Читать книгу Tour der Erkenntnis - Antonio De Matteis - Страница 23
Оглавление9. April 2006 Sonntag
Tag 15
Ich habe himmlisch geschlafen. In einem geschlossenen Raum zu ruhen, hat doch so seine Vorteile. Ich komme mir ziemlich einsam vor, so ganz ohne Ameisen, Fliegen, Mücken und sonstige schleimigen Insekten. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, musste ich mich erst fragen, wo ich mich befinde. Das muss ich zwar jeden Morgen, aber an diesem war alles ein bisschen anders. Es war so ruhig und es duftete nach frischem Kaffee. Meine Tante hat wahrscheinlich damit begonnen, das Frühstück vorzubereiten. Ich freue mich sehr darauf! Zudem freue ich mich auch über die Gemütlichkeit des Tisches und Stuhles. Im Zelt muss ich alles am Boden sitzend oder kniend erledigen. Das ist auf die Dauer für den Rücken und die Gelenke schmerzlich und bestimmt auch schädlich. Am reichlich gedeckten Frühstückstisch plaudern und genießen wir gemeinsam die Zeit. Irgendwann aber wird es für mich von Nöten sein mich zu lösen und meinen Weg durch Europa wieder vorzunehmen. So bedanke und verabschiede ich mich von meiner Tante. Sie gibt mir noch ein paar leckere belegte Brote mit und wünscht mir Glück.
Mein Onkel möchte mich noch hinunterbegleiten. Wir holen das Fahrrad aus dem Keller und begeben uns auf den Hauptplatz, wo die Kathedrale zu sehen ist. Wir kaufen die Zeitung, in der wir meinen Artikel lesen. Der zuständige Journalist hat einen sehr schönen Bericht über mich und meine Reise geschrieben.
Es ist 10.00 Uhr – Zeit sich auch von meinem Onkel zu verabschieden. Ein Dankeschön, eine Umarmung, ein Lebewohl und schon bin ich wieder allein auf meinem Weg. Der Weg, der sich zuerst durch die Altstadt, dann durch gelockerte Wohngebiete und anschließend serpentinenartig nach oben über den Foce-Pass schlängelt. Ich bin etwas traurig geworden, nachdenklich, aber zugleich glücklich wieder mit meinem Rad unterwegs zu sein. Traurig, weil mein Onkel und meine Tante die letzten bekannten Menschen waren, die ich auf meinem Weg getroffen habe. Für eine sehr lange Zeit! Glücklich auch, weil ich physisch erholt bin und psychisch neue Kraft aufgetankt habe.
So fahre ich mit neuem Elan durch die Cinque Terre Liguriens. Eine wunderschöne Naturlandschaft. Bergig, sehr grün und wenig bewohnt. Ich genieße jeden Meter, den ich teilweise angestrengt zurücklege, bedingt durch die vielen Steigungen bis zu dem berüchtigten Bracco-Pass. Dieser ist sehr geliebt und gehasst unter dem Rad fahrenden Volk. Als ich oben bin, lasse ich meinen Blick glücklich und zufrieden über die Berge gleiten. Auch diese Hürde lasse ich stolz hinter mir. Ein weiterer Schritt nach vorn ist getan, der mich näher zu meinem Ziel führt.
Der Himmel ist komplett durch graue Wolken bedeckt, weshalb das Thermometer heute nicht über die 16 Grad-Marke ansteigt. Gewiss passiere ich eine sehr schöne und farbenprächtige Region. Ich fahre durch Natur pur – durch Wälder, Berge, Täler und über Flüsse. Aber ich kann das Ganze nicht so recht genießen. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, an zu Hause zu denken, liebe Menschen zu vermissen. Es ist schwer, wieder aus der Schlucht des Heimwehs herauszukommen. Ich muss jedoch lernen damit umzugehen und diese Hürde zu überwinden.
Ich habe Jahre auf dem Asphalt im LKW – meist im Ausland – verbracht. Aber das hier ist doch noch etwas Anderes. Auf dieser Reise bin ich sehr einsam.
Nun geht es viele Kilometern bergab, das freut mich sehr. Ich habe irgendwann wieder meinen Freund, das blaue Meer, in Sichtweite. Gut zu wissen, dass er mich treu die nächsten Tage und Wochen begleiten wird. Er versorgt mich mit positiver Energie und gemeinsam mit meiner Familie und Freunden zu Hause, treibt er mich jeden Tag an. Wenn man so allein unterwegs ist, dann ist es unglaublich wichtig, einen starken Freund an seiner Seite zu wissen. Ich stelle mir oft vor, wie ich mich mit ihm - zumindest mental - unterhalte, als ob ich mit meinem besten Freund sprechen würde. Auf diese Weise überwinde ich oftmals die mörderische Einsamkeit.
Nach Sestri Levante und Chiavari, erreiche ich am späten Nachmittag Rapallo. Hier einen guten und ruhigen Übernachtungsplatz zu erhaschen, erweist sich schnell als ein schwieriges Unterfangen. Nach einer langen und ergebnislosen Suche bin ich gezwungen, direkt an der Staatsstraße, der Via Aurelia, an einer Steigung innerhalb einer Kehre zu zelten. Versteckt hinter einem Gebüsch, aber mit großartigem Ausblick auf den Golf, werde ich heute meine Nacht verbringen.
Die Örtlichkeit ist nicht besonders ruhig, aber ich habe einen Platz und im Moment zählt nur das. Ich gebe mich zufrieden und nach dem Camp-Aufbau lasse ich mir die Brote von meiner Tante schmecken. Danach: „Buona notte!“.
„Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid.“
(Leonardo da Vinci)
An diesem etwas Kürzeren, aber teilweise sehr anstrengenden Tag, sind immerhin 78 km zusammengekommen, gesamt 1380 km.