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19. April 2006 Mittwoch

Tag 25

Kaum zu glauben, dass ich mich in einem weichen Bett befinde. Ohne Wind, Staub, Dreck, lästige Insekten und Feuchtigkeit. Es ist ruhig, warm und angenehm, die einzige Sorge ist der Sturm, der immer noch nicht nachlässt. Aber nun freue ich mich auf das Frühstück im Zimmer. Aus meiner Kaffeemaschine und vom Gaskocher natürlich. Wir wollen nicht übertreiben mit dem verwöhnen. Einen Tisch mit Stuhl habe ich selbstverständlich auch zur Verfügung. Das habe ich gestern gar nicht erwähnt, weil es noch nicht zu den Prioritäten zählte. Jetzt schon. Man glaubt gar nicht, wie diese im Normalfall zur Selbstverständlichkeit gehörenden Gebrauchsgegenstände, plötzlich so wertvoll sein können. Die Erkenntnis kommt erst, wenn man sie lange Zeit nicht zur Verfügung hatte. Kurz nach acht Uhr bin ich bereit zur Weiterfahrt. Ich bedanke mich herzlich bei Marc mit einer Umarmung. Seine unglaubliche Gastfreundschaft hat mich sehr beeindruckt und hat mir unheimlich gutgetan.

Manchmal gegen und manchmal mit dem Wind radle ich weiter, auf mehr oder weniger ebenem Gelände bis nach Perpignan. Hier beruhigt sich der Wind nahezu schlagartig. In nicht allzu weiter Ferne sehe ich die Bergkette der Pyrenäen. Jetzt nur noch die letzte Stadt der alten Gallier Le Boulon durchqueren und dann geht es hoch Richtung spanische Grenze. An dieser Stelle ist der Pass nicht so hoch. Die Landschaft ist wunderschön, das Wetter auch und die Aufregung, bald ein neues Land zu betreten, beschert mir neue Kraft. Nun verlasse ich für eine Weile die direkte Küste. An meinem fünfundzwanzigsten Tag meiner Reise um exakt sechzehn Uhr erreiche ich Spanien, die dritte Nation dieser Tour. Ein Mix aus verschiedenen Gefühlen durchzieht meinen Körper. Der Stolz, bis hierhergekommen zu sein, ist wohl das stärkste Gefühl. Froh, dass es mir gesundheitlich weitgehendst gut geht, ist das andere. Die Aufregung, was mich wohl auf der iberischen Halbinsel erwartet, ist auch nicht zu verachten. Die Folge ist, ich fühle mich motivierter denn je, das macht mich stärker. Für eine Weile genieße ich diesen Zustand und erhole mich von der anstrengenden, hinter mir liegenden Steigung.

An dieser Grenze sind viele Mega-Einkaufszentren entstanden. Es ist einiges los, volle Straßen und Parkplätzen. Viele kauflustige Fußgänger, die vollgepackt von Geschäft zu Geschäft umherlaufen. Ich habe den Eindruck, ich befinde mich auf einem Ameisenhaufen. Das hier ist eindeutig nicht meine Welt, das ist mir zu hektisch, deshalb ziehe ich weiter.

Ein paar Kilometer weiter unten in La Jonquera sind es meine Ex-Kollegen, die das Straßenbild mit ihren LKWs prägen. In der Vergangenheit bin ich schon sehr oft hier gewesen, als ich noch selbst diese Straßen-Elefanten gelenkt habe. Seit damals hat sich allerdings einiges geändert. In der Zeit vor dem Schengener Abkommen war hier ein wichtiger Zollhof gewesen. Die meisten Güter, die auf Straßen befördert wurden und für die iberische Halbinsel bestimmt waren, wurden hier verzollt. Dieser Vorgang hat damals manchmal Tage in Anspruch genommen. Nachdem die EU-Grenzen gelockert wurden, wurde es dann leichter. Die neuen Bestimmungen und Gesetze innerhalb der Eurozone haben dann letztendlich dazu geführt, dass hier nur die Nicht-EU-Ware abgefertigt wird. Nun sind um das Zollgelände unzählige Bars, Restaurants, Einkaufszentren, Werkstätten und Büros entstanden. Das Dorf La Jonquera selbst ist sehr klein und hat die Idylle von einst verloren. Ich habe der Versuchung nicht widerstehen können und ein paar Wirte von früher angesprochen, die ich von damals kannte, aber sie erinnern sich nicht mehr an mich. Sie haben wahrscheinlich schon so viele Leute gesehen, dass sie sich gar nicht erinnern können. Trotzdem weckt bei mir das ganze Geschehen - auch wenn sich vieles verändert hat - Erinnerungen an jene lange Fernfahrerzeit. Das beschert mir ein leichtes Gefühl von Nostalgie. Fakt ist aber, dass ich mit diesem Beruf schon vor einigen Jahren komplett abgeschlossen habe. Die Arbeit war nur noch von Terminen, Hektik und Oberflächlichkeit bestimmt. Der Mensch hinter dem Beruf wurde immer weniger als solcher respektiert. Es hat mir keinen Spaß mehr bereitet. Das waren quasi die direkten und indirekten Folgen der Öffnungen und Lockerungen aller europäischen Grenzen. Nostalgie, Traurigkeit, Abfindung, Hoffnung und Erwartung, all das irrt bei mir jetzt im Kopf herum. Das Beste ist, glaube ich, weiterzuziehen.

Es geht das Tal entlang leicht bergab nach Figueres. Nach dem obligatorischen kurzen Aufenthalt im Zentrum, suche ich allmählich nach einem geeigneten Platz für die Nacht. Außerhalb der Stadt frage ich ein junges Pärchen, das gerade vor einem alleinstehenden Haus am Straßenrand steht, nach einem Platz für mein Zelt. Nachdem ich sie über meine Reise informiere, erlauben sie mir, vor ihrem Haus im Garten das Zelt aufzuschlagen. Ich sei willkommen und dürfe auch ihr Bad benutzen. Jordi und Veronica hätten auch einige Male auf diese Weise übernachtet, erzählen sie mir. Zudem war die junge Frau mit einem jungen Mann aus Kalabrien befreundet und hat sogar dort etwa zwei Jahren gelebt. Nach einer freundlichen Unterhaltung baue ich mein kleines mobiles Schlafzimmer auf, schreibe noch die heutigen Daten und Eindrücke in mein Bordbuch und dann schlafe ich zufrieden, aber etwas nachdenklich, ein.

„Ein Kopf ohne Gedächtnis ist eine Festung ohne Besatzung.

(Napoleon Bonaparte)

Heute 98 km, gesamt 2302 km.


Abb.6 - Die spanische Grenze erreicht.

Tour der Erkenntnis

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