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27. März 2006 Montag

Tag 2

Ich wache um circa halb sechs mit dem ersten Tageslicht auf. Nach einer sehr unruhigen Nacht, in der ich einfach zu wenig geschlafen habe, fühle ich mich ziemlich müde, etwas benommen und sämtliche Knochen schmerzen. Ganz ohne weiche Unterlage zu schlafen ist eine sehr unbequeme Angelegenheit, die ich auf jeden Fall ändern möchte. Ich verlasse die Welt der Träume immer ohne Wecker, den brauche ich nicht. Um den Akku zu schonen, habe ich auch während der Nacht das Handy aus. Das schalte ich erst beim Losfahren ein. Die Feuchtigkeit dringt bis zu den Knochen durch. Alles ist nass – das Zelt, das Fahrrad und der Sand. Dafür habe ich als Entschädigung einen wunderbaren Ausblick aufs Meer und in der anderen Richtung einen atemberaubenden Sonnenaufgang. Nachdem die ersten Sonnenstrahlen auf mich eingewirkt haben, gehe ich runter zum Strand und putze mir die Zähne, spüle sie anschließend mit dem Salzwasser aus und wasche mir den Schlaf vom Gesicht. Ich erfreue mich an meinem großen Badezimmer mit einem belüfteten Hinterm-Busch-Klosett. Nach der Morgentoilette trockne ich das Zelt und den Packesel mit einem Putzlappen. Es dauert eine ganze Weile, bis alles eingerollt, verstaut und zur Weiterfahrt bereitsteht.

Es ist 8.00 Uhr, als ich in den Pedalen steige. Nach einigen Kilometern kreuzt die erste Bar meinen Weg und damit die lang ersehnte Tasse Kaffee. Vom Aufwachen bis zum heißen Koffein-Schub vergehen fast drei Stunden, das lässt sich vorerst nicht umgehen. In dem Städtchen Pulsano fülle ich an einem Trinkwasserbrunnen meine Thermosflasche. Ich bemerke die Blicke mancher Leute auf mir und im ersten Moment bin ich deswegen etwas verdutzt. Erst als mich jemand anspricht, verstehe ich den Grund dafür. Gestern Abend und auch heute sind die Berichte von meinem Vorhaben in den Nachrichten verschiedener Regionalsender ausgestrahlt worden. Auch die Tageszeitungen schreiben über die ungewöhnliche Solo-Radreise. Ich werde auch in Talsano und Tarent angesprochen. Letztere ist übrigens die erste Provinzstadt der Reise. Nachdem ich einen leckeren Panino gegessen habe, mache ich ein paar Bilder von der Strandpromenade und von der drehbaren Brücke, die hier Stadtwahrzeichen-Kult hat. Weiter geht es auf der autobahnähnlichen Straße außerhalb der Stadt. Das geschieht nur deshalb, weil es hier in dieser Zone einen akuten Mangel an Alternativen Strecken gibt. Bei uns im Süden gibt es so gut wie keine Fahrradwege. Aus diesem Grund gestaltet sich das Lenken eines Fahrrads manches Mal etwas schwierig. So ist es nicht weiter verwunderlich, wenn oft das Gefühl entsteht, dass der vorbeiziehende Verkehr einem den Ellenbogen streift. Die Gefahr stets im Nacken zu spüren, ist nicht jedermanns Sache.

Kurz vor Metaponto verlasse ich zum Glück die Schnellstraße, denn ab hier hat man vernünftigerweise eine parallel verlaufende Nebenstrecke gebaut. Diese ist auf jeden Fall angenehmer mit dem Rad zu befahren, auch wenn es trotzdem zu laut ist. Damit verlasse ich die Region Apulien und befahre nun die Straßen der Basilicata. Es wird Zeit, mir einen Übernachtungsplatz zu suchen. Den finde ich unweit des Wohngebiets - auf der Wiese neben einer Pineta (Pinienwald). Da bis zur Dämmerung noch ein wenig Zeit verbleibt, möchte ich versuchen, mir eine Luftmatratze zu besorgen. Ich will nicht noch einmal so eine ungemütliche Nacht verbringen wie die letzte. Also baue ich erstmal das Zelt auf. Weil der Platz so gut versteckt ist, habe ich keine Bedenken, es für eine Weile allein zurückzulassen. In der Nähe finde ich einen kleinen Supermarkt, gehe hinein und bekomme leider nur eine günstige Kinderluftmatratze mit Barbie-Design. Besser als nichts – denke ich mir, meinem Kreuz zuliebe … Und es muss auch keiner was davon erfahren. Man macht aber oft und gerne die Rechnung ohne den Wirt. Einmal an der Kasse angekommen, erkennt mich die Inhaberin des Marktes aus dem Fernsehen. Im Nu versammeln sich so viele Hausfrauen um mich herum, dass ich gar nicht die Möglichkeit habe, mich des „Corpus delicti“ zu entledigen. Es kommt so, wie ich es nicht wollte. Ich werde mit Fragen über meine Reise, aber auch über das Plastikteil, das ich in der Hand halte, bombardiert. Etwas verlegen erkläre ich die etwas umfunktionierte Rolle, die dieses Kinderspielzeug in Zukunft haben wird. In meinem Innersten ärgere ich mich über mein unverzeihliches Versäumnis, bei der Planung nicht bedacht zu haben, dass ich nicht ohne weiche Unterlage schlafen kann.

Ich werde als eine Art Held gefeiert, obwohl ich noch nichts Außergewöhnliches getan habe. Es ist erstaunlich, was ein Fernsehauftritt bei den Menschen bewirken kann. Unter dieser Fangemeinde ist auch die Signora Cesaria, welche die Inhaberin des Restaurants gegenüber ist. Sie lädt mich in ihrem Lokal zum Essen ein und da ich sehr verhungert bin, nehme ich ihre Einladung dankend an. Während ich gerade dabei bin das kulinarische Spektakel zu genießen, das mir die Signora zubereitet hat, werde ich um mein allererstes Autogramm gebeten. Giuseppe ist der 14-jährige Sohn von Cesaria und von meinem Vorhaben begeistert. Ich fühle mich geehrt und ein wenig gerührt. Mir gegenüber sitzt ein älteres Ehepaar, das alles mitbekommen zu haben scheint. Auch dieses gratuliert mir zu meiner Reise und fragt mich gleichzeitig in gebrochenem Italienisch – die Herrschaften kommen aus Österreich – ob ich durch ihre Stadt Graz fahren werde. Um uns besser zu verständigen, antworte ich ihnen nun auf Deutsch. Ich mache ihnen klar, dass mein Weg durch Europa leider nicht durch ihre Stadt führt.

Währenddessen ist mein Rindersteak kalt geworden und hat etwas an Geschmack eingebüßt. Giuseppe hat in der Zwischenzeit Verstärkung geholt und kommt nun mit einigen seiner Freunde zu mir an den Tisch. Sie sind alle bewaffnet mit Papier und Stift. Sie wollen auch ein Autogramm ergattern und ich komme mir vor wie ein bekannter Radsportler. Etwas verlegen bin ich schon, weil mir dieser Lorbeerkranz noch gar nicht zusteht.

Draußen ist es dunkel geworden. Ich bedanke mich herzlichst bei Signora Cesaria für das leckere Abendessen und bei Giuseppe und seinen Freunden. Es ist Zeit zu gehen, so verabschiede ich mich von meinen neu gewonnenen Freunden und mache mich auf den Weg zu meinem Nachtlager. Der Wunsch, gemütlich zu ruhen, hat in diesem Augenblick Priorität. Ich schreibe nur mal schnell die Daten des heutigen Tages in mein Notizbuch und dann blase ich mein Bett auf. Die Luftmatratze aufzupumpen ist anstrengender, als ich zunächst dachte. Das raubt mir die letzte Kraft. Ob ich wohl mit einer kleinen Pumpe besser bedient wäre? Dies wird mich morgen beschäftigen. Jetzt habe ich was Besseres vor – und zwar meine neue Matratze zu testen. Ich schlüpfe in meinen Schlafsack und begebe mich sofort auf eine andere Reise – nämlich die der Träume.

„Wir unterschätzen das, was wir haben und überschätzen das, was wir sind.

(Marie von Ebner-Eschenbach)

Tageskilometer: 110, gesamt: 194 km

Tour der Erkenntnis

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