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Kanta denkt an Wasser. Mathilda gibt ihm Tee

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Kanta lehnt sich zurück gegen die raue Rinde des Baums und seufzt müde, nachdem er seine verwirrten Zuhörer für eine Stunde oder mehr weggeschickt hat. Sie sollen vor Sonnenuntergang zurückkommen.

Er hat seine Geschichten zu erzählen.

Die Aussicht, eine Stunde Ruhe zu haben, in der er im Schatten des Laubs liegen will, lässt ihn vor sich hin lächeln. Durch die Blätter wird die Sonne nur vorsichtig scheinen. Manche Stellen wird sie mit ihren warmen Strahlen trotzdem erreichen, aber daraus werden sich nur Schatten und Sonnenmuster im Sand ergeben, die sich unaufhörlich und unmerklich verändern, während der Tag und die Sonne sich drehen.

Im Halbschlaf stellt er sich vor, wie sich das brennend heiße Licht in kühles Wasser verwandelt und alles überflutet. Und durch die Blätter und Zweige streicht unablässig der Wind und atmet, als sei er das Meer.

Kanta lacht vor sich hin. Mathilda ist auch fort. Das Mikrofon liegt am Fuß des Baums und saugt Laute in sich auf. Die Heimchen singen so laut, dass der Laut zu zerspringen beginnt. Kanta räuspert sich und spricht mit schlaftrunkener und gebrochener Stimme.

»Später erzähle ich weiter.«

Aber das ist wohl mehr als Beruhigung für ihn selbst gemeint. Denn kurz darauf wird sein Atem schwer und in sich gekehrt wie bei jemandem, der fest eingeschlafen ist.

Später wird er ihnen vom Meer erzählen.

Denn das Meer hatte er sowohl bei Sturm als auch bei ruhigem Wetter gesehen. Wenn die Sonne schien und der Wasserspiegel in seinem Rahmen so gespannt dalag wie eine Haut. Wenn es zu lebhaft wurde und keinen Platz mehr auf der Welt hatte: Wasser, Wind und Staub jagten sich im Kreis und brüllten wie rasende Elefanten. Er kam mit sich überein, dass das Wasser die gleiche graue, schwere Farbe hatte.

Er schläft so tief, dass er nicht merkt, wie jemand zu ihm kommt und ihn sanft mit einer Decke zudeckt.

Als er wieder aufwacht, ist es Morgen, und Mathilda ist da und hat das Gerät ausgeschaltet. Sie hat eine Teekanne mitgebracht und füllt die Becher mit Milch und viel Zucker. Er streckt sich behaglich und streckt den Arm nach dem Becher aus, den sie ihm anbietet. Sie sieht ihn nicht an, aber auf ihrem Gesicht liegt ein zarter Schein, als könnte man mit ihr reden.

Hinter sich im Sand hört Kanta die ersten Kinder zurückkommen. Er ist bereit zu erzählen.

»Warum müsst ihr unbedingt in die Schule?«, fragt er an dem Morgen, als zwei Jungen aufstehen, um in die Schule zu gehen. Sie haben ihren Maisbrei gegessen und ihren Tee getrunken. Eine beginnende Erregung lässt sein Blut schwären.

»Das müssen wir eben«, antworten sie, doch die Frage verwirrt sie.

»Was glaubt ihr in der Schule zu lernen, das ihr nicht auch hier lernen könnt? Alle wissen doch, dass das Lernen in der Schule nichts bringt. Es hat unserem Volk nichts Gutes gebracht, Lesen und Rechnen zu lernen. Wenn ihr es könnt, wird es euch genauso gehen wie allen anderen auch. Zum Beispiel mit der Jagdlizenz. Jetzt können sie zu dir sagen: Du kannst lesen. Also hättest du wissen müssen, wann sie abläuft. Jetzt seid ihr Werkzeuge und Opfer der Machthaber. Jetzt können sie euch Mitteilungen schicken, die eure Augen nicht ignorieren können.«

Die Jungen starren ihn verständnislos an. Es lässt sich nicht übersehen, dass Kanta sehr erregt ist. Der Schrecken, dass die weit entfernte Regierung ihn erreichen könnte, lässt seine Haare zu Berge stehen, als liefe ein Skorpion über seinen nackten Bauch.

Solange sie ihre Briefe nicht lesen konnten, musste die Regierung kommen und sagen, was sie wollte. Es ließ sich gut einrichten, auf der Suche nach Melonen zu sein, wenn sie kamen.

Aber jetzt konnte man sie nicht länger zum Narren halten. Nun gab es Funk und Autos. Und es gab Leute, die lesen und schreiben konnten. Mit Hilfe des Funks konnte man mitteilen, dass die Regierung auf dem Weg war. Vielleicht gelang es einem, zu entwischen. Aber einige glaubten noch immer, dass die Regierung auf sie hören würde.

Oft erzählt Kanta seine Geschichten von morgens an, um die Kinder daran zu hindern, in die Schule zu gehen. Er befürchtet, dass die Regierung die Kinder auf Abwege führt, indem sie ihnen lesen und schreiben lehrt, und die Regierung hofft, dass er Recht hat. Das Erste, das Kanta als Kind mit Schrecken erfüllt hatte, als er in die Siedlung kam, war die Tatsache, dass er in die Schule gehen sollte.

Ihm selbst war das bestimmt nicht eingefallen. Nein, es war Qoses Idee, und nie hätte er gedacht, dass dieses freundliche Wesen so bestimmt und fordernd sein könnte. Sie hatte einfach darauf bestanden, als er meinte, das sei nichts für ihn. Alle Kinder, so sagte sie weiter, mussten in die Schule gehen, um Lesen und Rechnen zu lernen.

»Wir können nicht mehr so leben, wie wir bisher gelebt haben. Du kannst nicht einfach nur auf die Jagd gehen und so tun, als sei alles in Ordnung. Wenn du hier leben willst, musst du lesen lernen, damit du verstehst, was auf den Papieren der Regierung steht.«

Sie war so weit gegangen zu sagen, dass sie es schließlich gewesen waren, Qose, Duitwé und viele andere Frauen, die verlangt hatten, dass die Regierung eine Schule baute und dass gleichzeitig neue Bohrlöcher mit Wasser errichtet wurden. Er würde nicht mehr gerne bei ihr wohnen, wenn er nicht Lesen und Schreiben lernte. Denn sie würde sich fortwährend wiederholen, dass er in die Schule gehen sollte. Wollte er das nicht mehr hören, musste er ausziehen. Oder mit der Schule anfangen. Das war einfach so. Noch nie hatte er etwas Ähnliches gehört. Ja, er war also ein paar Mal da gewesen, in der Schule.

Als er seine Angst vor den schwarzen Lehrern überwunden hatte, kam die Angst, dass sie ihn schlagen würden, damit er lernte. Denn er sah sie mit Rohrstock und Lineal schlagen. Auch das hatte er nie zuvor erlebt. Dass einem so etwas einfallen konnte. Vielleicht war er nicht schnell genug. So geschlagen zu werden, das verstand er nicht. Und er wollte nicht mehr in die Schule gehen. Trotzdem hatten die anderen, mit denen er spielte, nach und nach lesen gelernt.

Das wollte er auch.

Deshalb nahm er seinen ganzen Mut zusammen und ging in die Schule. Die ersten Tage lief es gut. Doch als sie ihm das erste Mal mit einem Lineal auf die Finger schlugen, kam er nicht mehr. Er ging auf der Stelle nach Hause. Er würde nie mehr in die Schule gehen. Aber das ist viele Jahre her. Obwohl er die Antwort bereits kennt, fragt er trotzdem: »Schlagen sie noch immer?«

»Du weißt doch, dass sie das tun.«

Es ist auch erst ein paar Monate her, dass die Eltern einen Lehrer vorgeladen haben, weil er die Kinder nicht nur mit der Hand, sondern mit der Messingspange seines Gürtels geschlagen hat. Er hatte Besserung gelobt. In ein paar Monaten würden sie denselben Lehrer oder einen neuen vorladen müssen, um ihn noch einmal daran zu erinnern, dass Schläge im roten Volk als Unsitte galten.

»Ja, aber warum geht ihr dann in die Schule?«

Einige antworten sofort: »Unsere Mütter wollen das.«

Andere zögern, sagen aber später: »Wir gehen in die Schule, um lesen zu lernen.«

Und dann sind da die beiden Jungen, die bereits gegangen sind, um nicht zu spät zu kommen.

Plötzlich sagt Qose zu einer Gruppe Kinder, die sich noch immer nicht bequemt haben, loszukommen: »Ihr könnt euch noch diese Geschichte anhören, die Kanta lange Zeit daran zweifeln ließ, ob er das Richtige getan hat. Hört nur zu.«

Die Geierkrieger

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