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Brunnenkresse-Creme mit Fröschen

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Er kraulte sich den Bart, nahm die Brille ab und putzte sie. Das, wussten wir, war des Meisters subtile Art, den Beginn der Stunde anzukündigen. Dann erhob er sich, ging zur Tafel, hielt inne und betrachtete uns. Wie er so dastand, glich er einem Portrait in Dreiviertelansicht, das Licht beschien ihn von hinten. Hans und Kurt – unsere Neuerwerbungen – saßen hinter mir. Ich drehte mich um und sah sie an. Sie hatten rote Augen, denn sie waren erst spät nachts aus Chemnitz zurückgekommen und hatten gerade Zeit gehabt, sich umzuziehen und ein Glas Milch zu trinken. Wilhelm dagegen war nicht zum Unterricht gekommen und das beunruhigte uns.

Heute, setzte er nun leise zu sprechen an, werden wir sehen, wie aus dem Grunde der Sinn erwächst. In der Aula war es mucksmäuschenstill. Ihr müsst Euch den Punkt als etwas denken, aus dem Energie hervorkommt. Und während er das sagte, zeichnete seine Hand schon geometrische Formen und die Feldlinien, die sie erzeugen. Es war eine weiße und zarte Hand, die sich vom Schwarz der Tafel deutlich absetzte. Es ist der Anfang, der fruchtbar ist. Und von dort aufbrechend kommen wir zur Gestalt. Aber wir müssen sorgsam sein und beachten, dass die Figur immer an die Bewegung geknüpft ist. Es gibt keine vollkommenere Gestalt als jene, die das Wasser als Synthese von Phänomen und Darstellung zeichnet. Er sagte das, als verriete er uns ein Geheimnis. Ich schaute zu Hans, der hob den Kopf und reichte mir einen Zettel. Ich las: Das Wasser ist eine Metapher für Strategie und Taktik. Es bewegt sich von den Höhen eilig nach unten – so wie Strategie und Taktik das Korsett des Substanziellen verlassen und in die Leere eintauchen.

Mehr stand da nicht. Wann hat er das gesagt? Hans lachte. Er hat es gar nicht gesagt, antwortete Kurt, aber vielleicht gedacht. Geschrieben hat das ein chinesischer Stratege, 700 Jahre vor Christus.

Nun zog uns wieder die Tafel in ihren Bann. Seltsame Pflanzen vereinigten sich dort in einem luftigen Gebilde, das vor allem den Drang nach Veränderung ausdrückte. Die Lebensenergien, die aus dem Punkt eine Linie, aus der Linie eine Fläche, aus der Fläche eine räumliche Dimension machen – sie bilden ein Ganzes. Seine Hand schien die Tafel ganz auszufüllen, die Linien verdichteten sich, um sich wieder zu verzweigen, ganz so, als hätte sie ein Eigenleben. Hans hatte sich neben mich gesetzt und flüsterte wie verzaubert von dieser Hand: Hinter diesen Symbolismen, Hannah, sehe ich sein Vertrauen in das Leben. Deswegen habe ich unserem Quartiersrat vorgeschlagen, eine seiner Zeichnungen zur Illustration unserer Flugblätter zu verwenden. Wenn unter diesem Mischmasch die Signatur »Klee« steht, dann sind es »Klees«; aber wenn Du die Signatur weg lässt, dann wird aus diesem Gekritzel die Masse der Ausgeschlossenen, die voranschreitet und Angst macht, weil sie keine Form hat. Nichts schreckt die Bourgeoisie mehr als eine radikale Opposition, die keine hierarchische Ordnung hat, die vor allem keine der bürgerlichen Parteien nachäfft. Ich war überrascht. Aber ich sagte nichts. Die Linie illustriert mit ihrem Wesen ihr Entstehen …

Martin ist daheim in Blankenburg gewesen, bei der Hochzeit eines Jugendfreunds. Nun hat er uns 5 kg Frösche mitgebracht, die er mit Bekannten nachts in einem Teich gefangen hat, mit Karbidlampen und Spießen. So ist unsere Vorspeise heute Abend gesichert.

Für die Creme 600 g Brunnenkresse sorgfältig waschen, davon 500 g in Salzwasser dünsten und abtropfen lassen. Eine sehr fein gewiegte Zwiebel mit wenig Butter und einem Glas frischem Rahm goldbraun anbraten. Die Brunnenkresse zugeben und einköcheln lassen. Alles durch den Fleischwolf geben, Salz und Pfeffer sowie die übrige kleingeschnittene Kresse beifügen. In einer hohen Pfanne zwei kleingeschnittene Schalotten anbraten. Mit einem großen Glas Weißwein übergießen, dazu einen Hauch Muskat, einen Bund gewiegte Petersilie und 700 g gesäuberte und von der Haut befreite Froschschenkel. Nachsalzen und pfeffern, bei geschlossenem Deckel zum Kochen bringen. Nach 5 min die Froschschenkel herausnehmen und warmstellen – das Fleisch ist gar, wenn es sich von den Knochen löst. Den Fond um mindestens die Hälfte reduzieren, noch ein wenig Butter und ein Glas steif geschlagenen Rahm zugeben. Die Kressecreme erwärmen und damit auf jedem Teller ein Nest formen, in das jeweils ein paar Froschschenkel gelegt werden, mit einem Klacks Sauce und ein wenig Kerbel garnieren. Sofort servieren.

An diesem Abend hatten wir sehr viel Kundschaft. Also schlug ich vor, die Creme auf kleine Knoblauchpfannkuchen zu setzen – ein voller Erfolg. (Ein Assistent aus dem Fotokurs, der bukolische Motive liebt, hat uns erzählt, dass es vor dem Krieg an der Straße nach Rudolstadt, vor allem unterhalb von Schloss Heidecksburg, künstlich angelegte Wassergräben – sogenannte »Klingen« – zur Kultivierung von Brunnenkresse gegeben hatte. Jetzt nutzte sie niemand mehr, der Bauer, dem sie gehörten, und seine ganze Familie waren umgebracht worden.)

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