Читать книгу Die Geierkrieger - Arthur Krasilnikoff - Страница 13

Vom Feuer machen

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Gnus, das wusste er, konnten so verwirrt werden, dass sie dumm davon wurden. Aber er hatte keine Waffe. Er hatte nicht genug Kraft, einen Holzspeer so zu werfen, dass er in die Haut eines blauen Gnus eindrang. Obwohl er ohne weiteres einen Ast zuschneiden konnte. Mit dem richtigen Gewicht, schwer, läge er ordentlich in der Hand, dass er sausend durch die Luft flöge, das hatte er so viele Male getan …

Zwei Dinge schlugen diese Gedanken aus seinem Kopf wie Steine, die in der Luft zusammenstießen:

Er hatte kein Messer und er hatte nichts, womit er spielen konnte.

Er wusste genau, wie die Erwachsenen das Gift bereitet hatten, um die Pfeile damit einzuschmieren, aber es war nicht leicht, die richtigen Larven zu finden. Er hatte auch Angst, sich zu schneiden, während er mit dem Gift arbeitete. Die Pfeile hätte er machen können, hätte er nur Sehnen und Pfeilspitzen gehabt. Alles, bei dessen Herstellung er zugesehen hatte, war zu Pfeilen geworden, weil die Leute auf die Jagd gingen.

Wäre er schlau und vorausschauend gewesen, hätte er sich zurück in die Siedlung geschlichen und eine Jagdausrüstung mit Speeren, Bogen und Pfeilen geholt. Alles wäre in dieser Ausrüstung gewesen, ein Grabstock, Feuer. Dass er aber auch nicht daran gedacht hatte. Doch gleich darauf wurde ihm klar, dass er es nie über sich gebracht hätte, dorthin zu gehen, wo es so still war. Und es war lange her, dass die Feuer aufgehört hatten zu brennen.

Nein, für ihn hatte es nur die eine Möglichkeit gegeben: wegzugehen. Auch wenn die Decken noch so verlockend im Wind geweht hatten, und die vollen Wasserbehälter, die in einem Baum hingen, schwer gegeneinander schlugen, wenn der Wind ihnen hin und wieder einen kräftigen Stoß versetzte. Er hätte nie zurückgehen können, um sich zu bedienen. Das konnte er nicht, wenn all die Toten dort lagen. Und wer weiß, vielleicht hätte ihn einer mit seinen Totenhänden festgehalten. Und seine Mutter … er ertrug es einfach nicht, daran zu denken. Er wusste mit großer Sicherheit, dass er jetzt nicht sterben konnte, und er wusste, dass das stimmte. Wie ein Mistkäfer, der sich mit seinem Scheißeklumpen über Knollen und Steine rollte und niemals aufgab, wollte auch er nicht aufgeben. Vielleicht dachte er das nicht so klar und deutlich. Er wollte nur nicht sterben. Deshalb verließ er den Ort unter dem Baum, wo er geschlafen hatte. Die Holzmaus war nicht zu sehen. Die Sonne war aufgegangen, aber noch nicht alt genug, um alles zu versengen.

Während er umherging und sich einsam fühlte, schreckte er zweimal ein paar Springböcke auf. Sie flüchteten, polternd und taumelnd, lange bevor er nahe genug herangekommen war. Er hörte sie durch das Gebüsch brechen, sah die verwirrt hin und her laufenden Körper im Sonnenlicht zwischen den Bäumen. Sie torkelten schwerfällig davon, wie es sich für diese so gewandten Tiere eigentlich nicht ziemt. Erst draußen in der freien Wildbahn wurden sie zu Springböcken, die wie umherschweifende Lichter über die Grassteppe flogen.

Gegen Mittag stand die Sonne so heiß und tief über ihm, dass er unter den nächsten Bäumen Schutz suchen musste. Die Strahlen waren so heftig, dass er das Gefühl hatte, unter einem Regenbogen aus Wärme zu stehen. Alles Lebende schien von dem Sonnenschauer weggespült worden zu sein. Er selbst lag unter einem Apfelblattbaum und keuchte, als würde er ertrinken. Die Insekten hatten als einzige Kraft, deshalb hörte man sie. Selbst die Mistkäfer bekamen genug Wärme, um brummend durch die Luft zu fliegen.

Die Käfer kribbelten und knirschten, wenn man sie aß, besonders die, die zusammen mit Blättern in einem Mörser zerstampft wurden. Sie zu fangen sollte ihm gelingen, und wie er die Blätter von den Pflanzen bekam, wusste er auch. Sie konnten nicht wegfliegen wie die Käfer. Fast bekam er Lust, sofort loszulaufen, aber er besann sich und blieb im Schatten, bis die Hitze erträglicher wurde. Jetzt wusste er, wie er an Essen kommen konnte.

Am Nachmittag stieß er auf einen Fleck Erde, wo massenhaft Tsamamelonen wuchsen. Es waren so viele, dass er beschloss, in der Nähe zu bleiben und zu schlafen und zu essen und zu schlafen und sich satt zu essen. Die Käfer interessierten ihn nicht mehr. Er hatte ihren Lieblingsbusch nicht wieder gefunden. Er hatte ja auch kein Salz, man brauchte Salz dazu. Er konnte sich erinnern, dass sie Blätter und Käfer zusammen mit Salz im Mörser zerstoßen hatten.

Nein, jetzt grub er die Zähne in das feste, zarte Fleisch. Das Wasser des saftigen Fruchtfleischs spritzte in seine Mundhöhle. Ah, das löschte seinen Durst. Er hatte nicht gewusst, dass er so durstig war. Es kitzelte förmlich vor Freude in ihm über den Durst, den er jetzt stillen konnte. Seine Zähne, sein Gaumen, die Innenseiten seiner Wangen wurden feucht von dem frohen Naschen des herrlichen nassen Fruchtfleisches. Er aß sich mit größter Aufgeregtheit durch eine Reihe grüner, bunt schillernder Melonen. Ja, er hüpfte geradezu, so froh war er, seinen Durst stillen zu können. Nur langsam schwand die berauschende Freude, diese erfrischenden Früchte zu essen. Jetzt ruhten die Kerne zusammen mit dem Fruchtfleisch in seinem Magen und dehnten seinen Bauch, dass er nur mit Mühe weiterstolpern konnte. So selig und unberechenbar wild war sein Kauen und Schlucken gewesen. Doch mit der Sattheit nahm diese flatternde Freude ab.

Aus irgendeinem Grund wusste er, dass er sich nicht in der Nähe des Feldes aufhalten sollte. Vielleicht hatte sein Vater oder sein Großvater oder sein Onkel, der ein großer Jäger war, ihm erzählt, dass man sich nicht zu nahe bei einem solchen Feld aufhalten sollte. Er fand einen Akazienbaum, einen Kameldornbaum, unter dem er die Nacht verbringen konnte.

Die Sonne war noch nicht geschrumpft und zum Abend hin rot geworden. Deshalb begann er, nach Baumstücken zu suchen, mit denen er versuchen wollte, Feuer zu machen, denn er wusste, wie man das macht. Er begann nach zwei Sorten Holz zu suchen. Eine hart, eine weich. Nachdem er lange Zeit gesucht hatte, fand er endlich zwei Holzstücke. Eine Wurzel und einen Ast. Mit den Zähnen entfernte er die Rinde. Mit Hilfe eines scharfen Steins schnitt er eine kleine Kerbe in das Holzstück, dass die Funken in das feine Knäuel fallen konnten, das er aus Heu und vertrockneten Blättern geformt hatte.

Der erste Versuch endete kläglich. Er saß verkehrt, bekam einen Krampf in einem Bein. Seine Nase juckte. Fast schaffte er es nicht. Er wand und drehte sich, um richtig zu sitzen. Einmal gelang es ihm, doch da hatte er vergessen, genügend Reisig zu holen, das Feuer fangen konnte, sodass er wieder aufstehen und welches holen musste. Endlich war alles bereit.

Jetzt musste es gelingen.

Er schwitzte, Schweiß rann ihm von der Stirn. Alles machte ihn nervös. Es knackte im Holz, es begann zu rauchen. Der Rauch stieg ihm süß in die Nase, der feine schwache Geruch der Funken, wie aus Stein. Die Glut in den Holzspänen, die das Grasknäuel Feuer fangen ließ. Kleine tanzende Flammen, die verschwanden, um mit kleinen Puffen wiederzukommen, bis endlich das Gras brannte. Die in das Reisig übersprangen. Der Brandgeruch schwärte in der Nase. Jetzt griff er nach den kleinen Ästen. Sie glühten, loderten, Flammen schlugen aus. Er hatte Feuer gemacht.

Er konnte Feuer machen wie Gxwma. Wie der Strauß wusste er, dass er Feuer machen konnte. Er konnte die Nacht erwärmen, obwohl er keine Decke hatte, um sich zuzudecken.

An jenem Abend, an dem er ein Feuer entfacht hatte, das nicht zu hoch in den Himmel leuchtete, saß er so nahe an den Flammen, wie er konnte. Trotzdem zitterte er, als würde er frieren.

Was, wenn sie entdeckt hatten, dass er nicht da war?

Er war der Tote geworden, der fehlte.

Wenn sie, wer immer sie waren, zurück in die Siedlung gekommen waren, um zu sehen, ob alle da waren, würden sie ihn nicht finden.

Vielleicht waren sie so beharrlich, dass sie nach ihm suchten, langsam, als folgten sie einer Antilope, die von ihren Giftpfeilen getroffen war und von der sie wussten, dass sie immer langsamer werden würde. Stehen bleiben würde. Wenn das Gift ihren Sprung verlangsamte, ihren Lauf steifer werden ließ, sodass sie sich zeigen musste. Sich dem Tod hingeben musste, so unbekannt er auch war für Menschen und Tiere.

Man lernt ihn nur kennen, wenn er den eigenen Stamm trifft, nie vorher. Ihm wurde klar, dass er zwischen der Wärme und dem Tod wählen musste. Wenn sie ihm auf der Spur waren.

Gxwma fand das Nest mit dem Straußenei. Er zerbrach es, und aus seinen Schalen entstanden die ersten Menschen. Und sie liefen wie der Strauß, flüchteten vor Gxwma. So würde er vor den Geierkriegern flüchten, wenn sie ihn verfolgten.

Trotzdem versuchte er, etwas zu sagen, in der kleinen Höhle aus Licht, die das Feuer schuf. Er schien diese Worte sagen zu müssen. Er erzählte sich selbst von Gxwma und dem Strauß. Zuerst klangen seine Worte merkwürdig, als wäre nicht er es, der sprach. Sie klangen so seltsam, als seien noch andere anwesend. Das war kurz bevor er sich nach ihnen umsah, aber es waren seine eigenen Worte. Sie hatten einen linkischen, scharrenden Klang, und er sprach leise, nachdem er die ersten Worte gehört hatte. Sie liefen einfach in die Dunkelheit wie unerfahrene Tiere. Anschließend holte er tief Luft und ließ eine neue Herde auf die Welt kommen. Sie hüpften im Dunkeln wie sonderbare Frösche nach einem langen Regen. Aber es waren seine Worte. Sie kamen aus seinem Mund, zuerst langsam und ungeschickt, doch dann konzentrierte er sich auf die Erzählung, und die Worte wurden zu langen Tieren, die sich wie Schlangen wanden.

Er schlief ein, während er an sie dachte, und träumte, dass seine Stimme ein Wesen war, das sich wie eine Schlange wand, sich zusammenkrümmte, um plötzlich zu einem Vogel mit blauen Schwungfedern zu werden, der ihn wichtigtuerisch und wissend anstarrte, und er verstand kein Wort, obwohl er deutlich hörte, wie die Worte aus seinem Mund kamen. Langsam beugte er sich über ihn und schrie, dass seine Ohren wehtaten, seine Zehen sich vor Schmerz krümmten, und er lachte von Herzen, als er auf dem Weg in ein schwarzes Loch hinunter war. Er wusste nur zu gut, dass er in eine Unendlichkeit fallen würde, wenn er hineinfiel. Er würde ein Rad aus einem Körper mit Beinen und Armen sein, das unaufhaltsam und unaufhörlich fiel.

Irgendwann hörte sein Bewusstsein auf, und er war nicht länger in dem Traum. Ob er an einem anderen Ort in einem anderen Traum war oder ob er wach geworden und wieder eingeschlafen war, wusste er nicht. Aber an die Stimme, seine Stimme, die zu einem blauen Vogel wurde, der ihn auslachte, während er ihn in das Loch des unendlichen Falls hinunterstieß, konnte er sich noch erinnern.

Als er wieder wach wurde, lag er auf der Erde, und das Feuer war ausgegangen. Obwohl er nichts zu kochen hatte, konnte er es nicht lassen, in der Asche nach Glut zu stöbern. Er konnte nicht erklären, warum er stattdessen nicht lieber aufbrach, um weiter von der Siedlung wegzukommen. Aber als er die Glut fand, war es ihm unmöglich, etwas anderes zu tun, als Feuer anzuzünden.

Er kam erst zu sich, als es ihm endlich gelungen war, das Feuer zum Lodern zu bringen, und als er merkte, wie die Wärme Löcher in die Morgenkälte stach. Er löschte das Feuer sofort. Er wanderte weiter, während es noch kühl war. Nicht einmal eine Ahnung von Nebel war da oder da gewesen. Er nahm nur wenige Tsamamelonen mit, um nicht zu viel tragen zu müssen.

Nur wenige Wolken standen am Himmel. Man konnte sehen, dass der Winter nahe bevorstand. Er musste versuchen weiterzukommen, bevor die Wärme der Sonne über die Kälte der Nacht siegte. Er wanderte noch immer Richtung Westen. Er ging nicht schnell, lief nicht. Er ging ruhig, sodass er noch immer auf den Ort treffen würde, an dem die Sonne rot und resigniert der Nacht weichen musste.

Nach dieser Nacht sprach er nicht mehr mit sich selbst. Er spürte, dass es ein unnötiges Risiko war zu laufen. Er war noch immer der Meinung, dass er nicht am Leben sein dürfte. Er war ein Toter, der sich bewegen konnte. Er spürte deutlich, dass er wie eine Puppe war, deren Arme und Beine sich auf und ab bewegten. Hin und wieder kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht doch tot war. Und dass es so sein musste, tot zu sein. Allein zwischen den Bäumen über Gras und Sand zu gehen. Es war nicht länger verwunderlich, dass seine Stimme so eigentümlich klang. Die Stimmen der Toten mussten merkwürdig klingen.

In Wirklichkeit lag er tot neben seiner Familie wie die anderen. Nur Tote konnten träumen, dass sie lebendig waren und umherwanderten wie er. Dass das Gras wie Wasser im Wind strömte und die Bäume schief und von Feuer und Sonne verbrannt waren. Die Büsche, ganz schwarz vom Feuer, aber mit grünen Zweigen. Und hier und da eine Herde Kuhantilopen, die stehen blieben und ihn anstarrten, als dächten sie, da kommt ein Toter vorbei, wie ist das möglich? Als ob er durch das Bewältigen des Geschehens das, was er in der Welt tat, normal werden lassen könnte. Als könnte er von einem Jagdausflug zurückkommen. Jedes Mal versuchte er, es als unwichtig abzutun. Denn da ging er ja und lebte, weil er hatte pinkeln müssen. Oder nicht?

Hin und wieder fühlte er eine große Verlassenheit, wenn er den Wind durch das Gras fahren sah. Er konnte ja nicht wissen, ob er noch immer neben seiner Mutter und seinem Vater lag und starb. Viele Male versuchte er, diese Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Aber sie waren wie hungrige Geier über dem Aas. Sie kamen immer wieder zurück.

Er versuchte, nicht mehr zu sprechen.

Die Geierkrieger

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