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Heringe nach Art der Kronstädter Matrosen

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Folgt nicht meiner Hand, folgt dem Thema. Nehmt mit eurer Sensibilität die entstehende Form vorweg, wie wenn ihr den Sinn der Figur schon im Entstehen begreifen würdet. Jenseits der großen Fenster des Atriums schien ein bleierner Himmel im Begriff, auf die Erde zu stürzen. Die Luft war feucht, wir froren. Dämmerung setzte ein. Die Stimme des Meisters schien zu zittern, aber seine Augen leuchteten. »Meister« – so hatten wir angefangen, ihn zu nennen, ein wenig scherzhaft, aber auch, weil er, wie Ewa immer sagte, der einzige war, der einem Engel glich.

Entschlossen lief seine Hand über das Papier. Na bitte, sagte Hans, er hat wieder einen Fisch gezeichnet. Aber nein, Dummerchen, grinste Hannah ihn an, das ist kein Fisch! Jedenfalls kein Fisch im wörtlichen Sinn, es ist eine Allegorie der Leichtigkeit, der Zerbrechlichkeit. Der Zustand von Wehrlosigkeit in einem Meer finsterer Gewalten. Es ist eine Metapher für Deutschland, dachte Hans, als ein erster Donner den Regen ankündigte. Die Hand verschob sich auf dem Blatt nach unten, hielt über einem Knäuel von Linien inne. Dann setzte sie einen Punkt, dort wo jemand, der nicht zeichnen kann, ihn auch hingesetzt hätte, einfach so. Das Linienknäuel verwandelte sich in ein Gesicht.

Lächelnd sah Hans zu Hannah. Hast Du gesehen? Ein Punkt – und alles ändert sich. Ein Pferdewagen der Straßenreinigung bog am Ende der Straße rumpelnd um die Ecke. Hans blickte auf, er wollte die Sterne am Himmel sehen, aber an diesem Abend zeigten sie sich nicht. Vielleicht reicht ein Punkt, dachte er. Aber um ihn zu setzen, musste man wie der Meister sein, ein Kind, überzeugt davon, dass im eigenen Empfinden die absolute Macht über Leben und Tod lag. Er dachte an die Worte seines Zugführers: Im Bürgerkrieg muss man Voraussicht entwickeln. Man muss wissen, was der Feind, die Zielperson will, bevor sie selbst es weiß. Wie sagte es Dostojewski in den »Aufzeichnungen aus dem Kellerloch«? Ein Prosit auf mein unterirdisches Versteck!

Die Übungsstunde ging zu Ende. Im Korridor war es schon dunkel. Jemand hatte eine Fackel im Garten angezündet. Hannah stieß zu den Freunden. Beeilen wir uns, sagte Martin, heute Abend haben wir Dienst, wir müssen uns um die Vorspeisen kümmern.

Dies ist ein Rezept eines alten Matrosen aus Oranienbaum, wo er im Soldatenrat der Stadt saß. Die sehr frischen Heringe ausnehmen, ohne den Rogen zu entfernen. Gut abtrocknen und mit einem Küchentuch die Schuppen abreiben. An jeder Seite zweimal einschneiden und mindestens vier Stunden in Salz marinieren. Es reicht eine Handvoll für jeweils sechs Heringe. Wenn sie mariniert sind, die Heringe waschen und in einer Pfanne auf einem Bett von Zwiebelringen und mit Petersilie, ein wenig Anis und Thymian, ein paar frisch gemahlenen Pfefferkörnern und einem Lorbeerblatt anordnen. Die Heringe mit einer Mischung aus Honigessig und 1 TL Wodka beträufeln, mit Zwiebelringen und einer als Julienne geschnittenen Karotte bedecken. Das Ganze aufkochen, dann bei niedriger Flamme 15 min mit Deckel köcheln lassen. Die Heringe vor dem Servieren in ihrem Saft abkühlen lassen.

Die rote Köchin

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