Читать книгу Tour der Erkenntnis - Antonio De Matteis - Страница 31
Оглавление17. April 2006 Montag
Tag 23
Als die Sonne ihre ersten Strahlen auf das Land wirft, fängt der Wind wieder an zu blasen, welcher sich zum Glück über Nacht etwas beruhigt hatte. Das ist für mein Vorhaben natürlich nicht entgegenkommend, das heißt … der kommt mir zwar schon entgegen, aber … das kommt mir nicht entgegen … lustiges Wortspiel, oder? Jedenfalls, der arbeitet eindeutig gegen mich und das ist nicht so lustig.
Ich verlasse den menschenarmen Campingplatz genauso unbemerkt, wie ich ihn gestern betreten habe. Mein Präsenz war selbst für die gelangweilten Katzen uninteressant. Davon, dass ich da war, zeugt nur die Anmeldung, die ich gestern beim Eintritt selbst geschrieben und in den Briefkasten geworfen habe. Da jetzt so früh immer noch niemand in der Rezeption ist, werfe ich einfach das Geld für die Gebühren eingerollt in einen Merkzettel mit meinem Namen versehen auch in den Briefkasten. Damit denke ich, habe ich alles richtig gemacht und werde deswegen nicht international polizeilich gesucht.
Ich mache mich wieder auf meinen Weg. Dieser schlängelt sich durch Feldwege, kleinere Kommunal-Straßen und teilweise auch über Radwege. Es ist Ostermontag, wahrscheinlich ist es deshalb verkehrsmäßig ruhig. Diese vermeintliche Ruhe wird mir aber zum Verhängnis. Wie schon erwähnt, weht der Mistral ziemlich stark, mal von vorn und mal von der Seite. Mit LKWs rechne ich heute nicht, doch als mich ein großer Pferdetransporter sehr nah und zügig überholt, gerate ich in seinen Sog. Die aufgewirbelte Luftmasse zusammen mit dem Wind bringen mich ins Schleudern. So verlasse ich unfreiwillig die unsichere Fahrbahn und ziele noch unfreiwilliger in einen Kanal. Ich versuche dabei die Ruhe zu bewahren, um nicht zu ungünstig zu fallen und um damit den Schaden einzugrenzen. Mein Glück ist, dass der Kanal momentan kein Wasser führt, so lande ich etwas unsanft, aber sicher in seinem Bett. Benommen stehe ich auf und kontrolliere, ob noch alle meine Körperteile an mir kleben. Nach meiner vorläufigen Daumen-mal-Pi-Diagnose sind ein paar Schürfwunden an Beinen und Armen durchaus ein glimpflicher Ausgang des Unfalles. Derweil ist der Formel-1-Pferdetransporteur in der Ferne verschwunden. Nun suche ich meine Sachen, die im hohen Gras herumliegen. Das ist - und das passt zu Ostern - wie Ostereier suchen. Ich sammle die Seitentaschen, die sich ausgeklinkt haben, und alles andere, was auf dem Gepäckträger befestigt war, wieder ein. Auch am Fahrrad ist auf den ersten Blick nichts Erkennbares kaputt, außer ein paar Kratzer. Ruhig Blut, es hätte schlimmer kommen können, versuche ich mich selbst zu beruhigen.
Aus der Bahn geworfen zu werden bedeutet doch nicht zwangsläufig, dass der Tag ein negativer ist. Nachdem ich meinen inneren Schweinehund überzeuge, setze ich die Fahrt fort.
Am Rande der Camargue treffe ich in der Festungsstadt Aigues Mortes ein. Die Stadt besitzt nach dem, was ich sehe, eine hohe intakte Stadtmauer. Die mittelalterlichen Häuser reihen sich entlang der mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Gassen. Blumenkästen schmücken die vielen kleinen Fenster und die wenigen Balkone. Viele kleine Geschäfte beleben die Hauptstraßen und die Plätze, die meist einen Springbrunnen besitzen. Für letztere bin ich besonders dankbar, denn da erfrische ich mich und befülle meine Trinkflasche. Nach der erholsamen Pause ziehe ich weiter.
Irgendwann rieche ich wieder salzhaltige Meeresluft, denn nun befahre ich die Straße zwischen dem Meer und der Lagune. Praktisch auf einer Landzunge, die sich über sehr viele Kilometer erstreckt. Durch den Richtungswechsel wird der immer noch starke Wind zu meinem besten Freund. Der schubst mich nun ganz schön nach vorn. Ich fliege fast, das macht einen Riesenspaß. So passiere ich Palavas les Flots, Frontignan und Sete. Irgendwann muss auch dieser Tag zu Ende gehen. Ich suche einen Übernachtungsplatz, bevor es dunkel wird. Hier sind aber nur Strand und Lagune. Keine windgeschützten Objekte wie ein Wald, ein Haus oder ein großer Strauch. Die nächste Stadt ist circa dreißig Kilometer weg. Mir bleibt nichts anderes übrig, als hier am offenen Strand zu campen. Das erweist sich jedoch durch den Wind als sehr schwierig. Das Zelt aufzuschlagen scheint ein Unternehmen zu sein, das zum Scheitern verurteilt ist. Im Dunkeln sammle ich mühsam große Steine, um meinen Schlafplatz zu sichern. Dafür benutze ich alle mir zur Verfügung stehenden Leinen und Spanner. Und tatsächlich, nach einer langen und sehr schwierigen Aufbauzeit ist das Zelt gesichert. Nun verlassen mich meine Kräfte schlagartig. Ich kann mir nicht mal etwas zum Essen warm machen, weil sogar im Zeltinneren Durchzug herrscht! Es wäre ohnehin gefährlich, darin mit der offenen Flamme zu hantieren. Also esse ich nur ein Stück altes Brot, dass noch irgendwo tief in einer Tasche dahinvegetierte, mit Nussnougatcreme.
Danach versuche ich zu schlafen, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Konstruktion standhält. Nach einer Weile schlafe ich dann doch ein, aber nur mit einem Auge, das andere brauche ich, um zu wachen.
„Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.“
(Konfuzius)
Tageskilometer 117, gesamt 2119 km.