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Die Wanderung Der singende Sand
ОглавлениеDuitwé erzählt weiter:
Seit alten Zeiten lag die rote Düne da, von der ich erzählt habe. Aber hinter ihr erhoben sich gelbe Dünen in mehreren Reihen. Die Unterirdischen hielten sich dort an einem Ort zusammen mit all denen auf, die erst vor kurzem gestorben waren. Zu bestimmten Zeiten sangen sie, dass es klang, als würde ein großes Wesen jammern.
Mehrere Tage hatte er nach dieser Düne gesucht, denn sie sollte heilende Kräfte haben. Er glaubte wohl, dass die Düne ihm seine Toten lebend zurückgeben würde. Er glaubte auch, dass, würde er nur aufmerksam genug zuhören, ihm die singende Düne erzählen würde, was er tun musste, damit das geschehen konnte.
In einer Nacht kurz nach dem Verschwinden seiner Frau und dem Tod seiner Kinder machte er sich auf, um die Düne zu suchen. Während die Sterne noch hell leuchteten.
Deutlich war das Rückgrat der Nacht am Himmel sichtbar und erstreckte sich von dem einen Ende der Welt zum anderen, um den Himmelsbogen so zu spannen, dass er wie ein Kuppel über der ganzen Welt stand. Dort oben drehten sich die glänzenden Augen der Giraffe, weil sie unablässig Richtung Süden blickte. Die Nacht schwankte allmählich wie ein großer Baum, als er bereits viele Stunden gegangen war. Erst jetzt war die Nacht umgeblasen worden, und das Herz des Morgengrauens glänzte so hell dort oben, als spräche es laut, jetzt stehe ich hier, jetzt wird es Morgen.
Diese Nacht war er gegangen und gegangen, er war längst in die Wüste gekommen. Doch noch immer sangen die Dünen nicht. Seine Großmutter hatte ihm vor vielen Jahren davon erzählt. Aber er hatte ihr nie richtig geglaubt. Wieso sollte man auch in eine Wüste ohne Wasser und Essen gehen und dem Nichts hinterherjagen?
Erst jetzt, wo ihn Durst und Wahnsinn plagten, war er dazu fähig. Der Teil seines Verstandes, der noch funktionierte, versuchte vergebens ihn davon abzuhalten. Endlich hatte er sich auf eine riesige Düne hinaufgearbeitet; die Nacht war vorbei und die Sonne aufgegangen.
Es war schwer, zwei Kinder zu tragen. Obwohl sie tot waren, wogen sie schwer. Von hier oben konnte er eine noch größere Düne sehen. Schatten und Sonne veränderten sich und ließen sie groß erscheinen. Der Rücken der krummen Düne lag scharf wie die Schneide eines neu geschliffenen Messers da.
Er dachte, dorthin muss ich gehen, vielleicht wohnen in ihr die Stimmen, und machte sich auf den Weg.
»Es ist ja ziemlich mühsam, im Sand zu gehen, in den man dauernd einsinkt«, warf Kanta ein, der diese Dünen hinauf- und hinuntergetrabt war.
»Sei jetzt still und lass mich erzählen.«
Doch als er sich abmühte, um nach oben zu kommen, nach oben, hörte er plötzlich den Laut. Ein schwaches Zittern im Sand. Ein feines Flüstern und Flöten, wie wenn der Wind durch die Zweige der Akazienbäume streicht. Plötzlich stand der Laut ausgebreitet vor ihm. Aufrecht und stramm wie ein riesiges Stück Stoff, das von der Erde bis zum Himmel gespannt ist. Ein Brummen, das wie ein Mückenstich anschwoll. Ganz langsam legte er seine beiden Kinder in den Sand. Wie eine gelbe Kobra, die ihre einschüchternde Nackenhaut entfaltet, ließ der Laut alles erzittern. Den Sand. Ihn selbst. Jedes Bein seines Körpers stimmte in den Chor ein, von dem er glaubte, ihn hören zu können. Die Kinder, die dort vor ihm im Sand lagen, hüpften und tanzten, als schlängelte sich das Leben wieder in sie hinein. Obwohl der Laut so heftig war, dass er beinahe umfiel, blieb er da, denn die leblosen Kinder begannen sich zu bewegen, als seien sie lebendig. Ganz langsam konnte er in Laut und Chor der Unterirdischen bestimmte Worte unterscheiden. Obwohl er unablässig ganz tief in seinem Kopf Schmerzen spürte.
Schließlich musste er sich platt zwischen die beiden Kinder legen. Während er dort lag, sah er, dass sie noch immer tot waren. Weder Laut noch Gesang der Unterirdischen würden etwas daran ändern. Er drückte sie so fest an sich, dass er ihren schlechten Atem deutlich spüren konnte, da bei jedem Hüpfer, den der Sand sie machen ließ, Luft aus ihren Bäuchen entwich. Selbst ihre Augenlider zitterten und bebten, als erwachten sie gerade. Zu diesem Zeitpunkt war der Laut so stark, dass das Licht ganz aus seinen Augen verschwand. Als es wieder zurückkam, lag er am Fuß der Düne. Seine Kinder lagen neben ihm, so tot, als wären sie aus Holz gemacht. Und weich wie Haut, Fleisch und Knochen, aus denen sie gemacht waren, wie Puppen. Er versuchte, zu der Düne hinaufzusehen, aber das Licht war zu hell. Ihm war klar, dass er zurückgehen musste. Aber glücklicherweise waren die Kinder nicht lebendig geworden, denn sonst hätte er nicht genug Wasser für sich und sie gehabt.
So dachte er aber nicht. Es ist die Geschichte, die so denkt. Er sammelte die Kinder auf und machte sich langsam auf den Heimweg. Während er zurückging, wurde der einschläfernde, brummende Laut immer schwächer. Es waren die Unterirdischen, die aus der Düne ausgebrochen waren und ihn langsam, aber sicher hinuntergebracht und die beiden Kinder neben ihn gelegt hatten. Auf dem Rückweg versuchte er sich mit aller Macht zu erinnern, was das Dünenvolk ihm gesagt hatte. Denn er war überzeugt, dass sich in dem Moment, in dem der Laut so stark geworden war, dass er bewusstlos wurde, die Düne geöffnet hatte und die Unterirdischen ihn auf geheimnisvolle Weise in deren Tiefe getragen hatten. Erst als das harte Sonnenlicht auf ihn schien, wachte er wieder auf und stellte fest, dass sie ihn mit Kindern, Wanderstock und allem, was er bei sich hatte, wieder hinausgebracht hatten. Das mit Wasser gefüllte Straußenei, das er bei sich trug, war plötzlich wieder aufgefüllt.
Niemand kann mit Sicherheit wissen, ob es sich so verhalten hat.
Aber da sind die, die sagen, er sei nach dem Tag in den singenden Dünen so wunderlich geworden, dass sie mehrere Nächte hintereinander tanzen mussten, damit er wieder er selbst wurde, wie sie ihn alle kannten. Als das Tanzen beendet war, überredete er sie, mit auf die unglaubliche Wanderung zu gehen, da die Trockenheit sie so sehr plagte.
Man kann niemandem einen Vorwurf machen, dass sie glaubten er hätte den Verstand verloren. Oder er sei durch die Wüste und den Tod seiner Familie wunderlich geworden.
»Das glaube ich«, erklang eine klare Kinderstimme.
Während Duitwé in ihrer Erzählung innehält, um ihre Stahlpfeife anzuzünden, sagt Kanta:
»Der singende Sand. Ich habe es wirklich gehört. Damals, als wir am Meer waren und in die Wüste zogen, die links von uns lag.«
Die Wüste war groß und gelb. Der Himmel war blau und dünn. Scharf, als wäre er aus Glas. Auch die Farbe der Dünen war gelb wie Honig.
Etwas weiter vor uns lag eine riesengroße Düne. Zu ihr wollten wir kommen, da wir dachten, wir könnten von ihrer Spitze aus weit sehen.
Plötzlich, während wir auf dem Weg nach oben waren, setzte der Laut ein wie ein Donner. Wie eine Gruppe von tausend Menschen, die nur einen Ton sang, und das so kräftig, dass unsere Ohren den Laut nicht aushalten konnten. Wir mussten flüchten, um nicht auseinander zu brechen. Da sahen wir auf einmal das Tier oben auf der Düne. Angelockt von dem Laut stand er da, der Fuchs mit den großen Ohren. Er konnte ihn nicht aushalten. Es dauerte weniger als eine Sekunde. Ja, wie wenn man die Finger mehrere Male öffnet und schließt. Dann faltete er sich zusammen, und der leblose Körper kullerte die Düne hinunter. Es schien, als hätte der Laut ihm die Knochen im Körper zerschlagen. Ich glaube, dass der Fuchs all die kleinen Tiere fressen wollte, die von dem Laut tot oder bewusstlos geschlagen worden waren.
Wir wussten nicht, was es war. Als lebte tief unten in der Düne ein Wesen, das jammerte, oder als hätten sich alle Unterirdischen dort versammelt. Und um die Lebenden zu verjagen, sangen sie mit so kräftiger Stimme, bis wir weglaufen mussten. Der Laut stieg und fiel ständig. Ein tiefes Stöhnen dröhnte in uns, dass der Brustkasten sang. Nachdem wir gesehen hatten, wie der Fuchs in sich zusammengefallen war, bekamen wir Todesangst und liefen, so schnell wir konnten, von der Düne weg.