Читать книгу Trail and Error - Annabel Müller - Страница 21
Katzenwäsche
ОглавлениеIn der ersten Life Base angekommen nimmt Björn die beiden gelb-schwarzen Sporttaschen mit der Wechselkleidung und dem Essen in Empfang. Normalerweise bekommt jeder Läufer nur einen Dropbag. So nennt man bei Ultratrail-Rennen den Beutel oder die Tasche für das Wechselgepäck. Bei maximaler Ausschöpfung der Kapazitäten hätte mir auch eine gereicht – 2019 waren die Taschen größer als 2018. Da ich neben Kleidung und Ersatzstöcken, für die ich in diesem Moment unendlich dankbar bin, eine Unmenge an Gels, Riegeln, Kartoffelbreipulver benötige, hatte ich das Angebot von zwei Taschen aber dankend angenommen.
Ich hatte mich im Vorfeld, wie vor jedem Ultratrail, erkundigt, welche Stationen gluten- und milchfreie Speisen anbieten und welche Suppen, Riegel, Gels und Co. es gibt, um die Produkte vorher zu testen. Da es beim TOR keine Gels oder Riegel und an jeder Station ein anderes Angebot gibt, ließ sich das nicht voraussagen. Als ich zurückmailte, ich würde dann alles selbst mitnehmen, bot man mir die zweite Tasche an. Sie war ein wenig kleiner, in Summe hatte ich aber nun jede Menge Platz. Den ich auch nutze. Ich wollte nicht von Björn abhängig sein. Dabei dachte ich weniger daran, dass ihm etwas passieren könnte – keine Ahnung, ob ich dann weiterlaufen würde –, sondern mehr an einen Motorschaden oder Ähnliches beim Camper oder dass er es aus anderen Gründen nicht rechtzeitig zu einer der Life Bases schaffen könnte. Da die Taschen, vor allem die mit dem Essen, auch ordentlich Gewicht haben, bin ich sehr dankbar, dass Björn es rechtzeitig nach Valgrisenche geschafft hat. Er lässt es sich nicht nehmen, beide Taschen zu tragen, was mir ein wenig peinlich ist.
„Du kennst hier niemanden. Ist doch egal, was die anderen denken“, meint er. Ich laufe erst neben und dann hinter ihm her. So ganz egal ist mir das nie. Aber ich versuche, mich locker zu machen, und schaue mich im Essenszelt um, ob ich Jill, Verena oder andere bekannte Gesichter entdecke, und tue so, als gehöre ich nicht zu dem vielen Gepäck.
„Wo bleibst du?“, ermahnt mich Björn, ihm zu folgen. Er hat wieder mal bereits einen Sitzplatz für uns.
Als Erstes ziehe ich meine Schuhe aus und schlüpfe in meine Flip-Flops. Da ich aufgrund der neu erworbenen Kleberallergie kein Tape verwenden kann, verfolge ich die Strategie, keine Blasen zu bekommen, indem ich die Füße möglichst oft vom nie gänzlich vermeidbaren Staub befreie und frische Socken anziehe. Und an den Versorgungsstationen wechsle ich, wenn nötig und möglich, auf unverschwitzte, trockene Schuhe. Der Kartoffelbrei, diesmal mit heißem Wasser und selbst gebeiztem Lachs, ist keine große Abwechslung. Doch weder Björn noch ich haben damit gerechnet, dass ich schon wieder einen derartigen Hunger habe. Deshalb hat er nichts vorbereitet. Drei Uhr morgens ist auch nicht gerade meine übliche Uhrzeit für ein deftiges Mahl, nicht mal beim einem Ultratrail, und schon gar nicht in der ersten Nacht. Doch wider alle Umstände verlangt mein Körper, etwas Richtiges zu essen, vor allem etwas Warmes. Denn auch wenn es hier im Zelt nicht nur gut voll, sondern auch ausreichend warm ist, fühle ich mich immer noch ganz schön ausgekühlt. Und ich weiß aus Erfahrung, dass es noch kälter werden wird, wenn ich die Life Base verlasse. Beim Gedanken daran überlege ich, ob ich entgegen meiner ursprünglichen Planung, die erste Nacht durchzulaufen, eine Stunde schlafen soll. Vielleicht sogar besser zwei. Zwischen drei und fünf Uhr ist es meistens am kältesten. Die Stunden von halb vier bis zum Sonnenaufgang sind für mich die härtesten. Als jemand, der nicht vor Mitternacht ins Bett geht und wenn es nötig ist, auch später noch eine Nachtschicht am Rechner einlegt, halte ich bis zwei Uhr morgens problem- und aufputschmittellos durch. Dass ich nach Möglichkeit nicht vor acht Uhr, gerne auch eine halbe Stunde später, aufstehe, macht sich dann dafür in den frühen Morgenstunden bemerkbar – vor allem wenn es noch dunkel ist.
„Jill muss kurz nach dir hier angekommen sein“, datet mich Björn up, der die Ankunft der Läuferinnen und Läufer über das Tracking verfolgt. Es wird alles online gestellt, nicht nur für die Organisation, sondern auch für die Öffentlichkeit. Zwischen den VPs, darüber hatte Björn sich bereits in La Thuile beklagt, funktioniert es jedoch nicht so gut. Er hat mich anhand des offiziellen Trackings deutlich früher erwartet.
„Wie sieht es bei der Massage aus?“, frage ich, wohl wissend, dass die Wartezeiten für einen Termin oft lange sind.
„Die ist gegenüber. Soll ich fragen, wie lange es dauert?“, meint Björn etwas geknickt, weil er sich nicht schon vorher erkundigt hat.
In solchen Momenten ist er manchmal auch leicht reizbar. Auf eine ganz andere Art als mein Ex. Björn ist kein Perfektionist. Er weiß allerdings, wie sehr ich mir wünsche, hier ins Ziel zu kommen. Er kennt diesen unerklärbar intensiven Wunsch, und er möchte der beste Trailer Assistant sein, der er sein kann. Doch er konnte nicht ahnen, dass ich hier schon zur Massage möchte. Ich habe es selbst eben erst entschieden. So bliebe mir noch etwas Zeit im Warmen, ohne mit der kranken Jill in einem Schlafraum zu liegen. Als ich Björn von dem Gespräch mit Jill erzählen möchte, ist er bereits aufgestanden, um die Wartezeiten für die Massage zu checken. Ich esse weiter und überlege, ob und was ich an Wechselkleidung tauschen möchte. Schuhe und Socken auf jeden Fall, BH und Unterziehshirt am besten auch. Eine frische Unterhose wäre vermutlich nötig, doch der Gedanke, mich aus der Kompressionshose zu schälen, relativiert die Dringlichkeit. Ich bin hier schließlich bei einem Ultratrail-Rennen. Björn kommt zurück und meint, ich könne in 20 Minuten zur Massage, sie haben mich eingetragen, ich müsse aber vorher duschen.
„Das muss neu sein. Das hat im letzten Jahr keiner von mir verlangt“, sagt er kopfschüttelnd.
Wie bereits erwähnt, lässt er ab der Hüfte abwärts alles, inklusive Socken und Schuhe, über ein Rennen hinweg an, solange es keinen triftigen Grund zum Wechseln gibt. Da ich nicht vorhabe, meine einzige Laufhose auszuziehen, entscheide ich mich im Waschraum für eine Katzenwäsche mit Feuchttüchern. Für eine Wadenmassage muss das reichen. Rechtzeitig im Massageraum angekommen, weist man mir nach kurzem Warten eine Liege zu, zu der offensichtlich zwei Masseure gehören. Ein Physiotherapeut und ein Helfer, der macht, was dieser ihm zeigt. Der Therapeut fragt mich auf Englisch, wie es läuft, ob mir was wehtut und was er für mich tun könne. Ich zeige auf meine wie fast immer verspannten Waden und freue mich, dass ich auf dem Rücken liegen bleiben kann. Jeder der beiden schnappt sich ein Bein, und gemeinsam bearbeiten sie meine Unterschenkel. Das ist besser als schlafen. Nach ca. 15 Minuten beenden die beiden ihr Tun, und ich räume die Liege für den nächsten Läufer. In Flip-Flops und T-Shirt verlasse ich das Gebäude und spüre auf dem kurzen Weg ins Zelt gegenüber, wie kalt es ist. Und das zwischen den beiden warmen Gebäuden. Mein innerer Schweinhund überredet mich noch, etwas Zeit im Zelt zu vertrödeln, die ich damit verbringe, zwei Sachen ein- und eine wieder auszupacken. Was will ich nochmal an Reservekleidung mitnehmen? Brauche ich die zweite Weste bis zur nächsten Life Base? Hab ich schon Gels eingepackt? Reichen mir zwei Riegel und vier Gels? Niemals, viel zu wenig. Vor allem Gels hatte ich bisher deutlich mehr gebraucht, als ich gedacht habe. Und Riegel muss ich wohl auch mehr gegessen haben, stelle ich verwundert und zugleich erleichtert fest. Kann mich gar nicht erinnern, wann ich die gegessen habe. Egal. Hauptsache, ich habe immer genug dabei.