Читать книгу Trail and Error - Annabel Müller - Страница 9

Abfahren im Schnee

Оглавление

Wie schnell die Gedanken abschweifen, wenn man so im stetigen Anstieg hinter den anderen hermarschiert. Meine zumindest. Das nächste Bild, das sich mir im Anstieg zum ersten Pass, dem Col d’Arp, darbietet, ist atemberaubend. Wild und ungestüm kämpfen mitten im Schnee und nicht weit von uns entfernt zwei Stiere miteinander. Der Schnee unter ihnen staubt. Die Kraft, die Anmut und vor allem das Selbstbewusstsein der beiden Tiere faszinieren mich. Ich überlege, ob ich dieses Bild einfangen soll, doch meine Finger stecken in Handschuhen, meine Hände in den Handschlaufen, und diese sind an den Stöcken befestigt. Das Klicksystem funktioniert, ist aber relativ schwergängig. Alles hat Vor- und Nachteile. Außer zum Fotografieren hat das System meiner Erfahrung nach nur Vorteile. So wie die Handschuhe in diesem Moment. Es hat maximal noch zwei bis drei Grad. Gelingt es mir, das Smartphone mitsamt Handschuhen und Stöcken aus der Tasche zu holen, um notfalls mit der Nasenspitze in die Fotofunktion zu wischen? Mein Abstand zum Vorder- und Hintermann beträgt nicht mal einen Meter. Die Karawane, die sich im stetigen Schritt und mit Einheitstempo den Pass hinaufarbeitet, ist eng geschlossen. Ich müsste zur Seite gehen und anhalten. Auf dem schmalen Trampelpfad ist der Schnee gut festgetreten, links und rechts davon nicht. Zusätzlich nasse Füße riskieren? Nein, danke. Zudem hatte ich schon einmal eine Cut-Off um fünf Minuten verpasst, weil ich mich beim Südtirol Ultra Skyrace dazu hinreißen ließ, ein freilaufendes Fohlen zu streicheln. In Summe war es natürlich nicht das Fohlen, sondern die Zeit, die ich zuvor zu langsam war. Wobei – hätte ich das Fohlen nicht gestreichelt, wäre ich rein rechnerisch im Rennen geblieben. Ich habe mich tierisch geärgert, als ich im Bus mit den Ausscheidern zurückfuhr. Nicht über das Fohlen. Auch nicht darüber, dass ich im Glauben, das Zeitlimit sei hier moderat, nach gefühlt ewig langer Zeit wieder einen Ultra mit meinem Mann zusammenlief. Ich ärgerte mich darüber, dass meine Uhr nicht richtig funktionierte. Dass ich meinen zeitlichen Rückstand zu spät bemerkte und es nichts mehr half, die letzten fünf Kilometer bis zur Verpflegungsstation am Penser Joch mindestens 30 Prozent schneller zu rennen. Darüber, dass der Veranstalter das Zeitlimit für diesen Streckenabschnitt gegenüber dem Vorjahr um eine Stunde gekürzt hatte. Darüber, dass es bei einem Rennen, bei dem Schlafen nicht erforderlich ist, eine Time-In und eine Time-Out gab und der Mann von der Zeitmessung meiner Bitte, die fünf Minuten zu vergessen, solange ich rechtzeitig wieder raus sein würde, nicht erfüllte. Am allermeisten ärgerte ich mich aber über mich selbst, weil ich mir die Einteilung der Streckenabschnitte und Zeitlimits nicht gut genug angesehen hatte. Mein Ärger hielt über das Abendessen hinweg an. Ich nahm ihn mit in den Schlaf. Ich wachte mit ihm zusammen auf. Der Ärger verflog noch vor dem Frühstück, als mein Mann mir sagte: „Der Andi hat eine WhatsApp geschrieben. Es gab scheinbar ein schlimmes Gewitter. Eine norwegische Läuferin wurde vom Blitz getötet.“

Für einen Moment fühlte ich nichts. Absolute Leere. Ich rief die Teilnehmerliste auf. Es gab nur eine Norwegerin, die angemeldet war. Eine Freundin von Maria. Maria hatte sich am Vorabend nach unserem Befinden erkundigt. Sie sah das DNF (did not finish) von mir und meinem Mann, der 19 Minuten nach mir am Penser Joch ausschied, und wollte wissen, ob es uns gut ginge. Sie habe gehört, die Strecke sei technisch sehr anspruchsvoll. Ihre Freundin sei noch unterwegs. Sie verstünde meinen Ärger, aber vielleicht sei es gut so im Hinblick auf den Tor des Géants.

Ich erkundigte mich bei Maria: „Hi, Maria, is your running friend okay? Do you know anything?“

Sie sendete mir ein rotes Herz. Mein Atem stockte, mir kamen die Tränen. Ich kam mir vor, als sei ich im falschen Film. Ich dachte an meinen Ärger und meine Enttäuschung und das Fohlen, das mich sehr wahrscheinlich vor Schlimmerem bewahrt hatte. Dem Typ von der Zeitmessung, der seiner Reaktion nach nicht annähernd verstand, wie sich das knappe Ausscheiden für einen Läufer anfühlt, musste ich notgedrungen ebenso dankbar sein. Doch der Schutzengel blieb für mich das Fohlen. Auch vor diesem erschütternden Unfall habe ich die fünf Minuten mit dem Fohlen zu keinem Zeitpunkt bereut. Das Fohlen, der Stierkampf. Das sind die Momente, die einen Berglauf im positiven Sinn unvergesslich machen. Also doch kurz anhalten und ein Foto machen? Während ich noch überlege, beenden die beiden Bullen ihren Hahnenkampf und ziehen davon. Egal, denke ich. Kein Foto und schon gar nicht ein Schnappschuss mit meinem Smartphone hätte diesen Anblick in seiner Schönheit erfassen können, und streicheln wollte ich die beiden sicher nicht.

Ohne zu wissen, wie sich das mit dem Schnee noch entwickeln würde, stört er mich nicht. Im Gegenteil, ich mag Schnee. Er ist mir deutlich lieber als Regen, und im Gegensatz zum Eissturm beim Swiss Irontrail geht so gut wie kein Wind. Dennoch bin ich in Anbetracht des Wintereinbruchs heilfroh, genug warme Kleidung und die Cramps dabeizuhaben. Wobei der Schnee hier im Anstieg zum ersten Pass sehr griffig ist und das Profil meiner Trailschuhe absolut ausreichend Halt gibt. Das leise Atmen des Vordermanns und das sanfte Knirschen unserer Schritte im Schnee sind die einzigen vernehmbaren Geräusche. Ich habe gelesen, dass die Stille bei dichtem Schneefall keine Erfindung von Romantikern ist, sondern ein physikalisches Phänomen. So ganz verstanden habe ich es nicht. Obwohl ich in Mathe sehr gut war, bleiben kompliziertere physikalische Gesetze für mich ein Mysterium. In einem Artikel im „Bergluft Magazin“ ist zu lesen, dass dieser Effekt vor allem zu Beginn von dichtem Schneefall auftritt und warum.7

Warum mit dem Schneefall zugleich die letzten Gespräche der Läufer verstummt sind, kann ich physikalisch nicht belegen. Ich vermute, es ist die Demut, die nun auch die wenigen gepackt hat, die bis vor Kurzem noch munter am Plaudern waren. Im gleichmäßigen Tempo nähern wir uns, Serpentine für Serpentine, der Passhöhe, gekennzeichnet durch ein kaminförmiges, steinernes Monument. Noch verschwende ich keinen Gedanken darauf, dass die Markierungen im Schnee teilweise schlecht zu sehen sind. Die Gefahr, sich zu verlaufen, besteht aktuell nicht. Zwar habe ich schon miterlebt, wie sich eine ganze Läuferschar verirrt hat, weil der Erste eine Markierung übersehen hat und alle anderen, einschließlich mir, ihm einfach nachgerannt sind. Aber abgesehen davon, dass es gerade unter den ortsansässigen Italienern einige Wiederholungstäter gibt und die scheinbar endlos lange Kette an Läufern zu keinem Zeitpunkt abreißt, braucht man kein Orientierungstalent sein, um zu wissen, wo die Passhöhe liegt. Col d’Arp, check. Ich stehe vor dem ersten aus Steinen erbauten Passmonument, auf dem ein goldenes Metallschild prangt, das den Pass und die Route der Alta Via Nr. 2 kennzeichnet. Der erste der beiden Fernwanderwege, dem wir bis nach Donnas auf der anderen Talseite folgen.

In Donnas hat man noch nicht die Hälfte der Strecke absolviert, dennoch ist es für mich ein Meilenstein. 2018 habe ich Björn dort an der dritten von sechs Life Bases supportet. Da wir damals statt unseres Campers ein Apartment in Courmayeur bewohnten und man für die Nutzung der Autobahn eine recht stolze Maut bezahlt, beschränkte sich meine Unterstützung als sein offizieller Trailer Assistant auf den Start, Donnas und die letzte VP, das Rifugio Bertone. Gut so. Denn bei dem, was mich erwartet, hat es mental durchaus Vorteile, nicht ganz genau zu wissen, was noch vor mir liegt. Aktuell gut 1000 Höhenmeter Downhill runter nach La Thuile. Und während Björn 2018 die extreme Hitze zu schaffen machte, nutzen nun ein paar der Läufer den gut knöchelhohen Schnee unterhalb der Passhöhe zum Abfahren. Ich überlege, es ihnen nachzumachen. Meine Eltern haben mich mit vier Jahren auf Skier gestellt, mit 13 wechselte ich zum Snowboardfahren, und beim Zugspitz Ultratrail 2013 bewies ich beim Abfahren vom Feldernjöchl, dass ich auch auf Trailschuhen rasant hinabgleiten kann. Die Läuferin vor mir hatte vor dem durchaus beachtlichen Gefälle eine solche Angst, dass sie trotz des extra für uns Läufer befestigen Seils der Bergwacht nur unendlich langsam vorankam. Ohne Seil war mir das Unterfangen zwar auch nicht ganz geheuer, doch einerseits wollte ich nicht drängeln – der Stress war ihr auch so schon deutlich anzumerken –, und andererseits verlor ich nach guten fünf Minuten die Geduld. Die Spuren im Schnee zeigten, dass ich nicht die Erste war, die ohne Seil hier abfuhr. Es bestand Sturz-, aber keine Absturzgefahr, und so wagte ich mich vom Seil weg und genoss den Adrenalinschub und die knieschonende Rutschpartie. Hier beim Abstieg vom Col d Arp sind die Bedingungen andere. Dem Trail folgend ist es zum Abfahren nicht steil genug. Zumal man den anderen Läufern hinten in die Hacken rutschen würde. Man könnte nur die kürzeste Verbindung zwischen den Serpentinen hinabrutschen. Wie ist das in Sachen unerlaubte Abkürzung zu werten? Auf sich schlängelnden Trails derart abzukürzen, ist nicht die feine englische Art. Andererseits ist hier im Schnee sowieso nur der Trampelpfad der Läuferkarawane erkennbar. Zu einer offiziellen Disqualifikation in Sachen Abkürzung würde das sicherlich nicht führen. Es juckt mich in den Füßen. Ich entscheide dann aber, dem Trampelpfad im Laufschritt zu folgen. Der Weg ist nicht steil und gut laufbar. Da in Sichtweite schon wieder Gras zum Vorschein kommt, gehe ich lieber kein Risiko ein. Ich erschrecke kurz, als eine Läuferin, ungefähr in meinem Alter, im Abfahrts-Style auf mich zurutscht, während ich der Kehre des Schneetrails folge. Vor und hinter mir sind immer noch Läufer, und so halte ich das Tempo in der Hoffnung, dass sie niemanden von uns mitreißt, schon gar nicht mich. Schließlich bin ich brav auf dem Weg geblieben, um kein Verletzungsrisiko einzugehen.

Ich wollte nicht so wie beim Lavaredo Ultratrail 2018 starten. Als ich bei einem Überholmanöver, um Kilometer 30 herum, böse gestürzt bin. Damals ohne Schnee und wie ich bis heute überzeugt bin, nicht wegen des Überholvorgangs, sondern wegen der Unkonzentriertheit danach. Obwohl ich niemanden gefährdete, weil ich eine Gruppe sehr zaghafter Trailrunner mit einem beherzten Sprung neben dem Trail überholte, meckerte eine Läuferin. Ich reagierte auf ihr Anblaffen und antwortete: „Das ist hier ein Geländerennen und kein Kaffeekränzchen.“

Der Weg war steil, aber mit etwas Berglauftechnik ohne weiteres für einen zügigen Downhill geeignet. Und schließlich hatte ich beim Überholen genug Abstand gelassen. Kaum ausgesprochen, mahnte mich eine innere Stimme: Hochmut kommt vor dem Fall, Annabel. Und während ich das dachte, spürte ich, es war kein guter Gedanke. Vermutlich war es nicht der Hochmut, sondern der Gedanke ans Fallen und dass ich für einen Moment unkonzentriert war: Bei der Landung auf meinem linken Bein knickte mein Fuß weg. Dass man mal leicht umknickt, eine kleine Unsicherheit, die der Körper unmittelbar ausgleicht, passiert beim Trailrunning hin und wieder. Doch diesmal fühlte es sich anders an. Im Training zum Swiss Irontrail 2014 knickte ich auch schon mal sehr schmerzhaft um. Ich musste das Bein ein paar Tage kühlen und es danach langsam angehen. Das Gefühl beim Lavaredo war noch heftiger. Vielleicht rettete mich der unmittelbare Sturz vor einer noch massiveren Verdrehung meines Knöchels, vielleicht war er auch nur die Folge davon. Da ich auf dem steinigen Trail mit dem Knie abbremste, war ich nicht sicher, ob das eine hilfreiche Reaktion war. Ich rappelte mich schnell auf, versuchte zu verdrängen, was Miss „Mach-mal-langsam“ dachte, die natürlich alles mitbekommen hatte. Die ersten Schritte waren enorm schmerzhaft. Ich war in meiner vollen Körperspannung und hochkonzentriert, um bloß kein zweites Mal umzuknicken. Als ich 2014 im Pfälzerwald, auf einem mit Gestrüpp zugewachsenen und mit Ästen übersäten Wiesenstück umknickte, war Weiterlaufen – soweit ich das hinterher beurteilen konnte – das Beste, was ich tun konnte. Allerdings ging ich damals nur ein kurzes Stück bis zur Forststraße, die dann glücklicherweise bis zu meinem Fahrrad am Waldrand führte. Ein ebener Feldweg. Leicht abfallend, genau das, was meiner Meinung nach bei einem Umknicktrauma hilfreich ist. Also vorausgesetzt, die körpereigene Schmerzhemmung signalisiert bei dem Versuch des Weiterlaufens nicht, dass doch mehr passiert ist. Beim Lavaredo Ultra war es weniger die Vernunft als die Scham, die mich antrieb. Auf keinen Fall wollte ich mir die Blöße geben und zeigen, dass ich mich ernsthaft verletzt hatte. Mein Sturz in der mondhellen Nacht war unübersehbar. Doch das Umknicken hatte vermutlich niemand mitbekommen. Der Weg wurde weniger technisch, und der Schmerz ließ nach. Mein Knie blutete nur ein wenig und erholte sich schnell wieder. Als ich frühmorgens am malerischen Misurinasee vorbeilief, war es die Kälte, die mich den Schmerz fast vergessen ließ. Mit zunehmend steigenden Temperaturen im Anstieg zu den weltberühmten und beeindruckenden Drei Zinnen spürte ich, dass mein linker Fuß immer noch leicht instabil war. Ich ließ mir an der nächsten Erste-Hilfe-Station ein stabilisierendes Tape anlegen. Die Ärztin oder Arzthelferin – genau wusste ich das nicht, und es war mir auch gleich, denn oftmals können Arzthelfer solche Dinge sogar besser, weil sie es öfter machen – bandagierte meinen Fuß vom Ballen bis über den Knöchel mit einem festen, minimal elastischen Sporttape. Um die Haut nicht zu sehr zu strapazieren, kam eine Mullbinde darunter. Unterzug-Tape, das dafür noch besser geeignet wäre, hatten sie keines. Im ersten Moment fühlte sich das Tape klasse an. Im Abstieg traute ich mich, den Fuß zu belasten, und war sehr positiv überrascht, denn zu Beginn fühlte sich der Verband schon recht steif an. Zu Mittag hin wurde es immer heißer. Zur Life Base, der großen VP mit Wechselgepäck – bei diesem Rennen über 120 Kilometer gab es nur eine einzige –, führte ein breiter, flacher Forstweg. Ich konnte nicht nur nicht mehr rennen, ich konnte kaum mehr auftreten. Jeder Schritt schmerzte. Hitze macht sich bei Verletzungen und Entzündungen massiv bemerkbar. Wer schon im Hochsommer bei 30 Grad Celsius einen Weisheitszahn gezogen bekam, kennt das. Es hilft nur, die Backe zu kühlen. Nicht zu lange, denn sonst dreht sich der positive Effekt um. Ich humpelte zur Life Base, wo man mir zum Glück eine Tüte Eis zum Kühlen gab. Es war nicht viel und floss bei den über 30 Grad und keinem Platz im Schatten schneller aus dem dünnen Beutel, als die Kälte durch das Tape dringen konnte. Wenige Kilometer nach der Life Base konnte ich vor Schmerz weiterhin kaum gehen. Ich hielt an, holte mein Erste-Hilfe-Set raus und schnitt das Tape durch. Mir war in der Life Base bereits aufgefallen, dass meine Zehen, die aus dem Verband ragten, sehr dick waren und der obere Rand ziemlich einschnürte. Da mir das Tape gute Dienste geleistet hatte und ich nicht wusste, wie technisch es im zweiten Teil werden würde, ließ ich es zunächst dran. Ich wechselte die Schuhe, ein anderes Modell, etwas größer, und hoffte auf Besserung. Es half nicht. Der Schmerz beim Rauslaufen aus der Life Base glich dem beim Reinlaufen. Beim Versuch, normal zu gehen, analysierte ich, wann genau der Schmerz auftrat: unabhängig von der Intensität der Belastung, sobald ich mit dem getapten Fuß abrollte. Ich vermutete, dass mein Fuß gegen den engen Verband rebellierte. Ich hatte keine Ahnung, ob ich ohne das Tape in der Lage wäre, den Lauf zu beenden. Mit ihm aber sicherlich nicht. Ich war nicht bereit, diesen Schmerz nur fünf Minuten länger zu ertragen. Schließlich ist Schmerz auch ein Warnsignal, das man auch, oder vielleicht gerade, als Ultratrail-Läuferin nicht ignorieren darf. Nachdem ich meinen Fuß von der inzwischen viel zu engen Tapeanlage befreit hatte, wurde der Schmerz mit jedem Schritt weniger und kam erfreulicherweise auch beim Rennen der technisch etwas anspruchsvolleren Downhills nicht wieder. Es gelang mir, die zweite Streckenhälfte zu meistern und durch den Zielbogen zu laufen. Im Hotel und bei Licht dann die ernüchternde Erkenntnis, dass es sich nicht rausgelaufen hat. Das Wort „dick“ reicht nicht aus, um die Schwellung zu beschreiben. Es sah aus, als ob meine Wade direkt in meinen Fuß überginge. Da war kein Knöchel mehr zu sehen. Erstaunlicherweise tat er nicht weh, und zum Glück war er nicht blau. Ein Bluterguss kann neben Instabilität und Schmerzen ein Zeichen für einen Bänderriss oder Schlimmeres sein. Da ich Schlimmeres ausschloss und man einen Bänderriss am Knöchel heutzutage meist konservativ behandelt, also nicht operiert, befolgte ich die unter Sportlern bekannte PECH-Regel – Pause, Eis, Compression, Hochlagern – und nahm ein ausgiebiges Kneippbad im Misurinasee mit Blick auf die Drei Zinnen. Die Schwellung ging innerhalb weniger Tage zurück.

Wie 2014 heißt es nun wieder einmal sehr vorsichtig laufen, um die Belastung für die Bänder und stabilisierenden Muskeln gering zu halten. Die Stabilität meines linken Knöchels blieb trotz unauffälligen Untersuchungsbefundes und regelmäßigem Stabilitätstraining von da an eine Schwachstelle. Ich weiß nicht, warum ich mich bei der Überlegung Abfahren oder nicht an diesen Sturz erinnere. Beim Abfahren umzuknicken ist sehr unwahrscheinlich. Ein Sturz beim Abfahren würde mehr meinem Schlammbad beim Zugspitz Supertrail entsprechen, doch im Schnee, ohne mich dreckig zu machen. Kaum gefährlich, aber die Erinnerung mahnt mich: „Mach mal langsam!“ Die Läuferin bremst rechtzeitig ab, bevor sie erneut Schwung holt, um weiter hinabzugleiten. Ein bisschen neidisch bin schon. Vielleicht hätte ich mir den Spaß auch geben sollen. Früher habe ich mir auch nicht um alles einen solchen Kopf gemacht. Gut oder schlecht, wer weiß? Da hier auf dem Trampelpfad bereits mehr Gras als Schnee unter unseren Füßen und das Gefälle angenehm ist, laufen die meisten etwas schneller. Man traut sich zu überholen, und zum ersten Mal in diesem Rennen werden die Abstände unter den Läufern größer.

7 Mona Marko, Wieso ist es bei dichtem Schneefall so still?, www.bergluft-magazin.com/artikel/wieso-ist-es-bei-dichtem-schneefall-so-still (27.4.2021).

Trail and Error

Подняться наверх