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Die toten Kinder
ОглавлениеDa die Sorge ihn wieder zum Jungen gemacht hatte, glaubten einige, er habe den Verstand verloren. Weil er die toten Kinder nicht loslassen wollte, sondern weiter mit ihnen spielte.
Er konnte auf den Gedanken kommen, sie schön zum Schlafen zurechtzulegen. Ihnen etwas vorzusingen und ihnen Geschichten zu erzählen. Er trug sie herum, als wären sie halb Puppen, halb lebende Menschen. Er wusch sie und tat, als gäbe er ihnen zu essen. Er war wohl wahnsinnig geworden.
Es ist eine alte Geschichte, und im Laufe der Zeit kann ohne weiteres etwas verloren gegangen sein. Oder hinzugefügt worden. Die Geschichte kommt von weither.
Aber zuerst passierte etwas sehr Ernstes. Dieser Mann, dieser Junge, lernte innerhalb kurzer Zeit den Durst kennen. So gut lernten er und sein Volk ihn kennen, wie ihr ihn nie kennen lernen werdet.
Ich kenne ihn. Ich weiß, was es heißt, dass die eigene Zunge unerträglich wird. Als lebte sie im Mund wie ein selbstständiges Tier, von dem man nicht länger weiß, ob es zu einem gehört. Der Speichel und alles Nasse sind längst verschwunden. Und die Zunge versucht mehr Platz zu erobern, als man ihr geben will. So schwillt sie an. Man betrachtet die Welt als wunderlichen Ort. Das Licht kentert im Kopf, und die Wärme ist eine Art Melone, in der man sich bewegt. Der Durst, das Verlangen nach Wasser ist alles. Man ist weder tot noch lebendig. Man ist ein Wesen, das sich nach Nässe sehnt. Man kann nur das.
Als er diesen Durst kennen gelernt hatte, lernte er den Tod und die Sorge kennen. Und später überkam ihn der Wahnsinn.
Zuerst verdursteten die beiden Kinder. Danach war sie gegangen. Ich weiß nicht warum. Doch vielleicht hat sie gedacht, dass die Kälte der Nacht zusammen mit dem Meer etwas Feuchtigkeit bringen könnte. Draußen in der Nacht verschwindet sie. Ist es das Meer oder der Sand, der sie aufnimmt?
So ist das, er erwacht bei dem Traum, dem unangenehmen Traum, dass sie oben im Himmel ist wie auf einem Teppich voller Sterne. Dort geht sie den Kindern entgegen. Er sieht ihre glänzenden Augen. In diesem Augenblick ruft sie ihm etwas zu. Er erwacht und sieht zu seinem Entsetzen, dass beide Kinder tot unter den Fellen liegen und dass seine Frau verschwunden ist.
Er war so verwirrt, dass er das, was er träumte, nicht von dem unterscheiden konnte, was er wirklich sah.
So ist es mit dem Durst, man wird wunderlich davon. Man kann nicht richtig denken. Alles wird seltsam, und man tut wunderliche Dinge.
Sie taten alles, damit es regnete. Sie sangen, sie beteten, sie tanzten die alten Gesänge, um den Regenstier dazu zu bewegen, seine Tropfen zu werfen. Sie glaubten ja, dass der Elenstier mit dem Regen kommen würde. Die Trancetänzer reisten zum Ende der Welt, um diesen Stier zu finden, der den Regen zurückhielt. Aber es half nichts. Und sie wussten nur zu gut, dass der Regen erst kommen würde, wenn er wollte, nicht vorher. Aber was wünschen sich die Menschen nicht alles, auch wenn sie es besser wissen müssten?
Wie grau der Himmel auch war, die Sonne schien immer durch ihn hindurch, wenn auch bleich und matt. Der Regen war an einen anderen Ort gegangen. Nicht einen Tropfen hatte er für diesen toten Ort übrig. Hitze und Trockenheit dauerten an. Weit entfernt sahen die Leute Blitze zucken und hörten den Donner grollen. Doch hier konnten sie nur von dem Rufen der Regentropfen träumen.
Mutlos schleppten sie sich herum. Bald hatten sie keine Kraft mehr, Fische zu fangen, und allmählich hielten die Fische sich auch von der Küste fern. Doch da griff der verrückte Vater ein. Denn jetzt versuchte er wahrhaftig, den anderen verständlich zu machen, dass sie genau wie in der alten Geschichte handeln mussten, auch wenn sie lange her war. Ja, sie waren Teil der Geschichte. Da der Durst sie noch immer plagte, schlug er ihnen vor, den Zebras zu folgen, um zu dem großen See zu kommen, der ihren Durst stillen konnte.
Sie hörten ihm zu, während sie vor ihren Hütten standen oder sich nur so weit von ihnen entfernten, dass sie zurückkommen konnten, denn in ihnen versteckten sie ihre wenigen und jämmerlichen Wasserreste.
Trotzdem spürten sie keinen besonderen Drang ihm zu folgen. Doch nach und nach verstanden sie ein paar Tatsachen: Kein Wasserloch in Sicht. Kein Tier. Die Welt um sie herum war so trocken, dass sie hören konnten, wie die Bäume verwelkten. Ein unaufhörliches, nach innen gewandtes Knarren. Legte man das Ohr an die Rinde, klang es wie ein unendliches Stöhnen. Es gab nicht viel zu deuteln. Obwohl sie kleine Knochen warfen, die sie in einer Hand schüttelten, bevor sie sie auf den Sand fallen ließen, um zu sehen, welchen Rat sie ihnen gaben.
Doch bevor das passierte, kam es zu dem Ereignis in der roten Düne, die ein Stück von ihrer Siedlung entfernt lag. Noch einmal war es der wahnsinnige Vater, der die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog. Noch immer war er nicht bereit, seine Kinder zu begraben, die er deshalb ständig mit sich herumtrug. Das eine von ihnen blickte so starr in das Land des Nichts, dass es Schrecken erregend war, wenn sein Blick einen unerwartet traf. Noch immer war das Volk nicht bereit, auf den Wahnsinnigen zu hören. Sagen wir, sie waren nicht durstig genug. Aber das wurden sie.
An dieser Stelle muss Duitwé husten und sofort ihren Bericht unterbrechen. Doch keiner der Zuhörer lässt sich etwas anmerken, denn sie muss oft mitten in einer Geschichte, die sie gerade erzählt, innehalten.
Sie haben gelernt zu warten, bis sie wieder bereit ist.
Gerade an diesem Tag ist es sehr windig, und ihre Gewänder und Tücher flattern um sie herum, während sie forteilt. Schnell verliert sich der Klang ihres Hustens im Wind. Und bald hört man nur den heulenden Wind in den Ästen und Lappen. Kurz darauf wird der Klang von dem warmen, feinen Klingeln abgelöst, das bei der Zubereitung des Tees drüben am Feuer entsteht.
Wenige Augenblicke später kommt Duitwé zurück, aber sie ist so müde von ihrem Hustenanfall, dass sie sich für eine Tasse Tee entscheidet, um den schweren Husten in ihrer Brust zu lösen.