen in »Schichten« einzuteilen, wird die Frauenbewegung ad absurdum geführt. Es steht uns nicht zu, unsere Mitfrauen herabzuwürdigen. Sonst erweist sich die »Emanzipation« als »Nullnummer«.
Meine vier weisen Alten trichterten mir den Respekt vor der Natur in all ihren Erscheinungsformen ein. Ebenso den Abscheu vor Leuten, die aus reiner Macht- und Besitzgier Mensch und Natur ausbeuten. Ich lernte bereits in diesen jungen Jahren, dass es Dinge gab, die unverzichtbar waren: Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf (und natürlich Bücher, ein Gläschen Rotwein und Tabak). Alles andere war „Luxus“, den man sich ab und an gönnen konnte, schließlich wurde auch er uns vom Göttlichen geschenkt. Aber: „Luxus“ durfte genutzt jedoch nicht zum „Götzen“ erhoben werden. Wahrscheinlich bin ich wegen dieser Erziehung niemals wohlhabend oder gar reich geworden, trotz bester Ausbildung.
Sie weihten mich in die „heiligen Mysterien der Frauen“ ein, Geburt, Tod und Wiedergeburt. Mit ziemlicher Sicherheit würden sie sich im Grabe umdrehen, wenn sie von Männern hörten, die in Schwangerschaftskursen mithecheln. Undenkbar für sie Väter, die im Kreißsaal Videos von der Geburt der Sprösslinge drehen. „Geburt“ war ausschließlich ein „Frauending“.
Ich wuchs, unter Anleitung der Großmütter, zu einem charakterstarken Mädchen heran, das sich durch ein recht turbulentes Leben kämpfte. Das aber niemals aufgab oder seinen Prinzipien zuwiderhandelte. „Göttinnen, Götter und Ahnen“ passten ein Leben lang darauf auf, dass mir nichts Schlimmeres passierte als das Leben selbst. Kam ich doch einmal in eine Situation, die ich alleine nicht bewältigen konnte, schickten sie mir Menschen, keine Engel, die mir im entscheidenden Augenblick zur Seite standen.
Ich liebte meine „Großmütter“ und meinen Großvater abgöttisch und weiß, dass ihre Seelen über mich wachen, sofern sie nicht schon wiedergeboren sind.