Читать книгу Die Geierkrieger - Arthur Krasilnikoff - Страница 15

Der erste Springhase

Оглавление

Er wollte in die Richtung gehen, in der die Sonne untergehen würde. Er konnte sich nicht überwinden, den anderen Weg zu nehmen. Es ergab sich so, ohne dass er darüber nachgedacht hätte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, den anderen Weg einzuschlagen, denn das wäre lebensgefährlich. Er würde den Geierkriegern direkt in die Arme laufen.

Während des Gehens bemerkte er mehrere Male kleine Horden blauer Gnus, die weit hinten rechts am Horizont vorbeizogen. Jedes Mal überlegte er, ob er versuchen sollte, einen Speer zu machen. Vielleicht würde er ein schwaches Tier finden, das er von der Herde trennen könnte. Aber er musste auch jedes Mal daran denken, dass sich im Gras Löwen versteckt halten konnten. Oder Hyänen. Wilde Hunde, die ihm die Beute entreißen würden. Wenn er an sich hinunterblickte, konnte er deutlich sehen, dass er nicht Manns genug war, seine erlegte Jagdbeute zu verteidigen, deshalb gab er den Gedanken auf. Er war auch nicht stark genug, einen Speer zu machen, der die Haut des Tieres durchbohren könnte. Selbst wenn er fast neben dem Tier stünde.

Auf die Ferne ähnelten die Gnus auch weit ausgebreiteten Fellstücken. Da waren die Springböcke schon interessanter. Mit ihrem hellbraunen Fell und dem weißen Bauch und den weißen Schweifen hielt er sie für geeigneter. Ansonsten dachte er an sie nicht als Essen.

Ab und zu kam er so nahe an sie heran, dass ein wunderliches Dröhnen erklang, wenn alle auf einmal zum Lauf ansetzten, plötzlich aufgeschreckt durch einen Laut. Und die Springböcke sprangen wie auf Absprache hoch in die Luft. Vielleicht taten sie das, um größer auszusehen oder um die Löwen und Leoparden zu verwirren, die sie zu fangen versuchten. Er stellte sich die Springböcke bei einem großen Treffen vor, auf dem sie diskutierten, wie und in welcher Reihenfolge sie das nächste Mal springen wollten, wenn eine Horde Löwen hinter ihnen her war. Vielleicht gab es große Debatten darüber. Vielleicht hatten sie einfach Schwierigkeiten, sich zu einigen, bevor sie nicht lange genug darüber gesprochen hatten und endlich alles geklärt war und jeder wusste, wann er oder sie hochspringen sollte.

Im Großen und Ganzen sprachen die Tiere mehr miteinander, je länger er alleine war.

Am meisten beschäftigte ihn der Gedanke, anderen Menschen zu begegnen. Er hielt es für das Beste, wenn mehrere Tage verstrichen, bevor er auf jemanden traf.

Trotzdem verging kaum ein Tag, an dem er sich nicht vorstellte, wie es wäre, plötzlich weit genug von zu Hause entfernt zu sein und jemanden zu treffen, vor dem er keine Angst haben musste. Er wusste genau, dass man ab und zu einen Schwarzen treffen konnte. Ja, er war sich nicht einmal sicher, ob es nicht Schwarze gewesen waren, die sich als Geierkrieger verkleidet hatten. Er konnte nichts mit Sicherheit wissen. Besser, er traf keine Schwarzen.

Wenn er jetzt jemanden träfe, würde er hoffen, dass es Leute aus dem roten Volk wären, die viele Tagesreisen von ihrer Siedlung entfernt in den äußersten Randgebieten ihres Landes auf der Jagd wären. Die überrascht wären, ihn zu sehen.

Sie würden sagen: »Guten Tag, mein Junge. Wir sehen dich genau. Und wir glauben, dass wir dich noch nie gesehen haben.«

Er würde antworten. Beim Anblick der Männer würde er sich ein bisschen unwohl fühlen. Aber sie sollten nicht glauben, dass ihm das etwas ausmachte. Also würde er antworten, dachte er: »Willkommen, ihr fremden Männer. Ich freue mich, Euch zu sehen. Ich bin viele Tage gereist, um Euch zu treffen. Bei meinem Volk heiße ich Duube.«

Einer von ihnen würde etwas sagen, während er vor Verlegenheit mit dem großen Zeh im Sand bohren würde. Der Mann würde ein wenig vortreten und sagen: »Ich heiße Duube, du musst mein Neffe sein. Vor langer Zeit wurde ein Neugeborener Duube genannt. Komm näher, mein Junge. Ich bin dein Onkel.«

Nein, dachte er. Auch wenn er die Unterhaltung selbst erfunden hatte. Er musste so weit von der Siedlung wegkommen, dass nicht die geringste Chance bestand, dass man ihn wieder erkannte.

Das könnte schwer werden. Sein Vater hatte gesagt, dass weit oben im Westen ein Onkel lebte, der seinen Namen trug. Der Onkel wusste das. Es waren nicht weniger als zehn Tagesreisen bis zu ihm, vielleicht sogar mehr. Er hatte überhaupt noch nicht überlegt, ob er die Sprache verstehen würde. Wie lange musste er gehen, um niemanden zu treffen, der ihn kannte? Je weiter er nach Westen ging, desto weniger Leute würden ihn oder seine Mutter oder seinen Vater kennen, hatte er die ganze Zeit gedacht. Oder auch nur einen aus seiner Familie.

Einmal sah er eine Giraffe. Sie bewegte sich, als schwebte sie langsam durch die Luft. Sie war ganz allein.

Sie fraß von Baumästen, wand ihre lange blaugraue Zunge um die dünnen Zweige mit den vielen Blättern. Als hätte sie ein Abkommen mit einer Schlange.

Einst hatte die Giraffe gesagt: »Du kannst in meinem Mund wohnen, wenn du jedes Mal, wenn ich hungrig bin, grüne Zweige für mich von den Ästen brichst.«

Die Schlange, die nicht richtig darüber nachgedacht hatte, wie lang die Giraffe mit Hals und allem war, antwortete, sie wollte das gerne, wenn sie nur nachts frei bekäme, um sich auf die Jagd zu schleichen, und erst bei Morgengrauen wieder auf ihrem Platz sein müsste.

Deshalb frisst die Giraffe nachts nicht. Und wenn sie trinkt, passt sie auf, dass die Schlange nicht ertrinkt, obwohl das fast passiert.

Doch diese Giraffe bewegte sich gleitend wie eine Wolke. Der Junge fragte sich, ob er über die Ebene wegschweben könnte, als würde er die Erde nicht berühren. Die Giraffe war groß. Die Flecken waren sehr dunkel und ließen den hellen Teil der Haut weißgold aussehen, ja, fast weiß. Da er wie versteinert dasaß, sah die Giraffe ihn erst, als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war. Er saß ganz still und versuchte einem rotgoldenen Stein zu gleichen, auf den Licht durch die Äste fiel. Er hielt die Hände vor die Augen und sah durch die Finger hindurch.

Die Giraffe entdeckte ihn, als seine Haut plötzlich zu zittern begann. Die Giraffe dachte, Steine haben doch keine Haut, die zittert. Noch nie in seinem Leben war er einem Tier so nahe gewesen, dass er es riechen konnte. Den zarten, säuerlichen Duft wie von etwas Kräuterigem, und hoch da oben befanden sich die Augen.

Sie starrten ihn an. Einen kurzen Augenblick trafen sich die Blicke des Jungen und der Giraffe, als er die Hände von den Augen nehmen und sich auf der Erde abstützen musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. In den Augen lag eine Sanftheit, gepaart mit einer Art unbekümmerter Furchtlosigkeit, als dächte das Tier: Bist du auch allein? Ich bin groß, du bist klein. Wir sind nicht eins, aber trotzdem sind wir eins. Du verstehst meine Sprache nicht, ich deine nicht. Ich habe dich wieder erkannt.

Wie ein Blitz fuhr ihm dieser Gedanke durch den Kopf.

Kurz darauf stampfte sie wie eine weiße schaukelnde Wolke mit Flecken durch das Laub und weiter über die Ebene. Der Junge wünschte sich nichts sehnlicher, als die Wort zu kennen, die die Giraffe bewegen könnten, ihn mitzunehmen. Er hatte das Gefühl, niemals so alleine gewesen zu sein wie nach dem Treffen mit der Giraffe.

Mehrere Tage vergingen. Er musste sich von Kürbissen und Tsamamelonen ernähren, die er auf der Erde fand. Glücklicherweise war es jetzt leichter, nachdem er herausgefunden hatte, wie er Feuer machen konnte. Einmal hatte er sogar das Glück, ein Tierfell zu finden, in das er die Funken hineintropfen lassen konnte. Nun, Fellbüschel wohl eher, die er aber zusammen mit den Feuerstöcken auf seiner Wanderung mit sich tragen konnte.

Er hatte nicht gedacht, wie lange zehn Tagesreisen dauern konnten. Er war sich darüber im Klaren zu vergessen, deshalb setzte er sich jeden Morgen hin und zählte an seinen Fingern ab, wie weit er gekommen war.

Er wollte nicht plötzlich nach einer langen Tageswanderung durch das sich ausbreitende Land, dessen sanfte Hügel mit verschiedenen Büschen und Bäumen bedeckt waren, zwischen denen Gras wie weißes Haar wuchs, auf Leute treffen, die ihn wieder erkannten.

Die Apfelblattbäume wurden seltener und andere Dornakazien, höhere Bäume mit flacheren Blätterdächern, häufiger. Wieder wechselte das Gras die Farbe, wurde grüner und karger, wuchs fast in Büscheln, sodass der Sand wie ein Haarboden deutlicher hindurchschien. Auch der Sand veränderte seine Farbe von grau zu goldbraun zu rot und wieder zurück, während er durch das Land wanderte.

Sorgfältig erinnerte er sich an die Tage, erinnerte sich mit Hilfe der Finger, drei Tagesreisen, sieben Tagesreisen und neun Tagesreisen. Nach ein oder zwei Tagen würde er nach Menschen Ausschau halten oder besser sich finden lassen, in eine Siedlung kommen. Wenn er eine finden konnte.

Einmal, beim sechsten oder siebten Finger, war er einigen Männern, die auf der Jagd waren, sehr nahe gekommen. Nahe. Sie waren an ihm vorbeigezogen. Direkt vorbei, sodass er sie hin und wieder leise sprechen hören konnte. Sie waren ihrer Beute nicht ganz nah. Ja, ihm war fast unbehaglich bei ihrem Anblick zu Mute, und er hatte sich überhaupt nicht vorstellen können, was er machen sollte, falls sie ihn ansprechen würden. Plötzlich wurde er scheu und presste sich in den Sand, als sie vorbeigingen. Erst später wunderte er sich, dass sie seine Fußspuren nicht gesehen hatten.

Damals, nicht lange nach diesem Erlebnis, geschah es, dass er auf den Akazienbaum stieß. Er bewegte seine Wurzeln hin und her, sodass er nicht zu übersehen war. Sofort sah er, dass genau diese Wurzel da eine gute Keule werden konnte. Genau richtig, um einem fetten Springhasen den Kopf einzuschlagen. Er fand ein paar Äste, mit denen er die Wurzel abbrechen konnte, indem er sie wie einen Hebel ansetzte. Schnapp, sagte es, und die Wurzel brach. An dem Geräusch konnte er hören, dass es sich um gutes, hartes Holz handelte. Eigentlich hätte es ein Rosinenbeerenbusch sein sollen, aber die Wurzel eignete sich gut. Der Bruch war auf der richtigen Seite, er hatte auch die Wurzelknolle. Er wog den Stock in der Hand, bevor er damit schlug. Er war brauchbar. Er fand einige Steine, mit denen er ihn zurechthobeln konnte. Mit einem anderen Stein gelang es ihm, den dicken Knauf am Ende des Stocks zu glätten. Jetzt war er bereit, zuzuschlagen. Er hatte eine Keule und ein Feuerzeug. Er konnte ein Tier fangen. Und er konnte es über dem Feuer braten.

Ein Stück weiter in der Richtung, ja da drüben, liegt ein hügeliges Gebiet. Die Hügel sind höher als hier in der Gegend. Auf der Spitze des höchsten Hügels ist es sehr sandig. Aber es gibt auch viele Büsche. Ihre Wurzeln kriechen weit, um Fuß zu fassen. Und zwischen den Büschen haben die Springböcke ihre Siedlung. Nähert man sich von der richtigen Seite, sieht man leicht ihre Eingangslöcher.

Es war spät am Nachmittag, als er dort ankam. Die Schatten wurden langsam lang. Wie ein Schakal lauerte die Nacht da draußen. Bereit zuzuschlagen, wenn der Tag den Ort verließ. Er war völlig erschöpft vom Erklimmen der Hügel, die immer bergauf zu gehen schienen.

Da entdeckte er die Löcher. Was er dachte, weiß ich nicht, denn er war ja ziemlich müde. Trotzdem wurde er wie eine Schlange. Er legte sich auf den Boden und kroch. Geschmeidig und weich im Rücken kroch er aufwärts und näherte sich einem Loch, als die Sonne rot wurde. Er lag still da und versuchte die Luft anzuhalten, als er das flinke Tier erblickte.

Hätte er nur einen Haken gehabt, um es hervorzuziehen

Das Tier kam weiter vorgekrochen. Er hielt den Atem an. Das Tier konnte ihn nicht riechen, da sich kein Lüftchen regte. Langsam hob er die Keule. Jetzt kam das Tier so weit hervor, dass er den Kopf deutlich sehen konnte. Die feuchten Augen. Die Ohren, die nach hinten herunterhingen wie verwelkte Blätter. Die zuckende Nase. Die Vorderpfoten. Es ließ sich Zeit. Es wusste nicht, dass er da war.

»Jetzt musst du zuschlagen«, rief einer.

»Ja, jetzt!«, riefen mehrere.

Da schlug er zu. Die Keule traf das Tier direkt am Kopf. Es sank still vor dem Eingangsloch zusammen. Er hatte sein erstes Tier gefangen.

»Oh, das war gut«, sagte ein Junge. »Ich hätte nicht geglaubt, dass du zuschlägst.«

Die Geierkrieger

Подняться наверх