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Oben am Himmel
ОглавлениеDuitwé legte die Pfeife weg und fuhr mit ihrem Bericht fort.
Die Leute standen am Fuß der Düne und warteten auf ihn. Sie wollten sehen, ob er wirklich zurückkam.
Als er sich endlich zeigte, schrien sie nicht. Sie rückten nur näher aneinander heran, als wäre er sein eigener Geist. Denn er war so dünn geworden, dass er nur noch einem Schatten seiner selbst glich.
Er kam langsam, halb rutschend, halb gehend die schräge Sandfläche hinunter. Noch immer trug er seine beiden Kinder. Eins auf jedem Arm, als ob sie schliefen.
Doch als er nahe herankam, konnten sie sehen, was nicht zu übersehen war. Sie waren noch immer tot. Doch er schien weiter in dem Irrtum befangen, dass sie lebendig seien, obwohl sie weder atmeten noch sich auf die ein oder andere Weise bewegten.
Er blieb einen kurzen Augenblick stehen. Vor der kleinen Menschenmenge. Niemand sagte etwas zu ihm. Der Wind blies und riss unaufhörlich an den wenigen Fellresten, die ihnen geblieben waren. Mehrere hatten Lederstreifen in dem bisschen Wasser gekocht, das ihnen zur Verfügung stand. Um etwas in den Bauch zu bekommen.
Erst beim Anblick seines vor Hunger eingefallenen Bauchs schienen sie zu merken, wie ausgehungert sie waren. Eine Frau lief zu ihm, um die Kinder zu nehmen. Aber sein Wahnsinn war so weit vorangeschritten, dass er nichts spürte oder merkte.
Die Welt, in der er lebte, stand wie ein Leerraum zwischen unserer Welt und einer toten Welt, die wir nicht kennen. Er war sozusagen dort gefangen, und solange er dort war, konnte er auch seine Kinder nicht loslassen. Mit ihren Köpfen, die gegen seinen bis auf die Rippen abgemagerten Brustkasten nickten, schwer wie unaufgeblühte Blumenknospen, schritt er an den Menschen vorbei, die geduldig auf ihn gewartet hatten. Als wären sie zu Gespenstern geworden, während er in der Düne war.
Er ging durch sie hindurch, als wären sie Luft. Man kann sagen, dass sie so mager waren, dass sie leicht so geendet haben könnten. Er ging in seine Hütte und legte die Kinder vorsichtig auf ihre Decken. Da lagen sie also. Jeder, der sie sah, würde glauben, dass sie nur schliefen. Doch schon am nächsten Tag würden die Leute etwas anderes glauben wegen des Geruchs.
Als die beiden toten Jungen stark zu riechen begannen, schlich sich eine gute Frau zu ihm hinein und entlockte ihm die Leichen. Sie eilte fort und begrub sie sitzend, mit dem Gesicht nach Osten gewandt. Zwei kleine Löcher, sodass sie sitzen und in die aufgehende Sonne blicken konnten. Das war eine harte Arbeit, da ihr Fleisch leicht verwest war und sie furchtbar stanken.
Am Abend desselben Tages, während sie noch um das Feuer saßen, kam er heraus und sagte, dass sie sich jetzt entscheiden müssten, ob sie weiter von der Küste wegziehen und nach dem Regen und der Nässe suchen wollten, die sie trinken konnten. Oder ob sie den See aus der Geschichte mit dem ewigen Wasser finden wollten. Alle hörten ihm stumm zu.
Gut, so verging die Nacht. Der Morgen brachte einen neuen Tag. Das Volk wollte gerade weitergehen, als er plötzlich auftauchte und erzählte, dass die Jungen vorausgegangen waren. Aber jetzt könnte es lange dauern, bis sie zu der Stelle kämen, an der sie hoch in den Himmel steigen und den Zebras zu dem Ufer des großen Sees folgen würden.
Jeder hatte sein Leid und seine Sorgen, die mitgenommen werden mussten. Jedenfalls ein Stück des Weges. Nur wenige hatten etwas, worüber sie sich freuten. Aber es gab noch Kinder, die gehen konnten. Noch spielen konnten. Aber sie waren langsam.
Die Hitze dröhnte auf ihre kleinen Windschutze herab. Nicht weit von ihnen entfernt tobte das Meer gegen die Küste. Das Licht sprühte in Wellen und Schaum. Keiner wollte davon trinken. Keiner konnte es unterlassen. Dauerte es lange genug, würden sie auf den Knien liegen und das Wasser in sich hineinschlürfen. Keiner war in der Lage, Fisch aus dem Meer zu holen.
Er war nicht einmal der Älteste unter ihnen und zudem wahnsinnig vor Sorge. Die meiste Zeit führte er sich wie ein Kind auf. Aber alle sahen ein, dass sie von der Küste fortziehen mussten. Obwohl niemand so töricht sein würde, nach dem großen See zu suchen, wie die Zebras es taten.
Die Wärme machte die Grenze fließend, denn sie ließ sich Geschichte und Welt miteinander vermischen, und niemand konnte später beides genau trennen. So war der Tag, an dem er von den singenden Dünen zurückkam, jener Tag, an dem sie einen Beschluss fassen mussten. Auch wenn sie es erst mehrere Tage später taten, war es in der Tat der Tag, an dem die meisten einsahen, dass sie sich auf eine lange Reise begeben sollten. Ihre Habseligkeiten einsammeln und sich auf den Weg machen mussten.
Nur ein Mal warfen sie die Knochen, die sagten, dass sie bleiben sollten. Jeder konnte ja sehen, dass das zu nichts führte. Also machten sie sich auf den Weg.
Danach ging es, wie es oft mit uns geht, mit Tieren und Menschen.
Zuerst gingen die Tiere. Hyänen. Raubtiere. Schakale. Und dann die Menschen. Wenn es zu Naturkatastrophen kommt, machen sich die Menschen immer zuletzt auf den Weg, da es ihnen so schwer fällt zu glauben, dass etwas Ernstes passiert ist. Es kann doch nicht so schlimm sein. Erst wenn nur noch die Erklärung möglich ist, dass es sich um eine Katastrophe handelt, kommen die Menschen in Gang.
Die Tiere haben da schon längst Lunte gerochen und sind fort. Aber die Menschen waren fast verdurstet, als sie sich endlich auf den Weg machten. Allmählich konnten sie sich nicht mehr beschuldigen, einander auf die Hacken zu treten. Zuletzt hatten sie viel Platz. So viele waren gestorben.
Sie gingen alle. Sie stolperten, liefen, sprangen, krochen, trabten. Dieses Wittern nach Feuchtigkeit in der Luft, das einem erzählt, dass Wasser in der Nähe ist, dieser Drang zog sie beständig weiter, weiter.
Sie gingen lange Zeit. Ja, sie gingen viele Tage. Die Menschen.
Was die anderen Tiere machten, erzählt die Geschichte nicht, und deshalb weiß ich nur, dass sie längst fort waren.
Eine Nacht kurz darauf passierte es, dass er, als der, der er geworden war, die Stelle fand, an der er in den Himmel steigen konnte. Sie lag neben Abaas linkem Stern. Die Stelle lag genau da, wo er fast die Erde berührte. Er ging dorthin, machte ein paar Schritte, und wupp stand er oben im Himmel.
Als er nun die anderen zu sich gerufen hatte und versuchte, sie zu überreden, hatten mehrere schon Wasser aus der kleinen Quelle getrunken. Sie schafften es natürlich nicht, zu der Stelle zu kommen. Egal wohin sie die Beine setzten oder wie hoch sie sie hoben, war die Luft dunkel und konnte nichts tragen. Und über ihnen stand die Nacht mit ihrem Sternenrücken. Zwischen ihnen und dem Himmel war Leere.
Doch die, die noch nicht getrunken hatten, fanden die Stelle ohne Schwierigkeiten. Sie stiegen in den Himmel, als sei es die leichteste Sache der Welt. Und sie nahmen Abschied von den anderen, die nicht hinaufkommen konnten, und sagten, dass sie nun die Abkürzung nehmen und genau wie die Zebras noch vor dem Ende der Nacht hinuntersteigen und Wasser aus dem großen See trinken würden. Unmittelbar nach dem Abschied verschwanden sie im Himmel, und die anderen sahen sie nicht mehr.
Das war schon eigenartig. Ich weiß nicht, ob sie an diesem Abend getanzt hatten, in der Dunkelheit, ob sie in Trance waren, als sie verschwanden. Es ist ja schon früher vorgekommen, dass Menschen in Trance gefallen und verschwunden sind. Aber die Geschichte erzählt nicht, dass sie ihre Körper verließen und nicht mehr zurückkamen. Denn es ist ja auch schon früher vorgekommen, dass jemand so entrückt war, dass er nicht mehr zu uns zurückkommen konnte. Dann folgen wir jetzt den anderen, die ihren Durst gestillt haben, denn sie sind es, die die Geschichte erzählen. Und es stehen in der Tat noch merkwürdige Dinge bevor.
Duitwé schenkte sich Tee in den Becher und schwieg.