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Grüne Erbsen auf Holsteiner Art

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Ich fand Martin ganz in Lektüre versunken. Er las ein Flugblatt, das der jüngsten Nummer des »Ventilator«, der Zeitschrift von Köln-DADA, beilag und einen Abend mit Gedichten und Neuer Musik ankündigte. Martin begrüßte mich dann auch mit zwei Versen Hugo Balls: »Ich liebte nicht die Totenkopfhusaren / Und nicht die Mörser mit den Mädchennamen.« Dann grinste er mich an. Was willst Du, Hannah?

Ich kam direkt aus dem Labor, wo wir wieder mit kurzwelligen Farben experimentiert hatten, blau, indigo, violett. Ich hatte Lust bekommen auf eine Tasse Tee, war in die Cafeteria gegangen, und hatte mich mit meinem Getränk zu ihm gesetzt. Hans hat mir gesagt, dass Du Tristan Tzara kennengelernt hast. Wie ist der so? Martin fing an zu lachen. Ich habe nicht Tzara kennengelernt, sondern Herrn Samy Rosenstock. Und zwar in Bern, bei einem Besuch im Inselspital, wo wir beide versuchten, dem Wehrdienst zu entkommen. Man hatte eine Kommission eingerichtet, bestehend aus zwei Schweizer Ärzten, zwei Rumänen, einem Deutschen und einem Franzosen. Er hatte sich von einem Psychiater in Zürich – einem Freund der russischen Psychoanalytikerin Sabina Spielrein, die er aus Lausanne kannte – ein Attest besorgt, das ihm dementia praecox bescheinigte. Ich hatte eines über eine schwere posttraumatische Depression, verursacht durch eine Bombe, die unmittelbar neben mir hochgegangen war.

Der Psychiater war klein, trug einen Zwicker aus Horn, hatte eine breite Stirn und winzige, sehr gepflegte Hände, die ständig in Bewegung waren. Der Farce entsprechend, die wir vorspielen wollten, waren wir beide sehr nachlässig gekleidet. Tzara hatte sich perfekt vorbereitet und riet mir, nichts von mir zu geben als unverständliches Schreien und Murmeln. Dann zeigte er mir, wie man sabbert – er hatte sich das von Patienten im Burghölzli abgeschaut: Man lässt die Spucke in einem langen Faden aus dem Mundwinkel auf die Krawatte laufen – das muss ganz unbewusst aussehen! Er versuchte auch mir den katatonischen Stupor beizubringen, aber ich schaffte es nicht. Ich sah ihn dann am nächsten Tag wieder, wir hatten es beide geschafft, wir waren zurückgestellt und um das zu feiern, machten wir einen ausgiebigen Kneipenbummel. Wir waren bewegt und glücklich. Ich weiß nicht mehr, wie ich oft ich ihn die Szene wiederholen ließ, wie der Arzt seine Gedichte durchblätterte, die der Krankenakte beigeheftet waren und dann gewichtig von einem schweren und unheilbaren Fall von Verblödung sprach. Wir waren wie Brüder, als wir uns um drei Uhr morgens auf der Bahnhofstraße trennten. Eine Zeit lang haben wir uns dann noch geschrieben – das wars, was ich Dir erzählen kann.

Wir schwiegen eine Weile und hörten dem Regen zu. Dann sagte Martin: Berühmt wurde er mit dem Cabaret Voltaire und der Zerstörung der »bourgeoisen« Syntax. Ich verschlang damals Geschichtsbücher und hatte einen Kurs zum Krieg der Sklaven gegen Rom besucht, dem Spartakusaufstand. Er setzte alles daran, der Begründer einer neuen Poetik, wichtiger noch als die Marinettis, zu werden; ich wollte mein Leben geben für den Kampf der Ausgebeuteten gegen den Nationalismus und die Herrschenden. Das Feuer, sagte Martin und fixierte mich, das Feuer, das in uns brannte, war vielleicht das gleiche, aber unsere Träume waren es nicht, Hannah – die nicht. Ich trank meinen Tee aus, er seinen Himbeersirup mit einem Schuss Kirsch, und ich ging zurück ins Labor.

Am Abend hatte ich die frühe Küchenschicht. Meine Großmutter behauptet, es handle sich um ein altes Rezept schwedischer Matrosen, die es Stuvade grönsaker nennen. Aber wehe, sagte sie dann lachend, du sagst das einem aus Pommern oder Holstein.

600 g Erbsen, frisch aus der Hülse gelöst, in reichlich Salzwasser 15 min kochen. Parallel 300 g frische, gesäuberte Krabben 10 min in warmem Wasser dünsten. Erbsen und Krabben in eine Kasserolle geben und mit einer Tasse Béchamel übergießen (Béchamel mit einem Zweig Thymian, einer Prise Muskat, einem Glas trockenen Weißwein, frisch gemahlenem Pfeffer, Salz und einer Nuss Butter). Das ganze bei niedriger Temperatur ein paar min binden lassen. Erbsen und Krabben in eine Schüssel geben. Den Fond in der Kasserolle um ein Drittel einkochen lassen, zusammen mit einer Messerspitze Butter, Petersilie, Anis, Kerbel, fein geschnittenem Grün einer Frühlingszwiebel über Erbsen und Krabben geben und sofort servieren.

Die rote Köchin

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